Lily kann nichts sehen, als sie die Augen öffnet. Eine Binde nimmt ihr die Sicht, und sie verspürt einen stechenden Schmerz in der Seite. Es riecht nach Schimmel, und auf ihrer Haut liegt ein feuchter Film. Beim Schlucken schmeckt sie Blut, aber sie hat keine Panik. Sie ist viel zu benommen, um normal empfinden zu können. Am liebsten würde sie aufstehen und ihre schmerzenden Glieder strecken, doch sie ist an Armen und Beinen gefesselt.
Als sie die Hände hebt, schrammt sie über eine raue Holzoberfläche. Die Bretter sind, nur wenige Zentimeter über ihrem Gesicht, von Nägeln zusammengehalten Die Luft wird mit jedem Atemzug dünner. Sie hat die Dunkelheit schon immer gehasst, auch wenn es bislang keinen Grund dafür gab; jetzt wird sie allerdings ersticken, wenn nicht bald jemand sie findet. Lily schreit um Hilfe, doch ihre Stimme ist nur ein leises Krächzen. Sie ist in einen selbst gemachten Sarg eingesperrt. Die Panik drückt ihr den Sauerstoff aus der Lunge, und sie atmet so schnell, dass sie ohnmächtig wird.
Als Lily das nächste Mal zu sich kommt, erlebt sie einen Moment der Klarheit: Wenigstens wird sie auf diese Weise erfahren, wer Sabines Mörder ist. Sie konzentriert sich darauf, langsam und flach zu atmen, bis ihr Brustkorb sich regelmäßiger hebt und senkt. Sie will wach sein, wenn der Mann zurückkommt. Das Gesicht ihres Bruders ist das Letzte, was sie vor ihrem inneren Auge sieht, bevor die Finsternis sie erneut verschluckt.