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Helden

Der Zweite Weltkrieg(20) war eine Zeit der Katastrophen, aber er war auch eine Zeit des Heldentums. Ein Mann, der weiß, wie es ist, als Kriegsheld gefeiert zu werden, ist Leonard Creo(1), ein ehemaliger Infanterist im 232. Regiment der US Army. Seine Geschichte zeigt, wie beeindruckend und zugleich bedeutungslos solcher Ruhm sein kann.

Für Creo(2) hatte der Zweite Weltkrieg(21) viele Anfänge.1 Als Halbwüchsiger in New York(2) verfolgte er fasziniert den plötzlichen Aufruhr in Europa(18) in den Jahren 1939 und 1940: Die Nachrichten fesselten ihn »wie ein Fußballspiel«. Am Ende des Jahres 1941 wurde er persönlich in das Drama hineingezogen: Die Japaner(7) griffen Pearl Harbor(1) an, und die USA traten in den Krieg ein. Drei Monate später meldete sich der neunzehnjährige Creo freiwillig zur Armee: Er begann als Artillerist, ließ sich dann zum Fernmelder umschulen und wurde in der 42. Infanteriedivision zum Schützen ausgebildet. Aber erst 1944 wurde er nach Europa(19) geschickt – nun begann der wirkliche Krieg für ihn.

Am Jahresende landete seine Division in Frankreich(4). Seine Einheit wurde als Vorhut vorausgeschickt, um bei der Sicherung von Straßburg(1) zu helfen, wo zu diesem Zeitpunkt die Front verlief. Die Stadt war alles andere als sicher. Zahlreiche amerikanische(11) Einheiten waren in Gefechte weiter im Norden verwickelt worden, weshalb dieser Frontabschnitt kaum verteidigt wurde, und Creo(3) war auf Patrouillengängen oft auf sich gestellt oder musste alleine kleine Abschnitte des Rheinufers bewachen.

An einem Januartag im Jahr 1945 entschlossen sich die Deutschen(9) zu einem Vorstoß über den Fluss. An die folgenden Geschehnisse kann sich Creo(4) nur dunkel erinnern. Um nicht getötet zu werden, lief er von einer Stellung zur anderen und feuerte seine Bazooka auf die feindlichen Truppen ab. Er empfand keine Furcht, sondern erinnert sich an das Gefühl der Erregung: »Ich platzte vor Glück!« Aber dann traf ihn eine Kugel in die Hüfte, und die Explosion einer Granate spickte sein Bein mit Splittern. »Damit war mein Kriegseinsatz beendet.«

Es endeten weitere Dinge: Creo(5) wurde zusammengeflickt und in die USA zurückgeschickt, damit er sich erholen konnte. Trotz seiner schweren Verletzungen wurde er nicht aus der Armee entlassen, sondern im Dienst gehalten, um nach seiner Genesung möglicherweise in der Reserve eingesetzt werden zu können. Er feierte das Kriegsende im Mai 1945 auf Long Island(1), allerdings mit etwas verhaltener Freude, denn es war ihm klar, dass auch das noch nicht wirklich das Ende war: Japan(8) war noch nicht besiegt. Er war begeistert über den Abwurf der Atombombe(6) und die japanische(9) Kapitulation, denn dies war tatsächlich ein klares Ende. Aus der Armee entlassen wurde er jedoch erst im Oktober 1945.

Die Atmosphäre, die diese verschiedenen Kriegsenden umgab, veränderte Leonard Creos Leben völlig. Der Divisionskommandeur erfuhr von Creos Einsatz in Straßburg(2) und verlieh ihm den Bronze Star. In der Würdigung hieß es, dass Creo(6) trotz »mörderischen Maschinengewehrfeuers und Artilleriebeschusses« mit »unbeugsamem Mut« und »vollkommen allein« die feindlichen Kräfte daran gehindert hatte, den Fluss zu überqueren. Das war genug, um einen Mann mit Stolz zu erfüllen.2

Aber praktisch alle aus dem Krieg heimkehrenden amerikanischen(13) Soldaten wurden in der Heimat wie Helden gefeiert. Ihr Einsatz für ihr Land wurde mit der G. I. Bill offiziell anerkannt. Das Gesetz gestand ihnen zahlreiche Vergünstigungen zu, darunter günstigere Hypotheken, eine kostenlose Hochschulausbildung und ein garantiertes Wocheneinkommen, wenn sie keinen Arbeitsplatz finden konnten. Creo(7) nutzte diese Unterstützung und begann ein Kunststudium – etwas, das vor dem Krieg undenkbar gewesen wäre. Nach der Universität lebte er von einer großzügigen Invalidenrente und baute sich eine Karriere als Künstler auf. Diesem Beruf ging er für den Rest seines Lebens nach. Männer wie Leonard Creo(8) fanden nach dem Zweiten Weltkrieg(22) zweifellos gute Bedingungen vor.

Der Respekt, den sowohl der Staat als auch die Gesellschaft den Veteranen entgegenbrachten, begleitete Creo(9) sein Leben lang. Er wurde oft als Held bezeichnet – manchmal einfach, weil er im Krieg gekämpft hatte, manchmal wegen seiner persönlichen Leistungen und seiner Tapferkeitsmedaille. Eine Weile empfand er diese Ehrerbietung als befriedigend, aber im Lauf der Zeit wurde sie ihm peinlich. Wenn er an jenen Tag in Straßburg(3) zurückdenkt, weiß er, dass einige Details in der Würdigung nicht stimmen; jedenfalls bezweifelt er, dass an seinen Taten etwas Besonderes war. »Jeder normale Soldat wird sich unter diesen Umständen so verhalten. Sofern er nicht Reißaus nimmt, wird er genau das tun, was ich getan habe.« Und: »Bei Kriegsende beschlossen sie, dass jeder Infanterist, der an Kampfhandlungen teilgenommen hatte, einen Bronze Star verdiente. Also gaben sie mir zusätzlich ein Eichenblatt, was bedeutet, dass ich zwei Tapferkeitsmedaillen bekam. Die eine ist wertlos, und die andere bedeutet nichts.«

Abb. 2: Leonard Creo(10) im Jahr 2017 in seiner Uniform aus dem Zweiten Weltkrieg(23).

Heute bezeichnet Creo(11) die automatische Verehrung, die den Weltkriegsveteranen zuteilwird, als »unangenehm« und »absurd«. Er nimmt nie an Gedenkfeiern statt, weil er es nicht ertragen kann, dass jeder Koch und Schreiberling zum Helden erklärt wird, nur weil er einer bestimmten Generation angehörte und eine Weile eine Uniform trug. »Die Beweihräucherung der Veteranen nimmt von Tag zu Tag zu, weil wir immer weniger werden. Bald werden sie sich auf die Suche nach dem letzten Soldaten aus jenem Krieg machen, so wie sie zuvor dem letzten Teilnehmer am Ersten Weltkrieg nachspürten. Und sie werden ein großes Theater um einen armen Teufel inszenieren, der vielleicht nur ein kleiner Verwaltungsangestellter in der Kompanie A war.«

Der Zweite Weltkrieg(24) veränderte Creos Leben. Aufgrund seines Kriegseinsatzes kam er in den Genuss zahlreicher Vergünstigungen, die den Veteranen mit der G. I. Bill zugestanden worden waren. Er konnte studieren, Künstler werden, und heute hängen seine Bilder überall in den USA in Museen und Sammlungen von Universitäten. Die im Krieg erlittenen Verletzungen bewegten ihn dazu, mit dem Gehen zu beginnen: Anfangs diente die Bewegung einfach der Rehabilitation, doch im Lauf der Zeit wurde ein Sport daraus. Creo(12) nahm an Gehwettkämpfen teil und gewann Titel; er hat in Veteranenläufen mehrere Weltrekorde in seiner Altersgruppe aufgestellt. Der Krieg führte ihn zum ersten Mal ins Ausland; heute spricht er drei Sprachen, hat die Welt bereist und mehrere Jahre in Mexiko(1), Italien(1), Spanien(1) und Frankreich(5) verbracht. Mittlerweile lebt er in Großbritannien(11). Nichts von alledem wäre ohne den Zweiten Weltkrieg geschehen. In unserem Gespräch wies er mit großem Nachdruck darauf hin: »Der Krieg hat mein Leben praktisch in jeder Hinsicht verändert. Alles, was mir seit damals widerfahren ist, hat mit dem Krieg zu tun.«

Es gibt nur eine Feststellung, auf die er ebenso großen Wert legt: »Ich bin kein Held. Und wenn ich das sage, müssen Sie es glauben.«

Leonard Creos(13) Geschichte verdeutlicht ein grundlegendes Problem im Umgang der Welt – und insbesondere der Siegermächte – mit dem Zweiten Weltkrieg(25). Creo(14) entschied sich nicht dazu, ein Held zu werden: Dieses Etikett wurde ihm aufgezwungen und entwickelte sich über die Jahre ziemlich unabhängig von seiner eigenen Person. Er versteht besser als die meisten Menschen, dass ein großer Unterschied zwischen den tatsächlichen Geschehnissen im Krieg und unserer Erinnerung an diese Geschehnisse besteht, und diese wachsende Kluft empfindet er als ausgesprochen unangenehm.

Die meisten Bilder von Helden des Zweiten Weltkriegs(26) stammen aus den Jahren 1944 und 1945, das heißt aus den beiden Jahren, in denen ein Land nach dem anderen befreit wurde und sich abzeichnete, dass die Alliierten(2) als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würden. Das vermutlich berühmteste Bild aus dem Krieg – das zu den ikonischen Bildern des 20. Jahrhunderts zählt – zeigt einen Matrosen, der am Tag der japanischen(10) Kapitulation auf dem New Yorker(1) Times Square eine Krankenschwester küsst. Das von Alfred Eisenstaedt(1) aufgenommene Foto enthält sämtliche Elemente des alliierten Mythos vom Kriegsende. Es zeigt einen Augenblick ungetrübter Freude, einen Augenblick des Jubels einer geeinten Nation. Im Mittelpunkt des Bildes stehen zwei Menschen in Uniform – somit zwei Vertreter des Landes, dem sie dienen –, und da man ihre Gesichter nicht erkennen kann, sind sie auch jedermann und jedefrau. Vor allem aber ist es ein Bild aus einem Märchen: Der Held hat das Ungeheuer besiegt, kehrt nach Hause zurück und bekommt die Prinzessin. Wäre der Zweite Weltkrieg ein Hollywoodfilm, so würde er genau so enden.

Die britischen(12) und amerikanischen(15) Zeitungen feierten im und nach dem Krieg in zahlreichen solchen Geschichten männliche Helden, die von Frauen geküsst oder auf andere Art vergöttert wurden. Stars and Stripes, die Zeitung der amerikanischen Armee, zeigte regelmäßig Fotos europäischer(20) Frauen, die ihre Befreier küssten, mit ihnen tanzten oder sie anhimmelten. Dasselbe tat die Zeitschrift Life. Der britische Daily Express(1) stellte Frankreich(6) während der Befreiung vorzugsweise als ein Land dar, in dem es von bedrohten Jungfrauen wimmelte, die sich »den Soldaten in die Arme werfen und ausrufen: ›Wir haben so lange auf euch gewartet, wir konnten es kaum noch ertragen.‹«3

Das war keineswegs bloße Propaganda: Diese Darstellung entsprach tatsächlich der Erfahrung vieler britischer(13) und amerikanischer(16) Soldaten, die von der überbordenden Dankbarkeit der befreiten Zivilbevölkerung überwältigt wurden. Die Menschen warfen ihnen Blumen zu, versorgten sie mit Speisen und Wein, und Frauen jeden Alters schwärmten aus, um Küsse zu verteilen. Ein britischer Hauptmann erinnert sich an eine viergängige Mahlzeit, die ihm in seinem Jeep auf dem Sonntagsgeschirr serviert wurde – »leider setzte sich die Truppe in dem Augenblick in Bewegung, als sie die Liköre brachten«.4 Ein anderer wurde von einer »riesigen Frau« hochgehoben, die ihn an sich drückte, küsste und auf der Straße mit ihm zu tanzen begann: »Ich schwöre es: Meine Füße berührten in keinem Augenblick den Boden!«5

Manchmal artete die Begeisterung der Menschen und insbesondere der Frauen in eine Art von erotischer Raserei aus; ein Historiker bezeichnete derartige Szenen als eine Vierziger-Jahre-Version der Beatlemania.6 Aber für die meisten Leute war die Befreiung weniger eine erotische als vielmehr eine spirituelle Erfahrung. Der australische(2) Kriegsberichterstatter Alan Moorehead(1) beschrieb die »Hysterie« bei der Befreiung von Paris(1) als ein patriotisches Fieber: »Frauen hielten ihre Babys hoch, damit sie geküsst werden konnten. Alte Männer lagen sich in den Armen. Andere hockten auf der Straße und schluchzten hemmungslos. Manche standen einfach da und weinten vor Freude.«7

Für eine junge Niederländerin war der Anblick des ersten alliierten Soldaten eine beinahe religiöse(3) Erfahrung. Maria Haayen(1) lebte in Den Haag(1), als kanadische(1) Panzer in die Stadt rollten: »Mir sackte alles Blut in die Beine, und ich dachte: Hier kommt unsere Befreiung. Und als der Panzer näher kam, stockte mir der Atem, und der Soldat erhob sich – er war wie ein Heiliger.«8 Ein Niederländer(1) empfand es als »Privileg, wenigstens den Ärmel einer kanadischen(2) Uniform zu berühren. Jeder kanadische(3) Soldat war ein Christus, ein Erlöser«.9 Sogar Kriegsgefangene, die gelernt hatten, ihr Leid gleichmütig zu ertragen, gerieten bei ihrer Befreiung manchmal in eine geradezu spirituelle Ekstase. Ein ehemaliger Insasse des deutschen(10) Kriegsgefangenenlagers bei Colditz(1) beschrieb den Augenblick, in dem ein amerikanischer(17) Soldat den Hof betrat und den Gefangenen ihre Freilassung mitteilte:

Er war augenblicklich von einer Menschenmenge umringt. Die Männer schrien und jubelten und versuchten, sich zu ihm vorzudrängen, um ihn zu berühren und sich zu vergewissern, dass er tatsächlich lebte, und mit dieser Berührung das Wunder des Lebens wieder zu begreifen … Sie strömten hervor wie sprudelnde Quellen, sie flossen über, sie traten über ihre Ufer, sie stolperten ungehindert und unkontrollierbar. Franzosen(7) mit tränenüberströmten Gesichtern küssten einander auf beide Wangen – die Begrüßung zwischen Brüdern. Sie küssten den G. I., sie küssten jeden, der in Reichweite kam … In diesem wunderbaren Augenblick der Befreiung kam das Beste im Menschen zum Vorschein. Eine edle Symphonie des Großen Komponisten hatte ihr donnerndes Finale erreicht, und als der letzte triumphale Akkord zur Hymne der Völker anschwoll, sah der Mensch das Gesicht seines Schöpfers, der sich ihm zugewandt hatte, ein Bild der Zärtlichkeit, das sich für einen Augenblick in der Reinheit des ungehemmten Stroms der Freude und Dankbarkeit widerspiegelte. In einem solchen Augenblick besitzt der Mensch im Angesicht Gottes derart große Macht, dass sein Wille Berge versetzen kann.10

Im Mittelpunkt dieser mystischen Erfahrung steht der einzelne amerikanische(18) Soldat, der an jenem Tag in den Hof des Gefangenenlagers trat. Er ist der Überbringer der göttlichen Botschaft vom »Wunder des Lebens«. Als Repräsentant der siegreichen Alliierten(3) ist er ein Held, und mehr noch: Er ist ein Messias.

In den Jahren, die seit dem Zweiten Weltkrieg(27) verstrichen sind, haben sich Briten(14) und Amerikaner(19) oft dazu hinreißen lassen, all das für bare Münze zu nehmen. Das Selbstverständnis der Alliierten(4) als »Freiheitskämpfer« ist eine bedeutsame Hinterlassenschaft des Weltkriegs. Sie betrachten sich als die Völker, die »den guten Krieg« führten oder sogar die »größte Generation hervorbrachten, die je aus einer Gesellschaft hervorgegangen ist«.11

Die Sozialwissenschaftler haben die Neigung nationaler Gruppen studiert, sich selbst zu den Großartigsten, Gerechtesten oder Besten zu erklären, wobei diese Selbstüberhöhung oft ein Ausmaß erreicht, das bei einem einzelnen Menschen größenwahnsinnig wirken würde.12 Der Zweite Weltkrieg(28) hat den siegreichen Nationen erlaubt, diese Neigung zu einem neuen Extrem zu treiben. Am 50. Jahrestag des alliierten Siegs verkündete US-Präsident Bill Clinton(1), jeder Amerikaner(21), der im Krieg gedient habe, verdiene bleibende Verehrung: »Ungeachtet des Rangs waren alle Soldaten, Flugzeugbesatzungen, Seeleute, Krankenschwestern und Ärzte Helden«. Obendrein sprach er von »Millionen Helden an der Heimatfront«. Diese Millionen Helden hätten nicht einfach einen Krieg gewonnen, sondern »der Welt gedient« und später durch ihr fortgesetztes Heldentum nicht nur »dem Westen ein halbes Jahrhundert der Sicherheit und des Wohlstands gebracht«, sondern obendrein auch »unsere früheren Feinde ins Leben zurückgeholt«.13

Es gibt zahlreiche Beispiele für Amerikaner(22) – sowohl Demokraten als auch Republikaner –, die sich selbst und ihre Kriegsgeneration verherrlichen. Vielleicht interessanter ist die Tatsache, dass sich, wenn es um den Zweiten Weltkrieg(29) geht, viele andere Völker weiterhin verpflichtet fühlen, dieses Selbstverständnis der Amerikaner zu bestätigen. Am 60. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie(1) dankte der französische(8) Präsident Jacques Chirac(1) den Amerikanern nicht nur für die Befreiung seines Landes im Jahr 1944 – was durchaus angemessen war –, sondern bezeichnete sie als »legendäre Helden«, die »den Lauf der Geschichte geändert« hätten. Sie hätten »der Menschheit neue Größe verliehen« und »das Bewusstsein der Menschheit auf eine höhere Ebene gehoben«. Sechs Jahrzehnte nach Kriegsende wurde der einfache amerikanische Soldat noch immer als Heilsbringer verehrt.14

Das Problem mit dem heroischen Ideal ist, dass es vollkommen unmöglich ist, ihm gerecht zu werden. Veteranen wie Leonard Creo(15) wissen das. Die Alliierten(5) haben eine stattliche Zahl von Menschen hervorgebracht, die dem Stereotyp des tapferen und selbstlosen Kämpfers entsprachen; aber es gab auch Millionen Menschen, die am Krieg teilnahmen, ohne dass ihr Mut jemals ernsthaft auf die Probe gestellt worden wäre. Köche und Bürohilfen verdienen genauso viel Respekt wie alle anderen Menschen – aber kann man sie als »Helden« bezeichnen? Und was ist mit den Männern, die im Kampf tatsächlich auf die Probe gestellt wurden, der Situation aber nicht gewachsen waren? Allein auf dem europäischen(21) Kriegsschauplatz desertierten rund 150000 britische(15) und amerikanische(23) Soldaten, und mehr als 100000 Männer mussten wegen psychischer Überlastung behandelt werden, weil sie nicht in der Lage waren, den Stress auf dem Schlachtfeld zu bewältigen.15 Diese Männer waren zweifellos keine »legendären Helden«, aber wenn man sie von der Definition ausnimmt, die so großzügig auf sämtliche alliierten Soldaten angewandt wird, was waren sie dann? Zweifellos haben jene unter uns, die nie mit der Aussicht auf einen gewaltsamen Tod konfrontiert waren, kein Recht, ein Urteil über sie zu fällen.

So wie nicht alle alliierten Soldaten tapfer waren, waren sie auch nicht alle »edel« oder »ritterlich«. In der Normandie(2) war es alltäglich, dass alliierte Soldaten Häuser plünderten, Eigentum zerstörten, die Bevölkerung einschüchterten und Wertgegenstände stahlen. Eine Einwohnerin von Colombières(1) erklärte, die Befreiung des Orts durch kanadische(4) Einheiten sei zugleich ein räuberischer und zerstörerischer »Überfall« gewesen: »Die Männer stahlen und plünderten … Sie nahmen sich Kleidung, Stiefel, Vorräte, sogar Geld aus unserem Geldschrank. Mein Vater konnte sie nicht aufhalten. Möbel verschwanden; sie stahlen sogar meine Nähmaschine.«16 Ein britischer(16) Artillerist beobachtete erschüttert, wie seine Kameraden mutwillig das Haus eines Bauern zerstörten: »Anscheinend hatten dreihundert Deutsche(11) in der Umgebung gelebt und den Hof, das Vieh und die Wertgegenstände des Hauseigentümers respektiert. Konnte er nach seiner Rückkehr anders auf dieses empörende Verhalten reagieren, als seine Befreier zu verfluchen?«17 Aus anderen Berichten geht hervor, dass sich amerikanische(24) Soldaten genauso schlimm, wenn nicht schlimmer verhielten. Aus französischen(9) und belgischen(1) Polizeiakten geht hervor, dass die große Mehrheit der von alliierten Soldaten nach der Befreiung begangenen Übergriffe und Diebstähle sowie der Fälle von Trunkenheit auf das Konto von G. I.s gingen.18

Wenn die westeuropäischen(1) Frauen erwartet hatten, ritterlichen alliierten Soldaten zu begegnen, mussten sie manchmal feststellen, dass hier eine Armee kampferfahrener und sexuell frustrierter junger Männer einrückte, von denen die meisten gerade einmal volljährig waren. Allein der US-Armee werden 17000 Vergewaltigungen in Nordafrika(2) und Europa(2) in den Jahren 1942 bis 1945 vorgeworfen.19 Das ist nur ein Bruchteil der Millionen Frauen, die im Osten(1) des Kontinents von sowjetischen(5) Soldaten vergewaltigt wurden, aber es weckt erhebliche Zweifel am legendären Ruf der Amerikaner(26) als »Ritter in schimmernder Rüstung«.20

Die Briten(17) waren nicht besser. Yvette Lévy, eine französische(10) Jüdin, die aus einem Arbeitslager in der Tschechoslowakei(4) befreit wurde, berichtete: »Die Tommys waren genauso schlimm wie die (6)Russen(1). Ein Mann in Uniform verliert seine Würde. Die englischen(18) Soldaten sagten, sie würden uns nur zu essen geben, wenn wir mit ihnen schliefen. Wir litten alle an der Ruhr, wir waren ausgezehrt und schmutzig … und das war unsere Begrüßung! Ich weiß nicht, was diese Männer über uns dachten – sie müssen uns für wilde Tiere gehalten haben.«21

In Europa(22) taten die alliierten Soldaten manchmal schlimme Dinge, aber in Asien(4) und im Pazifikraum legten einige von ihnen ein verrohtes Verhalten an den Tag.22 Die Zivilbevölkerung in den asiatischen(5) Ländern freute sich zweifellos nicht immer über ihre Ankunft. In Birma(1), auf der Malaiischen Halbinsel(1) und in Singapur(1) waren viele Menschen über die Rückkehr der Briten(19) ebenso unglücklich wie die Osteuropäer(2) über die Rückkehr der Sowjets(7): In den Augen mancher Einheimischer nahm lediglich eine koloniale Besatzungsmacht den Platz der anderen ein. Auch waren die Einheimischen manchmal der Meinung, einen viel zu hohen Preis für die Befreiung zahlen zu müssen. Beispielsweise starben bei der Rückeroberung Manilas(2) rund 1000 amerikanische(27) und 16000 japanische(11) Soldaten – aber in der philippinischen(3) Zivilbevölkerung forderte die Offensive bis zu 100000 Opfer.23 »Ich spuckte den ersten amerikanischen Soldaten an, den ich zu Gesicht bekam«, erklärte eine Einwohnerin von Manila im Nachhinein. »Ich verfluchte ihn innerlich. Hier sind nur philippinische Zivilisten, und ihr habt euer Bestes getan, um uns zu töten.«24

Es gibt Tausende ähnliche Geschichten über Groll und Wut auf die Alliierten(6) – tatsächlich wäre es nicht schwierig, eine Geschichte der Befreiung zu schreiben, in der die Alliierten keine Heiligen, sondern Ungeheuer wären. Es geht hier keineswegs darum, die Leistungen der Alliierten zu schmälern oder ihre grundsätzlich guten Absichten infrage zu stellen, sondern lediglich darum, den Mythos zu entzaubern, sie seien Menschen ohne Fehler gewesen. Man sollte meinen, das liege auf der Hand, aber die emotionale Färbung der verbreiteten Vorstellung vom Krieg erschwert eine nuancierte Darstellung. Wir wollen selbst heute noch glauben, unsere Helden seien makellos gewesen. Wir sträuben uns instinktiv gegen jeden Hinweis darauf, dass sie manchmal auch selbstsüchtig, stümperhaft, ignorant, chauvinistisch und in Einzelfällen brutal gewesen sein dürften – dass sie menschlich waren. Unter dem Strich waren die alliierten Soldaten, die den Zweiten Weltkrieg(30) gewannen, weder Helden noch Ungeheuer, sondern normale Menschen wie Leonard Creo(16).

Die Illusion der Vollkommenheit der Alliierten(7) im Zweiten Weltkrieg(31) hat erhebliche Auswirkungen auf die Nachkriegswelt gehabt. Nachdem sie sich überzeugt hatten, einen »guten Krieg« geführt zu haben, hielten Briten(20) und Amerikaner(28) Ausschau nach einem weiteren guten Krieg. Damit will ich nicht sagen, dass sie bewusst Auseinandersetzungen gesucht hätten. Aber wenn sie in einen Konflikt gerieten, nutzten sie ihre Position als die Guten der Geschichte, um Militärinterventionen zu rechtfertigen.

Doch diese Einschätzung ist möglicherweise zu zynisch: Beide Länder wurden oft in Auseinandersetzungen hineingezogen, an denen sie sich eigentlich nicht beteiligen wollten, die sie jedoch zu ihrem Anliegen machten, weil sie sich der Welt gegenüber verantwortlich fühlten. Insbesondere die Vereinigten Staaten(29) sind immer wieder von der Weltgemeinschaft aufgefordert worden, als Weltpolizist in Konflikte einzugreifen. Entschließen sich die Amerikaner, ihre Pflicht zu erfüllen, so bringen sie den Mut dazu auf, indem sie sich in Erinnerung rufen, dass sie als Helden verpflichtet sind, wie Helden zu handeln.

Seit 1945 wurde bei fast jedem Kriegseinsatz Großbritanniens(21) und der Vereinigten Staaten(30) der Heroismus dieser beiden Länder im Zweiten Weltkrieg(32) heraufbeschworen. Als im Juni 1950 der Koreakrieg(1) ausbrach, rief Präsident Harry S. Truman(1) in seinen Fernsehansprachen und Reden im Kongress den Amerikanern wiederholt das Jahr 1945 in Erinnerung.25 Sowohl Präsident John F. Kennedy(1) als auch sein Nachfolger Lyndon B. Johnson(1) verglichen die »starken jungen Amerikaner«, die in Vietnam(2) im Einsatz waren, mit der »Legion amerikanischer Helden«, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte.26 Und während des Falklandkriegs(1) im Jahr 1982 übernahmen britische Journalisten den Diskurs von Margaret Thatcher(1), die den Heroismus der britischen Streitmacht mit dem früherer Helden gleichsetzte, die »das Empire(22) errichteten« und »den Zweiten Weltkrieg gewannen«.27

Dieses Verhalten ist keineswegs ungewöhnlich. Fast alle Nationen greifen auf ihre Vergangenheit zurück, um ihr gegenwärtiges Verhalten zu rechtfertigen. Briten(23) und Amerikaner(31), die sich als die größten Helden des größten Krieges betrachten, können lediglich auf mehr positive Erinnerungen zurückgreifen als die meisten anderen Völker.

Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie die Amerikaner(32) dabei vorgehen, lieferte Präsident Ronald Reagan(1) im Juni 1984. Am 40. Jahrestag der alliierten Landung hielt Reagan(2) an der Küste der Normandie(3) eine Rede, in der es nicht weniger um den Kalten Krieg(3) als um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg(33) ging.

Er begann mit einer vertrauten Beschwörung des Mythos vom Zweiten Weltkrieg(34) als Titanenkampf zwischen den Kräften des Guten und des Bösen:

Wir sind hier, um uns an den Tag zu erinnern, an dem die alliierten Armeen ihre Kräfte bündelten, um für diesen Kontinent die Freiheit zu erkämpfen. Vier lange Jahre hatte ein furchtbarer Schatten über weiten Teilen Europas(23) gehangen. Freie Völker waren unter das Joch gefallen, die Juden(7) riefen in den Lagern verzweifelt nach Hilfe, Millionen sehnten sich nach der Befreiung. Europa(24) war versklavt(3) worden, und die Welt betete für seine Rettung. Hier in der Normandie begann die Rettung. Hier standen die Alliierten(8) und kämpften in einem gewaltigen Unternehmen, das seinesgleichen in der Menschheitsgeschichte sucht, gegen die Tyrannei.28

Ein ums andere Mal zeichnete er ein idealisiertes, mythisches Bild der makellosen alliierten Helden: »Dies waren die Streiter, die halfen, den Kontinent zu befreien.« »Dies waren die Helden, die den Krieg zu beenden halfen.« »Jeder Einzelne war tapfer an diesem Tag.« »Die Männer, die in der Normandie landeten, hatten die Gewissheit, das Richtige zu tun, die Gewissheit, für die Menschheit zu kämpfen, die Gewissheit, dass ihnen ein gerechter Gott an diesem oder dem nächsten Brückenkopf beistehen würde.« Die Alliierten(9), erklärte er, seien durch »Glauben und Überzeugung« motiviert worden, durch »Loyalität und Liebe« und durch das Wissen, dass Gott »ein Verbündeter in ihrem gerechten Kampf war«.

Als er etwa die Hälfte seiner Rede hinter sich gebracht hatte, wechselte Reagan(3) jedoch das Thema und kam auf die Entwicklungen nach dem Ende des Weltkriegs zu sprechen. Anders als die Amerikaner(33) »kehrten die sowjetischen(8) Truppen, die ins Herz dieses Kontinents vorgedrungen waren, nicht nach Hause zurück, als der Frieden wiederhergestellt war. Fast vierzig Jahre nach Kriegsende sind sie immer noch hier, ungeladen, unerwünscht, unnachgiebig«. Daher, so Reagan(4), müsse der amerikanische Heroismus beharrlich bleiben. Während die Sowjetunion(9) ihre Eroberungspolitik fortsetze, würden die Vereinigten Staaten weiter die Freiheit der europäischen(25) Demokratien verteidigen: »Wir fühlen uns heute durch dieselbe Loyalität, durch dieselben Traditionen und Überzeugungen gebunden wie vor vierzig Jahren … Wir standen damals an eurer Seite, und wir stehen heute an eurer Seite.«

Wenn man diese Rede hört, könnte man leicht auf den Gedanken kommen, der Zweite Weltkrieg(35) habe nie geendet. Es gibt eine direkte und explizite Verbindung zwischen »damals« und »heute«: Dieselben Kräfte des Guten kämpfen weiterhin gegen dieselben Kräfte des Bösen. Bedeutsam ist, dass der Feind nicht Deutschland(12) oder das NS-Regime ist, das Reagan(5) in seiner Rede nicht ein einziges Mal erwähnt. Der Gegner sind die sehr viel abstrakteren Kräfte der »Tyrannei« – der Terminus kann gleichermaßen auf Hitlerdeutschland wie auf die Sowjetunion(10) angewandt werden. Es ist, als wäre die Geisteshaltung des Juni 1944 in der Zeit eingefroren worden.

Wenn wir zwei Jahrzehnte weiterspringen, stellen wir fest, dass sich an der Rhetorik trotz gewaltiger Veränderungen in der Welt anscheinend nichts geändert hat. Im Jahr 2001 tauchte ein neuer Feind für die Vereinigten Staaten(34) auf: Nach dem Terrorangriff(1) vom 11. September 2001 zog das Land in einen »Krieg gegen den Terror«, der mit einer Militärintervention in Afghanistan(1) eingeleitet wurde. In dem Bemühen, sich die Unterstützung der Staatengemeinschaft zu sichern, zog Präsident George W. Bush(1) in einer Rede vor den Vereinten Nationen im November gezielt Parallelen zur Situation der USA im Weltkrieg:

Im Zweiten Weltkrieg(36) lernten wir, dass man sich nicht gegen das Böse abschotten kann. Wir stellten fest, dass einige Verbrechen so furchtbar sind, dass sie die gesamte Menschheit verletzen. Und wir entschlossen uns, dass man den Aggressionen und Ambitionen der Übeltäter frühzeitig, entschlossen und gemeinsam entgegentreten muss, bevor sie die gesamte Menschheit bedrohen. Das Böse ist wieder da, und wir müssen erneut für das Gute eintreten.29

Wenige Wochen später erklärte er in einer Rede, in der er die Anschläge vom 11. September direkt mit dem Angriff auf Pearl Harbor(2) verglich, die radikalislamischen(1) Terroristen(2) zu »Erben des Faschismus«.30

In den folgenden Monaten zog Bush(2) wiederholt Parallelen zwischen dem Zweiten Weltkrieg(37) und dem Krieg gegen den Terror(3). Er verglich die Bündnisse der USA mit deren Allianzen im Zweiten Weltkrieg. Er setzte die Standfestigkeit des amerikanischen Volks mit seiner Stärke in den vierziger Jahren gleich. Er bezeichnete seinen Außenminister, den General Colin Powell(1), sogar als moderne Version des Generals George Marshall(1), der das Ressort im Weltkrieg geführt hatte (damit stellte sich Bush implizit als modernen Roosevelt(2) dar).31 Aber das vielleicht beste Anschauungsbeispiel für sein Bemühen, seinen modernen Krieg mit dem »guten Krieg« von 1945 gleichzusetzen, liefert seine Rede am Memorial Day des Jahres 2002. Bush(3) entschloss sich, der im Weltkrieg gefallenen Amerikaner nicht in der Heimat zu gedenken, wie es seine Amtsvorgänger stets getan hatten, sondern an der amerikanischen Gedenkstätte in der Normandie. In einer mit biblischen Geschichten und Bildern gespickten Rede erinnerte er die Welt daran, dass die amerikanischen Soldaten damals gekommen seien, »um zu befreien, nicht zu erobern«, dass sie sich »für die Zukunft der Menschheit« geopfert hätten und dass sie »ein Licht in die Dunkelheit« jener Welt gebracht hätten. Das war gute Rhetorik, aber es war unfair gegenüber den amerikanischen Soldaten. Wie im Jahr 1945 wurde ihnen auch 2002 die unrealistische Rolle von Heilsbringern in Uniform aufgezwungen.32

Dass Politiker gerne Heroismus für ihr Land in Anspruch nehmen, ist keineswegs nur in Großbritannien(24) und den Vereinigten Staaten(37) zu beobachten, und dasselbe gilt für die wiederkehrenden Rückgriffe auf den Zweiten Weltkrieg(38). Die (11)Russen(2) stehen den Amerikanern in diesem Punkt nicht nach, und Präsident Putin(2) beruft sich ebenso gerne wie seinerzeit Präsident Bush(4) auf das Heldentum des russischen Volkes im Zweiten Weltkrieg (das er auch heranzieht, um seinen eigenen »Krieg gegen den Terror(4)« zu rechtfertigen).33 Auch die Chinesen(4) verweisen voll Stolz auf ihre Heldentaten im »Widerstandskampf des Volkes gegen die japanische(12) Aggression«, während sie den Mantel des Schweigens über den brutalen Bürgerkrieg breiten, der zur selben Zeit in China tobte.34 Die europäischen(26) Länder, in denen es im Zweiten Weltkrieg nennenswerte Widerstandsbewegungen gab, darunter Frankreich(11), Italien(2), die Niederlande(2), Norwegen(1) oder Polen(1), übertreiben den Heroismus ihrer Völker ebenfalls und beschönigen die Aktivitäten des Widerstands, die oft Gewalt, Verbrechen und gezielten Terror gegen die eigene Bevölkerung beinhalteten.35 Ich habe mich in diesem Kapitel nur aus einem Grund auf die Briten und Amerikaner konzentriert: An ihrem Heroismus im Zweiten Weltkrieg besteht bis zum heutigen Tag kein Zweifel. Sie sind die vielleicht interessantesten Beispiele, denn sie haben am meisten zu verlieren. Die Vereinigten Staaten sind auch die einzige »heldenhafte« Nation, die weiterhin weltweite Macht ausübt. Daher ist die Psychologie des amerikanischen Heroismus nicht auf die Amerikaner beschränkt: Dier Heroismus ist ein Problem, das uns alle betrifft.

Und wir haben es tatsächlich mit einem Problem zu tun. Helden können – ungeachtet ihrer Nationalität – derart in ihrem Selbstbild aufgehen, dass sie für ihre eigenen Mängel blind werden. Darüber hinaus neigen sie dazu, Fehler bei anderen zu sehen. Das Problem ist, dass Helden immer ein Ungeheuer brauchen, das sie bekämpfen können, und je vollkommener der Held ist, desto bedrohlicher muss das entsprechende Monster sein.

Das bringt uns zu einem weiteren wirkungsvollen Mythos, den uns der Zweite Weltkrieg(39) hinterlassen hat: Das Jahr 1945 schenkte uns nicht nur das vorherrschende psychologische Muster des Heroismus, sondern lieferte uns auch ein entsprechendes Muster des Bösen. Diese beiden Archetypen sind so eng miteinander verknüpft, dass wir oft nicht auf den einen Bezug nehmen können, ohne im selben Atemzug auch den anderen zu nennen. Ihre Wirkungen auf die Gesellschaft sind jedoch sehr unterschiedlich. Der Mythos des Helden kann gehaltlos sein. Aber wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, kann der Mythos des Ungeheuers die Gesellschaft regelrecht vergiften.