Lily hat keine Ahnung, wie lange sie in dem Kofferraum eingesperrt war, ihre Kehle ist vollkommen ausgetrocknet, und als der Mann sie wieder heraushebt, ist sie erschöpft. Schwer atmend trägt er sie eine Treppe hinunter und legt sie auf eine harte Oberfläche, die mit Plastikfolie bedeckt ist. Es klingt, als würde er Möbel verrücken, etwas Schweres wird über den Boden geschleift. Als ihr endlich der Knebel aus dem Mund genommen wird, hat sie viel zu viel Angst, um zu schreien. Ihre Stimme ist nur ein dünnes Wispern.

»Wenn Sie mich gehen lassen, sage ich niemandem etwas, das verspreche ich.«

Er bedeutet ihr zu schweigen, doch ihr entschlüpfen noch mehr Worte.

»Mein Bruder braucht mich. Bitte, Sie dürfen das nicht tu…«

Plötzlich legt sich eine Hand auf ihre Nase und ihren Mund und drückt so fest zu, dass sie keine Luft mehr bekommt. Lily ist kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, als die Hand schließlich weggenommen wird und sie wieder atmen kann. Die Hände berühren sie erneut, aber jetzt ist sie viel zu panisch, um etwas zu sagen. Sie wird auf einen Stuhl gesetzt. Nachdem sie so lange gelegen hat, wird ihr

Die Schritte entfernen sich, dann wird eine Tür zugeschlagen. Jetzt kann sie wieder frei atmen. Sie hat Angst, sich zu bewegen, doch das Seil sitzt so locker, dass sie ihre Hände innerhalb weniger Minuten befreit hat. Die aufgescheuerte Haut an ihren Handgelenken brennt, aber sie ist zu erleichtert, um sich daran zu stören. Als sie ihre Augenbinde wegzieht, blendet ein grelles Rechteck aus Licht sie. Lilys Blick wandert durch einen riesigen fensterlosen Gewölbesaal mit Backsteinmauern. Einzige Lichtquelle ist der Spiegel direkt vor ihr. Er ist von kleinen, hell leuchtenden Glühbirnen umgeben wie die Spiegel in Schauspielergarderoben. Auf dem Tisch davor liegen Schminkutensilien – Wimperntusche, Lidschatten und Grundierung. An dem Spiegel lehnt das Foto einer ihr unbekannten jungen Frau. Normalerweise meidet Lily ihr Spiegelbild; sie ist zu unscheinbar, als dass sie sich etwas auf ihr Äußeres einbilden könnte, aber jetzt hat sie keine andere Wahl, als sich zu betrachten. Ihr Gesicht sieht schmal aus, hohläugig und bleich vor Angst. Um sich nicht länger anschauen zu müssen, richtet sie ihren Blick auf einen Zettel, der auf dem Schminktisch liegt.

Darauf steht in einer schwungvollen Handschrift ein einziger Satz:

WENN ES DIR GELINGT, ZU DEM MÄDCHEN AUF DEM FOTO ZU WERDEN, LASSE ICH DICH LEBEN.