Kapitel 34

Nachdem Sylvie ihre Hunde abgeholt hatte, ging ich mit Bobby an Neujahr in das Café im Park, um einen Toast zu essen. Wir setzten uns nach draußen auf die Terrasse, beobachteten Passanten, ich gab ihr ein Stück der butterigen Kruste und erinnerte mich an meine einsamen Spaziergänge vor einem Jahr. Als ich mein verlorenes Leben betrauerte und den Besuch an einem verseuchten See geplant hatte, nur um zuzusehen, wie Fische betäubt wurden. Jetzt saßen wir hier gemütlich zusammen, grüßten – sowohl menschliche als auch vierbeinige – Bekannte, planten die Aktivitäten des Tages und freuten uns auf die Woche, die vor uns lag. Wir planschten in unserem See und luden andere ein, dazuzukommen.

In den nächsten Tagen verdrängte ich den Gedanken, dass Bobby nicht für immer bei mir sein würde, und genoss es, meine Alltagsroutine wiederaufzunehmen. Angela ging arbeiten, Otis zur Schule und ich in die Bibliothek, um Bücher zu archivieren, Kindern vorzulesen und Leuten zu helfen, die Bücher zu finden, die sie suchten. Nebenbei hörte ich mir Deirdres Klagen über Mittelkürzungen und deren Auswirkungen auf die angebotenen Dienste an. Sie ereiferte sich richtig, zitierte Statistiken und erzählte mir, dass es in Großbritannien jährlich 280 Millionen Bibliotheksbesuche gebe und dass die Leute öfter in die Bücherei gingen als zu Fußballspielen, Theaterstücken, in die Notaufnahme eines Krankenhauses und die Kirche zusammengenommen.

Alle neun Sekunden besuche jemand eine Bibliothek, sagte sie. Das glaubte ich nur zu gern, und manchmal saß ich auf meinem Stuhl am Empfang, zählte mithilfe des Tickens der Uhr die Sekunden und stellte mir vor, wie überall im ganzen Land Menschen Bibliotheken betraten und die gleichen Fragen stellten, die ich jeden Tag hörte. »Jemand hat mir ein Buch empfohlen, aber ich kann mich weder an den Titel noch an den Autor erinnern … Wie benutzt man den Computer …? Könnten Sie mir helfen, dieses Formular auszufüllen …? Ich brauche ein Buch, das mir hilft, Shakespeare zu verstehen … Haben Sie diesen neuen Film mit dem Hai? Nicht Der weiße Hai, den anderen.« Meine ganz persönlichen Enigma-Variationen, die es zu entschlüsseln galt.

Das Wetter war kälter und nasser geworden, sodass ich froh war, den neuen Parka und die Gummistiefel zu haben, denn die Wege auf meinen Spaziergängen mit Bobby wurden immer matschiger. Allmählich erkannten wir die Schönwetter-Gassigeher oder bemerkten vielmehr ihre Abwesenheit, wenn es regnete. Denzil war bei Wind und Wetter anzutreffen, obwohl ihm Miguel fehlte, der nach Spanien zurückgeflogen war. Maddie und Simon kamen ebenfalls mit ihrem Border Terrier und ihrem neugeborenen Sohn Timothy, obwohl beide fahl und erschöpft aussahen. Tim schlief nicht gut durch. »Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir Tiggy doch lieber mögen«, scherzte Simon. Ich sah auch Phillip und Dexter – wenn auch nicht zur gleichen Zeit. Dexter rannte mit flatternden Ohren an mir vorbei, in der Schnauze etwas, das wie eine tote Ratte aussah, und kurze Zeit später kam Phillip keuchend angelaufen. »Hast du ihn gesehen? Und in welche Richtung ist er?«

Dann gingen wir wieder nach Hause, wo es immer einen Leckerbissen gab, den man suchen, ein Feuer, vor dem man sitzen, oder einen Besucher, den man empfangen konnte, sei es Sylvie, die vorbeikam, um zu tratschen, oder Hanna, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, auf einen Tee und einen Plausch hereinzuschneien, um ihr Englisch zu verbessern. Nur Angela bekamen wir kaum zu Gesicht, anscheinend hatte sie viel Arbeit – oder vielleicht wollte sie einfach nicht zugeben, dass sie ihren Vorsatz fürs neue Jahr nicht eingehalten hatte.

Ich werkelte zufrieden im Haus herum, nahm die Weihnachtsdekorationen ab, sortierte die letzten Dinge auf dem Dachboden aus, schickte Alistair gelegentlich eine E-Mail, suchte häufig Bobbys Stoffhasen, den ich an allen möglichen und unmöglichen Orten wiederfand. Bruce Bunny, wie Otis ihn getauft hatte, war mittlerweile ziemlich ramponiert, und ihm fehlte ein Ohr, aber er war zu einem festen Bestandteil unseres Haushalts geworden. Nachdem Bobby ihn irgendwo unter einem Berg Kissen, einem Teppich oder unter dem Bett »verbuddelt« und dann den Ort vergessen hatte, streifte sie winselnd durchs Haus, bis Bruce wieder auftauchte, woraufhin sie und er ein rührendes Wiedersehen feierten und sie ihn in ihre Ecke schleppte, um ihm eine gründliche Abreibung zu verpassen. Sie war ein seltsamer Hund, und ich liebte sie über alles.

An einem Abend, als wir Bruce verloren und wiedergefunden hatten, wollte ich mich gerade mit einem Teller Pasta hinsetzen und mir ein neues Historiendrama anschauen, als Sylvie anrief.

»Hast du Angela in letzter Zeit mal gesehen?«, fragte sie.

»Nein«, antwortete ich. »Ich glaube, sie hat viel gearbeitet. Warum?«

»Ich hab eben mit ihr telefoniert, und sie klang irgendwie seltsam.«

»War sie vielleicht betrunken?«

»Nein, aber sie war angespannt. Es kam mir vor, als hätte sie mich aus einem bestimmten Grund angerufen und dann beschlossen, doch nicht darüber zu reden.«

»Möchtest du, dass ich mal bei ihr vorbeigehe?«

»Würdest du das tun? Das wäre eine große Erleichterung für mich.«

Und so zog ich meinen neuen Parka und die Stiefel an, nahm Bobby an die Leine, und wir gingen die Straße hinunter zu Angelas Wohnhaus. Das Licht im obersten Stock brannte, und ich klingelte. Eine Weile lang passierte nichts, dann hörte ich ihre leise, heisere Stimme durch die Gegensprechanlage. Sie ließ mich hinein, und wir machten uns daran, die Treppen hinaufzusteigen. Als wir oben angekommen waren, war ich außer Atem, und mir war etwas schwindelig. Deshalb schob ich mich, sobald Angela die Tür aufmachte, an ihr vorbei und setzte mich aufs Sofa, um zu verschnaufen.

»Was machst du hier?«, fragte sie ziemlich brüsk.

Ich hustete. »Ich dachte, ich schau mal vorbei, weil du dich schon länger nicht mehr hast blicken lassen. Geht es dir gut?«

»Bestens.« Sie stand immer noch an der Tür, und nach kurzem Zögern schloss sie sie etwas widerstrebend.

»Wo ist Otis?« Ich sah mich um.

Sie runzelte die Stirn. »Der schläft. Es ist fast neun.«

»Oh«, sagte ich, hustete wieder und versuchte, Zeit zu schinden. Sie sah ungepflegt aus, ihre Haare waren am Ansatz grau, ihre Augen gerötet, als hätte sie geweint. »Ich habe mich nur gefragt … möchtest du morgen vielleicht mit spazieren gehen?« Am nächsten Tag war Samstag, und sie und Otis begleiteten mich am Wochenende oft.

Sie wollte schon widersprechen, dann überlegte sie es sich anders und zuckte die Achseln. »Na gut.« Ich verharrte auf dem Sofa und fragte mich, ob sie mir vielleicht etwas zu trinken anbieten würde, aber sie blieb an der Tür stehen und wartete eindeutig darauf, dass ich wieder ging.

Also erhob ich mich mühsam, immer noch etwas außer Atem. »Ich hole euch um zehn ab, ja? Wir können ja auch einen Kaffee trinken gehen.« Sie nickte und folgte mir, als ich auf den Treppenabsatz hinaustrat und Bobby wieder an die Leine legte. Ich winkte ihr zum Abschied zu, aber sie hatte sich schon weggedreht, und so machten wir uns langsam auf den Weg nach Hause.

»Irgendetwas stimmt nicht«, murmelte ich, als ich mit Bobby durch die Dunkelheit trottete. Sie blieb stehen, schnüffelte an einem Laternenpfahl und würgte, vermutlich weil ihr etwas im Hals feststeckte.

Am nächsten Vormittag holte ich Angela und Otis wie versprochen ab. Wir warteten unten an der Tür, und ein paar Minuten später kamen sie runter, beide in warmen Winterjacken, weil es kalt und alles von einer Frostschicht überzogen war, der die Sonne noch nichts hatte anhaben können. Angela war so dick eingepackt, dass ich ihr Gesicht kaum sehen konnte, sie hatte sich den Schal über den Mund und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Otis trug alles Notwendige, aber der Schal schleifte schon jetzt über den Boden, die Jacke drohte ihm von den Schultern zu rutschen, und die Mütze saß schief. Normalerweise wäre Angela stehen geblieben, um den Reißverschluss wieder zu schließen, den Schal richtig festzubinden und die Mütze gerade aufzusetzen, aber diesmal überließ sie es mir, ihn wieder richtig anzuziehen, während sie auf den Boden starrte und nach kleinen Steinen trat.

Wir machten uns auf den Weg, wortlos, was nicht ungewöhnlich war, aber heute fühlte es sich anders an als sonst. Normalerweise war unser Schweigen kameradschaftlich, ungezwungen, aber diesmal hatte ich das Gefühl, Bemerkungen über das Wetter machen, irgendetwas sagen oder tun zu müssen, um eine Reaktion von ihr zu erhalten. Otis dagegen bekam nichts davon mit, rannte hierhin und dorthin, suchte sich Stöckchen, jagte Vögel und stampfte in Pfützen.

Ich öffnete den Mund, um dem Drang nachzugeben, doch dann musste ich an Jettes Schweigen denken und schloss ihn wieder. Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, es mache keinen Unterschied, ob man in solchen Situationen mit meiner Großmutter redete, für sie sei das nur leeres Rauschen, wie bei einem Radio, bei dem kein Sender eingestellt ist. Und so betrachtete ich stattdessen die nackten, kahlen Bäume, dachte daran, wie Sylvie und ich, als wir uns kennenlernten, auf der Bank gesessen und kaum geredet hatten, nur Croissants gegessen und die Bäume betrachtet hatten. Ich ging ins Café, kaufte Kaffee für uns und einen Keks für Otis, dann standen wir auf dem Spielplatz, während er, die Jacke voller Krümel, auf dem Trampolin herumsprang.

»Ich möchte, dass du für mich auf Otis aufpasst.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Angela hielt den Blick unverwandt auf ihren Sohn gerichtet.

»Natürlich, jederzeit.«

»Ich meine, er müsste auch bei dir schlafen. Nur eine Nacht. Würdest du das tun?« Sie sah mich jetzt an, ein kriegerisches Funkeln im Blick, das ich verstörend fand.

»Ja, er kann gern über Nacht bleiben. Wann soll es denn sein?«

Angela wandte sich wieder Otis zu, der jetzt vom Trampolin stieg, zu den Schaukeln ging, sich abstieß und mit seinen dünnen Beinen Schwung holte. Sein Atem bildete kleine Wölkchen.

»Ich weiß noch nicht genau. Bald.« Sie umfasste ihren Kaffeebecher fester und pustete. »Ist das okay?«

Ich zögerte, überlegte mir verschiedene Antworten und verwarf sie alle. »Ja«, sagte ich schließlich nur. »Wann immer du willst.«

»Danke«, erwiderte sie. Und es fühlte sich an, als hätten wir einen Pakt geschlossen, allerdings einen, über den wir nicht weiter sprechen würden, und so riefen wir Otis, sagten ihm, es sei zu kalt, und als er anfing, sich zu beschweren, schlug Angela vor, zu Hause einen heißen Kakao zu trinken, und wir gingen wieder. Ich sah zu, wie sie im Haus verschwanden, dann ging ich ebenfalls nach Hause und grübelte auf dem Weg darüber nach, was hinter Angelas Bitte stecken könnte.

»Über Nacht!«, sagte ich zu Bobby. »Was hat das zu bedeuten?«

Aber Bobby war auch nicht schlauer als ich. Ich schrieb Sylvie in einer Textnachricht, dass ich Angela besucht hätte und es ihr gut gehe, denn obwohl das offensichtlich nicht stimmte, fühlte es sich wie ein Vertrauensbruch an, Sylvie die Wahrheit zu verraten. Ich dachte mit Sorge an kalte Winter und Gasherde, doch dann beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass Angela schon keine Dummheiten machen würde, denn anscheinend hatte sie ihren guten Vorsatz trotz aller Widrigkeiten einhalten können. Sie hatte während des gesamten Spaziergangs nicht eine Zigarette geraucht.