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us Schaden wird man klug. Unfassbar, dennoch traurigerweise wahr, cancelte Blake unser Treffen mit der Begründung eines unaufschiebbaren Termins. Nett, großzügig, dass er zumindest eine Sprachnachricht hinterlassen hatte, und zwar genau in dem Augenblick, in dem ich unter der Dusche stand.
Der dominante und stets souveräne Selfmade-Millionär Mr Carter hatte nicht den Arsch in der maßgeschneiderten Anzugshose, um mir seine Beweggründe zu verraten. Ja, ich bin stinksauer, verletzt und fassungslos.
Sofern er mir nicht eine stichhaltige Erklärung für sein beschissenes Verhalten geben konnte, würde ich ihn für alle Zeiten auf die Todesliste setzen.
Am liebsten wäre ich den gesamten Sonntag mit dem Kopf gegen die Wand gerannt, so dermaßen ärgerte ich mich über meine eigene Dummheit und meine Libido gesteuerte Verhaltensweise. Letztendlich entschied ich, den restlichen Tag auf dem Sofa zu verbringen, und stopfte mich mit Schokoladeneis voll – ein echter Klassiker. Einer, der zum Nachdenken anregte.
Wollte ich eigentlich eine Erklärung?
Die Summer von früher wäre ihm sabbernd hinterhergekrochen, extrem panisch, von ihm verstoßen zu werden. Summer 2.0 würde aufstehen, sich den Mund abputzen, ihr Krönchen richten und sich auf die Zukunft fokussieren. Genau genommen konnte ich ihn auch ohne ein Gespräch auf die Todesliste setzen.
»Süße, das finde ich so traurig, wie geht es dir damit?« Pearl, die sich gegen Abend nach meinem Befinden erkundigte, reagierte fassungslos. »Hast du eine Ahnung, was ihn zu einem solchen Schritt bewogen haben könnte?«
»Weißt du, den ganzen Tag ging es in meinem Kopf zu wie in einem Bienenstock.«
»Ich hoffe, du bist die Königin«, griff sie die Metapher auf.
»Ja, und die hat beschlossen, das unsägliche Kapitel abzuschließen.«
»Und das schaffst du?«, fragte sie skeptisch. »Aber vermutlich ist es besser für dich.«
»Es gibt aus meiner Sicht nichts mehr zu diskutieren«, unterstrich ich den mit unzähligen Kalorien gefütterten Entschluss. »Aus Erfahrung weiß ich, dass es mich bloß weiter aufwühlen würde.«
»Ich stehe hinter dir«, unterstützte mich mein Herzensmensch.
»Die Kelly Bag gebe ich ihm ebenfalls zurück«, konfrontierte ich sie mit der zweiten Entscheidung. »Ich habe seine Almosen nicht nötig.«
»Überstürze nichts, sie dient zu deiner
Absicherung.«
»Die Rückgabe ist ein Symbol der Freiheit!«, posaunte ich mit voller Überzeugung ins Telefon.
»Übereiltes Handeln birgt gewisse Gefahren.« Pearl blieb eine Pragmatikerin.
»Ja, schon …«, lenkte ich ein. »Ich muss ja nicht sofort einen fixen Termin festlegen.«. Vielleicht verletzt es ihn, und das wäre ein echtes Freudenfest.
Den Gedanken behielt ich für mich.
»Ich bin immer für dich da«, versicherte Pearl mir unnötigerweise, denn wenn ich mich auf jemanden verlassen konnte, dann auf sie – auch wenn uns Hunderte von Kilometern voneinander trennten.
Was jedoch nutzten sämtliche Schwüre, sofern die betreffende Person um acht Uhr fünfundvierzig, exakt fünfzehn Minuten nach Arbeitsbeginn, am nachfolgenden Montag aus dem Fahrstuhl stieg?
In meinem Fall bedeutete es einen winzigen Weiche-Knie-Moment, der meine kühle Fassade nicht wackeln ließ. Sofort fasste ich den Entschluss, ihm kein Herzlich-Willkommen-bei-Wilson-Chapman-und-Franklin-
Lächeln zu schenken
, sondern ihm in meiner realen Stimmungslage entgegenzutreten.
Frisch rasiert, die Haare im Businesslook gestylt, in einem perfekt sitzenden, hellgrauen Anzug, weißem Hemd und einfarbiger Seidenkrawatte trat er an meinen
Counter heran.
Mit schmalen Lippen, zusammengezogenen Augenbrauen und einer erhabenen Körperhaltung begrüßte ich ihn. »Guten Morgen, Mr Carter. Sie haben einen Termin?«
Eine Sekunde zögerte er und passte sich meinem Auftreten an.
»Guten Morgen, Miss Baker.« Ganz tief im Inneren grummelte es, und die heimliche Hoffnung auf eine persönliche Reaktion erlosch. Unsere Blicke trafen sich. Souverän hielt ich dem seinen Stand. »Mr Jackson erwartet mich.«
»Ah.« Ich klickte den synchronisierten Kalender an. Kopfschüttelnd hob ich den Kopf und richtete mein Augenmerk wieder auf ihn. »Mr Carter, für heute wurde kein Mandantenbesuch eingetragen.«
Er schaute auf seine Armbanduhr, so als wolle er sichergehen, sich nicht in der Zeit geirrt zu haben. »Dann klären Sie das.« Na, da ist aber jemand gereizt.
»Es wird sich um ein Missverständnis handeln.«
»Sie sind nicht der Nabel der Welt«, schleuderte er mir harsch entgegen.
»Nein, nicht der Welt, aber der Dreh- und Angelpunkt am Empfang von Wilson, Chapman und Franklin.« Selbstbewusst griff ich zum Hörer, fuhr mir dabei seitlich durch die Haare und neigte den Kopf. Übliche Bewegungen, um die Haarsträhnen, die mein Telefonohr bedeckten, hinters Ohr zu klemmen.
Obwohl ich sofort die Kurzwahltaste für Jacksons Telefon drückte, betrachtete Blake die ausgesprochen lange Wartezeit als eine subtile Provokation und legte die Stirn in Falten.
Dreimal läutete es durch, unterdessen tippte er ungehalten mit Zeige- und Mittelfinger auf die Oberfläche des Tresens.
»Es tut mir leid, Mr Jackson meldet sich nicht.«
»Ich frage mich, für was Sie bezahlt werden«, knallte er mir verärgert entgegen. Ruhig bleiben, tief durchatmen. Nein, du schmeißt ihm jetzt nicht den Locher an den Kopf. »
Hat Mr Jackson keine Assistentin?«
»Vielleicht ist sie gerade nicht in Hörweite des Telefons.«
»Mann, Mann«, brummte er mit steigendem Unmut.
»Solche Terminprobleme gibt es höchst selten«, versuchte ich ihn zu beruhigen. Wieso passiert das bei ihm?
Um ehrlich zu sein, wollte ich mich keine Minute länger als erforderlich in Blakes Nähe aufhalten.
»Es ist sicherlich ein Missverständnis. Ich führe Sie in das Besprechungszimmer, direkt neben Mr Jacksons Büro, und kläre danach, was schiefgelaufen ist.«
»Meinetwegen.« Nicht der Hauch eines Lächelns zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
In unmittelbarer Nähe gab es den zentralen Kopierraum, in dem unsere Aushilfskräfte täglich Tausende Seiten von Papieren vervielfältigten. Eine von ihnen hatte ich zum Bedienen der Telefonanlage angelernt. Das verschaffte mir ab und zu die Freiheit, meinen Wissensstand über die Geschehnisse in der Kanzlei auf den aktuellen Stand zu bringen. »Einen Augenblick.« Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Blake tief durchatmete, wie um einen Wutausbruch zurückzuhalten. Meinerseits folgte prompt eine schnippische Bemerkung. »Ich organisiere eine Vertretung für meine Abwesenheit, das Telefon bedient sich nicht von allein.«
Sofern er sich beschwerte, tangierte es mich nicht.
Die Notwendigkeit beeindruckte ihn nicht. Typisch, keinen Plan vom wirklichen Alltag in einem Büro.
»So, bitte folgen Sie mir.« Eilig stolzierte ich voraus, während seine Blicke sprichwörtlich am Rücken und am Po kitzelten, doch darüber sah ich großzügig hinweg.
»Mr Carter, ich bin untröstlich.« Jackson hastete uns entgegen und stutzte für einen Augenblick, vermutlich wegen der dunklen Sonnenbrille. »Unser System hat den Termin aus unerfindlichen Gründen verschluckt. In meinem händischen Kalender hatte ich selbstverständlich unsere Verabredung notiert.«
»So etwas passiert.« Insgesamt hinterließ Blake einen brummigen Eindruck.
»Summer, ich danke Ihnen. Sind Sie so freundlich und bringen uns Kaffee? Meine Assistentin kommt ausgerechnet heute später.«
Jetzt muss ich den Arsch auch noch bedienen.
»Wie immer einen Cappuccino für Sie, Mr Jackson?«, fragte ich so nett wie möglich, bevor ich mich an Blake wandte. Meine gespielte Höflichkeit machte der strahlenden Morgensonne Konkurrenz.
»Einfach schwarz.«
Mit einem aufgesetzten Lächeln stolzierte ich mit gemischten Gefühlen in die Kaffeeküche. Grummelnd bereitete ich das Tablett vor, bis mir unvermittelt eine geniale Idee durch den Kopf rauschte.
War das nicht die optimale Gelegenheit, um herauszufinden, weshalb Blake die Dienste der Kanzlei in Anspruch nahm?
Mit zuckersüßer Miene servierte ich den beiden den Kaffee und vermied es, dabei Blake anzusehen, der die Sonnenbrille wieder nach oben geschoben hatte. Es ärgerte mich, die Erklärung bezüglich der Ursache verpasst zu haben. Unabhängig davon war allerdings mein Kontingent an Blake-ist-mir-scheißegal
aufgebraucht.
Beim Verlassen des Büros ließ ich unbemerkt die Tür einen Spalt offen. Glücklicherweise herrschte um die Uhrzeit auf dem Gang wenig Betrieb, sodass mich niemand grüßen oder in ein Gespräch verwickeln würde.
»Haben Sie die Dokumente entsprechend vorbereitet?«, hörte ich Blake fragen. »Und Sie sind sicher, dass der Geldtransfer nicht nachvollziehbar ist?«
»Mr Carter, eine Blankogarantie kann ich Ihnen nicht ausstellen, dennoch gab es bisher niemals Probleme. Solche Transaktionen tätigen wir nicht zum ersten Mal.«
Was? Die verschieben Gelder!
Gebannt lauschte ich den weiteren Details, die, soweit ich es verstand, knapp an der Grenze der Legalität vorbeischrammten. Wissen Cameron oder zumindest Ive als geschäftsführende Partnerin davon? Ist das nicht illegal? Typisch für einen Blake Carter. Handelt Jackson im Sinne der Firma? Seniorpartner zu
sein, bedeutet nicht, unfehlbar zu sein. Vielleicht hat Blake ihn bestochen? Ihm traue ich alles zu.
Fest entschlossen, im Interesse meiner
Kanzlei zu agieren, eilte ich im Laufschritt zu Camerons Büro, hielt jedoch vor dem leeren Schreibtisch für die Assistenzkraft inne. Es wurde dringend Zeit, eine Nachfolgerin einzustellen. Mit den heruntergeschraubten Kriterien, so die Hoffnung, fand ich endlich eine geeignete Person.
Camerons Bürotür stand offen und ich klopfte an.
»He Summer.« Er erhob sich und kam auf mich zu. Wir umarmten uns flüchtig.
»Kann ich dich sprechen?« Der Verdacht hatte mich aufgewühlt, konzentriertes Arbeiten wäre eh nicht möglich.
»Natürlich.« Mit einer einladenden Handbewegung lud er mich ein, am Besprechungstisch Platz zu nehmen. »Geht es um Blake?« Wir setzten uns.
»Nichts Privates«, stellte ich sofort klar. »Ich fürchte, Mr Carter verschiebt illegal Gelder und bringt dadurch den tadellosen Ruf unserer Kanzlei in Gefahr.« Es fiel mir schwer, ruhig auf dem Stuhl zu sitzen. »Das ist doch unglaublich, und Mr Jackson macht da mit, was ist, wenn er ebenfalls … Dieser Blake Carter ist die Pest.« Vor lauter Eifer und wildem Gestikulieren war mir Camerons Grinsen zunächst nicht aufgefallen. »Was bitte ist daran amüsant?«
Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
»Ich bin dir dankbar, dass du postwendend zu mir gekommen bist.« Völlig entspannt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und überschlug die Beine. »Das hilft, Missverständnissen vorzubeugen.«
»Du musst den Mandantenvertrag sofort auflösen.« Aufgeregt knetete ich die Hände. »Wir müssen das anzeigen … und …«
»Stopp!«, bremste Cameron mich aus, und das Schmunzeln war einem ernsten Ausdruck gewichen.
»Entschuldigung, aber es regt mich auf, dass dieser Mann alles durcheinanderbringt.« Meine Wangen glühten.
»Ich weiß, dass du wie Superwoman
für das Wohlbefinden der Kanzlei kämpfst.« Nun neigte er sich zu mir. »Deine Sorgen, was den Fall anbetrifft, sind völlig unbegründet.«
»Ah?!«
»Ich vermeide es, Details zu erläutern, dennoch ist es nicht unüblich, dass Großkanzleien wie wir vieles für unsere Mandanten ermöglichen.« Irritiert fiel mir die Kinnlade herunter. »Es gibt überall auf der Welt legale Schlupflöcher, die wir finden, um den Klienten zu helfen. Das Rechtssystem ist vielschichtig auslegbar.«
»Das ist mir neu.« Im Grunde hätte ich erleichtert sein müssen, jedoch trat das Gegenteil ein. Innerlich zündelte das Teufelchen in mir. Gab es denn nichts, was man ihm ankreiden konnte?
»Es ist selbstredend, diese Mandate diskret zu behandeln. Und bevor du dich aufregst …« Jetzt huschte erneut ein Grinsen über sein Gesicht. »Meine vertrauenswürdige Assistentin erhält in solchen Fällen Einblick im Rahmen ihrer Aufgaben.«
»Trotzdem.« Eine völlig unlogische Bemerkung, wie mir selbst sofort auffiel.
»Summer, was ärgert dich mehr … dass du nicht über die Art der Mandantenvertretungen informiert bist oder dass du Blake damit nicht diskreditierst?«
»Bitte?« Brüskiert ballte ich die Hände zusammen. »Das ist Bullshit. Das Thema ist seit der Party erledigt. Es gibt nichts zu
klären, und ich habe keinen Grund, ihm zu schaden.« Ich hasste es, dass er genau ins Schwarze traf.
»Summer, warst du nicht diejenige, die mir damals geraten hat, Mutmaßungen jeglicher Art zu vermeiden, sofern sie unter emotionalen Druck entstehen?« Seiner Autorität hatte ich nichts entgegenzusetzen, außerdem sagte er die Wahrheit. »Weiterhin erinnere ich mich daran, wie eine Summer Baker immerzu darauf drängte, über Unstimmigkeiten zu reden.«
»Ja, ja, falls es sich lohnt«, brummte ich, aber mein Herz wurde unfreiwillig schwer.
»Und?« Fragend legte er die Stirn in Falten. »Lohnt es sich?«
»Er verhält sich dermaßen unfair und ich bin zutiefst verletzt.«
»Ich möchte sein Verhalten nicht entschuldigen.«
»Das wäre auch noch schöner«, erwiderte ich mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck.
»Du wirst es nur herausfinden, wenn du das Gespräch suchst.« Cameron lehnte sich zurück. »Blake Carter und ich sind uns charakterlich ein Stück weit ähnlich …«
»Niemals!«, unterbrach ich ihn entrüstet.
»Ihm ist gewiss bewusst, dass er sich falsch verhalten hat, und in Gefühlsdingen fällt es uns schwer, angemessen zu reagieren«, fuhr er fort und ignorierte meinen Einwand.
»Hm, trotzdem.« Alles in mir weigerte sich, klein beizugeben.
»Summer, es ist deine Entscheidung.« Er hob die Achseln. »Letztendlich kenne ich eure Geschichte nicht.«
Seufzend und mit weichen Beinen erhob ich mich. Irgendwie hatte ich mir den Verlauf des Gesprächs anders vorgestellt. »Ich werde darüber nachdenken.«
Dennoch sagte Cameron die Wahrheit. Seitdem ich Blake damals ohne Ankündigung verlassen hatte, gab es
Gesprächsbedarf. Auch Jahre später quälten mich noch tausend ungelöste Fragen. Die verrückte Lebensphase und die intensiven Gefühle zu Blake blieben ein wichtiger Bestandteil, stets unter der Oberfläche, und hatten mich geprägt. Der Plan, nach dem Wiedersehen über alles zu reden, war gescheitert. Die extreme Anziehungskraft und eine glühende Leidenschaft verhinderten es. Hatten wir uns viel zu schnell die Option einer zweiten Chance eingeräumt? Zunächst musste ich mir eine zentrale Frage beantworten: Waren Herz und Verstand gleichermaßen bereit, Blake Carter an meinem Leben teilhaben zu lassen?