Montag, 5. August
Es ist schon drei Uhr in der Nacht, aber Lily kann immer noch nicht schlafen. Obwohl das Fenster weit offen steht, ist es stickig in ihrem Zimmer, und sie kommt einfach nicht zur Ruhe. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie Ben Kitto nicht erzählt hat, dass sie Sabines Handy hat, und als sie es wieder einschaltet, sind neue Nachrichten aus Lettland gekommen. Auf einem Foto sieht man eine Gruppe junger Leute in einer Bar, die ihre Biergläser prostend in die Kamera halten. Darunter steht auf Englisch »Wir vermissen dich!«. Sabines Freunde wissen noch nicht, dass sie nie mehr zurückkehren wird. Lily scrollt noch einmal durch die Nachrichten, bis sie zu denen kommt, die Harry verschickt hat. Deren intimer Ton ist ihr unangenehm. Er hat Sabine eingeladen, noch mal mit ihm aufs Meer rauszufahren, und versprochen, ihr die ganze Insel zu zeigen. In der Nacht ihres Todes enden die Nachrichten abrupt.
Lily lässt das Telefon auf ihr Bett fallen. Sie sollte es morgen der Polizei übergeben, aber dann würde Harry Ärger bekommen. Sie kann sich immer noch nicht sicher sein, dass ihr Bruder nichts mit Sabines Tod zu tun hat. In betrunkenem Zustand wird er zu einem anderen Menschen und neigt zu schrecklichem Jähzorn. Jeder auf der Insel weiß, dass er unzuverlässig ist. Wenn er im Pub war, fängt er Streit an, und auch wenn er sich später meistens entschuldigt, spielt sich immer wieder die gleiche Geschichte ab. Lily würde gern die Uhr zurückdrehen, zu einer Zeit, in der alles noch einfacher war, aber ihre und Harrys Kindheit ist vorbei. Morgen muss sie herausfinden, warum Sabine gestorben ist, ganz gleich, vor welche Herausforderungen sie das stellt.