17.


Ich war nur wenige Wochen zuvor das letzte Mal auf Aora gewesen, doch wieder kam ich mir vor wie in einem Drogenrausch. Der orangefarbene Ball der Sonne am grünlichen Himmel, der mit gelblichen Wolkenbändern überzogen war, das im Vergleich zu Sol schwächere und rötlichere Licht und die seltsamen Farbtöne der wenigen Pflanzen erschienen mir immer noch wie in einem psychedelischen Albtraum. Hinzu kam der in der Luft liegende unangenehme Geruch der hiesigen Atmosphäre, die ansonsten für Menschen jedoch problemlos atembar war.

Selkumar steuerte den Gleiter selbst und wir flogen hoch über Rasgathur. Ich konnte die Stadt von oben bewundern. Sie sah nicht viel anders aus als ein Verwaltungszentrum auf einem terranischen Planeten. Breite Straßen zwischen den mehr oder weniger symmetrischen Gebäuden, die sich in den fehlfarbenen Himmel reckten, Antigravgleiter auf verschiedenen Ebenen und auf Prallfeldern umherhuschende Bodenfahrzeuge, zielstrebig durch die Straßen eilende Aoree in den typischen, mit Clan- und Rangabzeichen bestickten Togen, die den gesellschaftlichen Status widerspiegelten, einige von ihnen auch mit irdischen Anzügen, Hosen, Jacken oder dünnen Mänteln bekleidet, was der momentan herrschenden Mode entsprach. Auch Bier hatte sich auf Aora schnell als neues Modegetränk etabliert. Ich war lange genug zwangsweise abstinent gewesen und freute mich auf einen eiskalten Schluck. Wie ich Selki kannte, war sein Kühlaggregat im Büro bis oben hin mit Bierflaschen gefüllt. Er war noch verrückter nach dem Zeug als ich, was schon etwas heißen wollte.

Der kurze Flug endete auf dem Parkdeck des gedrungenen Gebäudes, in dem das Amt für Spezialangelegenheiten , der militärische Geheimdienst der Aoree, untergebracht war. Noch vor wenigen Monaten hätte ich dieses Gebäude nur gefesselt betreten und nur auf dem Weg zu meiner rituellen Hinrichtung verlassen können. Bei dem ehemaligen Feind hatte ich lange als Kriegsverbrecher gegolten, doch diese unberechtigte Anschuldigung war inzwischen fallengelassen worden und ich galt nach der Constantin-Affäre bei den Aoree sogar als Held. Selkumar war im Zuge dieses Falles, den wir gemeinsam aufgeklärt hatten, ein enger Freund geworden und zum Chef des ASF aufgestiegen.

Man warf mir freundliche Blicke zu, begrüßte mich überschwänglich und freute sich offensichtlich, mich wiederzusehen. Der Kontrast zu früher hätte nicht größer sein können. Bei meinem ersten Aufenthalt auf dem Planeten hatte man mich bereits zur Richtstätte geführt, als Selkumar und sein Sohn mich in einer gewagten Aktion hatten befreien können. Diesmal bereitete mir der Aufenthalt in Rasgathur mehr Freude, auch wenn sich erneut dunkle Wolken am Horizont abzuzeichnen begannen. Aber ich war unter Freunden!

Selkumars Büro unterschied sich ebenfalls nicht wesentlich von den Büros terranischer Behörden. Es erstaunte mich immer wieder, wie ähnlich sich beide Völker entwickelt hatten, obwohl die Ausgangsbedingungen durchaus unterschiedlich gewesen waren. Die Aoree als Eier legende Reptilienabkömmlinge kannten keine Familienbande und waren nicht in Nationen, sondern in Clans organisiert. Sie betrachteten das weibliche Geschlecht als nicht viel mehr als ein Nutztier und verzehrten ihre überwiegend fleischliche Nahrung nicht nur am liebsten roh, sondern gerne auch noch lebend. Trotzdem überwogen die Gemeinsamkeiten und ich hoffte, dass wir nach dem Krieg zwischen unseren Spezies nicht nur Frieden, sondern auch Freunde im Universum gefunden hatten.

Natürlich warf mir Selki eine eiskalte Flasche Bier zu, kaum dass wir uns gesetzt hatten. Dankbar nahm ich einen tiefen Schluck und seufzte wohlig.

»Das habe ich gebraucht, mein Freund!«

»Erzähl mir alles. Von Anfang an.«

Ich begann mit dem Hilferuf meiner Mutter und endete eine halbe Stunde später mit unserer Landung auf Aora. Es gab keinen Grund, ihm irgendetwas zu verschweigen. Selkumar unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Als ich fertig war, schwieg er für eine lange Zeit. Ich kannte ihn gut genug, um ihn nicht zu drängen.

»Es war damit zu rechnen, dass eines unserer Völker irgendwann auf eine andere Spezies treffen würde«, sagte er schließlich. »Ich hatte allerdings gehofft, es würde diesmal von Beginn an friedlich zugehen. Sie nennen sich also Kraylor, aber abgesehen davon wissen wir so gut wie nichts über sie. Woher sie kommen, wie sie in Wirklichkeit aussehen, wo sich ihr Einflussbereich erstreckt und wie weit sie technologisch entwickelt sind. Und wir wissen nicht, was genau sie von uns wollen. Ein Feind, der sich in unserer Mitte verbergen kann und dessen Fähigkeiten wir kaum kennen. Außer einer, die ihn extrem gefährlich macht.«

»Was man mir gesagt hat, kann natürlich gelogen gewesen sein. Aber wenn es stimmt, sind sie nicht darauf aus, uns zu unterjochen; sie wollen uns lediglich auszuplündern. Auch scheinen ihre technischen und militärischen Mittel begrenzt zu sein. Zumindest dürften sie unseren nicht überlegen sein, sonst müssten die Kraylor nicht im Verborgenen agieren.«

»Dies ist nicht allein ein Problem für deine Föderation, Greg! Man hat dir gesagt, wir Aoree sollten das nächste Opfer der Kraylor werden. Es war richtig, dass du zu uns gekommen bist. Nicht nur wegen Darean. Terraner und Aoree müssen diesmal Seite an Seite kämpfen.«

»Ich befürchte, so wie es aussieht, bekämpfen sich inzwischen die Terraner hauptsächlich selbst.« Seit wir vor einer Woche von Morellia geflohen waren, war die Situation in der Föderation eskaliert, wie ich den neuesten Nachrichtenholos hatte entnehmen können. Auf einigen der abtrünnigen Kolonialplaneten hatte es schon vereinzelt Tote gegeben, als Sezessionisten und Föderationstreue aneinandergeraten waren. Es war sogar zu ersten Scharmützel zwischen den Systemflotten einiger dieser Planeten und Einheiten der Föderationsflotte gekommen. Nichts Ernsthaftes, nur Warnschüsse und Drohgebärden, aber so fing der Schlamassel meistens an. Irgendwann würde jemand ein Schiff der gegnerischen Seite abschießen und damit würden sich die Schleusentore für eine Flut der Gewalt öffnen. Aus dem bereits schwelenden Feuer konnte unversehens ein Flächenbrand werden.

»Ein Andauern der Uneinigkeit könnten die Kraylor leicht ausnutzen, um einzelne Planeten zu überfallen. Dazu sind sie wohl stark genug«, sagte Selkumar.

»Teile und herrsche! Ein altes Prinzip auch auf der Erde«, antwortete ich.

»Dies bedeutet aber im Umkehrschluss, dass sie es mit der gesamten Föderation nicht aufnehmen können. Und genau darin liegt unsere Chance. Eine gemeinsame Streitmacht von Aoree und Terranern sollte demzufolge leichtes Spiel im Kampf gegen die Kraylor haben.«

»Dazu müssten wir aber wissen, wo wir anzugreifen haben. Wo sich ihre Operationsbasis befindet«, wandte ich ein.

»Womit wir wieder beim Ausgangspunkt angelangt wären. Wir besitzen zu wenige Informationen.«

»Aber wir haben Penny, die sich jetzt für eine Kraylor hält! Wir müssen alles aus ihr herausbekommen, was sie weiß. Angeblich wird mit dem Mutagen auch eine Art Rassebewusstsein im Gehirn des Opfers implementiert. Diese Informationsquelle müssen wir anzapfen.«

»Es wird sicher nicht leicht sein, sie zum Reden zu bringen.« Selkumar schüttelte zweifelnd den Kopf. »Aber wir müssen es zumindest versuchen, wenn wir weiterkommen wollen.«

Wir diskutierten noch darüber, ob die Aoreeianische Führung offiziell wegen der Bedrohung bei der Föderation vorstellig werden sollte, entschieden uns aber dagegen. Auch hier bestand wieder das Problem, dass wir nicht wissen konnten, wem dort noch zu trauen war. Was immer die beiden Regierungen besprechen würden, musste früher oder später zu den Kraylor durchdringen. Es war besser, den Gegner einstweilen darüber im Unklaren zu lassen, wie viel wir wussten und was wir vorhatten, und zumindest so lange mit der Kontaktaufnahme zu warten, bis wir selbst über mehr gesicherte Informationen verfügten. Glücklicherweise durften wir davon ausgehen, dass bei den Aoree noch niemand 'umgewandelt' worden war, da die Kraylor sich zuerst die Terranische Föderation vorzunehmen gedachten.

Wir wollten gerade besprechen, wie wir mit Penny verfahren sollten, als einer von Selkumars Männern in das Büro stürmte.

»Ihr Sohn, Darean Venterek Mallnichon Bregareth, ist erwacht und will sofort mit Ihnen reden!«, meldete er aufgeregt.