Die Mienen meiner Mitarbeiter werden ernst, als ich ihnen erkläre, dass Jade Finbury vermisst wird, und dann noch hinterherschicke, dass ich gestern Nacht am Strand verfolgt wurde. Ich ermahne alle, auf ihre Sicherheit zu achten, wenn sie Streife gehen. Der Mörder könnte jeden von uns ins Visier nehmen, weil wir ihm in die Quere kommen, auch wenn er anscheinend eine Vorliebe für junge Frauen hat. Ich erzähle von Stuart Helyers Vermutung, der Satz hinten auf Sabines Foto könnte aus einem alten Volkslied stammen, aber für mich steht momentan die Suche nach der verschwundenen Pilotin an erster Stelle. Uns rinnt die Zeit durch die Finger. Ich möchte, dass am Abend, wenn der Täter offenbar am aktivsten ist, die Küste von St. Mary’s abgesucht wird.
Liz Gannick nickt, als ich sie bitte, die Überprüfung der restlichen Fahrzeuge aufzuschieben und sich stattdessen zuerst Leo Kernicks Wohnung vorzunehmen und anschließend Jades Haus und Grundstück kriminaltechnisch zu untersuchen. Ich bin fast sicher, dass die Pilotin verschleppt wurde, aber sie könnte auch verletzt irgendwo liegen. Lawrie und Isla sollen die Fingerabdrücke der Leute im Star Castle nehmen und dann durch Haus-zu-Haus-Befragungen herausfinden, wo Jade zuletzt gesehen wurde.
»Wenn der Mörder sie in seine Gewalt gebracht hat, bleibt uns nicht viel Zeit. Sabine wurde in der Nacht ihres Verschwindens getötet.« Ich zeige auf ihr Foto an der Magnetwand. »Diesmal weiß der Mörder, dass wir die Augen offen halten; das könnte erklären, warum Jade von zu Hause verschleppt wurde. Er versucht, uns zu irritieren, indem er anders vorgeht als die letzten beiden Male.«
»Glauben Sie, es kommt wieder ein Foto?«, fragt Eddie.
»Ich denke, schon«, antworte ich. »Der Täter berauscht sich an dem Gefühl, die Kontrolle zu haben. Wir müssen die Verbindung zwischen den Opfern finden.«
»Sie sind alle der gleiche Typ Frau«, sagt Isla.
»Wie meinen Sie das?«
»Sie sind alle superunabhängig. Sabine und Hannah hatten nie vor, hierzubleiben, und sie waren allein unterwegs. Jade war zudem in einer Männerdomäne erfolgreich. Sie ist durch die ganze Welt geflogen, bevor sie den Job auf St. Mary’s bekam.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Isla?«
»Vielleicht will der Mörder nicht, dass die Frauen wieder gehen.«
»Die Antwort könnte sogar noch einfacher sein. Leo Kernick möchte, dass Jade mit ihm zusammenlebt, aber sie weigert sich beharrlich. Könnte sein, dass er deshalb Aggressionen gegen Frauen entwickelt hat.«
»Leo kann nichts mit dieser Sache zu tun haben«, sagt Lawrie Deane und schüttelt heftig den Kopf. »Meine Frau hat ihm letztes Jahr den Auftrag gegeben, auf der Feier zu unserem Hochzeitstag zu fotografieren. Das ist ein netter Typ – der tut keiner Frau was zuleide – und schon gar nicht Jade. Er ist verrückt nach ihr.«
»Lassen Sie persönliche Loyalitätsgefühle außen vor, Lawrie. Wir alle haben Freunde auf der Liste der Verdächtigen, und sie bleiben so lange da drauf, bis wir Gründe haben, ihre Namen zu streichen. Nach allem, was wir wissen, hat Jade letzte Nacht mit ihm Schluss gemacht, und er ist ausgerastet. Wir müssen Verbindungslinien zwischen den Angriffen finden. Versuchen Sie, Zeugen aufzutreiben, wenn Sie von Haus zu Haus gehen. Hat noch jemand was?«
Isla hebt die Hand. »Ich habe weiter nachgeforscht, woher das Kleid kommt, das Sabine anhatte. Die letzte Besitzerin hat es vor zwei Jahren in Penzance gekauft. Sie hat es eine ganze Weile aufgehoben, dann aber letzten Monat zu Oxfam gebracht.«
»Hat der Oxfam-Laden nähere Informationen über den Käufer?«
Isla verzieht frustriert das Gesicht. »Sie konnten mir nur sagen, wann es gekauft und dass es bar bezahlt wurde. Der Mörder hat es sich letzten Mittwoch besorgt, vier Tage vor Sabines Tod. Die Frau, die den Laden ehrenamtlich betreibt, ist schon etwas älter und hatte an dem Tag viel zu tun. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, ob es an einen Mann oder eine Frau ging, und die Überwachungskamera ist ausgefallen.«
»Zumindest wissen wir jetzt, dass der Mörder letzten Mittwoch in Penzance gewesen sein muss. Bevor wir uns Kernicks Wohnung vornehmen, frage ich bei Julian Power nach, wer dort hin- und rechtzeitig wieder zurückgereist ist, um die Tat ausführen zu können.« Jetzt, wo wir eine konkrete Spur haben, kommt neue Energie in mein Team. »Sollte einer von Ihnen es mit jemandem zu tun bekommen, von dem er vermutet, dass er in die Sache verwickelt ist, sind Sie autorisiert, dessen Haus oder Wohnung zu durchsuchen. Es sei denn, derjenige verweigert seine Zustimmung. Wenn das der Fall ist, rufen Sie direkt bei der Staatsanwaltschaft an, um einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Und denken Sie daran, Isla: Ich möchte nicht, dass Sie allein arbeiten.« In der Miene der jungen Constable flackert Verärgerung darüber auf, dass ich sie als Einzige herausgegriffen habe, aber das kommt für mich nicht überraschend. Wenn ich von jemandem bevormundet werden würde, würde ich auch ein finsteres Gesicht ziehen. »Außerdem ändere ich meine Richtlinien zum Schutz alleinstehender Frauen auf der Insel. Ich möchte, dass sie bis zum Einbruch der Nacht in Hotels und Gästehäusern in Hugh Town untergebracht sind. Wie viele Frauen wohnen hier momentan allein?«
Deane blättert durch seine Notizen, dann antwortet er: »Dreiundzwanzig, aber einige davon sind schon vorübergehend zu Verwandten oder Freunden gezogen.«
»Dann suchen Sie die restlichen bitte auf und akzeptieren Sie kein Nein.«
»Was, wenn Sie sich weigern?«
»Dann nehmen Sie sie zu ihrer eigenen Sicherheit in Schutzhaft.«
Deane wirkt besorgt, als er mit Isla aufbricht. Insulaner neigen dazu, ihre Unabhängigkeit hochzuhalten, denn schließlich sind sie seit vielen Jahren auf sich selbst gestellt. Manche Frauen werden vielleicht Einwände geltend machen und zu Hause bleiben wollen, doch Jade Finburys Verschwinden beweist, dass wir kein Risiko eingehen dürfen.
Ich schaue durchs Fenster in den Hof, sehe aber nur nackten Beton und das sonnenbeschienene Fleckchen, wo Shadow gelegen hat. Mir kommt die Idee, dass derjenige, den wir suchen, meinen Hund entführt haben könnte, um mir eine brutale Botschaft zu übermitteln. Das Schicksal des Tieres ist jetzt nicht so wichtig, wie Jade Finbury zu finden, aber die Sache geht mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Der Gedanke, Shadow könnte für immer verloren sein, setzt sich in mir fest wie eine Klette, die man nicht loswird.
Ich rufe Frank Rawle an und bitte ihn, Liz Gannick zu Kernicks Wohnung zu begleiten und dann draußen Wache zu halten. Mein alter Schulleiter erscheint fünf Minuten später zum Dienst, ein Lächeln belebt sein kantiges Gesicht, die nur noch selten getragene Uniform ist makellos. Er wirkt überglücklich darüber, nun endlich in den Fall einbezogen zu werden, und seine Unterstützung erlaubt es Eddie und mir, sofort zum Kai aufzubrechen. Unter normalen Umständen macht mir das permanente Geplapper meines Deputy nichts aus, aber heute brauche ich Zeit zum Nachdenken. Es muss eine Gemeinsamkeit zwischen Sabine Bertans, Hannah Weber und Jade Finbury geben. Die Frauen waren im Alter zwischen neunzehn und vierunddreißig und selbstbewusst genug, um die Welt zu bereisen und ihre eigenen Ambitionen zu verfolgen. Aber warum sollten sie wegen ihrer Unabhängigkeit ein Angriffsziel für den Mörder darstellen? Ich muss herausfinden, weshalb er die Leichen seiner Opfer mit kornischen Eheringen und Goldmedaillons ausstattet, die die Fischer von St. Mary’s ihren Frauen geschenkt haben, denn ich glaube noch immer, dass seine Visitenkarten uns seine Motive vermitteln können. Er ist auf keinen Fall lediglich ein Gelegenheitstäter; den Taten eines Serienmörders liegt stets ein gemeinsames Thema zugrunde.
Der Kai ist normalerweise voll mit Besuchern, die auf die kleinen, zwischen den Inseln pendelnden Fähren warten, um zu den Abbey Gardens auf Tresco oder den unberührten Stränden von St. Martin’s zu gelangen. Doch heute ist der Coffee-Shop leer; nur einige wenige Insulaner beobachten, wie die Schiffe im Hafen auf den Wellen schaukeln. Zwei Kapitäne nähern sich uns mit finsteren Mienen, um sich über die Einstellung des Fährverkehrs zu beschweren. Sie werden langsam nervös, und wenn man, wie ich, eins dreiundneunzig groß und von kräftiger Statur ist, kann man sich nicht so leicht verstecken. Viele Familien hier sind abhängig von dem Geld, das die Touristen bringen. Trotzdem können die Schiffe erst wieder zwischen den Inseln verkehren, wenn der Mörder gefunden ist. Ich achte darauf, ruhig zu sprechen, während ich den Leuten erkläre, dass der Fall schneller gelöst wird, wenn sie uns unsere Arbeit tun lassen.
Die Stimmung scheint kurz vor dem Siedepunkt zu stehen wie die Sommerhitze, aber sie treten widerstrebend zurück und lassen Eddie und mich das Büro der Isles of Scilly Travel Company betreten. Auch hier herrscht für gewöhnlich hektische Aktivität, weil Reisende für die dreistündige Fahrt nach Penzance mit der Scillonian anstehen oder Inselbewohner auf Waren vom Festland warten, doch heute ist es hier menschenleer. Julian Power starrt auf seinen Computerbildschirm, als würde er in einen Abgrund schauen.
»Bitte sagen Sie mir, dass das Reiseverbot aufgehoben wurde«, sagt er. »Die Leute laden all ihren Frust bei mir ab, als könnte ich was dafür. Die wenigen Touristen, die noch hier sind, haben Probleme, weil ihre Versicherungen nicht für ihre Hotelrechnungen aufkommen wollen.«
»Sagen Sie ihnen, dass sich bald wieder alles normalisieren wird«, erwidere ich. »Können wir bitte mal Ihre Passagierlisten von letzter Woche sehen? Ich muss wissen, wer nach Penzance gefahren ist.«
»Ich fürchte, mein IT-System ist noch nicht wieder fit. Ich kann Ihnen die Anzahl der Reisenden pro Überfahrt nennen, allerdings keine Namen und Kontaktdaten. Die sind gelöscht worden, zusammen mit der Hälfte meiner Adressliste.«
»Sie können die Informationen nicht wieder herstellen?«
»Glauben Sie mir, ich habe es versucht, aber der Großteil unserer Software ist mit einem Virus infiziert.«
Er sieht verzagt aus. Ich kann allerdings nicht sicher sein, dass er die Wahrheit sagt. »Und was ist mit Ihnen, Julian? Waren Sie letzte Woche auf dem Festland?«
»Ich war zu Hause. Mein Assistent hat mich vertreten, während ich versucht habe, die IT wieder auf Vordermann zu bringen.«
Auf den Scilly-Inseln kommt es häufig vor, dass Internetverbindungen nicht funktionieren oder Rechner ausfallen, aber das jetzt ist eine Katastrophe. Jade Finbury könnte irgendwo auf der Insel versteckt sein, und wir sind unserer besten Chance, den Mörder zu finden, beraubt.
»Haben Sie denn inzwischen herausfinden können, welche Familie dem Museum die Seemannsglücksbringer gestiftet hat?«
»Ich habe das komplette Archiv durchforstet und keinen Hinweis gefunden; die Einträge sind genauso ein Chaos wie dieses verdammte Computersystem. Ich werde es noch mal versuchen müssen.«
»Wenn möglich bitte noch heute Abend, Julian. Ich brauche diese Information dringend.«
Ich danke Power, bevor wir wieder gehen, obwohl er uns schlechte Nachrichten im Doppelpack serviert hat. Draußen lehnt Eddie sich kraftlos ans Geländer, unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als zu warten, während ich am Flugplatz anrufe, um zu überprüfen, welche Inselbewohner letzte Woche nach Penzance geflogen sind. Im Sommer verlässt täglich ein halbes Dutzend Flieger St. Mary’s mit Ziel Land’s End, Newquay oder Exeter, doch die Liste der Fluggäste bringt uns nur bedingt weiter. Wenn der Mörder per Schiff zum Festland gereist ist, um das Brautkleid zu kaufen, befindet er sich im Moment außerhalb unserer Reichweite.
Während der Flughafenmanager seine Listen durchgeht, fällt mein Blick auf die glitzernde Meeresoberfläche. Auf einem Felsvorsprung neben der Bucht bewundert eine Gruppe von Spaziergängern das Gebäude der Seenotrettung, Möwen kreisen langsam über ihren Köpfen. Der Anblick ist so friedlich, als handelte es sich um eine Illustration in einer der Tourismusbroschüren für Cornwall, dabei wird die Schönheit der Insel gerade von erschreckend brutaler Gewalt befleckt. Der Flugplatzmanager leiert eine Reihe von Namen herunter, die ich in mein Notizbuch schreibe und dann Eddie zeige. »Diese Leute waren in Penzance, als das Kleid gekauft wurde, und rechtzeitig zurück, um die erste Tat ausführen zu können.«
Isla Tremaynes Name steht ganz oben auf der Liste, und ich frage mich sofort, ob es falsch war, unsere neue Constable im Team zu belassen. Tom Polkerris, der Hotelmanager, ist ebenfalls unter den Insulanern, die zum Festland geflogen sind, aber auch Steve und Paul Keast und Leo Kernick, der Fotograf. Als ich die Namen noch einmal durchgehe, sehe ich nur noch einen, den ich kenne: Elaine Rawle, die Frau meines ehemaligen Schulleiters. Jetzt, wo ich weiß, dass der Mörder das Kleid letzte Woche gekauft hat, werde ich jeden Einzelnen nach den Gründen für seinen Flug aufs Festland befragen müssen. Mich befällt Unbehagen, als mein Blick erneut auf die Namen der Keast-Brüder fällt. Ich werde sie erneut aufsuchen müssen, was unsere Freundschaft noch weiter belasten wird. Aber mein Hauptaugenmerk liegt noch immer darauf, Jade Finbury zu finden, bevor es zu spät ist.
Eddie wirkt erleichtert, als wir zu Leo Kernicks Wohnung aufbrechen, um nachzusehen, wie Gannick vorankommt – das ist eine klar umrissene Aufgabe, die zu einem Ergebnis führen wird. Seine Miene ist nachdenklich, während wir zum Haus des Fotografen in der Pilot’s Retreat gehen. Die Straße hat ihren Namen von den Seefahrern, die fremde Schiffe früher für Geld an den verborgenen Riffs rund um die Scilly-Inseln vorbeigelotst haben. Diese »pilots« genannten Lotsen wetteiferten um jeden einzelnen Job; sie ruderten, so schnell sie konnten, zu den wartenden Schiffen hinaus, und nur der Sieger kam zum Zug. Deshalb war eine Wohnung in der Nähe des Kais eine Grundvoraussetzung für diesen Beruf. Die Häuser der Lotsen haben sich in den letzten zwei Jahrhunderten kaum verändert. Sie sind aus dunklen Steinen erbaut und stehen dicht beieinander wie alte Frauen beim Tratschen. Frank Rawle hat sich mit durchgedrücktem Rücken vor Kernicks Haus postiert wie ein Wachsoldat im Dienst. Er sieht enttäuscht aus, als ich ihm für seine Hilfe danke und ihn nach Hause schicke; offenbar widerstrebt es ihm, ins Zivilleben zurückzukehren.
Die Wohnung im Erdgeschoss des Hauses verschafft Leo Kernick eine ideale Position zum Auskundschaften von Opfern; durch die Fenster kann er die Passanten sehen, die zum Old Town Beach oder zum Pulpit Rock unterwegs sind. Obwohl wir nur einen schnellen Blick ins Kernicks Haus werfen wollen, ziehen Eddie und ich uns sterile Schutzanzüge an und warten draußen, bis Gannick Plastikfolie auf dem Boden ausgelegt hat. Durch den Flur dringen seltsame Gerüche zu uns. Zigarettenrauch vermischt sich mit demselben Chemiegestank, den wir schon aus der Dunkelkammer des Fotografen kennen.
»Fassen Sie nichts an!«, befiehlt Gannick, als sie uns schließlich eintreten lässt. »Ich käme schneller voran, wenn Sie mich in Ruhe lassen würden.«
»Sie sind uns in zehn Minuten wieder los.«
Kernicks Flur macht einen unauffälligen Eindruck; er ist mit einem fadenscheinigen Läufer ausgelegt, an der Wand hängt ein Fahrrad. Auch das Schlafzimmer ist, abgesehen von seiner Kargheit, nicht weiter bemerkenswert. Darin stehen lediglich ein ungemachtes Doppelbett und ein Schrank, sonst kaum noch was. Aber als wir ins Wohnzimmer kommen, klappt mir die Kinnlade herunter. Zwei Wände sind vom Boden bis zur Decke mit Hunderten, sich teilweise überlappenden Fotografien behängt. Sie wirken erdrückend, und ich verstehe gut, warum Jade Finbury hier nicht wohnen will, auch wenn ihr lächelndes Gesicht das Erste ist, was mir ins Auge fällt. Auf den Bildern sind alle Hochzeiten und Taufen abgebildet, für die Kernick als Fotograf engagiert worden war. Auf Dutzenden Hochzeitsfotos sieht man Bräute und Bräutigame steif posieren. Einige wurden in den Kirchen der Insel aufgenommen, die Mehrzahl jedoch an schönen Flecken wie Holy Vale oder dem Star Castle. Ich bin noch ganz in diesen Anblick vertieft, als Eddie mich zur anderen Seite des Raums ruft.
»Schauen Sie mal hier, Boss!«
Er zeigt auf ein Bild von Hannah Weber. Die Journalistin blickt direkt in die Kamera, ihre Miene wirkt misstrauisch, so als wäre das Porträt gegen ihren Willen gemacht worden. Ich erkenne die Umgebung auf einen Blick. Diese Aufnahme wurde in der Nähe von Toll’s Island gemacht, aber ich weiß nicht, ob das Bild vor und nach ihrer Begegnung mit Pfarrer Michael entstanden ist.
»Vielleicht hasst er es, Hochzeiten zu fotografieren, weil Jade ihm immer wieder eine Abfuhr erteilt«, sagt Eddie.
»Haben Sie auch Bilder von Sabine entdeckt?«
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Rest des Raumes, während er weiter die Bilder betrachtet. Das Zimmer ist ein wenig verwahrlost, aber sauber, ein Regal quillt über von Kunstzeitschriften und Biographien berühmter Fotografen wie Cartier-Bresson und Annie Leibovitz. Für einen Mann, der gutes Geld mit dem Verkauf von Fotos an die Klatschpresse verdient haben muss, ist die Wohnung erstaunlich klein. Wegen der geschlossenen Fenster ist es hier drinnen heiß und stickig. Die Küche sieht ebenfalls ordentlich aus. Kernick hat die Oberflächen abgewischt, bevor er heute Morgen in sein Studio gefahren ist. Abgesehen vom Fotografieren scheint er ein ruhiges Leben zu führen und seine Zeit ganz der Kunst zu widmen, die er liebt. Liz Gannick wirkt betrübt, als ich sie frage, was sie gefunden hat.
»Ich brauche noch eine Stunde, aber bislang ist alles sauber«, sagt sie.
Während ich Kernicks Bad inspiziere, schreit Eddie plötzlich auf. Als ich zu ihm ins Wohnzimmer zurückgehe, zeigt er mit triumphierender Miene auf ein Foto, das fast vollständig unter einem größeren verborgen ist. Es ist eine Aufnahme von Sabine, die sie am Strand zeigt. Mit dem Polaroidbild, das ich von dem Mörder bekommen habe, hat es aber nichts gemeinsam: Die Nachmittagssonne scheint auf Sabines Gesicht, und ihre Miene ist vollkommen sorglos. Der einzige Hinweis, dass Leo Kernick irgendetwas mit den Verbrechen zu tun haben könnte, ist die Tatsache, dass er alle drei Opfer fotografiert hat. Hannah Weber hat es wohl am meisten widerstrebt, dass er ein Porträt von ihr gemacht hat. Sie steht mit dem Rücken zum Meer, ihre kurzen blonden Haare sind vom Wind zerzaust, und sie lächelt gequält.