Zwölf
Summer
D as tropische Klima sorgte in Florida teilweise für Starkregen, und der September gehörte zu den Monaten mit den meisten Regenfällen. Beim Packen des Koffers war mir dieser Umstand entfallen und meine Garderobe war ausnahmslos auf Sonne ausgerichtet gewesen. Bei einem Kurztrip hätte ich auch Glück haben können, doch weit gefehlt. Kurz nachdem Blake verschwunden war, öffneten sich die Schleusen und ein heftiger Regenschauer prasselte auf mich nieder.
Durchnässt stürmte ich auf mein Zimmer und stellte mich sofort unter die Dusche, um den Sand loszuwerden. Der Verlauf der Abschiedstour entsprach nicht im Geringsten meinen Vorstellungen. Was taucht er auch hier auf?
Niemals zuvor rastete ich ihm gegenüber derart aus. Im Grunde gab es generell selten bis solche verbalen Ausraster.
»Selbst schuld, er hat mich sitzen lassen und kommt dann mit dem Liebesgefasel daher.« Ich sprach die Worte laut aus, um ihnen mehr Nachhaltigkeit zu verleihen. »Was will er eigentlich von mir?«
Wütend auf die Welt, die sich gegen mich verschworen hatte, stand ich am Fenster und betrachtete die Natur, die sich in ähnlicher Stimmung präsentierte wie ich.
Glücklicherweise trat ich morgen Mittag bereits den Rückflug nach New York an, und das Kapitel Blake Carter würde damit endgültig abgeschlossen sein.
»Nein, du brauchst dir nichts vorwerfen«, beruhigte ich mich zum hundertsten Mal. »Außerdem demonstriert es meine Eigenständigkeit.« Weiterhin bewies es, dass ich mich entliebt hatte. Ja, so was passiert ratzfatz, sofern ich extrem gereizt werde.
Genervt schaltete ich den Fernseher ein und wurde sofort mit den Bildern des Unwetters konfrontiert. Der tosende Orkan fegte gnadenlos über die Küstenregionen, die Wellen peitschten ans Land, ein Szenario, das bei mir Angst auslöste.
Bereits seit Kindertagen fürchtete ich mich vor Sturm und Gewitter, das hatte sich bis heute nicht geändert. Mit einem mulmigen Gefühl entschied ich, die Bar zu besuchen, um den beschissenen Tag mit viel Alkohol zu beenden und zu beten, dass sich das Wetter bis morgen wieder beruhigte.
Die Nacht schlief ich unruhig und träumte allen möglichen Scheiß. Vermutlich lag es auch am Wein, den ich mir großzügig gegönnt hatte. Beim Aufwachen stellte ich fest, wie sehr ich außer Form war. Mit Pearl zusammen hatten wir ein anderes Pensum und schafften es problemlos, zeitig aufzustehen und unsere Jobs anstandslos zu erledigen.
Verkatert und mit weitaus mieserer Laune packte ich meine Klamotten und räumte früh das Zimmer. Den Sturm ignorierte ich. Mein Plan sah vor, schnellstmöglich auszuchecken und mich zeitnah vom Shuttleservice des Hotels zum Flughafen bringen zu lassen. Ich wollte keine Minute länger als unbedingt nötig hier ausharren.
In der Lobby angekommen, herrschte ungewöhnlich viel Trubel und die Rezeption wurde von zig Gästen belagert.
»Sir, es tut uns leid, doch alle Flüge wurden gecancelt«, schnappte ich die Horrornachricht auf. Nein, nein – ich will hier weg. Die emotionale Abschiedstour entwickelte sich zu einer Tragödie.
»Sind wirklich sämtliche Flüge gecancelt?«, fragte ich die Rezeptionistin mit kleinlauter Stimme.
»Miss Baker, leider bis auf Weiteres.« Trotz des allgemeinen Stresses wirkte sie gelassen.
»Wann fährt der nächste Shuttlebus?«
»Tja, die Hauptstraße wurde heute Nacht unterspült und …«
»Was in aller Welt bedeutet das?« Langsam erreichte ich meine Stresstoleranzgrenze.
»Die Straße zum Flughafen ist nicht passierbar«, erklärte sie die Lage sicherlich zum hundertsten Mal.
»Das ist nicht Ihr Ernst«, entfuhr es mir schrill.
»Miss Baker, ja, wir sind untröstlich. Aber wir sorgen dafür, dass wir Ihnen die Zeit so angenehm wie möglich gestalten.«
»Das wird Ihnen nicht gelingen«, erwiderte ich mürrisch und hasste Palm Beach, Blake Cater und meine beknackte Idee von einer Abschiedstour. Professionell überging sie meine Reaktion.
»Wir werden Sie selbstredend ständig auf dem Laufenden halten.«
»Ich checke trotzdem schon mal aus.« Zumindest wollte ich sichergehen, später keine Zeit zu verschwenden, sollte die Straße wieder befahrbar sein. »Den Koffer kann ich hier deponieren?«
»Selbstverständlich.«
In dem Moment, in dem ich mich auf dem Weg Richtung Frühstücksbuffet aufmachte, betrat Blake die Lobby. Ihn zu sehen, verursachte einen nicht gewollten Schauer und Beklommenheit. Sofort wandte ich mich ab, aber das hätte ich mir auch sparen können. Offensichtlich stand er aufgrund des Unwetters und den damit verbundenen Problemen unter Stress. Die Person, die ihm folgte, löste bei mir Stress aus. Jacky! Sie hatte sich zu meinem Leidwesen in eine attraktive Frau verwandelt. Unfreiwillig schlug mir das Herz bis zum Hals. Was hatte dieser Trip mir bitte noch an unliebsamen Überraschungen zu bieten?
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Jacky und Blake auf einen anderen Herrn zusteuerten. Beide wirkten vertraut.
Meine Synapsen drehten durch, und ab dem Augenblick war ich davon überzeugt, dass Blake nicht die Wahrheit gesagt hatte. Vermutlich waren sie seit Jahren ein Paar …
Das brachte mein emotionales Fass zum Überlaufen. Die Tränen stiegen schneller in die Augen als der Pegel der Sturmflut. Mit gesenktem Blick verließ ich die Lobby, um mir irgendwo ein ruhiges Plätzchen zu suchen, an dem ich mir die neu aufgerissenen Wunden lecken konnte. Hast du überreagiert? , stichelte das schlechte Gewissen.
In einem der Bistros fand ich den gewünschten Ort. Die Gefühle fuhren Achterbahn. Die Bitch hatte es wahrhaftig geschafft, sich ihn zu krallen. Ich wusste es – er lebte noch nie monogam. Ich hasse ihn!
Traurig, verletzt, wütend bestellte ich lediglich einen Milchkaffee. Der Appetit war mir gründlich vergangen. Trotz bester Vorsätze gelang es mir nicht, die bösen Geister aus meinem Kopf zu verdrängen. Jacky und Blake, Jacky und Blake … Dieser Gedanke fraß sich zum zweiten Mal in Hirn und Seele.
Der Tisch ermöglichte den Blick nach draußen. Ein paradiesischer Ort, der jeglichen Zauber eingebüßt hatte. Stumm stierte ich ins Nichts.
»Hey Summer!«, riss mich eine unliebsame Stimme aus der Lethargie. Vor Schreck zuckte ich zusammen.
»Jacky? Ach, was für ein Zufall«, spielte ich die Ahnungslose, hob den Kopf und überschlug die Beine. Wie schön, dich zu sehen , wollte mir bei aller Liebe nicht über die Lippen kommen.
Wie bereits ärgerlicherweise festgestellt, sah sie in ihrem Kostüm, der Pagenkopffrisur und dem perfekt geschminkten Gesicht hinreißend aus. Nach einer heißen Nacht mit Blake Carter wäre es mir vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls blendend gegangen. Ob sie von der erneuten Niederlage wusste? Mit Sicherheit.
»Was für ein Mistwetter«, startete sie Small Talk. Was willst du? Ja, ja koste deine Schadenfreude aus. Ich erinnerte mich nicht daran, ob jemals in solch einer rasenden Geschwindigkeit so unfassbar viele Gedankensplitter durch mein Hirn geflattert waren.
»Ja, total ärgerlich«, erwiderte ich schmallippig und nippte an dem Milchkaffee.
Ohne zu fragen, setzte sie sich zu mir an den Tisch. Typisch – früher drängte sie sich ebenso auf.
Sie hob die Hand und der Kellner kam zu uns.
»Mrs Hanson?« Ich stutzte.
»Einen frisch gepressten O-Saft bitte.«
»Schau nicht so, ich heiße nicht Carter mit Nachnamen«, reagierte sie mit diesem fragwürdigen Scherz auf meine augenscheinlich sichtbare Verwunderung.
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Ach herrje, das ist inzwischen drei Jahre her, trotzdem Danke.«
»Super.« Mir fiel nichts Unterhaltsameres ein, und ich hakte auch nicht nach. Verheiratet zu sein bedeutete überhaupt nichts.
»Summer, ich will gar nicht herumeiern …«
»Ah.«
»Blake und ich sind seit damals eng befreundet.« Mir wurde flau im Magen. »Nein, keine Freundschaft Plus, falls du das denkst.«
»Wenn dem so wäre, was ginge es mich an?«, blieb ich bei der Rolle der distanzierten Rivalin.
»He, ich weiß, was gestern zwischen euch vorgefallen ist.«
»Bitte?«, entfuhr es mir mit schriller Stimme und ich kniff die Augen zusammen.
»Bevor du dich aufregst …« Keine Spur von Ironie oder Sarkasmus. »Blake Carter ist ein Alphatier und ein Macho.«
»Oh ja.« Es entlockte mir ein gequältes Lächeln.
»Glaubst du allen Ernstes, dass er dir damals seine Gefühle hätte eingestehen können?« Sie legte die Stirn in Falten.
»Offensichtlich nicht.« Ungewollt erhöhte sich mein Pulsschlag.
»Stell dir vor, du hättest ihn zurückgewiesen.«
»Niemals.«
»Was er nicht wusste, woher auch«, offenbarte mir Mrs Jacky Hanson im Freundinnenton.
»Das ist Unsinn – ich … Ich habe es ihm gezeigt.« Nervös rieb ich die Finger der rechten Hand aneinander.
»Wir genossen das Leben als Sugar Babes, und niemand, nicht einmal ein Blake Carter, konnte sichergehen, ob unsere Gefühle echt waren – wir lebten in einem speziellen Universum.«
Völlig unverständlich schüttelte ich den Kopf. »Ich nicht.«
»Doch, du ebenfalls«, beharrte sie weiterhin auf ihrer ungeheuerlichen Unterstellung.
Perplex und verwirrt, unfähig, darauf zu reagieren, ließ mich in den Sessel zurückfallen. Hatte sie recht? Vieles im Laufe der Zeit verklärte sich, die Betrachtungsweise wurde eine neue, insbesondere, wenn man voller Schmerz zurückblickte.
»Weshalb erzählst du mir das?« Nervös strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
»Weil ihr beide untalentiert seid, ehrlich und offen miteinander zu reden.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht.« Ein viel zu lauter Seufzer entwich mir. »Vermutlich wirst du mir auch sagen können, wieso er sich aus New York verpisst hat?«
Jacky lachte. »Eifersucht und, ja, Überforderung.«
»Also so ähnlich, wie ich es ihm gestern vorgeworfen habe.« Mir zitterte die Stimme.
»Er hasst es, wenn man ihn durchschaut.«
»Was soll ich deiner Meinung nach unternehmen?«, fragte ich meine Ex-Rivalin kleinlaut.
»Liebst du ihn?« Mit ernstem Blick sah sie mich durchdringend an.
Überfordert mit der Situation, brachte ich lediglich ein Nicken zustande.
»Es liegt jetzt an dir, ob du das Ruder herumreißt.« Mit dem Satz erhob sie sich, und ich tat es ihr gleich. »Sorry, ich muss wieder an die Arbeit ins Backoffice, es geht hier drunter und drüber.« Eine seltsame Entwicklung.
Verlegen lächelte ich und spontan umarmte ich sie. »Ich danke dir.« Das winzige Tränchen bemerkte sie nicht.
»Tja, manchmal ist das der einzige Weg. Blake, aber auch du, braucht definitiv einen Tritt in den Arsch.«
Wir lösten uns voneinander und sie eilte davon. Kurz wandte sie sich um, hob beide Daumen und nickte mir aufmunternd zu.
Verrückt, was da eben passiert ist. »Krass.« Aufgewühlt setzte ich mich wieder hin, streckte die Beine aus und legte den Kopf nach hinten.
Hatte ich ihm damals wahrhaftig nie von meinen Gefühlen erzählt? Während ich Jackys Worte ernsthaft hinterfragte, kamen Zweifel auf. Sie beleuchteten die Vergangenheit abrupt in einem neuen Blickwinkel. Bislang hatte ausschließlich meine Variante existiert.
Eine Stunde, zwei Milchkaffe sowie einen Tequila später gelangte ich zu einer nüchternen Erkenntnis. Ich bewunderte ihn, er war heiß, der Sex geil, das ganze Leben eine Flasche prickelnder Champagner. Ehrlich eingestanden, gehörten Gefühle zunächst nicht zum Vorhaben meines Abenteuers, einmal so richtig im Luxus zu schwelgen. Was war mit den Ängsten, dass er mich wegschicken würde? Der Schmerz, wenn er mich nicht beachtete und mit einer anderen vögelte? War das Liebe? Auf eine bizarre, verdrehte Art?
Eines hatte ich jedoch begriffen. Anstatt eines Endes entstand vielleicht ein Neuanfang, aber es lag an mir.
Kurze Zeit später saß ich im Taxi, überstürzt, ohne zu wissen, ob er sich überhaupt in seiner Villa aufhielt. Falls nicht, beabsichtigte ich, dort auf ihn zu warten. Das Wetter hinterließ nicht den Eindruck, dass der Flugverkehr zeitnah wieder aufgenommen werden würde. Wieso also hier herumsitzen? Das wird heute noch geklärt.