Sonntag, 4. August

Es ist neun Uhr, als ich die kleine Werft meines Onkels an der Ostküste von Bryher erreiche. Auf der anderen Seite des New-Grimsby-Sundes liegt die Insel Tresco grün schimmernd in der frühen Morgensonne. Stolz betrachte ich mein frisch lackiertes Boot, das am Pier festgemacht ist. Ray hat es letztes Frühjahr für mich entworfen, aber die Schreinerarbeiten und die ganze Plackerei habe ich selbst übernommen. Der Bowrider ist aus hochwertigem Zedernholz gemacht und fast sieben Meter lang. All meine Ersparnisse, meine gesamte Freizeit und der komplette Jahresurlaub von meinem Job als Deputy Commander der Inselpolizei sind dafür draufgegangen, aber das Ergebnis ist jede Minute dieser Fron wert. Ich habe mein neues Gefährt letzten Monat täglich benutzt, um zwischen St. Mary’s und Bryher zu pendeln, was bei der sengenden Sommerhitze eine helle Freude war. Das kleine, wendige Boot hüpft auf der einlaufenden Flut und zerrt an den Tauen, als könnte es gar nicht erwarten, in sein nächstes Abenteuer zu starten.

Kaum betrete ich den Pier, da taucht plötzlich auch mein Hund auf. Er war seit dem Morgengrauen verschwunden, und die Neigung, einfach wegzulaufen, ist nur eine seiner

»Was packst du denn da in den Laderaum?«, rufe ich.

»Sandwichs und Energydrinks; die wirst du später brauchen. Drei Stunden im offenen Meer zu schwimmen ist schon eine merkwürdige Art, seinen freien Tag zu verbringen.«

»Ich bin der geborene Masochist.«

»Muss wohl.« Er richtet sich auf, um mich anzuschauen. »Hast du denn inzwischen einen Namen für dein Boot?«

»Ich denk noch drüber nach.«

»Warte nicht zu lange, Ben. Es bedeutet Unglück, wenn man ein Schiff nicht tauft.«

»Ich wusste gar nicht, dass du abergläubisch bist.«

»Du bist der, der sich Sorgen machen sollte.« Er grinst träge. »Schließlich ist es dein Boot, nicht meines.«

»Fährst du heute? Dann kann ich schon mal in meinen Neoprenanzug steigen.«

Ray bückt sich, um den Motor anzulassen. Shadow steht bereits an Deck und schnüffelt in die Seeluft. Der Hund starrt mich lange mit seinen eisblauen Augen an; er macht mir Vorwürfe, dass ich erst so spät aufbreche.

»Es gibt heute Morgen starke Strömungen; das wird kein Spaß, um die Landzunge herumzuschwimmen.« Mein

»Sechs, es sei denn, du machst mit?«

»Nicht mal im Traum! Ihr seid ja nicht zu retten.«

»Wenigstens werden wir fit.«

Wir verbringen die kurze Fahrt in einvernehmlichem Schweigen. Das Wasser glitzert im Sonnenlicht, während wir an Trescos Westküste entlangflitzen. Im Hafen von New Grimsby liegen Dinghis, danach kommt der bleiche Sand der Saffron Cove in Sicht. Wir werden schneller, denn die Strömung zieht uns an der unbewohnten Insel Samson vorbei. Dort gibt es verlassene Häuser, denen Winterstürme schon vor hundert Jahren die Dächer geraubt haben. Shadow scheint das hohe Tempo zu genießen. Er steht, die Pfoten auf der Reling, mit heraushängender Zunge am Bug und lässt sich das graue Fell vom Wind zerzausen.

Die Silhouette von St. Mary’s füllt den Horizont aus, als wir nach Süden fahren. Mit ihren fast fünf Meilen Länge ist sie die größte der Scilly-Inseln und verglichen mit Bryher, wo ich geboren wurde, eine Metropole. Früher haben die Leute dort ihren Lebensunterhalt mit Blumenanbau und Fischerei verdient, aber heute sind die meisten vom Tourismus abhängig. Im Sommer kommen jeden Tag Tausende Tagesgäste, um die archäologischen Stätten der Insel zu bestaunen und in den kleinen, von Granitkliffs überschatteten Buchten ein Sonnenbad zu nehmen. Die zerklüftete Küstenlinie kommt bereits näher, und mir wird klar, dass mein Onkel recht hat: Ich muss verrückt sein, um zum ersten Mal am Insel-Schwimmwettbewerb teilzunehmen. Der brutale Marathon, bei dem die gesamte Küste von St. Mary’s

Die Gischt liegt kühl auf meinem Gesicht, als wir Garrison Point passieren, wo das Star Castle Hotel auf seinem Felsvorsprung thront, und ich kann es kaum erwarten, ins Wasser zu kommen. Seit meiner Kindheit liebe ich das Schwimmen im offenen Meer. Ich kenne die Gefahren, und doch freue ich mich schon darauf, ins kühle Nass springen zu können, sobald wir die Porthcressa Bay erreicht haben. Der Strand dort ist einer der schönsten von St. Mary’s. Bald wird das breite Hufeisen aus Sand mit Touristen übersät sein, die sich sonnen, bis sie tiefbraun sind, oder in dem Café mit Blick über den Strand Cappuccino trinken. Im Augenblick liegt der Strand noch verlassen da, wenn man von den vier anderen Schwimmern absieht, die sich die Taucherbrillen aufsetzen und ihr Aufwärmtraining absolvieren.

»Na, dann los!«, ruft Ray. »Das Wasser ist zu flach zum Anlegen.«

»Pass gut auf mein Handy auf, ja? Da ist mein ganzes Leben drin.«

Ich überreiche ihm mein Telefon und springe dann von Bord. Obwohl dieser Sommer sich zum heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung entwickelt, ist der Atlantik eiskalt. Der salzige Geschmack des Ozeans füllt meinen Mund, und sein Tosen lässt jedes andere Geräusch verstummen. Sobald ich wieder aufgetaucht bin, gereicht es mir zum

»Wo ist Sabine?«, rufe ich. »Ist sie heute nicht dabei?«

»Ich wette, sie kriegt heute nicht frei«, antwortet Steve. »Die Hotels sind brechend voll.«

Sie wird enttäuscht sein, dass sie das Training verpasst. Sabine verbringt nur diesen einen Sommer hier, aber sie hat sich voll in die Vorbereitungen für den Wettkampf gestürzt und schwimmt in jeder freien Minute. Eddie sieht aus wie ein blonder Sechstklässler, als er mich begrüßt; er strahlt vor Aufregung über die vor ihm liegende Herausforderung. Isla Tremayne wirkt weniger enthusiastisch. Sie ist einundzwanzig Jahre alt, ebenfalls von hier und ein burschikoser Typ

»Ich hab später noch Dienst. Vielleicht schwänze ich das Training und lege mich stattdessen in die Sonne«, sagt sie, als meinte sie es ernst.

»Pustekuchen«, antwortet Eddie.

Der junge Sergeant packt sie an den Handgelenken und zieht sie mit sich, und wir anderen stürzen uns hinter den beiden ebenfalls ins Wasser. Wenigstens sind die Gezeiten uns gewogen, denn die Strömung treibt uns nach Norden, sobald wir den Schutz des Hafens verlassen. Als ich einen Blick zurück an Land werfe, sieht der Küstenpfad aus wie ein sich schlängelnder, blassbrauner Wollfaden, der die Bäume und Wildblumen vom Strand trennt. Ray fährt sicherheitshalber fünfzig Meter hinter uns, für den Fall, dass einer von uns auf dem zweistündigen Weg zur Pelistry Bay Probleme bekommt. Das Rettungsboot erlaubt es mir, mich nur auf meine eigene Leistung zu konzentrieren, ohne mich um die anderen kümmern zu müssen. Ich achte lediglich darauf, meinen Rhythmus zu finden. Und nachdem meine Arme zehn Minuten lang das kalte Wasser durchpflügt haben, setzt ein Hochgefühl ein. Der Ozean singt in meinen Ohren, und Endorphine fluten meinen Körper, als wir die schwarze Silhouette von Nicholl’s Rock passieren, einer

Ich konzentriere mich darauf, mein Tempo zu steigern, und kraule stetig durch die Wellen, bis meine Oberschenkelmuskeln schmerzen. Jetzt schwimmen wir auf Dutchman’s Carn zu, eine Felsnase, die in Sicht kommt, als die Kliffs zu meiner Linken steil ansteigen. Der Rest des Teams hängt hinterher, bis auf Eddie. Als ich sehe, wie er sich durchs Wasser vorankämpft, muss ich lächeln. Mein Deputy brennt darauf, mich zu schlagen, und er hat den Vorteil, zehn Jahre jünger zu sein, aber ich werde mit allen Mitteln versuchen, vorn zu bleiben. Während ich Peninnis Head umrunde, kommt der Leuchtturm in Sicht. Auf den Felsen darunter streiten sich Möwen um Nahrung, deren Schreie sich mit dem Lärm des Meeres vermischen.

Als ich hochkomme, um Luft zu holen, ruft jemand meinen Namen. Ray winkt mir vom Boot aus zu und schwenkt die Arme, als würde er ein Winkeralphabet aufführen. Einer der anderen Schwimmer muss in Schwierigkeiten sein. Doch als ich mich umschaue, halten alle gut mit. Eddie ist zehn Meter von mir entfernt, dicht gefolgt von Isla und Steve, und Paul arbeitet sich von hinten an die beiden heran. Das Boot hebt und senkt sich mit jeder Welle, doch mein Onkel will unbedingt meine Aufmerksamkeit erregen. Als er zum

»Verflucht, ein Selbstmord.«

Ich zische diese Worte und rufe dann, so laut ich kann, nach Eddie und Isla. Anschließend schwimme ich schnellstmöglich an Land, obwohl dort nichts als die einsamste Art, aus dem Leben zu scheiden, auf uns wartet.