Kapitel 42

Am Sonntagmorgen war es klar und sonnig. Es war einer dieser wunderschönen Tage, an denen man den Sommer schon zu spüren glaubte. Als ich an jenem Morgen mit Bobby durch den Park spazierte, die anderen Hundebesitzer grüßte und die frische Luft in mich aufsaugte wie ein Stärkungsmittel, waren meine Schritte beschwingt. Nach den beunruhigenden Geschehnissen der letzten Tage freute ich mich auf Otis’ Geburtstagsparty, ihn mit seinen Freunden zu sehen, zu klatschen, wenn er die Kerzen ausblies, und ihm sein Geschenk zu geben, auf dessen Auswahl ich so viel Zeit verwendet hatte. Ich würde die Jugend und Energie der anderen Gäste in mich aufnehmen und meine Akkus wiederaufladen. Was spielten Jobs, Rechnungen, Telefonanrufe und ächzende Knochen schon für eine Rolle? Der Tag war noch jung, die Sonne warm, und ich konnte es kaum erwarten, zu Otis aufzubrechen.

Sechs Stunden später konnte ich es kaum erwarten, wieder zu gehen. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie schrecklich Kindergeburtstage waren. Zu Zeiten meiner Kinder war es viel zahmer zugegangen – ein paar Freunde, Bockwurst und Pommes und ein Kuchen mit einer Anzahl von Smarties, die das Alter des Kindes verkündete. Ich erinnerte mich an eine von Mels Partys, an das gedämpfte Licht und den vor Vorfreude angehaltenen Atem, als ich den Kuchen ins Zimmer brachte und sie ihr kleines Gesicht konzentriert in Falten legte. »Was ist, wenn ich es nicht schaffe, sie alle auszupusten? Geht mein Wunsch dann nicht in Erfüllung?« Darüber hatte sie sich schon Tage vorher den Kopf zerbrochen.

Angela jedoch hatte zu Otis’ Geburtstag dreißig vermutlich chemisch aufgeputschte kleine Monster und ihre mit Prosecco ruhiggestellten Zoowärter eingeladen. Die kleinen Teufel wüteten in der beengten Wohnung, während ihre Eltern Kribbelwasser tranken, plauderten und ihre schrecklichen Sprösslinge komplett ignorierten. Die arme Angela eilte umher, füllte die Gläser der Eltern, bot Oliven an und entfernte scharfe Küchenutensilien aus winzigen Händen.

Ich stand in einer Ecke und fühlte mich auf vielerlei Art an die St-Botolph’s-Party erinnert, bei der ich Leo kennengelernt hatte. Zu heiß, zu laut, ständig flogen Dinge durch die Gegend, und die Leute redeten nur Unsinn. Trotzdem, wenigstens wurde ich diesmal nicht wegen einer anderen Frau übersehen. Ich schnappte mir ein Glas, nippte daran und duckte mich, als ein Karottenstäbchen an meinem Ohr vorbeiflog. Eins der kleinen Monster tauchte brüllend vor mir auf, das Gesicht mit Hummus verschmiert, als wäre es eine Art Kriegsbemalung. Ich hielt das Glas über meinen Kopf, brüllte zurück und fing mir ein paar missbilligende Blicke von den Zoowärtern ein. Kurz eingeschüchtert, erholte das Monster sich bald und randalierte weiter, trat einen Stuhl um und brachte ein jüngeres Kind mit einem gezielten Stoß zu Fall. »Horatio!«, ermahnte ihn eine der Frauen vage, dann nahm sie sich noch eine Olive und redete weiter über die Stadtplanungsgesetzgebung.

Ich verspürte den Wunsch, diesem Chaos zu entfliehen, und bahnte mir einen Weg in den Flur, um von dort in die Küche zu gehen. Angela saß an dem kleinen Tisch und hatte das Gesicht in die Hände gelegt. Als ich hereinkam, sah sie auf.

»Ach, du bist es. Und, freust du dich, dass du gekommen bist?« Sie senkte den Kopf wieder und presste sich die Finger gegen die Schläfen. »Ich hab dir ja gesagt, es wird grässlich.«

Ich holte ihr ein Glas und goss ihr aus einer der Flaschen einen Rest Prosecco ein.

»Ich darf nicht trinken, ich muss nachher noch aufräumen. Ich hätte einen Clown oder so etwas buchen sollen, aber das kann ich mir nicht leisten. Die meisten Eltern buchen einen, die bringen dann alles mit, Regenbogenschwungtücher und so, und sorgen dafür, dass die Kinder beschäftigt sind. Aber ich dachte, ich krieg das schon hin, wir spielen einfach Stoppessen und so. Was für ein verdammter Witz.« Sie trank einen Schluck Prosecco. »Es sind fünf Kinder hier, mit denen ich nicht gerechnet habe, weil die Eltern nicht rechtzeitig Bescheid gegeben haben, und jetzt hab ich nicht genug Geschenktüten und muss ihnen auf dem Weg nach draußen ’nen Fünfer in die Hand drücken, verdammte Scheiße.« Sie nahm noch einen Schluck. »Und die anderen Mütter können mich nicht leiden, weil ich alleinerziehend bin. Die glauben, ich will ihnen den Mann wegnehmen. Pah! Das sind alles Bankwichser, die ständig Überstunden machen, damit sie die Kinder nicht ins Bett bringen müssen, und die am Wochenende für Marathonläufe trainieren, weil sie ihre Frauen nicht bei der Erziehung unterstützen wollen.« Sie trank das Glas aus. »Warum mache ich das hier noch gleich?«

»Mummiiieee!« Wir fuhren herum. Otis stand in der Tür. Er sah ein bisschen geknickt aus in seinem neuen Roboterkostüm. »Können wir jetzt Stoppessen spielen?«

»Ja, mein Schatz, ist es schon so spät?« Angela sprang auf und strich sich die zerzausten Haare glatt. Otis streifte neugierig durch die Küche.

»Wo ist denn der Kuchen?«, fragte er nach einem Blick in den Kühlschrank.

»Da drüben neben der Spüle«, antwortete Angela und packte leere Flaschen in eine Mülltüte.

»Nein, da ist er nicht.«

Angela drehte sich um und sah zur Theke hinüber. Darauf stand eine Tortenplatte mit Aluminiumfolie, auf der sich jedoch kein Kuchen befand.

»Wo ist der scheiß Kuchen?«

Sie eilte durch die Küche, fegte Pappteller und Servietten beiseite, riss den Kühlschrank auf und schaute mit zunehmender Verzweiflung sogar in den Müllsack. Nachdem sie alle Schränke durchsucht hatte, kehrte sie zum Tisch zurück, packte die Tischplatte mit beiden Händen und starrte mich niedergeschlagen an.

»Wo ist der Kuchen?«, flüsterte sie.

Otis’ Oberlippe zitterte. »Hast du ihn vergessen?«

Sie fuhr zu ihm herum. »Nein, mein Schatz, natürlich nicht. Mummy findet ihn schon. Geh einfach wieder rüber. Wir fangen in einer Minute mit Stoppessen an.« Sie ignorierte seinen Protest und komplimentierte ihn nach draußen, dann sah sie mich keuchend an.

»Der scheiß Kuchen ist verschwunden! Wir brauchen einen neuen.«

»Wo soll er denn hingekommen sein?«

»Einer der kleinen Scheißer muss ihn sich gekrallt haben. Ich hoffe, er erstickt dran. Hör zu, uns bleibt eine halbe Stunde, höchstens vierzig Minuten. Ich geb dir Geld, kannst du dir ein Taxi nehmen und einen neuen Kuchen besorgen?«

»Natürlich.« Ich war etwas eingeschüchtert, aber zugleich entzückt von der Chance, dieser Hölle zu entkommen. Angela zog ein Bündel Scheine aus ihrem Portemonnaie.

»Hier, bitte, das sollte reichen. Aber du musst um fünf zurück sein, sonst setzt der Zuckerentzug ein, und sie laufen Amok.«

Ich kicherte leicht hysterisch, während ich das Geld nahm und in meiner Handtasche verstaute.

»Ach, und Missy? Es muss eine Robotertorte sein.«

Perplex fuhr ich herum.

»Eine Robotertorte?«

Angela nickte düster. »Er steht im Moment total auf Roboter. Ich war bis drei Uhr morgens auf, um den Kuchen mit silbernem Zuckerguss zu garnieren und Antennen aus Brause-Ufos reinzustecken. Wir dürfen ihn nicht enttäuschen!«

Ich atmete tief ein. »Eine Robotertorte, kommt sofort, die Dame.«

Das Glück war auf meiner Seite. Ein schwarzes Taxi, das noch frei war, stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Schnell hob ich die Hand und wartete, während der Fahrer wendete.

»Wohin soll’s denn gehen?«

Ich stieg hinten ein und überlegte. Wohin ging man, wenn man an einem Sonntagnachmittag unbedingt eine Robotertorte brauchte? Ich nahm das Handy aus der Tasche und gab dem Fahrer die Anweisung, zur Upper Street zu fahren, dann rief ich den einzigen Menschen an, dem ich zutraute, den Tag retten zu können.

»Schätzchen, ich bin so froh, dass du anrufst«, sagte Sylvie. »Es tut mir so leid wegen neulich …«

»Ist schon gut«, blaffte ich. »Ich brauche deine Hilfe. Der Geburtstagskuchen von Otis ist verschwunden, und ich muss einen neuen besorgen, aber Angela sagt, es muss eine Robotertorte sein. Ich habe Geld, aber ich weiß nicht, wo ich so einen bekomme!«

»Wo bist du?«

»In einem Taxi, auf dem Weg zur Upper Street. Ich muss um fünf zurück sein.«

»Gib mir zwei Minuten.« Sie legte auf, und ich lehnte mich zurück und schnallte mich an, während die Straßen von Highbury an mir vorbeisausten.

»Das hatte ich auch noch nicht«, bemerkte der Taxifahrer und beäugte mich im Rückspiegel.

»Kindergeburtstag.«

»Damit hab ich zum Glück nichts mehr zu tun«, antwortete er und bog nach Canonbury ab. Als wir über eine Reihe von Bodenschwellen rumpelten, klingelte mein Handy, und ich ging hastig dran.

»Okay«, sagte Sylvie. »Hör genau zu. Es gibt einen kleinen Laden unweit von Angel, der einem Freund gehört. Er schuldet mir noch einen Gefallen. Ich texte dir seine Adresse, und wenn du bei ihm ankommst, sollte er etwas für dich haben.«

»Vielen, vielen Dank.«

»Dank nicht mir, dank Etienne Durand, einem der besten Patissiers auf diesem Planeten. Mach’s gut und gute Fahrt!«

Wir rasten durch die Straßen von Islington, mein Fahrer legte sich jetzt voll für unser Unternehmen ins Zeug und versprach, vor dem Geschäft zu warten, während ich die Ware abholte. Er erzählte mir, seine drei Kinder seien schon erwachsen und über den ganzen Globus verstreut – »Sie machen halt ihr eigenes Ding, und das ist gut so« – und hätten sehr unterschiedliche Berufe und Leben, während er und seine Frau in Enfield lebten und auf Enkelkinder warteten. »Klar, wir werden sie nicht oft zu Gesicht bekommen, wo doch alle so weit weg leben, aber es ist einfach schön, welche zu haben, nicht? Dann schaut man sich halt Fotos an.«

Sylvie schickte mir die Adresse, und wir bogen bald in eine Straße mit teuer aussehenden georgianischen Reihenhäusern ab, die vor jedem Fenster einen kleinen Balkon hatten. Dann ging es in eine schmale Sackgasse mit Kopfsteinpflaster. An deren Ende befand sich ein winziger Laden, der direkt aus der Winkelgasse entsprungen schien. Auf einem Schild über der Tür stand in verschnörkelter Schrift »Durand’s«.

»Sind Sie sicher, dass das ein Konditor ist?«, fragte mein Fahrer und parkte direkt davor.

»Keine Ahnung, ob der Besitzer es so nennen würde«, erwiderte ich, stieg aus und überprüfte das Bündel Geldscheine in meiner Tasche.

Ich gab acht, nicht auf dem Kopfsteinpflaster zu stolpern, klopfte an die glänzende Tür und trat einen Schritt zurück. Nach sekundenlangem, quälendem Warten öffnete sie sich. Ein großer, dunkelhaariger Mann streckte den Kopf heraus und sah mich feierlich an.

»Ich … bin Millicent Carmichael«, stammelte ich. »Sylvie Riche schickt mich.«

»Etienne Durand«, sagte er, verbeugte sich und bedeutete mir, hereinzukommen. Ich winkte dem Taxifahrer zu und trat ein.

Das Geschäft glich keinem anderen, in dem ich bisher gewesen war. Wir standen in einer Art elegantem Wohnzimmer mit einer Chaiselongue in einem Ende und einem runden Eichentisch in der Mitte, der von Stühlen umgeben war. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich an ein Beerdigungsinstitut erinnert. Ich unterdrückte ein Kichern.

»Sylvie hat Ihnen alles erklärt? Wir brauchen einen Kuchen. Eine, äh, Robotertorte.«

Er verzog das Gesicht zu einem widerwilligen Schmollmund. »Ja, sie ’at es mir erklärt. Nicht gerade das, was wir üblicherweise tun, aber sie ist eine gute Freundin.«

»Was tun Sie denn üblicherweise?«

Er deutete auf den Tisch. »Die Leute sitzen dort. Dann bringe ich Ihnen … les gâteaux. Wenn Sie ’ier warten wollen, bringen ich Ihren.«

Er verschwand durch eine Tür am anderen Ende des Raumes, und ich stand da, schaute auf die Uhr und klopfte mit dem Fuß auf den Boden. Uns blieben noch fünfzig Minuten. Vierzig Fußklopfer später kam er mit einer riesigen Schachtel zurück.

»Sie ’aben keine Ahnung, was ich tun musste, um das ’ier zu schaffen«, sage er und stellte sie vorsichtig auf den Tisch. Ich trat vor und wollte sie öffnen. Er schlug mir auf die Finger.

»Nicht aufmachen, bis Sie bei der Party sind.« Ich zuckte zusammen. Er war sehr unfreundlich. Ich hatte mir Konditoren immer fröhlich vorgestellt.

Ich schwieg kurz. »Aber … ich wollte doch nur nachsehen, ob es auch … ein Roboter ist.«

Er schnaubte. »Es ist ein Roboter. Der beste Roboter, den Sie je sehen werden. Glauben Sie mir.« Er reichte mir eine Papiertüte. »Darin ist noch ein kleines i-Tüpfelchen, das dürfen Sie nicht vergessen.«

»Was schulde ich Ihnen?«, fragte ich mit einem unguten Gefühl in der Magengrube. Ich war mir plötzlich sicher, dass Angelas Scheine nicht annähernd ausreichen würden. Aber er wischte die Frage ebenso beiseite wie vorher meine Hand.

»Nichts. Es ’andelte sich um einen Gefallen für meine Freundin Sylvie.« Mir wurde vor lauter Erleichterung und Verlegenheit schwindelig.

»’aben Sie einen Wagen draußen?«, unterbrach er meine gestammelten Dankesworte. Ich nickte, und er nahm die Schachtel und befahl mir, ihm die Tür zu öffnen. Zusammen manövrierten wir die Torte auf den Rücksitz des Taxis. Ich schaute auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten. Wir konnten es schaffen, aber wir mussten langsam fahren, damit die Torte heil blieb. Als der Motor ansprang, sah ich Monsieur Durands Gesicht vor dem Fenster. Er klopfte an die Scheibe, und ich kurbelte sie herunter.

Er beugte sich bedrohlich vor. »Und sagen Sie Sylvie, wir sind jetzt quitt, ja? Keine Gefallen mehr.« Er lächelte, und seine spitzen Zähne glitzerten.

»Definitiv. Ich sag’s ihr«, stotterte ich. Er zog sich zurück, klopfte auf das Dach, und wir fuhren los. »Fahren Sie vorsichtig«, bat ich den Taxifahrer und sah, wie er, den Blick auf die Straße gerichtet, nickte.

Das Herz rutschte mir bei jeder Bodenwelle in die Hose, aber die Schachtel blieb aufrecht stehen. Wir hielten um 16:56 Uhr vor Angelas Haus. Sie stand draußen. Als ich aus dem Taxi ausstieg, sah ich, dass sie eine nicht angezündete Zigarette in der Hand hielt.

»Nur zur Beruhigung«, sagte sie. »Und, wie ist es gelaufen?«

»Ich weiß nicht genau«, erwiderte ich und wandte mich an den Fahrer. »Derek, wie viel bekommen Sie?« Aber wieder wurde mein Bündel Geldscheine verschmäht. »Gar nichts«, sagte er fröhlich. »Ich habe mich nicht mehr so amüsiert, seit ich einen Typen im Batman-Kostüm aufgelesen habe, der auf das Auto vor uns gezeigt und ›Folgen Sie diesem Wagen‹ gesagt hat.«

»Oooh«, sagte Angela. »Hat er einen Bösewicht verfolgt?«

»Nicht ganz«, sagte Derek. »Er war auf dem Weg zu einer Junggesellenparty.« Er stieg aus und nahm die Schachtel vom Rücksitz. »Wo soll ich die hinbringen?«

Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Wange. »Vielen Dank.«

»Komm mit«, sagte Angela.

Zusammen trugen wir den Kuchen in die Küche. Der leere, silberne Tortenboden stand immer noch neben der Spüle.

»Ist das Original nicht wieder aufgetaucht?«

Grimmig schüttelte Angela den Kopf. »Das war garantiert dieser kleine Scheißer Horatio, das hab ich im Gefühl. Er hat Silberfarbe in den Haaren.«

Derek stellte die Schachtel auf den Tisch, Angela nahm den Deckel ab, und wir warfen einen Blick hinein.

»Meine Fresse«, sagte sie.

Vor uns stand die unglaublichste Robotertorte, die ich je gesehen hatte. Na ja, eigentlich hatte ich noch nie eine gesehen, aber sicher konnte sich keine mit der Schönheit und Pracht dieses Exemplars messen. Der Roboter, der mit ausgestreckten Beinen in der Schachtel saß, war leuchtend blau, hatte knallrote Knöpfe und einen Bildschirm auf der Brust, auf dem »Otis« stand. Sein aus Lakritz und Zuckerguss bestehender, gitterförmiger Mund lächelte uns an.

»Das nenne ich mal eine Robotertorte«, sagte Derek und trat einen Schritt zurück, um sie noch besser bewundern zu können.

»Mist, ich hab keine Kerzen mehr«, sagte Angela und durchsuchte hektisch alle Schubladen.

Mir fiel das i-Tüpfelchen wieder ein, und ich warf einen Blick in die Tüte in meiner Hand. Darin befanden sich fünf Kerzen und zwei Wunderkerzen.

»Hier sind welche.« Ich steckte die Kerzen in die ausgestreckten Beine des Roboters und die Wunderkerzen wie Antennen in seinen Kopf. Dann schaute ich auf die Uhr und stellte fest, dass es genau 17:02 Uhr war. »Los geht’s.«

»Du solltest ihn hineinbringen«, drängte mich Angela. »Schließlich haben wir ihn dir zu verdanken.«

»Nein, ich will zusehen.« Ich gab Derek die Hand und sagte, ich hoffte, er würde bald Enkel bekommen, und er verließ das Haus.

So wie ich meine eigenen Kinder vor Jahrzehnten beobachtet hatte, behielt ich jetzt Otis’ kleines Gesicht in der Dunkelheit im Blick, das vor Erwartung und Vorfreude strahlte. Sein winziger Körper zitterte vor Aufregung, und seine kleinen Monsterfreunde standen um ihn herum. Selbst die Eltern hörten lange genug mit ihrem Gerede über Loftrenovierungen auf, um sich Angelas Auftritt anzusehen. Ihr Gesicht wurde von den Wunderkerzen erhellt, und sie lächelte, als sie die »Ooos« und »Aaahs« der Partygäste hörte. Ihre Augen glänzten, und sie blinzelte ein paarmal, als Otis vor lauter Staunen nach Luft schnappte und alle zu singen anfingen. Er kniff vor Anstrengung, weil er gleichzeitig pusten und sich etwas wünschen musste, die Augen zusammen, blies die Kerzen aus, und alle jubelten, als die Flammen erloschen. Der Rauch trug unsere Gebete in den Himmel. Ich dachte darüber nach, was Derek gesagt hatte. Dass es darum ging, die Kinder ihr Ding machen zu lassen und es zu genießen. Warum hatte ich so lange gebraucht, um das zu verstehen? Ich klatschte und jubelte wie alle anderen. Dann, als das Licht wieder anging, schrie plötzlich eine der Mütter gellend auf.

»Horatio Lysander Swinton!«, brüllte sie. »Was in aller Welt ist das?«

Sie hielt ihre braune Lederhandtasche mit Schnalle hoch, die aussah, als hätte sie mehrere Boni gekostet, und die jetzt mit den Überresten einer Robotertorte mit Brause-Ufo-Antennen gefüllt war. Während die anderen Mütter sich um sie scharten und sie zu trösten versuchten, hörte ich Angelas dreckiges Lachen aus der Küche.

Die Eltern verabschiedeten sich, die Kinder schrien nach ihren Geschenktüten, und so eilte Angela, die unter der Last fast zusammenbrach, hastig mit einem Tablett voll herbei und verdrehte die Augen, als sie die Anzahl der Kinder mit der der Tüten verglich. Gierige kleine Hände krallten sich die Geschenke, und die Kinder zogen sich zurück, um ihre Beute in Augenschein zu nehmen und mit der der anderen zu vergleichen. Ein zunehmend erschöpfter Otis kuschelte sich an seine Mutter. Sie hatte immer noch nicht geraucht.

»Fantastischer Kuchen«, sagte eine der Mütter bei der Verabschiedung.

»Hab ich selbst gemacht«, erwiderte Angela mit Pokerface.

Später, als Otis auf dem Boden seine Geschenke öffnete, saßen wir in der Küche, leerten die letzte Prosecco-Flasche und zogen über die anderen Mütter her.

»Verdammt viele abschreckende Bespiele für schlechte Erziehung«, sagte Angela und beobachtete ihren Sohn, der gerade ein Star-Wars-Aufkleberbuch auspackte. »Eins von den Früchtchen – Tybalt oder Gawain, was weiß ich – hat ein anderes Kind so fest gebissen, dass es geblutet hat. Und als seine Mutter die Bisswunde sah, meinte sie nur: ›Das Problem ist, hochbegabte Kinder haben einfach viel zu viel Energie.‹«

Ich kicherte, dann schaute ich auf die Uhr. »Es ist fast sechs, ich muss los, mit Bobby Gassi gehen. Oder soll ich dir rasch noch weiter beim Aufräumen helfen?« Die kümmerlichen Überbleibsel des Roboterkuchens lagen neben der Spüle – Angela hatte ihn skrupellos benutzt, um die Geschenktüten aufzufüllen.

»Nein, keine Sorge, es ist nicht mehr viel zu tun, außerdem hast du den heutigen Tag gerettet.«

»Eigentlich nicht. Das war Sylvie.«

»Ich habe ihr ein Stück aufgehoben. War ein verdammt guter Kuchen.«

»Hab ich selbst gemacht«, äffte ich sie nach.

Sie zwinkerte mir zu. »Ich denke, ich habe mir ein bisschen Anerkennung verdient, schließlich ist mein Kunstwerk in Mama Swintons Handtasche gelandet.«

Ich verabschiedete mich von Otis, dann schlenderte ich nach Hause und genoss die Tatsache, dass es abends immer länger hell blieb, je weiter der Frühling voranschritt. Als ich die Haustür aufschloss, wappnete ich mich gegen Bobbys stürmische Begrüßung. Bruce Bunny hing ihr wie immer aus dem Maul.

Wir brachen zu unserem Spaziergang auf, und weil es so ein schöner Abend war, gönnte ich ihr sogar eine Runde durch den Park, wo sie ausgiebiger schnüffeln und all die neuen Gerüche des Frühlings in sich aufnehmen konnte. Wie immer wünschte ich mir, Leo wäre hier, um den Spaziergang mit mir zu genießen, und ich wusste, wie sehr er Bobby gemocht hätte, sie vielleicht sogar ebenso lieben gelernt hätte wie ich, ihre Eigenarten und Macken, die Art, wie sie sich kopfüber ins Leben stürzte.

Als die Sonne über dem immer dichter werdenden Grün unterzugehen begann, ließ ich die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren, lachte bei dem Gedanken an Horatio, der den Kuchen versteckt hatte, und über meinen Abstecher in die Welt französischer Patissiers. Doch mir blieb das Lachen im Halse stecken, als wir aus dem Park traten und Bobby plötzlich mit einem markerschütternden Heulen an der Leine zerrte. Auf der anderen Straßenseite sah ich eine Katze, eine von Bobbys absoluten Todfeinden. Ihr Schwanz zuckte, während sie uns mit undurchdringlicher Miene beobachtete. Mit einem erstickten Knurren blieb Bobby stehen, riss den Kopf nach hinten, schlüpfte, wie sie es auf Mels Hochzeit getan hatte, aus ihrem Halsband und stürzte auf ihre Feindin zu.

Alles Weitere ging sehr schnell. Wie aus dem Nichts tauchte ein Wagen auf, Bobby war nur noch ein verschwommenes Bündel, das über die Straße flitzte und von einem scharlachrot-silbernen Blitz in die Luft geschleudert wurde. Ich stand wie gelähmt vor lauter Schock auf dem Gehsteig und versuchte zu begreifen, was gerade passierte, dann sank ich zu Boden, Kiesel bohrten sich in meine Knie. Das Auto kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Der Fahrer stieg aus, ging um seinen Wagen herum und entdeckte bestürzt Bobbys armen, verkrümmt daliegenden Körper. Ich dachte unwillkürlich an den Roboterkuchen, anfangs noch makellos in der Schachtel, dann in seine Einzelteile zerlegt. Eben noch intakt, im nächsten Augenblick völlig zerstört. Losgelöst, freigelassen, ausgelöscht.

Auf der anderen Straßenseite schrie jemand, ein anderer stürzte auf meine Bobby zu und beugte sich über sie. Erst da kam wieder Leben in mich; niemand außer mir durfte sie berühren. Ich eilte auf die Straße, hockte mich neben sie und nahm ihren blutigen, zerschundenen Körper in meine Arme, wiegte sie wie ein Kind, summte ihr etwas in die seidigen Ohren und vergrub das Gesicht ein letztes Mal in ihrem üppigen, glänzenden Fell. Ihre Augen waren geöffnet, die wunderschönen, schokoladenbraunen Augen, die immer mein Herz erweicht hatten, wenn sie um Leckerbissen gebettelt hatte. Sie war noch warm, das Wärmste in meinem Leben. Meine Bobby, der Hund, den ich zuerst nicht gewollt, der mir nicht gehört hatte, und der am Ende doch mehr zu mir gehört hatte als alle anderen in meinem Leben.

»Ich liebe dich, ich liebe dich … Bitte, komm zurück.«

Ich schluchzte in ihr weiches Nackenfell, aber es kam keine Antwort, und ich konnte spüren, dass ihre Essenz nicht mehr da war – als sei ein Stern erloschen.

So verharrten wir für eine lange Zeit, und der Fahrer stammelte über unseren Köpfen eine Entschuldigung, während um uns herum Kirschblüten fielen wie Schneeflocken. Schließlich näherte sich jemand – war es Phillip? Oder Simon? –, half mir auf und versprach mir, Bobby nach Hause zu bringen. Als sie mich wegführten, sah ich, dass die Katze noch an derselben Stelle saß und uns beobachtete. Ihr Schwanz zuckte wie der eines im Sand verborgen liegenden Rochens.