8.


Natürlich ließ er mich warten. Ich saß nun bereits seit mehr als einer Stunde auf einem unbequemen Stuhl in dem winzigen Raum und drehte Däumchen.

Durch ein Fenster – es war tatsächlich ein echtes Fenster und kein Holoscreen – hatte ich einen wunderschönen Ausblick auf die in hellem Sonnenschein liegende Mondoberfläche. Die Basis, auf der ich mich befand, lag in der Ebene des Sinus Iridum auf der erdzugewandten Seite des Mondes, am nördlichen Rand des Mare Imbrium und war einer der Hauptstützpunkte der Terranischen Raumflotte. Die Berge des Montes Jura bildeten den Hintergrund beim Blick über das ausgedehnte Landefeld, auf dem einige Dutzend militärische Einheiten parkten. Hauptsächlich handelte es sich um Truppentransporter und kleinere Scoutschiffe. Linker Hand konnte ich bis zum Kap Heraclides sehen.

Ein Ordonnanzoffizier hatte mir einen Kaffee angeboten, den ich in Erinnerung an Tausende von Kaffees beim Militär dankend abgelehnt hatte. Gerade hatte ich die Füße auf den kleinen Tisch gelegt, um ein Nickerchen zu machen, als sich die Tür öffnete. Präsident Chang Shui Yang trat ein, gefolgt von zwei Männern. Der eine kam mir vage bekannt vor, der andere war mein ehemaliger höchster Vorgesetzter beim militärischen Geheimdienst, Admiral Scholikow. Anstandshalber nahm ich nicht nur die Füße vom Tisch, sondern stand sogar auf.

»Setzen Sie sich, Duncan.« Chang Shui Yang winkte ab. »Admiral Scholikow kennen Sie natürlich. Darf ich Ihnen den Minister für planetare Beziehungen, Jonathan Matting, vorstellen.«

Mir fiel ein, dass ich Matting irgendwann im Holo gesehen haben musste, wahrscheinlich anlässlich eines offiziellen Besuches auf einer der Kolonialwelten der Föderation.

Wir schüttelten uns die Hände, murmelten einige Freundlichkeiten und die drei Männer nahmen ebenfalls rings um den Tisch Platz. Eine Ordonnanz brachte nun doch eine Kanne des unvermeidlichen Kaffees. Scholikow lehnte, ebenso wie ich, dankend ab. Er hatte augenscheinlich seine eigenen Erfahrungen mit der üblen Brühe gemacht. Die beiden Politiker ließen sich eine Tasse einschenken. Ich wartete gespannt, was nun kommen würde. Chang Shui Yang schwieg, bis der Ordonnanzoffizier den Raum verlassen hatte.

»Vielen Dank, dass Sie meiner Bitte um eine Unterredung gefolgt sind, Duncan«, sagte der Präsident. »Es geht um eine sensible Angelegenheit, bei der wir Sie um Ihre Hilfe bitten möchten. Eine Angelegenheit, die für die Zukunft der gesamten Föderation von enormer Bedeutung ist.«

Gut! Es hatte weder mit Ma noch mit der Constantin-Affäre zu tun. Jetzt wurde es spannend.

»Minister Matting wird Ihnen erläutern, worum es geht.« Präsident Chang nickte dem Mann zu.

»Unsere Föderation besteht aus über eintausend Planeten und planetengroßen Monden, die in internen Belangen eine große Autonomie besitzen, aber bei allen grundlegenden Fragen der Zentralregierung unterstellt sind. Unsere Verfassung ist für alle Mitglieder der Föderation bindend, wir haben die gleiche Währung und unterstehen denselben Gesetzen. Im Senat hat jede planetare Regierung eine Stimme und im Abgeordnetenhaus ihre gewählten Vertreter entsprechend der Bevölkerungszahl. Dafür genießen sie den Schutz unserer gemeinsamen Flotte, haben Zollfreiheit untereinander und arbeiten auf wissenschaftlichem Gebiet eng zusammen. All dies hat sich über fast zweitausend Jahre bewährt.« Matting machte eine Pause und trank einen Schluck Kaffee. Er verzog angewidert das Gesicht. »In den letzten Wochen sind uns aus Geheimdienstkreisen Berichte über Unabhängigkeitsbestrebungen zugegangen, die sich offenbar auf mehreren Welten gleichzeitig entwickeln. Diese Bewegungen sind sehr plötzlich entstanden und betreffen ausgerechnet einige der wichtigsten Planeten. Zudem hat man uns zugetragen, dass sie insgeheim von den jeweiligen planetaren Regierungen unterstützt werden. Natürlich kann und darf eine Kolonialwelt aus der Föderation austreten, das ist in unserer Geschichte etwa ein dutzend Mal vorgekommen, aber diesmal ist etwas entscheidend anders: Zum einen leugnen die betreffenden planetaren Regierungen jede Unabhängigkeitsbestrebung, außerdem wurde uns berichtet, man habe kleineren, abhängigen Welten Gewalt angedroht, falls diese nicht bereit seien, sich ihnen anzuschließen. Wenn sich das bewahrheitet, und alle Indizien sprechen dafür, steht die Föderation nicht nur vor einer Zerreißprobe, sondern eventuell vor einem Bürgerkrieg.«

Ich war schockiert. Es war tatsächlich ein paar Mal vorgekommen, dass eine Kolonialwelt sich dazu entschlossen hatte, die Föderation zu verlassen, meist aus religiösen oder sonstigen weltanschaulichen Gründen. Ein solcher Prozess war stets geordnet und entsprechend den dafür vorgesehenen Mechanismen abgelaufen. Keiner dieser Welten war es nach dem Austritt besser gegangen, was Nachahmer abgeschreckt und dazu geführt hatte, dass der letzte Austritt mehr als fünfhundert Jahre zurücklag. Zwei der ausgetretenen Welten hatten sogar einen Antrag auf Wiederaufnahme in die Föderation gestellt. Doch dies klang besorgniserregender. Planetare Regierungen, die klammheimlich einen ungeordneten Austritt vorbereiteten und dabei andere unter der Androhung von Gewalt mit ins Boot holen wollten? Damit forderten sie ein Eingreifen der Zentralregierung und somit letztlich der Raumflotte geradezu heraus. Mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen! Ein schrecklicher Gedanke – doch was hatte ich damit zu tun?

»Die Zentralregierung kann nicht direkt eingreifen, Duncan«, sagte der Präsident. »Wenn wir offiziell zu ermitteln beginnen und hinter diesen Plänen tatsächlich die planetaren Regierungen stecken, wird man dies nur zum Anlass nehmen, uns öffentlich als Unterdrücker zu brandmarken. Die Propaganda und ihre Auswirkung auf die Bewohner der betreffenden Welten möchte ich mir nicht ausmalen. In letzter Konsequenz müssten wir die Planeten unter unsere direkte Kontrolle stellen. Sie besetzen! Dies ist noch nie vorgekommen und wir wollen es unter allen Umständen vermeiden.«

»Es macht uns stutzig, dass diese Bewegung gleichzeitig auf mehreren strategisch und wirtschaftlich wichtigen Welten wie aus dem Nichts entstanden ist«, schaltete sich Admiral Scholikow ein. »Das kann keinesfalls ein Zufall sein! Wir haben jedoch keine Ahnung, wer dahinterstecken könnte und welches Ziel die Anführer verfolgen. Wir wissen nur, dass diese Sache die Existenz der Föderation gefährdet und zu einem Krieg zwischen Brüdern führen kann. Dies können wir keinesfalls zulassen! Hier kommen Sie ins Spiel, Duncan! Sie haben in der Constantin-Affäre bewiesen, dass wir Ihnen vertrauen können. Sie waren unter meiner Führung ein hervorragender Geheimdienstmann und verfügen über die notwendige Ausbildung. Wir möchten, dass Sie die Ermittlungen in diesem Fall aufnehmen. Wir brauchen die Hintermänner und ihre Motive.«

Die drei starrten mich an. Ich starrte zurück.

»Ist das Ihr Ernst?« Ich schüttelte belustigt den Kopf. »Ein Mann soll das erledigen, was alle Geheimdienste der Föderation nicht schaffen?« Ich musste laut lachen.

»Wir können keine Geheimdienstmitarbeiter einsetzen, Duncan, das sollten Sie am besten verstehen. Offiziell darf die Zentralregierung nichts mit der Ermittlung zu tun haben. Plausible deniability , wie man so schön sagt. Ich will völlig offen zu Ihnen sein: Wenn sie auffliegen, werden wir Sie verleugnen. Jeder weiß, dass Sie nicht mehr für uns arbeiten. Es wird keine Spur von Ihnen zu uns zurückführen. Wir werden jede Kenntnis von Ihrer Aktion abstreiten.«

Wieder musste ich auflachen.

»Ich werde also notfalls geopfert!«, stellte ich fest. »Nett zu wissen, dass ich entbehrlich bin.«

»Sie kennen die Regeln unseres Spiels, Duncan«, knurrte der Admiral. »Außerdem werden Sie nicht völlig alleine agieren. Wie uns bekannt ist, befindet sich derzeit ein Aoree bei Ihnen. Der Sohn Ihres Freundes Selkumar Venterek Mallnichon Bregareth. Er wird Teil Ihrer Tarnung sein. Niemand wird vermuten, dass wir den Sohn eines hochrangigen Aoree bei einem verdeckten Geheimdiensteinsatz gefährden.«

Sein Zynismus war unglaublich. Aber so tickten Geheimdienste natürlich. Sie würden Darean einsetzen und ihn notfalls, ohne mit der Wimper zu zucken, ebenfalls opfern, schließlich war die Öffentlichkeit davon überzeugt, dass sie genau dies niemals tun würden. Natürlich wussten sie, dass ich ihn unter meine Fittiche genommen hatte. Der Krieg mit den 'Blauen' lag noch nicht lange genug zurück, als dass sie nicht jede Bewegung eines Aoree auf der Erde genauestens beobachten würden. Die Sache begann mich zu interessieren.

»Außerdem geben wir Ihnen jemanden zur Begleitung mit. Sie wird den Kontakt mit uns aufrechterhalten.«

Sie? Eine Frau? Ich bin zwar kein Macho und habe genug Frauen an der Front besser kämpfen sehen als viele Männer, aber ich wollte nicht auch noch auf eine Frau aufpassen müssen. Es genügte mir völlig, Darean aus jeder Gefahr heraushalten zu müssen. Ich wollte nicht derjenige sein, der Selkumar vom Tod seines Sohnes unterrichten musste.

»Kommt nicht infrage!« Ich schüttelte energisch den Kopf. »Ich gehe nicht mit jemandem in einen Einsatz, den ich nicht kenne. Und überhaupt: Ich habe bisher nicht zugestimmt und Sie sagten doch soeben, es könne niemand vom Geheimdienst eingesetzt werden!«

»Sie ist nicht beim Geheimdienst, sondern arbeitet als Sekretärin im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.«

Das wurde ja immer besser! Eine Sekretärin. Wahrscheinlich konnte sie gut Fingernägel lackieren und bei Holoromanzen mitfiebern, aber für einen gefährlichen Einsatz war sie mit Sicherheit ungeeignet. Doch Admiral Scholikow fuhr fort, bevor ich protestieren konnte.

»Keine Bange, Duncan, sie ist qualifiziert. In den letzten Kriegsjahren war sie als Einzelkämpferin an der Front und wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie kann auf sich aufpassen. Wir hatten sie im Auge und wollten sie für den Dienst rekrutieren. Ich habe bereits mit ihr gesprochen und sie ist dabei. Es gibt keine Verbindung von ihr zu uns, und sie passt hervorragend zu Ihrer Tarnung, Duncan. Sie, Ihr aoreeianischer Schützling und Penelope Diaz werden als Vertreter eines Herstellers von Raumschifftriebwerken nach Morellia reisen, um die Möglichkeit eines Handelsabkommens mit den Aoree zu prüfen. Von Morellia kommen die besten Hyperwandler für FTL-Triebwerke und angeblich zeigen die Aoree daran Interesse, was Dareans Anwesenheit erklärt. Es ist bekannt, dass Sie ausgezeichnete Verbindungen nach Aora haben, weshalb Sie auch den Deal vermitteln sollen. Miss Diaz tritt offiziell als Vertreterin des Ministeriums auf, die darauf zu achten hat, dass keine Ausfuhr- und Sicherheitsbestimmungen verletzt werden. Das erklärt auch den hin und wieder notwendigen Kontakt zu Terra.«

Sie hatten an alles gedacht. Ich musste nur noch zustimmen. Die Sache reizte mich. Das war nicht so langweilig, wie Sicherheitsanalysen zu erstellen oder untreue Ehemänner zu überführen.

»Warum gerade Morellia ?«, fragte ich.

»Von dort scheinen die Sezessionsbestrebungen ihren Ausgang genommen zu haben«, erklärte Präsident Chang Shui Yang. »Es ist anzunehmen, dass die Urheber dort zu finden sein werden.«

»Gut!«, sagte ich. »Ich bin dabei, vorausgesetzt Darean stimmt zu. Ich werde ihn allerdings nicht dazu zwingen.«

Vermutlich würde der junge Aoree darauf anspringen wie eine Fliege auf Honig.

»Natürlich«, sagte der Präsident. »Falls er sich weigert, werden wir uns eine andere Tarnung ausdenken. Aber wir müssen wissen, was da los ist, bevor die Geschichte aus dem Ruder läuft!«