Isla und ich treffen uns um vierzehn Uhr dreißig an der Zufahrt zum Star Castle Hotel. Die junge Constable schaut mich neugierig an, als sie neben mir steht.

»Ich brauche Ihre Hilfe bei der Befragung von Lily Jago. Sie wird jetzt wieder bei der Arbeit sein.«

Isla wirkt verunsichert. »Wird das nicht unangenehm, wenn sie über mich und Sabine Bescheid weiß, Sir?«

»Sie sind nun mal meine einzige weibliche Kollegin. Außerdem wird Lily sich mehr öffnen, wenn Sie dabei sind, ganz gleich, was sie erfährt.«

Die Situation ist natürlich nicht ideal, aber in einer so kleinen Gemeinschaft ist es unvermeidlich, dass die Polizisten mit den Leuten auf der Insel familiär oder freundschaftlich verbunden sind. Isla legt ein flottes Tempo vor, als wir auf das Hotelgebäude zugehen. Auch wenn ihr die Sache widerstrebt, bleibt sie ruhig, obwohl sie unter Druck steht.

Die Manager des Star Castle stehen beide an der Rezeption, als wir eintreten. Tom Polkerris lächelt zur Begrüßung, aber seine Frau blickt uns kühl an, so als ob sie uns lieber des Grundstücks verweisen würde. Als ich mich nach Lily erkundige, verweist Tom uns an die Küche, während Rhianna die Lippen aufeinanderpresst.

»Wie soll ich mich verhalten?«, fragt Isla mich leise.

»Ich stelle die Fragen, keine Bange. Bislang war Lily sehr verschlossen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich entspannt.«

Ich erspähe die junge Frau am anderen Ende der Küche. Sie poliert, über die Arbeitsfläche gebeugt, mit mechanisch wirkenden Bewegungen Besteck und lässt die Teile dann einzeln zurück in eine Holzkiste fallen. Ihr weißer Kittel scheint mehrere Nummern zu groß zu sein. Als wir sie aus dem Küchenteam herausgreifen, reagiert sie ängstlich, als würde sie am liebsten durch die Hintertür davonlaufen. Es kommt mir ungewöhnlich vor, dass ein extrovertierter Mensch wie Sabine ein so scheues Wesen zu ihrer Verbündeten gemacht hat. Als wir in den Garten hinaustreten, blinzelt Lily ins Sonnenlicht wie ein Maulwurf, der zum Luftholen hochkommt. Bis auf das leise Zischen des Rasensprengers, der das Gras smaragdgrün hält, ist es still in den Grünanlagen. Die junge Frau setzt sich auf eine Bank und schaut auf ihre verschränkten Hände hinab. Mir fällt auf, dass ihre Lippen knallpink geschminkt sind, was so gar nicht zu ihrem ansonsten eher unscheinbaren Äußeren passt.

»Bitte erzählen Sie uns noch ein bisschen von Ihrer Freundschaft zu Sabine, Lily.«

»Warum fragen Sie mich? Sie war bei allen beliebt.«

Lily zuckt verlegen mit den Schultern. »Ich muss ständig darüber nachdenken, aber das alles ergibt überhaupt keinen Sinn. Sie hätte es mir erzählt, wenn irgendwas los gewesen wäre.«

»Könnten Sie uns Sabine mit eigenen Worten beschreiben?«

»Sie war freundlich und witzig. Sabine hat immer Späße gemacht bei der Arbeit. Dann gingen sogar die langweiligen Arbeiten schnell vorbei. Das mochte ich mit am liebsten an ihr …« Sie verstummt.

»Wir wissen, dass sie vor kurzem eine neue Beziehung eingegangen ist. Sie haben nichts zu befürchten, aber wenn Sie wissen, wer derjenige ist, sagen Sie es uns.«

Die junge Frau schaut Isla fragend an und lässt dann den Blick sinken. »Ich glaube nicht, dass es irgendwer aus dem Hotel ist. Mr. Trewin hat ihr zwar Geschenke gemacht, aber sie hat versucht, sie ihm zurückzugeben.«

Isla beugt sich vor. »Wir wissen, dass er ihr Ohrringe geschenkt hat, gab es außerdem noch was?«

»Parfüm, glaube ich, und Riesentrinkgelder. Sie hat die Sachen draußen vor seine Tür gelegt, aber er hat sie ihr zurückgegeben, obwohl sie ihn nicht ausstehen konnte.«

»Was hat Sabine an dem Tag, an dem sie starb, gemacht?«

»Das weiß ich nicht genau, wir waren in unterschiedlichen Schichten eingeteilt.« Ihr verkrampfter Körper lässt sie sehr zerbrechlich aussehen, so als könnte ein kräftiger Windstoß sie davonwehen.

»Wir suchen nach Sabines Handy. Wissen Sie, wo es ist?« Sie schüttelt den Kopf, und ihr steigen Tränen in die Augen.

»Sie haben sich nur ein paarmal getroffen.«

Als Isla Lily leicht am Arm berührt, sinkt sie still weinend an ihre Schulter. Ich bin froh, dass meine neue Mitarbeiterin menschliche Wärme ausstrahlt. Ich bin nicht sonderlich gut darin, Hinterbliebenen Trost zu spenden, denn ich habe immer schnell Angst, übers Ziel hinauszuschießen. Als Lily sich schließlich von Isla löst, ist ihr Gesicht gerötet, doch sie hat ihre Gefühle wieder im Griff. Die nächsten Fragen beantwortet sie ruhig. Sie behauptet, Sabine hätte nie mit ihr über ihr Liebesleben gesprochen, was schwer zu glauben ist. Eine junge Frau müsste schon ziemlich tough sein, wenn sie sich so weit weg von zu Hause niemandem anvertraute. Ich würde zu gern wissen, warum Lily Jago so wortkarg ist, kann sie heute aber unmöglich noch weiter bedrängen. Ich bin schon drauf und dran, sie zu ihren Pflichten zurückgehen zu lassen, als sie schließlich doch noch etwas sagt.

»Ein Mann hat Sabine gleich bei ihrer Ankunft zum Essen eingeladen. Sie fand, dass er sauer wirkte, als sie Nein gesagt hat.«

»Wer war das?«, frage ich.

»Der Chef von meinem Bruder.«

»Paul Keast?« Ich weiß, dass mein Freund das alte Schnellboot renoviert hat, mit dem Harry Jago Fahrten zu den örtlichen Buchten unternimmt.

Als Lily nickt, muss ich meine Verblüffung verbergen. Paul hat nie erwähnt, dass er auf Sabine stand, dabei haben wir beim Training für den Schwimmwettbewerb alle viel Zeit miteinander verbracht. Ich kann mich nicht erinnern, wann er zuletzt eine ernsthafte Beziehung hatte. Ich habe

Als wir zurück zum Polizeirevier laufen, stellt Isla mir viele Fragen zu dem Fall; sie möchte unbedingt verstehen, wie Mordermittlungen ablaufen. Ich erkläre ihr, dass man seine Methoden der jeweiligen Situation anpassen muss, und sie saugt meine Antworten auf wie ein Schwamm. Ihr Wissensdurst bestärkt mich in der Überzeugung, dass sie eine gute Polizistin wird, doch ich bin zu sehr in Gedanken, um ihr weitere Auskünfte zu geben. Ich versuche, mich zu erinnern, wie Paul sich in Sabines Gegenwart benommen hat, doch seine Schüchternheit führt häufig dazu, dass er in Gesellschaft von Frauen befangen ist. Nachdem ich Isla am Revier abgeliefert habe, damit sie telefonisch überprüft, ob alle Insulaner in Sicherheit sind, wächst mein Unbehagen noch mehr. Liam Trewin zu verhören war einfach, aber wenn ich einen alten Freund wegen eines brutalen Mordes befragen muss, bewege ich mich weit außerhalb meiner Komfortzone.