Kapitel 18

An dem Samstag, als die Hochzeit stattfand, war es sonnig und klar, das perfekte Wetter zum Heiraten, und ich fühlte mich recht munter, als ich mein hoffentlich passendes Outfit anzog. Mel war meist dezent gekleidet und hätte sich vielleicht über mich lustig gemacht, wenn ich zu aufgedonnert war, und so begnügte ich mich mit einem marineblauen Kreppkleid (etwas Blaues für die Blaustrümpfe) und steckte mir eine der Broschen meiner Mutter an den Kragen, eins von Sylvies Fundstücken. Als ich in den Frisierspiegel schaute, sah ich Bobby hinter mir stehen, die den Kopf schräg legte. »Wie seh ich aus?«

Sie kam zu mir, legte mir eine Pfote aufs Knie und hinterließ Hundehaare auf dem Krepp.

»Na schön, ich bürste dich.«

Ich steckte das gerahmte und als Geschenk verpackte Foto in meine Handtasche, leinte die frisch gebürstete Bobby an und machte mich auf den Weg, um Angela abzuholen.

Die Sache mit dem Hund war problematisch gewesen. Wir konnten sie nicht allein zu Hause lassen, weil wir spät zurückkommen würden; Angela hatte gesagt, sie sollte nicht länger als vier Stunden allein bleiben. Ich hatte mich stets gewissenhaft an diese Regel gehalten, bis auf neulich, als ich hastig von meinem Einkaufsbummel in einem Kaufhaus, bei dem ich den Rahmen für Mels Bild gekauft hatte, aufbrechen musste. Ich hatte in der Spielzeugabteilung die Zeit vergessen und konnte nicht anders, als eine kleine Lego-Batman-Taschenlampe für Arthur und auch eine für Otis zu kaufen. Als ich nach 16 Uhr nach Hause kam, sah ich, dass Bobby in ihrer Verzweiflung eine Pfütze auf dem Küchenfußboden hinterlassen hatte. Sie sah so schuldbewusst aus, dass es schwer war, böse zu sein, außerdem war es ja meine eigene Schuld. Statt sofort sauber zu machen, ging ich zu ihrer »Leckerli-Dose« – eine Tupperdose mit Trockenfutter, die neben dem AGA-Herd stand – und gab ihr eine Handvoll. Sie schlang es hinunter, als wäre sie monatelang nicht gefüttert worden. Danach leckte sie mir die Hand, und ich versuchte, nicht an die Keime zu denken.

Schließlich rief ich Mel an. Als sie Octavia sagte, sie solle den Fernseher leiser stellen, hörte ich Octavia »Wirklich?« sagen und spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Die kurzen, steifen Telefongespräche, die wir seit unserem Streit geführt hatten, waren immer von meiner Tochter ausgegangen.

»Ich habe jetzt einen Hund«, sagte ich, nachdem wir die Begrüßung hinter uns gebracht hatten.

»Schön«, sagte Melanie. »Freut mich für dich.«

»Ich kann sie Samstag nicht zu Hause lassen und …«, begann ich zu erklären, aber Mel unterbrach mich.

»Bring sie einfach mit«, sagte sie forsch. »Je mehr, desto besser.«

»Aber im College sind Hunde doch nicht erlaubt, oder? Außer Blindenhunde, und na ja, ich glaube nicht, dass wir damit durchkommen.«

»Keine Sorge«, antwortete Mel. »Octavia besorgt uns eine Sondergenehmigung der Rektorin. Wenigstens ist es eine Hündin.«

Wie immer war ich mir nicht sicher, ob sie scherzte. »Danke.«

»Wie heißt sie denn?«, fragte Mel. »Wegen der Platzkarten.«

»Bob«, sagte ich und bemerkte erst im Nachhinein, dass ich nicht die Koseform benutzt hatte.

»Das ist doch kein Mädchenname.«

»Er stammt von einer Figur in Blackadder.« Ich verzog das Gesicht und wartete auf das unausweichliche Zitat. Mel hatte in ihren Dreißigern viel Zeit damit verbracht, Ausschnitte aus dem Drehbuch zu zitieren, obwohl ich mich nur an eins erinnern konnte, das sie immer dann verwendete, wenn etwas anders lief als gedacht: »Und wieder reihert Fortuna auf mein Daunenbett.«

»Seltsamer Name für ein Mädchen, aber ein vollkommen normaler Name für einen strammen, jungen Hund«, sagte sie sofort.

»Du weißt, dass ich die Sendung nie gesehen habe«, antwortete ich gereizt.

»Warum hast du dann deinen Hund danach benannt?«

»Sie ist nicht mein Hund, ich kümmere mich nur um sie und … es ist eine lange Geschichte.«

»Tja, dann bring sie einfach mit und erzähl mir die Geschichte am Samstag. Es kommen auch noch zwei Gäste der menschlichen Spezies mit dir, nicht wahr?«

»Ja«, erwiderte ich. »Ich hab dir ihre Namen geschrieben – es ist doch in Ordnung, oder?«

»Natürlich«, sagte sie. »Es ist schön, dass deine Freunde dich begleiten. Ich hatte schon Angst …«

»Dann bis Samstag«, sagte ich hastig und legte auf, unfähig, ihr Mitleid zu ertragen, das sich unweigerlich wieder in irgendeine Form von Kritik verwandeln würde.

Und so waren wir also auf dem Weg zu meiner Tochter, die ihre Freundin heiraten würde: die alte Schachtel, die alleinerziehende Mutter, der Superheld und die adoptierte Promenadenmischung. Wir müssen einen seltsamen Anblick geboten haben, als wir am Bahnhof Finsbury Park aus dem Bus stiegen. Otis war als Iron Man verkleidet, und Angela hatte darauf bestanden, Bobby eine weiße Samtschleife umzubinden – »für die Suffragetten«; sie selbst trug einen extravaganten schwarzen Pailletten-Jumpsuit, den ich für nicht ganz angemessen hielt. Unter anderem, weil sie darin zitterte wie ein Windhund.

Im Zug öffnete Angela ihre geräumige Mary-Poppins-Tasche und entnahm ihr eine Reihe von riesigen Spielzeugen – darunter ein Plastikparkhaus –, um Otis bei Laune zu halten, der allerdings lieber mit zwei Toilettenrollen spielte, die er zu einem Fernrohr zusammengeklebt hatte. Er schaute damit aus dem Fenster, als wir langsam aus London hinausratterten und auf die Fens zufuhren. Gelegentlich machte er eine Bemerkung über die Landschaft – »Schafe!«, »Kühe!«, »Gelber Teppich!«. Angela verdrehte die Augen und murmelte: »Typisch Stadtkind …«, während sie mit seiner Zaubertafel spielte.

Bobby rollte sich im Gang zusammen und sprang jedes Mal empört auf, wenn andere Passagiere sich an ihr vorbeizuzwängen versuchten, und ich fand mich damit ab, dass der Tag eine Mischung aus stressig und peinlich werden würde. Zumindest war die Reise relativ kurz, und eingelullt vom rhythmischen Rattern des Waggons genoss ich den Ausblick.

Wir kamen früh in Cambridge an und reihten uns in die Schlange vor dem Taxistand ein, um zum College zu fahren. Leider mussten wir geraume Zeit warten, bis wir einen Fahrer fanden, der nichts gegen Hunde in seinem Wagen hatte. Ein paar schüttelten sofort den Kopf und winkten dem Nächsten in der Reihe zu. Allmählich wurde es zeitlich knapp, und Angela hatte Gänsehaut, weil es in Cambridge immer ein paar Grad kälter ist als in London. Otis fing an, sich zu langweilen, klammerte sich an den Arm seiner Mutter und maulte, er hätte sein »Feahnglas« im Zug vergessen. Langsam wünschte ich, ich hätte Bobby zu Hause gelassen; ich hätte den Küchenfußboden mit Zeitungen auslegen können.

Schließlich hielt ein Taxi vor uns, dessen älterer Fahrer sich aus dem Fenster beugte und mit osteuropäischem Akzent rief: »Sie haben Hund? Ich liebe Hunde!« Wir stiegen ein, ich nahm auf dem Vordersitz Platz, Otis auf dem Schoß seiner Mutter auf dem Rücksitz, und Bobby hockte hechelnd neben ihnen im Fußraum.

Während der quälenden Stop-and-go-Fahrt nach Newnham erfuhren wir, dass Jakubs Familie in Polen Greyhounds gezüchtet hatte, die ihm immer noch fehlten. Er lehnte sich ständig nach hinten, um Bobby hinter den Ohren zu kraulen, was mir etwas Sorge machte, weil er dabei den Blick nicht auf die Straße richtete.

Eine bekannte Umgebung rauschte an mir vorbei, während Jakub sich einen Weg durch den dichten Verkehr bahnte und beschrieb, wie stur Greyhounds sein konnten. Der Botanische Garten, Sheep’s Green – Orte, an denen ich als Studentin gepicknickt hatte oder spazieren gegangen war – und der träge River Cam, bereits von diversen Kahnfahrern bevölkert, Newnham Village. Dann brausten wir plötzlich die Sidgwick Avenue hinunter, und plötzlich erstreckten sich zu meiner Linken die vertrauten, eleganten roten Backsteingebäude. Ich tippte Jakub auf die Schulter, und er hielt mit quietschenden Reifen an, sodass wir alle nach vorn geschleudert wurden. Er schien Bobby so sehr zu mögen, dass ich kurz überlegte, ihn zu bitten, sie den Tag über im Taxi mitzunehmen. Aber sie stand ja auf der Gästeliste.

Die Zeremonie sollte schon in fünf Minuten beginnen, aber das Pförtnerhäuschen befand sich nicht mehr dort, wo ich es vermutet hatte, und nachdem wir es schließlich gefunden hatten, mussten wir uns in einem Labyrinth aus Gängen und Sackgassen zurechtfinden. Nichts war wie früher, und ich geriet in Panik. Warum konnte ich mich an nichts erinnern? Schließlich näherte sich uns eine Studentin und fragte, ob wir uns verirrt hätten. Ich wollte erwidern: »Ich war schon vor Ihnen hier, dieser Ort gehört mir mehr als Ihnen«, aber das stimmte nicht mehr. Cambridge verschlang einen und spuckte einen irgendwann wieder aus, um einen neuen Geschmack zu probieren. Mittlerweile waren wir viel zu spät, rannten, zerrten den quengelnden Otis hinter uns her, und Angelas riesige Tasche schlug ihr klappernd gegen die Hüfte. Bobby trabte los, begeistert von dem Tempowechsel, und als wir uns unserem Ziel näherten und einen Sänger einen Jazzsong singen hörten, schlüpfte sie plötzlich aus ihrem Halsband und stürmte vor lauter Freude über die plötzliche Freiheit durch die offene Tür, ehe einer von uns sie aufhalten konnte. Angela und ich sahen uns entsetzt an und rannten ihr nach. Zu dritt platzten wir in den Saal, schwitzend und außer Atem, und schauten uns hektisch nach meinem auf Abwege geratenen Hund um. Die Musik verstummte abrupt, und die sitzenden Gäste drehten sich geschlossen zu uns um, während Bobby sich einen Weg zu Melanie und Octavia bahnte, die zusammen ganz vorn standen. Als sie mit klickenden Krallen über das Parkett zu ihnen galoppierte, beugte sich meine Tochter ruhig zu ihr hinunter, hielt sie am Nackenfell fest, zog ihr die weiße Schleife ab und schlang sie ihr als improvisierte Leine um den Hals. Octavia winkte mir kurz zu. Ich fragte mich, wie viel Melanie ihr von unserem Streit erzählt hatte. Hastig stolperte ich zu ihnen und legte Bobby ihre Leine um.

»Du lieber Himmel«, sagte Mel. »Das muss Bob sein.«

»Tut mir schrecklich leid«, murmelte ich, rot vor Verlegenheit. »Macht doch bitte weiter.« Ich zog die widerstrebende Bobby nach hinten zu Angela, die das Gesicht in die Hände gelegt hatte und vor Lachen kaum noch Luft bekam.

Ich setzte mich neben sie und schob Bobby unter meinen Sitz. Die Musik setzte wieder ein, und Mel und Octavia fassten sich an den Händen. Ihr Festredner, der mir vage bekannt vorkam – irgendein Schauspieler? – stand im Frack vor ihnen. Mel hatte gesagt, sie würden schon am Vortag standesamtlich heiraten, und das hier sei nur ein Spektakel für ihre Freunde. Wenigstens hatte Bobby ihren Teil dazu beigetragen.

»Warum stehen da zwei Frauen?«, fragte Otis laut. Angela hielt ihm den Mund zu und zischte: »Du kommst aus Stoke Newington, Herrgott! Jetzt reiß dich mal zusammen.«

Der Schauspieler begann mit einer kleinen Rede, um alle Gäste vorzustellen, und ich schaltete ab, ließ den Blick durch den Saal schweifen und erinnerte mich an die Seminare und Konzerte, die ich hier vor sechzig Jahren besucht hatte. Melanie trug ein langes, cremefarbenes Kleid und hatte die Haare zu einem Knoten gebunden. Sie sah aus wie ich, wenn auch in einer jugendlicheren Inkarnation, was einer der Gründe war, warum ich mich in ihrer Gegenwart nicht wohlfühlte – als wäre ich die uralte, fehlerhafte Dachbodenversion. Octavia, die kleiner und kräftiger war, trug einen malvenfarbenen Hosenanzug, drehte sich ständig um und schnitt Grimassen für ihre Freunde in der ersten Reihe, die sich anscheinend schon über den Wein hergemacht hatten. Mich juckte es ebenfalls in den Fingern, mir ein Glas zu nehmen.

Mehrere Leute standen auf, um etwas vorzulesen, und es fühlte sich wieder an wie damals bei der St-Botolph’s-Party im Falcon Yard. Wenn es um Liebe geht, wird jeder zum Poeten. Unerträgliches Zeug – eine der Frauen hatte die Augen während des gesamten Vortrags geschlossen, wie die kleine Miss Quasselstrippe in dem Kinderbuch. Wieder spürte ich, dass Angelas Schultern neben mir zitterten. Bobby gähnte ausgiebig. Otis saß unter dem Stuhl seiner Mutter und spielte mit den Plastikautos. Dann sagte der Schauspieler: »Und nun lasst uns singen«, warf seine Frackschöße nach hinten und setzte sich ans Klavier. Ich erkannte die Melodie eines schlichten Folksongs. Jemand aus der Reihe vor uns drehte sich um und reichte uns ein Stück Papier mit dem Text, und während sich die Wörter vor meinen Augen kristallisierten, standen die Leute um uns herum auf und sangen mit, anfangs verhalten, doch dann, als immer mehr einfielen, zunehmend selbstbewusster und lauter. Als wir den Refrain sangen, erinnerte ich mich plötzlich an das Lied, das Mel oft als Teenager in ihrem Zimmer gesungen hatte, während sie sich dazu auf der Gitarre begleitete, an den Toast, den ich ihr gemacht hatte und der noch unberührt neben ihr auf dem Bett stand. Die Erinnerung rüttelte mich auf, und ich sang mit den anderen, ohne einen Blick auf den Text in meiner Hand werfen zu müssen:

»Every day I need to say I love you.«

Melanie und Octavia lächelten sich an, während sie sangen, neben mir grölte Angela mit, und Otis fiel gelegentlich unter dem Stuhl mit ein. Selbst Bobby hechelte im Takt, blickte mit ihren braunen Augen in meine.

»Ich liebe dich.«

Hatte sie das tatsächlich gesagt, oder hatte ich es mir nur eingebildet? Leo hatte es nie gesagt, weder am Telefon, noch bevor er morgens aus dem Haus ging, noch im Bett, er hatte es nicht einmal in Latein auf einen Zettel gekritzelt. Und weil er es nie gesagt hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, es ebenfalls nicht sagen zu dürfen. Hätten wir es tun sollen? Hätte es irgendetwas geändert? Ein paar Dinge blieben besser ungesagt, was besonders für Mel und mich galt. Aber so wie sie und Octavia sich ansahen, hatte man nicht den Eindruck, als bliebe zwischen ihnen viel ungesagt. Ich dagegen hatte einen Großteil meines Lebens damit verbracht, die Dinge, die ich gern sagen wollte, nicht zu sagen. Ich liebe dich. Hör auf damit. Nein. Es war ein Fehler. Bitte geh nicht. Ich will das nicht. Ich wünschte, ich hätte das nicht getan. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Ich liebe dich. Warum hatte ich all das nie laut ausgesprochen?

Ich versuchte, mich am Riemen zu reißen und die Tränen zurückzuhalten. Das Lied endete, und wir setzten uns wieder. Mel und Octavia tauschten Ringe und Eheversprechen, dann war es vorbei. Zwei Kellnerinnen kamen mit Tabletts herein, und alle stürzten sich auf die Getränke. Wir mischten uns unter die Leute, und ich war dankbar, dass Angela, Otis und auch Bobby bei mir waren, sodass ich nicht allein am Rand herumstehen musste und zu schnell trank, weil ich nichts anderes zu tun hatte. Dank ihnen konnte ich andere Menschen anlächeln und sogar ein paar Worte mit ihnen wechseln. Ein paar Gäste beugten sich zu Bobby hinunter, um mit ihr zu plaudern, und sie genoss die Aufmerksamkeit in vollen Zügen und ergatterte sogar ein paar Cocktailhäppchen.

Schließlich bahnte ich mir einen Weg zu meiner Tochter und ihrer Frischangetrauten, um ihnen zu gratulieren. Mel drehte sich um, als ich mich näherte, und wir beäugten uns misstrauisch. Seit unserer letzten Begegnung und dem schrecklichen Wortwechsel in meiner Küche war sie nicht einmal an Weihnachten gekommen, als Ali und Arthur da waren, mit der Begründung, sie habe schon lange einen Besuch bei Freunden im Norden geplant. Sie und Ali hatten sich nie besonders nahegestanden, und ihre distanzierte Zuneigung für Arthur beschränkte sich auf Karten und Geschenkgutscheine zu besonderen Anlässen. Hatte ich ihr meine Gefühlskälte vererbt und Arthur dadurch seiner Tante beraubt?

»Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie, als ich zögernd vortrat, um sie auf die Wange zu küssen.

»Es war eine wunderschöne Zeremonie. Das mit Bobby tut mir leid.« Ich deutete auf die Hündin, die gerade ein Cocktailwürstchen hinunterschlang. Als sie ihren Namen hörte, schaute sie auf und wedelte mit dem Schwanz.

»Schon gut«, sagte Octavia. »Es war eine nette Abwechslung. Sie ist ein wirklich hübscher Hund. Hast du sie schon lange?«

»Erst seit ein paar Wochen«, entgegnete ich. »Wir sind noch dabei, uns kennenzulernen.« Bobby würgte, als ihr das Würstchen im Hals stecken blieb, was selbst durch den Hintergrundlärm deutlich zu hören war. Ich hätte sie treten können.

»Ich liebe Hunde«, sagte Octavia.

»Ich auch«, pflichtete Mel ihr bei. »Aber du mochtest sie doch nie besonders, wenn ich mich recht erinnere?« Sie sah mich neugierig an, und wieder spürte ich, wie ich rot wurde.

»Ich kümmere mich nur um Bobby, um einer Freundin einen Gefallen zu tun.« Ich tätschelte die Hündin mit geheuchelter Zuneigung und zerrte gleichzeitig an der Leine, als sie den Kopf verdrehte, um einer vorbeigehenden Kellnerin nachzuschauen.

»Tja, sie ist uns sehr willkommen«, sagte Mel. »Wir essen später in der College Hall, und sie hat einen Sitzplatz neben dir. Aber sorg bitte dafür, dass sie nicht noch einmal wegläuft.«

»Danke, und ich gebe mir Mühe«, erwiderte ich und fragte mich, wie sich Bobby in der Nähe von so viel gutem Essen benehmen würde. Dann ging ich zu Angela zurück, die ein Glas Sekt in der Hand hielt und mit einem Cocktailspieß in den Zähnen herumstocherte.

»Ich amüsiere mich großartig«, verkündete sie und schnappte sich ein Wurstbrötchen. »Der Typ, der die Zeremonie abgehalten hat, hat schon bei Inspector Barnaby mitgespielt und kennt allen möglichen Klatsch und Tratsch. Und die Frau da hinten dreht Dokumentationen für BBC 2. Ich hab gerade zwei Leute Chaucer zitieren hören. Der kollektive IQ in diesem Raum muss jenseits von Gut und Böse liegen.«

Ich schaute mich um. »Und wo ist Otis?«

»Irgendeine Professorin hat ihn mit in die Bibliothek genommen, um ihm eine Geheimtreppe zu zeigen«, sagte sie und trank ihr Glas aus. »Komm, schauen wir uns die berühmten Gärten an.«

Wir traten durch die Fenstertür auf ein kleines Rasenstück hinaus.

»Das ist doch scheiße«, sagte Angela und sah sich mit hochgezogener Oberlippe um. »Ich dachte, das Ganze wäre viel größer.«

Wortlos führte ich sie weiter, bis wir Newnhams weitläufige und wunderschöne Gartenanlagen erreichten. Der Kies knirschte unter unseren Füßen, während wir den tiefer gelegenen Rosengarten bewunderten, den Apfelbaumgarten, die wilde Blumenwiese und den streng gestutzten Repräsentationsgarten, die sich vom Hintergrund der rötlich bernsteinfarbenen, ins Licht des Spätfrühlings getauchten Queen-Anne-Gebäude abhoben. Angela setzte sich auf eine hölzerne Bank und betrachtete die großen Eichen, die den Hauptrasen dominierten. Bobby legte sich ins Gras und wälzte sich hingebungsvoll, die Pfoten fröhlich in die Luft gereckt.

»Ja, wirklich ganz hübsch«, sagte Angela und warf mir einen Seitenblick zu. »Muss schwer sein, einen neuen schönen Platz zum Wohnen zu finden, wenn man hier gelebt hat. Selbst dein Haus wirkt dagegen ein bisschen runtergekommen.«

Ich lugte zu den glänzenden Fenstern von Peile Hall hinüber. »Die Zimmer selbst sind gar nicht so schön, zumindest waren sie es früher nicht. Zugig. Nicht allzu komfortabel. Ein bisschen wie ein Mausoleum, könnte man sagen.«

Angela grinste. »Hast du hier deinen Mann kennengelernt?«, fragte sie und zeichnete mit dem Fuß Muster in den Kies. Heute trug sie Schuhe mit Keilabsätzen statt ihrer üblichen Stiefel.

»Nein. Newnham ist ein reines Frauen-College. Leo war auf dem King’s«, sagte ich und machte mich auf den Weg zurück zur Hochzeitsgesellschaft, die sich auf den Rasen verlagert hatte, wo Fotos gemacht wurden. Otis rannte aus einem der Gebäude auf uns zu, und ich fing ihn auf und lächelte, während er zu mir hochstrahlte.

»Ich hab ein Geheimzimmer gesehen!«, sagte er. »Es war ein bisschen wie dein Dachboden, nur mit Büchern. Ich hab mir ein paar angeschaut, aber die waren total langweilig.«

»Anscheinend ist Platos Politeia nicht sein Ding«, sagte die Frau, die ihm folgte. Sie sah leicht erschöpft aus.

»Nein«, stimmte ich ihr zu. »Er ist eher der Gute-Nacht-lieber-Mond-Typ.« Ich dankte ihr und ging mit Otis zurück zu seiner Mutter; sie unterhielt sich inzwischen mit einer kleinen Frau, die im Profil fast so alt aussah wie ich. Als wir näher kamen und sie sich umdrehte, war ich geschockt. Die Zeit lief rückwärts, ich wurde wieder zu der linkischen Studentin, die in ihrem Zimmer dem glockenhellen Lachen, dem Gläserklirren und dem Grammofon von nebenan lauschte, und ich sah ein Mädchen, das sich an einen Jungen schmiegte. Odi et amo. Es war Alicia Stewart.