Kapitel 1
Julia
„Überleg es dir noch mal. Bleib doch hier und frühstücke mit mir.“ Simon mühte sich gerade mit der Kaffeemaschine ab, weil er versuchte, seine noch immer schmerzende Schulter zu schonen.
Als erfahrene Physiotherapeutin war Julia klar, wie lange es dauern konnte, ehe er seinen Arm wieder voll einsetzen können würde. „Das ist lieb von dir, wirklich, Simon. Aber ich muss nach Hause, mich umziehen und meinen Kater versorgen. Außerdem kommt mein erster Patient um zehn Uhr. Das schaff ich sonst nicht.“ Sie setzte sich zu ihm an den Küchentresen und fragte fürsorglich: „Soll ich dir mit dem Kaffee helfen?“
„Nein, das klappt schon. Muss ja auch, wenn ihr mich alle alleine lasst.“ Er zog eine Grimasse und tat so, als würde er schmollen, entlockte Julia damit jedoch lediglich ein wissendes Grinsen.
„Oh nein. So nicht, mein Lieber. Es wird Zeit für mich, also versuch es erst gar nicht.“
„Ach verdammt. Ich hab’s einfach nicht drauf. Aber wir schreiben uns später, okay? Ich meine, du schreibst und ich schicke Sprachnachrichten. Das wird einfacher.“
„Geht klar. Also dann. Danke noch mal für den fantastischen Abend. Es war … wirklich schön mit euch.“
Wirklich schön?
Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Die letzte Nacht hatte wieder einmal alles getoppt, was sie in ihrem bisherigen Erwachsenenleben je erlebt hatte. Da war
wirklich schön
nicht ansatzweise treffend. Doch Simon tat, als hätte er es nicht gehört, und sie war viel zu kaputt, um sich um solche Kleinigkeiten zu sorgen. Julia freute sich auf ihre eigenen vier Wände. Sie brauchte ein wenig Abstand von diesen charismatischen Männern, die ihr äußerst intensive Orgasmen beschert hatten. Nachdem sie sich immer und immer wieder geliebt hatten, waren sie völlig erschöpft, jedoch restlos befriedigt eingeschlafen. Sie hatten sich Simons breites Doppelbett geteilt – Oliver, Simon und Julia.
Oliver war bereits früh aufgebrochen. Er hatte einen wichtigen Termin, den er nicht hatte verschieben können. Bevor er gegangen war, hatte er ihr gesagt, sich unbedingt mit ihr unterhalten zu wollen. Es ginge dabei um seine berufliche Zukunft, doch als sie nachgefragt hatte, wollte er nicht näher darauf eingehen. „Lass uns essen gehen. Wie wäre es mit übermorgen Abend? Dann erzähl ich dir alles, okay? Und mir wäre recht, wenn wir Simon erst einmal außen vor lassen könnten. Er macht sich sonst nur unnötige Gedanken und das muss nicht sein.“
Sofort hatte sich bei Julia ein schmerzhafter Knoten im Magen gebildet. Genau dies hatte sie gemeint, als sie den Brüdern suggeriert hatte, sie müssten sich absolut einig sein, ob sie das so wollten – sich Julia teilen. Und nun waren sie noch nicht einmal eine Woche zusammen und schon hatte Oliver die ersten Geheimnisse. Sie war entschlossen, ihm diesen Zahn gleich wieder zu ziehen.
„Ich melde mich bei dir“, hatte sie ihm geantwortet, und obwohl sie schon neugierig war zu erfahren, was er ihr so Wichtiges zu berichten hatte, würde sie ihm absagen. Es war nicht richtig Simon gegenüber und ganz eindeutig gegen ihre Vereinbarung.
„Julia? Alles klar bei dir? Willst du doch noch hier duschen?“, fragte Simon, als sie keine Anstalten machte, zu gehen. Sie schüttelte den Kopf und erhob sich energisch. „Danke dir. Aber das mach ich zu Hause.“
Zum Glück hatte sie sich Sachen zum Umziehen mitgebracht, so musste sie wenigstens nicht in ihrem frivolen Kostümchen nach Hause fahren, das fein säuberlich verpackt in der Tüte neben ihr stand. Es fehlte noch, sich den neugierigen Blicken ihrer Nachbarn stellen zu müssen, damit die sich darüber Gedanken machen konnten, welchem Gewerbe sie tatsächlich nachging. „Siehst du? So kann ich mich auf der Straße blicken lassen, also alles in Ordnung.“
„Also ich hatte nichts gegen dein anderes Outfit. Mir hat es … gefallen und wir sollten das unbedingt wiederholen.“ Sein männliches Grinsen gefiel ihr – sogar sehr –, auch wenn das seines Bruders sogar noch ein wenig draufgängerischer war.
„Gefallen? Du meinst wie
oh, das Kleidchen sieht gut an dir aus
?“, frotzelte sie und zwinkerte ihm zu.
„Nein. Eher so wie
what the fuck – du siehst rattenscharf aus
“, gab er lachend zurück und sie stimmte ein.
„So, jetzt muss ich aber wirklich los. Ich schreibe dir, also bis nachher.“ Mit einem schnellen Kuss auf die Wange verabschiedete sie sich, schnappte ihre Taschen und ging zur Tür. „Ehe ich’s vergesse – wenn du ein Rezept hast, melde dich wegen eines Termines. Ich schieb dich gerne dazwischen.“
Im Auto atmete sie erst einmal tief durch und ließ den Abend Revue passieren. Einen unglaublich erregenden Abend voller neuer Ereignisse – wundervoller Erfahrungen, die es ihr unmöglich machten, mit purer Logik darüber nachzudenken. Sie spürte den Nachhall der Dehnung ihrer Vagina und ihres Schließmuskels als dumpfes Pochen und musste schmunzeln über das Ziehen in ihren Oberschenkelmuskeln. Oh ja, sie hatte tatsächlich Muskelkater, doch es fühlte sich großartig an, schon weil sie sich noch genau daran erinnerte, wie dieser köstliche Schmerz entstanden war.
Während sie ihr Auto durch den Stadtverkehr lenkte, überlegte sie bereits, was sie Oliver schreiben sollte. Vielleicht war seine Firma in Schieflage geraten und er wollte darüber reden. Aber würde man so etwas nicht eher mit einem Familienmitglied denn mit seiner Geliebten besprechen? Seufzend parkte sie vor ihrem Wohnhaus ein und stellte den Motor ab. Vielleicht war es doch das Beste, sich mit ihm zu treffen, um Näheres zu erfahren. Seufzend stieg sie aus und beschloss, ihm gleich eine WhatsApp zu schreiben, aber zuerst musste ihr Kater Karl versorgt werden. Der Arme wartete sicher schon ganz ungeduldig auf Frauchen.
Beladen mit ihren Taschen und ihrer Post ging sie die Treppen nach oben, wo sie erschrocken innehielt. „Gerald? Was machst du denn hier?“
Auf dem oberen Treppenabsatz saß Gerald, der sie mit zusammengekniffenen Augen vorwurfsvoll fixierte. „Guten Morgen, Julia. Ich dachte, ich warte hier auf dich, bis du nach Hause kommst, auch wenn es wirklich lange gedauert hat. Aber schließlich musst du Karl füttern, ehe du zur Arbeit gehst, nicht wahr?“
Irritiert starrte sie ihn an. Natürlich wusste Gerald als ihr Geschäftspartner und Freund über ihre Katze Bescheid, doch wieso wartete er zu dieser Zeit? Was wollte er von ihr?
„Ja, Karl muss gefüttert werden“, antwortete sie sichtlich irritiert. „Aber das erklärt nicht, weshalb du hier bist.“
„Ich wollte mit dir reden. Wie ich sehe, hast du nicht hier übernachtet.“ Er erhob sich langsam, hielt jedoch Abstand, so als wollte er ihr keine Angst einjagen. Vielleicht vermutete er, sie könnte sich fürchten und die Flucht ergreifen, doch da täuschte er sich. Und überhaupt? Klang er etwa vorwurfsvoll? Julias Nackenhärchen stellten sich auf und all ihre Sinne waren mit einem Mal in Alarmbereitschaft. „Du wolltest mit mir reden“, wiederholte sie langsam. „Okay. Und wieso machst du das nicht nachher in der Praxis? Warum musstest du hierherkommen? Was ist so wichtig, dass es nicht bis später Zeit hat?“
Irgendwo über ihnen wurde eine Tür geöffnet und Geralds Blick huschte nach oben. „Wollen wir nicht drinnen weiterreden? Das wäre vielleicht besser.“
Eigentlich wollte sie ihn nicht in ihrer Wohnung haben, doch sie wollte auch nicht, dass ihre Nachbarn alles mit anhörten, was er zu sagen hatte. Also nickte sie zustimmend und sagte: „Okay, dann lass uns reingehen. Es muss ja wirklich wichtig sein, was du mir zu sagen hast.“ Sie schloss die Tür auf und trat in den Flur, wo sie bereits von ihrem laut maunzenden Kater begrüßt wurde, der ihr immer wieder um die Beine strich. „Aber ja, mein Süßer.“ Völlig abgelenkt ging sie in die Hocke, um den kleinen schwarz-weiß gefleckten Kater zu begrüßen, der sie offensichtlich vermisst hatte.
Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Gerald hinter ihr in den Flur trat und die Tür schloss. Sie sah auf und erschrak, wie nahe er ihr plötzlich war. Schnell erhob sie sich und trat den Rückzug in ihre Küche an. Mit einem Mal fühlte es sich doch falsch an, ihn hereingelassen zu haben, doch nun war es zu spät.
Bisher hatte sie noch nie einen Grund gehabt, Gerald zu misstrauen – im Gegenteil. Er war stets für sie da gewesen und hatte ihr – als Mentor und väterlicher Freund – diese Riesenchance gegeben, seine Geschäftspartnerin zu werden. Und trotzdem lag plötzlich eine Bedrohung in der Luft.
Während sie hastig das Katzenfutter suchte, sagte sie mit fester Stimme: „Kommst du mit in die Küche? Ich koche uns schnell einen Kaffee und du erzählst mir, was los ist.“
Gerald nickte wortlos, blieb jedoch im Türrahmen stehen. Einmal mehr stellte Julia fest, wie muskulös er war. Sie hatte es schon oft bemerkt und stets bewundert, weil es nicht selbstverständlich war für einen Mann in seinem Alter. Natürlich war es wichtig, als Physiotherapeut in Form zu sein, doch nun, wie er ihre Tür blockierte und mit diesem Gesichtsausdruck, wirkte er sogar gefährlich.
„Also schieß los. Warum bist du hier?“, fragte sie betont munter, darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben und nicht ihr Unbehagen zu zeigen. Sie wusch Karls Näpfe aus und öffnete eine Dose seines Lieblingsfutters, von der sie die Hälfte in eine der Schüsseln gab. Den Rest des Futters stellte sie auf der Arbeitsplatte ab und befüllte den zweiten Napf mit frischem Wasser.
„Ich bin hier, weil ich besorgt um dich bin“, antwortete er ruhig. Zu ruhig. „Du hast dich verändert, bist eine völlig andere geworden. Also sag mir, es ist nicht notwendig, sich um dich zu sorgen. Sag mir, es ist alles in Ordnung. Aber schau mich dabei an – sieh mir dabei in die Augen, wenn du es sagst. Schau mich an und sag, es hat sich nichts verändert.“
Jetzt war sie wirklich beunruhigt. „Was meinst du denn damit, ich hätte mich verändert? Inwiefern? Ich habe keinen blassen Schimmer, was du meinst“, sagte sie ausweichend und überlegte, ob er von Oliver und Simon wissen konnte. Hatte er vielleicht das Gespräch zwischen Leni und ihr doch mit angehört? Sie hatten auch nicht gerade geflüstert. Shit. Das hatte sie nicht gewollt.
„Was ich meine? Verkauf mich nicht für dumm, Julia, und verdammt noch mal, tu nicht so unschuldig. Du weißt ganz genau, was ich meine. Ich meine diese beiden Typen, mit denen du fickst. Und das auch noch gleichzeitig. Großer Gott. Wie konntest du nur? Dich wie eine billige Hure nehmen lassen.“ Abfällig spie er ihr die Worte entgegen und benetzte sie dabei mit einem feinen Speichelregen.
Julia blinzelte verblüfft. Sie musste sich verhört haben, konnte nicht glauben, was Gerald sich herausnahm. Doch noch wichtiger als seine unverschämten Worte war die Tatsache, sie belauscht zu haben. Sie hatte nur Leni erzählt, was geschehen war, und sie hätte Gerald gegenüber niemals etwas verlauten lassen, da war sie sich absolut sicher. Also fragte sie ihn zornig: „Woher weißt du das und was noch viel wichtiger ist, wer zum Teufel gibt dir das Recht, mir das vorzuwerfen? Du. Bist. Nicht. Mein. Freund.“ Sie straffte sich und machte sich groß. „Gerald. Es geht dich verdammt noch mal nichts an, mit wem ich wann und wo Sex habe, verstehst du? Wir sind Geschäftspartner und sonst gar nichts.“
„So, es geht mich also nichts an, wenn meine Partnerin wild in der Gegend rumvögelt? Und woher ich das weiß? Na, ich hab euch zusammen gesehen. Was glaubst du wohl, wie unauffällig es ist, wenn du zu deinem Optiker nach Hause fährst, vor dessen Einfahrt der Wagen seines Bruders steht? Und ja, ich weiß ganz genau, was ihr da drinnen getrieben habt.“ Geralds Stimme bebte vor unterdrückter Wut. Er wirkte, als würde er jeden Moment ausrasten.
Allerdings war Julia das bereits egal. Sie kochte vor Wut und achtete dabei nicht mehr auf die Anzeichen seiner anwachsenden Aggression. „Geschäftspartner, Gerald – wir sind nur Geschäftspartner. Sag mal, spinnst du jetzt total? Wie kommst du dazu, mir nachzuspionieren? Du tickst doch nicht mehr ganz richtig. Verschwinde aus meiner Wohnung. Raus hier.“ Sie war laut geworden und kurz davor, wütend mit den Füßen aufzustampfen.
„Du willst mich rauswerfen, weil du denkst, ich sei verrückt? Ja, vielleicht bin ich das. Verrückt genug, mir auszumalen, was aus uns hätte werden können. Aber du hast es mir gestohlen. Mein. Bild. Von. Dir. Ich liebe dich. Liebe dich schon so lange und du fickst vor meinen Augen mit zwei Typen. Du kleine, verfickte Hure.“
„Raus.“ Zornesbebend baute sich Julia vor ihm auf. Es brauchte nicht mehr viel und sie würde handgreiflich werden, doch Gerald kam ihr zuvor.
Innerhalb eines Wimpernschlages war er bei ihr, packte ihre Oberarme und riss sie an sich. „Oh, ich kann dir sehr genau sagen, wie es weitergeht“, ätzte er, während er sie grob festhielt. „Ich werde dich jetzt ficken und sehen, ob du wirklich so gut bist. Und das solltest du sein. Immerhin hast du das ja bereits bewiesen, nicht wahr?“
Erschüttert über seine Worte, versuchte Julia, sich loszumachen, doch seine Finger hielten sie fest wie Schraubzwingen. Plötzlich begann es in ihren Ohren zu rauschen. Ihr Kreislauf spielte verrückt. Er würde es nicht wagen, sie zu vergewaltigen. Nicht, wenn er nicht alles kaputtmachen wollte …
Aber das hat er doch schon
, meldete sich ihre innere Stimme zu Wort.
Er hat bereits das Vertrauen und ihre Partnerschaft zerstört und das weiß er auch, also was hat er schon zu verlieren?
Gerald betrachtete sie aufmerksam und grinste auf einmal hämisch. „Wenn du jetzt denkst, das traut er sich nicht, dann hast du dich getäuscht“, zischte er und schüttelte sie leicht. „ER traut sich das sehr wohl. ER hätte das schon viel früher tun sollen.“ Sie wurde gegen seinen muskulösen, festen Oberkörper gepresst. Er ließ ihren rechten Arm los, grub seine Finger in ihre weichen Locken und zog ihren Kopf weit nach hinten, wodurch er sie zwang, ihm in die Augen zu sehen. Ihr Halswirbel knackte und ihr Arm schmerzte schon jetzt von der groben Behandlung, doch sie würde es ihm auf keinen Fall leicht machen, ganz egal, wie sehr er ihr zusetzte. Sie schloss die Augen, doch er riss an ihrem Haar, bis sie sie mit einem leisen Schmerzenslaut wieder aufriss.
„Sieh an, wie leicht das war. Hier bin ich. Jetzt siehst du mich endlich – nicht wahr?“
„Gerald. Bitte. Lass mich los. Hör auf, ehe es zu spät ist.“ Sie versuchte es mit Flehen. Dabei legte sie ihm in einer freundschaftlichen Geste die Hand auf die Brust, wo sie seinen wummernden Herzschlag spüren konnte. Die Hose in seinem Schritt war mächtig ausgebeult und alleine der Gedanke daran, was er angekündigt hatte zu tun, verursachte Julia Übelkeit.
Zeig es ihm nicht. Zeig ihm nicht, wie sehr du dich fürchtest
. Sie sah ihm fest in die Augen und versuchte ihm auf diese Weise zu zeigen: Du wirst mich niemals dazu bringen, zu tun, was du willst.
„Ist es doch schon längst. Meinst du, ich wüsste nicht, wie weit ich die Grenze bereits hinter mir gelassen habe? Wieso sollte ich jetzt aufhören? Ich habe doch schon alles riskiert. Also, wie ist es? Dir wurde es letzte Nacht so richtig besorgt. Macht es dich an, daran zu denken? Wie sie dich gefickt haben? Ihre Schwänze und ihre Zungen in dich gesteckt haben? Ich brauche nur ein wenig Feuchtigkeit, also erinnere dich daran, wie es war.“
Er wirbelte sie herum und presste sich von hinten an sie, wobei er sie hart gegen die Arbeitsplatte drückte und ihr ein Schmerzensschrei entfuhr. „Aua. Hör sofort auf. Du tust mir weh.“ Aus den Augenwinkeln sah sie Karl, der sie mit großen Augen von der Tür aus beobachtete, bereit, die Flucht zu ergreifen.
Gerald indessen schüttelte nur den Kopf. „Julia. Liebes, das zieht bei mir nicht. Wollen doch mal sehen, woran du gerade denkst.“
Hilflos gefangen zwischen ihm und der Arbeitsplatte musste sie sich die Sporthose nach unten ziehen lassen. Darunter trug sie ein Pantyhöschen, dessen Steg er einfach zur Seite schob, um sie zu befingern. „Mhm. Pink. Ich liebe Pink – es macht mich scharf.“
Obwohl Julia ihre Schenkel, so fest es ging, zusammenpresste, gelang es ihr nicht, ihn daran zu hindern, sie weiter zu begrabschen. Sie schloss die Augen und überlegte fieberhaft, wie sie aus dieser Situation entkommen konnte. Es war keiner da, der ihr zu Hilfe kommen würde. Niemand. Sie biss sich auf die Lippen und unterdrückte krampfhaft die Tränen, die ihr vor Zorn und Hilflosigkeit in die Augen gestiegen waren.
Als er ihr höhnisch ins Ohr wisperte: „Na, wer sagt’s denn. Wusst ich’s doch. Sogar jetzt denkst du an diese Penner. Gib mir ein paar Minuten. Ich werde dir neue Erinnerungen verpassen“, stieg die Wut glühend heiß in ihr empor und entfachte ihren Kampfgeist.
Ihr war klar, sich mit reiner Körperkraft niemals befreien zu können, sie knurrte ihn jedoch trotzdem hasserfüllt an. „Nimm sofort deine dreckigen Pfoten von mir, oder ich vergesse mich. Du gehst jetzt und ich bin bereit, das hier zu vergessen. Verzieh dich, Gerald. Hau ab.“ Sie war außer sich. Was nahm sich dieser verdammte Arsch hier heraus? Betatschte und beleidigte sie. In ihrer Rage überwog der Zorn. Ihre Finger glitten tastend über die Arbeitsplatte, und tatsächlich. Da stand die halb volle Dose Katzenfutter, um die sie jetzt, so fest sie konnte, ihre Finger schloss, während Gerald damit beschäftigt war, ihr seinen heißen Atem in den Nacken zu pusten und sie mit seinen dreckigen Fingern zu befummeln.
„Letzte Chance. Lass. Mich. Los.“ Ihre Warnung kam von tief unten – irgendwo aus ihrer Kehle – und klang so drohend, da hätte jeder vernünftig denkende Mensch die Beine in die Hand genommen. Nicht so Gerald. Derart von Sinnen übersah er die Warnzeichen. Er machte sich an seiner Hose zu schaffen und stieß erregt hervor: „Ich bin zwar deutlich älter als die beiden, aber noch immer gut in Form. Ich werde dir zeigen, was ich draufhab. Beine auseinander. Na los, mach schon.“
Es reichte. Julia sah rot. Dunkelrot. Noch bevor ihm gelang, ihre Schenkel mit Gewalt auseinanderzudrücken, spannte sie ihre Muskeln an, drehte ruckartig ihren Oberkörper nach links und schlug, so fest sie konnte, zu. Sie sah nicht, wo sie ihn treffen würde, doch die Wucht des Schlages und das Überraschungsmoment reichten aus, damit er von ihr abließ.
„Spinnst du“, schrie er heftig und unvermittelt, wobei er sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Dass er Schmerzen hatte, war ihm deutlich anzusehen. Damit hatte er nicht gerechnet. Er legte seine Hand schützend auf seinen Unterkiefer, auf dem sich ein großer, hässlicher Fleck abzeichnete. Ein dünner Blutfilm lief aus seinem Mund und hinterließ eine hellrote Spur in seinem sonst schneeweiß gewordenen Gesicht. „Du verrückte Schlampe. Das wirst du bereuen.“ Seine weiteren Worte waren undeutlich und kaum verständlich und erneut besprenkelte er sie mit einem Sprühnebel seines Speichels. Dieses Mal hinterließ er rote Tupfer auf ihrem T-Shirt, die sich mit den Resten des Katzenfutters vermengten.
Gerald versuchte vorsichtig, seinen Kiefer zu bewegen, doch es knirschte laut, woraufhin er stöhnend innehielt. Erschrocken überlegte sie, ob sie ihm den Kiefer gebrochen haben könnte.
Vermutlich ja
.
Das geschieht dir ganz recht. Hoffentlich tut es ordentlich weh
, dachte sie und wunderte sich über sich selbst. Es stellte sich nicht – wie sie es eigentlich erwartet hätte – Reue oder die Unsicherheit ein, zu fest zugeschlagen zu haben – im Gegenteil. Ein unerwartetes Hochgefühl durchflutete sie, gefolgt von der tiefen Befriedigung, richtig gehandelt zu haben.
Sie zog sich die Sporthose über die Beine nach oben und richtete ihr T-Shirt. Die ganze Zeit behielt sie ihn argwöhnisch im Auge, die Dose noch immer zum Schlag erhoben.
„Du verdammte Hure. Dich mach ich fertig, darauf kannst du Gift nehmen“, nuschelte er. Seine Augen funkelten hasserfüllt, als er sich tatsächlich erneut drohend vor ihr aufbaute.
„Bist du dir sicher? Willst du wirklich noch mehr?“ Entschlossen trat sie ihm entgegen. „Raus aus meiner Wohnung. Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, wird vor Gericht sein.“ Entschlossen ging sie einen weiteren Schritt auf ihn zu und tatsächlich: Plötzlich trat er den Rückzug an. Er schien begriffen zu haben, nichts mehr ausrichten zu können. „Wir sind noch nicht fertig miteinander, noch lange nicht. Dafür wirst du büßen“, sagte er undeutlich und hustete, wobei ihm noch mehr Blut aus dem Mund quoll. Ein Geschirrhandtuch vom Haken reißend, stürzte er zur Tür, wo er nach ihrem Kater trat, der zum Glück rechtzeitig zur Seite sprang. „Ich mach dich fertig“, waren seine letzten Worte, dann war er endlich verschwunden.
Aufatmend schloss Julia die Tür hinter ihm ab und ließ sich schwer dagegen fallen. Erst jetzt kam sie dazu, sich die Sauerei richtig anzuschauen, die ihre Katzenfutteraktion und sein Blut auf ihr hinterlassen hatten. Ihre Hand zitterte stark, als sie sich das besudelte T-Shirt über den Kopf zog und einfach fallen ließ. Auf ihren Oberarmen bildeten sich bereits deutlich sichtbare blaue Flecken, die die Form kräftiger Finger hatten. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Das war knapp gewesen. Zu knapp. Ihre Gedanken rasten und dann, einfach so, begann sie wie Espenlaub zu zittern.
Sie wollte duschen, doch dann fiel ihr ein, dadurch vielleicht Beweise zu vernichten. Aber wie sollte sie jetzt weiter vorgehen? Es war schließlich nicht zum Äußersten gekommen. Was also sollte sie überhaupt beweisen können? Ja, er hatte sie befingert, doch dafür würde er noch nicht einmal ein Bußgeld bekommen. Sie jedoch hatte ihn beweisbar tätlich angegriffen. Fuck. Trotz dieser zugegebenermaßen unschönen Überlegungen durchflutete sie grenzenlose Erleichterung, gefolgt von einem irrwitzigen Hochgefühl. Sie hatte ihn verjagt – fürs Erste. Heilige Scheiße.
Sie ließ sich auf ihren Flurteppich sinken. Hier würde sie erst einmal sitzen bleiben und darüber nachdenken, was jetzt zu tun war …