Kapitel 17

»Wie heißt sie?«

Meine Mutter hatte sich über die Korbwiege gebeugt, und das dunkle Haar fiel ihr ins Gesicht, verdeckte die Sicht auf das Baby. In unserem winzigen Cottage auf dem Jesus Green war es trotz der Wintersonne dunkel, die Luft trotz des Feuers im Kamin frostig. Ich hatte vor Kurzem eine Werbeanzeige für Gaszentralheizungen gesehen, aber im Jahr 1959 war das ein unerschwinglicher Luxus, selbst dann, wenn man ein Neugeborenes warm halten musste.

Ich zuckte die Achseln und sagte: »Ich weiß noch nicht. Wir haben uns noch nicht entschieden.« Dann, missmutig: »Leo will sie Venetia nennen.«

Lena kitzelte das Baby an der Wange, dann sah sie amüsiert auf. Meine Mutter fand meinen Mann oft amüsant. »Nach dem Roman von Disraeli?«

Ich runzelte die Stirn. »Natürlich nur ein Scherz. Bisher hat er nicht einen vernünftigen Vorschlag gemacht.«

»Tja, hast du denn keine Idee?«

Ich wandte den Blick ab und merkte, dass ich Tränen wegzublinzeln versuchte. Wo kamen sie her? Meine Brüste schienen kurz vor dem Bersten, Milch lief mir in die Bluse, die mir das Baby schon vollgespuckt hatte. Seine Lider flackerten, sein Blick richtete sich auf mich; sofort begann das Geschrei, unaufhörlich und aufreizend rhythmisch. Schmunzelnd griff meine Mutter in die Wiege, hob die Kleine hoch, umfasste und hätschelte sie mit einer Leichtigkeit, die mir völlig fremd war. Das Schreien brach trotzdem nicht ab.

»Ich glaube, sie hat Hunger.« Lena hielt sie mir hin, ich nahm sie unbeholfen an und drehte mich so, dass ich mich auf den Stuhl neben dem Kamin sinken lassen konnte. Die Lehne war hart und unbequem, aber wir hatten kein Sofa.

Lena schaute auf die Stelle, wo es hätte stehen können, und fragte: »Brauchst du was aus dem Londoner Haus?« Ich antwortete nicht, weil ich damit beschäftigt war, das brüllende Baby in Position zu hieven und ihm verzweifelt eine schmerzende Brustwarze in sein klaffendes, schwarzes Loch von einem Mund zu pressen, in der Hoffnung, dass es sich daran festsaugte. Als es ihm schließlich gelang, schoss mir nicht nur die Milch ein, sondern mir schossen auch Tränen in die Augen. Das Gefühl war mit nichts zu vergleichen, was ich bisher empfunden hatte – ein scheußliches Kribbeln rings um die Brustwarze, als hätte sich ein winziger Hai mit tausend gekrümmten Zähnen daran festgebissen. Das Baby trank und trank, und die Tränen, die geräuschlos meine Wangen hinunterliefen, flossen weiter und weiter. Meine Mutter beobachtete uns aufmerksam. Die vielen Flüssigkeiten, die aus jeder Körperöffnung flossen, der Blutverlust – ich fühlte mich völlig ausgetrocknet, als wäre ich nur noch eine leere Hülle von mir.

»Hab ich dir je von der Frau erzählt, die mir das Stillen beigebracht hat?«, fragte Lena und setzte sich zu meinen Füßen auf den Boden.

Schniefend befreite ich eine Hand, um mir die Nase abzuwischen. »Beigebracht?« Ich sah Bilder von einer Lehrerin vor einer Tafel vor mir.

»Na ja, schon. Es war ungefähr eine Woche nach deiner Geburt, und es ging mir nicht gut, du wurdest immer dünner, und ich fühlte mich elend, aber dann bekam ich Besuch von einer Hebamme.«

»Meine Hebamme schimpft nur mit mir«, murmelte ich und verzog das Gesicht. »Sagt, ich soll öfter rausgehen.«

»Ach, das hat meine auch getan«, erwiderte meine Mutter fröhlich. »Aber dann erschien eine andere. Eine, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Eine Französin. Sie war wundervoll.«

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch kein Laut kam heraus; meine Kehle war wie ausgedörrt. Meine Mutter sah meine Not, sprang auf und kam mit einem Glas Wasser zurück. Sie hielt es mir an die Lippen, und ich trank dankbar. Danach trafen sich unsere Blicke, und sie drückte mir kurz die Schulter, bevor sie sich wieder zu meinen Füßen niederließ.

»Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, meine wundervolle französische Hebamme. Tja, sie sah sofort, in welchem Zustand ich war, der dunkle Raum, das Durcheinander, die verschwitzten Laken, und du, wie du in deiner Wiege dahinsiechtest. Und weißt du, was sie gemacht hat? Sie hat mir ein Glas Wein eingeschüttet! Um elf Uhr vormittags!« Mutter warf den Kopf in den Nacken und lachte, und ich lachte mit, obwohl ich ganz vergessen hatte, wie das ging, und es klang wie ein Röcheln, wie das Bellen eines Seehunds.

»Wie auch immer, der Wein half mir, mich zu entspannen, und sie zog die Vorhänge auf, arrangierte Blumen in einer Vase am Fenster, und als der Raum wieder einladend aussah, setzte sie sich zu mir ans Bett, nahm meine Hand und sagte mir Folgendes.«

Meine Mutter ergriff meine Hand, sah mich eindringlich an. »Du bist eine ausgezeichnete Mutter, du machst das sehr gut, und wenn ich dir jetzt beibringe, wie man sein Kind stillt, hast du eine wertvolle Fähigkeit erlernt, die nicht immer ganz so instinktiv funktioniert, wie die Leute behaupten.«

Ich leckte mir über die gesprungenen Lippen. »Und dann hat sie es dir beigebracht?«

Meine Mutter lächelte. »Und ob. Ich habe es nie vergessen, und es wäre mir eine große Ehre, es jetzt dir beibringen zu dürfen. Ja?«

Ich nickte, und sie setzte sich zu uns auf den Stuhl, und ihre wallenden Haare kitzelten meine tränenüberströmten Wangen.

»Steck ihr erst mal den kleinen Finger in den Mund, um sie von der Brust zu nehmen, dann machen wir es noch einmal ganz von vorn.«

Und sanft, mit unendlicher Zärtlichkeit, zeigte sie mir, wie ich meine Tochter dazu brachte, korrekt zu saugen; wie ich ihren Kopf in genau dem richtigen Winkel ansetzte; wie ihr Mund von unten angelegt werden musste. Dass man jedes Mal auf der korrekten Position bestehen musste, denn wenn man es nicht von Anfang an richtig machte, würde man es für immer falsch machen. Eine Lektion für die Ewigkeit.

Dann hatte ich plötzlich den Dreh raus, das Baby saugte sich an mir fest, und zum ersten Mal tat es nicht weh; der schreckliche, durchdringende Schmerz blieb aus, und wieder weinte ich, aber diesmal vor Erleichterung über diese göttliche Abwesenheit von Schmerzen. Meine Mutter tätschelte mir die Schulter, machte mir Mut, und ich sah, dass die Kriegerin in ihr von einer Heilerin abgelöst wurde, und war ebenso dankbar dafür wie meine Kehle für das Wasser. Wir saßen zusammen auf dem harten Stuhl, wiegten und hätschelten das Baby, und schließlich, als es gesättigt aufhörte zu trinken, sah ich meine Mutter an und hauchte: »Wie hieß sie?«

Ein leichtes Stirnrunzeln. »Wie hieß wer?«

Ich war ungeduldig, musste es unbedingt wissen. »Die französische Hebamme.«

Ihre Stirn glättete sich. »Oh! Sie hieß Mélanie.«

Ich schaute auf das schlafende Baby hinunter. »Melanie«, sagte ich versuchsweise. Sie schnarchte leise.

»Melanie Carmichael«, sagte meine Mutter nachdenklich.

Ich überlegte. »Ich vermute, wir müssen ihr Emmeline als zweiten Vornamen geben.«

»Melanie Emmeline Jameson-Carmichael?«, schlug Lena, die eingefleischte Suffragette, vor.

Ich lachte; jetzt wusste ich wieder, wie es geht. »Schwer zu sagen, ob Leo das gutheißen würde. Es sei denn, wir machen Melanie Emmeline Venetia daraus.«

Meine Mutter stand auf und hielt mir, uns beiden, die Hände hin. »Komm. Ich muss deiner Hebamme recht geben. Du solltest wirklich öfter rausgehen. Sorgen wir also dafür, dass Melanie frische Luft bekommt.«

Zusammen traten wir in den Vorgarten unseres kleinen Cottages in Jesus Green, um meiner Tochter die Sonne zu zeigen.