Lily serviert einer Handvoll Gästen im Hotelrestaurant das Mittagessen. Im Speisesaal ist es kühler als draußen, weil die dicken Mauern der Festung die Wärme abhalten, trotzdem fühlen ihre Kleider sich eng und unbequem an. Da Liam Trewin nirgends zu sehen ist, kann sie an den einzelnen Tischen bedienen, ohne das Gefühl zu haben, dass er jede ihrer Bewegungen mit seinen intensiven Blicken verfolgt. Die Zeit vergeht wie im Flug, während sie hin und her eilt, doch ihre Gedanken wandern immer wieder nach draußen, und sie ist erleichtert, als die Gäste mit dem Dessert fertig sind. Jetzt kann sie endlich mit Tom Polkerris sprechen. Lily steht zögernd vor seinem Büro und probt, was sie ihm sagen will, bevor sie anklopft.
Polkerris ruft sie herein. Er scheint verlegen zu sein und klappt abrupt seinen Laptop zu, bevor sie sehen kann, woran er arbeitet. Erst als er aufsteht, wirkt er wieder ruhig. Er kommt auf sie zu und schaut sie besorgt an. Lily riecht sein teures Aftershave.
»Alles in Ordnung, Lily?«
»Ja, danke, Sir, aber ich möchte einen Tag freinehmen.«
Er ist überrascht. »Aber es ist noch gar kein freier Tag fällig. Strengt die Arbeit Sie so an?«
Vor lauter Angst kribbeln ihr die Handflächen. »Mein Bruder braucht meine Hilfe.«
»Macht er wieder Ärger?«
Sie senkt den Blick. Die Insel ist so klein, hier bleibt nichts verborgen. »Er hat sich das ganze Jahr bemüht.«
»Sie brauchen mir nichts zu erklären.« Polkerris’ Stimme klingt jetzt sanfter als zuvor. »Wie viele Tage wollen Sie denn freinehmen?«
»Bis morgen Abend, bitte.«
»Rhianna wird nicht erfreut sein, aber meinen Segen haben Sie. Können Sie heute am Abend bleiben und am Freitag früh den Dienst in der Küche übernehmen? Wenn die Fähren wieder verkehren, werden wir ein volles Haus haben.«
Lily strahlt ihn an. »Ich bin zur Frühschicht wieder da, Sir.«
»Es ist nett, dass Sie Ihrem Bruder helfen wollen, wenn andere ihn schon abgeschrieben haben. Das zeigt, dass Sie ein gutes Herz haben.« Polkerris kommt einen Schritt näher, sein Blick sucht ihr Gesicht ab. »Ich habe an Sie gedacht, Lily.«
»Bitte?«
»Warum habe ich mir nicht so eine liebevolle Frau wie Sie gesucht?« Er berührt ihr Kinn mit der Fingerspitze und schaut auf ihre Lippen. »Sie sollten lieber gehen, bevor ich noch eine Dummheit begehe.«
Polkerris’ Verhalten verwirrt Lily. Auch wenn sie schon das ganze Jahr in ihn verknallt ist, würde sie sich niemals in die Ehe von jemandem einmischen, und warum sollte er etwas für sie übrighaben, da er doch eine so schöne Frau hat? Sie verdrängt seine Worte und eilt zurück zu ihren Pflichten, auch wenn sie sich wünscht, sofort gehen zu können. Sie weiß, dass ihr Bruder versucht, Sabines Mörder zu finden, und sie möchte ihm helfen, damit sie wieder schlafen kann, ohne schlecht zu träumen.