Als ich Jade Finburys Haus verlasse, umfängt mich klebrige Hitze, und über mir schwirrt die nächste Drohne vorüber. Ich beiße die Zähne zusammen, als ich das wilde Klicken der aufmontierten Kamera höre. Die Presse muss stinksauer sein, weil sie von der Insel ausgesperrt ist. Der Tod einer hübschen jungen Osteuropäerin in einer entlegenen Ecke der Britischen Inseln weckt zwangsläufig ihre Neugier, und sie wird ihre mechanischen Spione zu Aufklärungsflügen hierherschicken, bis sie die Bilder hat, die sie sich so dringend erhofft.
»Blutsauger«, zische ich leise.
Das Medieninteresse an dem Fall ist meine geringste Sorge. Ich marschiere zurück nach Hugh Town und halte dabei erfolglos nach Shadow Ausschau. Das Meer ist unschuldig pastellblau, als ich die Küstenstraße erreiche; einigen fröhlich lachenden Kindern wird gerade beigebracht, wie man eine Eskimorolle macht. Die drückende Hitze bringt mich in Versuchung, ebenfalls ins Wasser zu waten, aber bis der Mörder gefunden ist, bleibt mir keine Zeit zum Schwimmen.
Bei meiner Ankunft im Revier ist Lawrie gerade dabei, Zeugenaussagen durchzusehen, und Isla kommt gerade von ihrer Fußstreife zurück. Vielleicht hätte ich sie doch von dem Fall abziehen sollen, nachdem sie mir von ihrer Nacht mit Sabine erzählt hat, um uns beide unangenehme Situationen zu ersparen. Ich möchte sie nicht noch einmal befragen, aber mir bleibt keine andere Wahl. Als ich sie um die Nummer ihres Kieferorthopäden bitte, leitet sie sie mir ohne ein Wimpernzucken von ihrem Handy weiter. Sie steht noch immer auf der Liste der Verdächtigen, die ich im Kopf mit mir herumtrage, und die stimmt nicht ganz mit der Liste von drei Dutzend Insulanern ohne wasserdichtes Alibi überein, die ausgedruckt an unserer Tafel hängt.
Das Team hört schweigend zu, als ich von Harry Jagos Weigerung erzähle, mir zu sagen, wer ihn attackiert hat. Der junge Mann bleibt für uns eine Person von besonderem Interesse, aber nur weil Rhianna Polkerris berichtet hat, Sabine kurz vor ihrem Tod in seiner Begleitung gesehen zu haben. Viele Leute auf der Insel scheinen ihn für gefährlich zu halten, aber ich habe keinen konkreten Beweis dafür, dass er in den Fall involviert ist.
»Bei dem Chaos, das in Harrys Leben herrscht, bezweifle ich, dass er solche komplexen Verbrechen begehen könnte.«
Deane schüttelt den Kopf. »Ich hab ihn im Mai mal wegen einer Schlägerei festgenommen. Als ich ihn am nächsten Morgen wieder aus der Zelle gelassen habe, war er immer noch betrunken.«
»Was wollen Sie damit sagen, Lawrie?«
»Der Kerl ist völlig außer Rand und Band. Ich wette, er ist gewalttätig genug, um jemanden umzubringen.«
Isla fragt: »Wo sollte er denn das Geld für ein schickes Brautkleid her haben?«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass er was klaut«, antwortet Deane. »Vielleicht hat er es ja einfach mitgehen lassen. Der Junge ist so verkorkst, der würde auch ohne guten Grund um sich schlagen.«
»Wir haben keinerlei Beweis gegen ihn.« Plötzlich kommt mir eine andere Idee. »Aber es stimmt natürlich, dass Jago unser einziger verurteilter Dieb ist. Vielleicht hat der Mörder ihn dafür bezahlt, dass er den Schmuck aus dem Museum stiehlt.«
Ein Typ wie Julian Power könnte so wild darauf sein, seine Sammlung zu erweitern, dass er auch für Diebesgut bezahlt. Aber warum sollte ein so pingeliger Typ wie Power Jade Finbury überfallen und ihr Blut auf ihrem Küchenboden verteilen? Ich muss Power bald noch mal zu Hause besuchen, damit ich diesen Gedanken zu den Akten legen kann. Ich bitte Isla, weitere Freiwillige für die Suche nach Jane Finbury zusammenzutrommeln, die um achtzehn Uhr beginnen soll, und dann zu überprüfen, ob alle alleinstehenden Frauen auf der Insel an einem sicheren Ort untergebracht sind.
»Es sind nur noch zwei Namen auf der Liste, Sir.«
Mein Mut sinkt, als sie mir ihren Zettel reicht. Die eine Frau ist eine ältere Witwe, die seit dem Tod ihres Mannes allein lebt, und die zweite ist, wie ich befürchtet habe, Nina Jackson.
Lawrie und Isla organisieren eifrig den Suchtrupp, als ich genervt in den Transporter steige. Ich bin immer noch verärgert, als ich in nördlicher Richtung an den gepflegten Weiden von Trewince vorbeifahre und die Schafe vor dem Lärm des Wagens fliehen. Die alte Dame wohnt auf dem höchsten Punkt der Insel, gegenüber vom Telegraph Tower. Das Gebäude hat mich als Kind fasziniert, weil es aussieht wie ein im Landesinneren gelegener Leuchtturm. Vor hundert Jahren war der Turm der einzige Ort, an dem die Telegrammsignale empfangen werden konnten, heute beherbergt er den örtlichen Radiosender, dessen DJ das Kunststück gelingt, genügend Ortsnachrichten auszugraben, um die zweitausend Bewohner der Scilly-Inseln die ganze Woche damit zu versorgen.
Am späten Nachmittag halte ich vor dem Haus der Witwe. Sie schaut mich verdutzt an, als sie an die Tür kommt. Ihr Hörgerät ist kaputt, was erklärt, warum sie nicht ans Telefon gegangen ist. Es dauert nicht lange, bis sie einwilligt, ein paar Sachen zu packen und mit dem Taxi zum Star Castle zu fahren. Tom und Rhianna nehmen Insulaner für eine Nacht umsonst auf, und die alte Dame steigt freudig ins Taxi, so als wäre es schon lange ihr Traum gewesen, einmal in einem Luxushotel zu übernachten.
Dass Nina auch so begeistert reagieren wird, ist kaum zu erwarten. Als ich die Watermill Cove erreiche, ist sie nirgends zu sehen, aber ich werde von vertrauten Klängen empfangen. Ein Teil meiner Anspannung löst sich, als ich Shadows Knurren erkenne. Er steht an der Hintertür und bellt aus Leibeskräften, dann rennt er über den Rasen auf mich zu und springt mich an, als hätten wir uns ein ganzes Jahr nicht gesehen.
»Warum läufst du erst weg, wenn du dich doch freust, mich zu sehen, du Höllenhund?«
Der Hund winselt laut, als versuchte er, es mir zu erklären, bis Nina erscheint. Grinsend beobachtet sie, wie Shadow schwanzwedelnd vor mir steht und sich dann auf den Rücken rollt, damit ich ihm die Brust kraule.
»Shadow ist gestern Nacht hier aufgekreuzt«, sagt sie. »Er hat sich seltsam aufgeführt und mich angeknurrt, sobald ich mich der Haustür genähert habe. Erst heute Morgen hat er mich rausgehen lassen.«
»Warum hast du mich nicht angerufen?«
»Ich hatte mein Handy im Auto vergessen, aber er hat jedes Mal, wenn ich die Hintertür aufmachen wollte, wie verrückt gebellt.«
»Klingt, als hätte er Wachdienst gehabt.«
Jetzt, wo er mich begrüßt hat, stellt der Hund sich wieder neben Nina. Sie war schon während unserer kurzen Beziehung sein Liebling, aber wie hat er sie bloß gefunden? Wenn er nicht so launenhaft wäre, wäre er ein hervorragender Spürhund. Ich wappne mich für einen Streit, als ich Nina eröffne, dass sie in die Stadt ziehen soll, bis der Mörder gefunden ist. Sie schaut mich zerstreut an; ihr blassgrünes Sommerkleid betont ihre Bräune, das Sonnenlicht setzt Glanzlichter auf ihr Haar. Es entsteht eine lange Pause, während sie über meine Aufforderung nachdenkt.
»Ich muss meine Wanderschuhe einpacken, damit ich heute Abend bei der Suche helfen kann.«
»Heißt das, du hast nichts dagegen?«
»Warum sollte ich? Du hast mir doch gerade erzählt, dass eine andere Frau überfallen wurde, als sie allein zu Hause war. Ich bin zwar gern allein, aber ich bin nicht verrückt. Gib mir fünf Minuten, ich packe schnell ein paar Sachen zusammen.«
Nina verschwindet mit Shadow im Haus, ich warte auf den Stufen davor. Mir dämmert, dass die beiden eine Menge Gemeinsamkeiten haben: Sie leben beide nach ihren eigenen Regeln. Der Hund will sie anscheinend nicht aus den Augen lassen. Schließlich kommt er heraus und checkt, ob die Luft rein ist. Aufmerksam umkreist er das Cottage und kehrt dann zurück. Er hat die Ohren aufgestellt, doch auf dem Fußweg, der zwischen Ulmen und Tamarisken zum Meer hinunterführt, ist niemand zu sehen. Ich kann verstehen, warum Nina diesen abgeschiedenen Ort liebt, aber Shadow ist weniger begeistert. Irgendetwas muss ihn letzte Nacht alarmiert haben, auch wenn die Gefahr nun vorbei ist. Der Hund springt vor Nina in den Transporter und setzt sich zwischen uns wie ein Anstandswauwau. Nina hat einen Rucksack bei sich und die Geige, die ihr Mann ihr wenige Monate vor seinem Tod geschenkt hat. Zwischen uns macht sich eine unbehagliche Stille breit, während wir die unebene Straße entlangzockeln.
»Ist meine Gesellschaft wirklich so schlimm zu ertragen, Ben?«, fragt sie.
»Ich bin doch gekommen, um dich abzuholen, oder?«
»Nur, weil es deine Pflicht ist.«
»Wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen.«
»Lass mich nur noch eines sagen: Es war falsch, dass ich einfach abgereist bin, ohne noch mal ausführlich mit dir zu sprechen. Das war feige von mir.«
»Deine Gründe waren absolut nachvollziehbar. Es war zu früh für dich, du hattest den Verlust von Simon noch nicht verwunden.«
»Aber ich hatte gehofft, wir könnten Freunde bleiben. Ich fände es sehr schade, wenn ich nicht mehr auf die Inseln kommen könnte.«
»Als ob du meinen Segen bräuchtest, um hierherzukommen.« Das klingt harscher, als ich wollte, doch es ist zu spät, ich kann meine Worte nicht zurücknehmen.
»Geh wenigstens noch was mit mir trinken, bevor ich am Sonntag abreise. Ich würde gern wissen, wie du das letzte Jahr verbracht hast.« Ninas direkter Blick gibt mir wieder einmal den Rest. Ihre Augen haben die Farbe des Bernsteins, nach dem ich als Kind in den Ferien den Strand abgesucht habe wie nach einem verschollenen Schatz.
»Keine Sorge, ich kann dir ohnehin nicht aus dem Weg gehen. Wir wohnen im selben Hotel.«
Die restliche Fahrt über sitzt sie wortlos neben mir. Als ich vor dem Star Castle halte und sie aussteigt, springt Shadow sofort ebenfalls aus dem Wagen, so als wären die beiden durch einen unsichtbaren Faden verbunden. Er bleibt auch dann bei ihr, als ich ihn zu mir rufe.
»Dann hast du ihn jetzt erst mal am Hals«, sage ich. »Er ist dein neuer Leibwächter.«
Ich beobachte Nina nachdenklich, wie sie mit der aufrechten Haltung einer Tänzerin davongeht und mein Hund ihr nachläuft wie ein liebeskranker Verehrer.
»Viel Glück, mein Freund. Vielleicht wirst du ja schlau aus ihr. Sie gehört ganz dir«, grummele ich, dann mache ich kehrt und fahre zurück zum Revier.
Da ich dort niemanden antreffe, habe ich Zeit, meinen Computer hochzufahren. Ich müsste mich dringend all der E-Mails von Insulanern annehmen, die wissen wollen, wann die Reisebeschränkungen aufgehoben werden, doch meine Gedanken kehren zu den Visitenkarten des Mörders zurück. Wenn ich herausfinde, welche Bedeutung sie haben, komme ich vielleicht dahinter, wie er tickt. Eine schnelle Internetrecherche ergibt, dass Seemannsglücksbringer eine Rarität sind. Außer unserem Museum hat nur noch das Pitt Rivers in Oxford eine Sammlung kornischer Amulette – von goldenen Medaillons bis zu winzigen Segelschiffen als Anhänger für Armbänder. Die meisten dieser Dinge wurden auf den Scilly-Inseln hergestellt. Ich starre auf den Bildschirm, bis mir die Augen weh tun, sehe jedoch nichts weiter als hübsche goldene Schmuckstücke, an die frisch verheiratete Seeleute die Hoffnung knüpften, dass sie mit Hilfe der Amulette durch Wind und Wetter zu ihren Frauen zurückgebracht werden. Es ist schwer, zu akzeptieren, dass dieselbe Person, die Sabine erwürgt hat, sich zu so zarten, sentimentalen Gegenständen hingezogen fühlt, es sei denn, die Taten wurden von zwei verschiedenen Menschen verübt.
Liz Gannick ist die Erste, die ins Revier zurückkommt. Ich sehe ihr an der Nasenspitze an, dass sie enttäuscht ist, weil sie in Jade Finburys Haus keine weiteren Spuren gefunden hat, aber der Blutfleck, den sie entdeckt hat, gibt mir die Gewissheit, dass die Pilotin verschleppt wurde. Irgendwie hat Gannick auch noch die Zeit gefunden, zu überprüfen, ob es irgendwelche Treffer für die vier verschiedenen Fingerabdrücke gibt, die sie in Sabines Zimmer isolieren konnte.
»Es gibt drei Übereinstimmungen.« Sie schaut auf ihre Liste. Lily Jago und die beiden Hotelmanager.«
»Tom und Rhianna?«
Sie nickt. »Die Fingerabdrücke sind an der Tür, am Nachttisch und am Stuhl.«
Und die vierten Abdrücke?
»Die stammen nicht von einem der Hotelangestellten. Ich werde sie durch die nationale Datenbank laufen lassen, aber es kann Stunden dauern, bis wir ein Ergebnis bekommen.«
Gannick hat die ganze Zeit geackert und kann trotzdem nur Ergebnisse liefern, die meinen Frust vergrößern. Es ist wenig überraschend, dass Lily Jago Zeit mit ihrer besten Freundin verbracht hat, und die beiden Hotelmanager sind natürlich berechtigt, sich in Sabines Zimmer aufzuhalten; wahrscheinlich inspizieren sie regelmäßig die Unterkünfte ihrer Mitarbeiter, um sicherzugehen, dass sie sauber gehalten werden. Ich gehe in Madrons Büro, schließe die Tür und fluche leise vor mich hin.