Eddie ist der Erste, den ich sehe, nachdem ich mich zurück nach oben geschleppt habe. Die Lichtleisten des Museums blenden mich. Harry Jago hat seine Schwester nach Hause gebracht, und Tom Polkerris werden wir – hoffentlich fürs Erste geläutert – zurück ins Hotel schicken. Die beiden Täter halten wir voneinander getrennt; bald werden sie sicher hinter Schloss und Riegel sitzen und langen Haftstrafen entgegensehen. Mein Deputy eilt aufgeregt auf mich zu.
»Nina geht’s gut, Boss, Isla ist jetzt bei ihr. Sie war mit dem Taxi zum Watermill Cottage gefahren, um sich dort mit den Besitzern zu treffen.«
»Warum ist sie dann nicht an ihr verdammtes Telefon gegangen?«
»Hat sie nicht gesagt.«
Erleichterung setzt ein, bis ich sehe, wie das Lächeln von Eddies Gesicht verschwindet. »Aber es gibt noch was, oder? Geht’s um Hannah Weber?«
»Alles andere kann warten. Jetzt müssen Sie erst mal zum Arzt.«
»Ich will es sofort wissen.«
»Es geht um Shadow, Boss.« Eddie starrt auf seine Hände. »Es tut mir leid, aber ich konnte am Ende nicht mehr für ihn tun, als ihn zu halten und zu beruhigen. Sie haben ihn totgeprügelt. Er war so schlimm verletzt, dass es vielleicht das Beste für ihn war.« Er verstummt.
»Wo ist er?«
Ich schiebe ihn zur Seite und blicke mich suchend nach meinem Hund um. Shadow liegt leblos auf dem Boden. Meine eigenen Schmerzen sind sofort vergessen, ich knie mich neben ihn. Jemand hat einen Mantel über ihn gebreitet, und er zeigt keinerlei Lebenszeichen, als ich seinen Namen rufe. Kein Tier könnte die brutalen Tritte gegen seine Brust überleben, die Elaine Rawle ihm verpasst hat; sein Herz muss sofort aufgehört haben zu schlagen.
»So ein elendes Miststück«, murmele ich leise.
Schließlich holt mich das ganze Grauen dieses Falles doch noch ein. Der Tod eines Hundes ist nicht mit zwei menschlichen Todesfällen und einem dritten Opfer zu vergleichen, das noch in Lebensgefahr schwebt, aber ich werde Shadows Intelligenz, seinen Eigensinn und seinen Mut nie vergessen. Ich ziehe den Mantel weg, um einen letzten Blick auf ihn zu werfen. Er fühlt sich kalt an, als ich ihn berühre, aber dann spüre ich ein rhythmisches Zucken unter meiner Hand. Es ist langsam und ungleichmäßig, kaum wahrnehmbar, aber besser als nichts.
»Bestellen Sie den Tierarzt her, Eddie!«, rufe ich. »Sein Herz schlägt noch.«
Sam Nancarrow, der einzige Tierarzt der Insel, trifft innerhalb von nur zehn Minuten ein. Er ist der älteste Sohn meiner Patentante, ein Kindheitsfreund von mir und erst vor kurzem auf die Inseln zurückgekehrt. Sam ist sichtlich schockiert über Shadows Verletzungen und untersucht ihn vorsichtig, bevor er ihm eine Spritze gibt und ihn nach draußen zu seinem Auto trägt.
Kaum schließen sich die Türen hinter ihm, da verlässt mich die Kraft, und meine Knie geben nach. Ich sinke zu Boden und lehne mich mit dem Rücken an eine der Vitrinen. Die Ereignisse dieser Nacht werden sich schon bald fest ins öffentliche Bewusstsein des Ortes eingeschrieben haben. Aber was auch immer jetzt geschieht, auf der Insel ist es wieder sicher. Die Bewohner von St. Mary’s können die ganze Nacht ohne Angst an ihren Stränden entlangspazieren. Ich spüre, wie die Anspannung des Tages von mir abfällt, als Eddie vor mir in die Hocke geht.
»Ihr Gesicht sieht schlimm aus, Boss. Ich bringe Sie jetzt ins Krankenhaus.«
»Nicht, bevor wir bei Frank Rawle waren.«
Mein ehemaliger Schulleiter öffnet uns völlig verschlafen in Pyjama und Bademantel die Tür. Als er hört, dass seine Frau aufs Revier gebracht wurde, ist er wie betäubt, und mir wird klar, dass Elaines Taten ein Schock für ihn sein werden. Seine Frau hielt sich oft noch spätabends im Museum auf; diesmal ist er eingeschlafen, bevor sie zurückgekommen war. Als ich ihn nach ihrer Beziehung zu Jeff Pendelow befrage, erklärt er, dass sie schon das ganze Jahr private Therapiesitzungen bei dem Psychologen besucht. Frank hat Elaine darum gebeten, bei Jeff Hilfe zu suchen, weil der Tod ihrer Tochter sie trotz der langen Zeit, die seither vergangen ist, nicht loslässt. Frank sieht entsetzt aus, als ich ihm erkläre, dass Elaine wegen Beihilfe zum Mord verhaftet wurde, und er am Morgen aufs Revier kommen muss, um eine Aussage zu machen.
Mein Deputy besteht darauf, im Krankenhausflur zu warten, während Ginny Tremayne mir einen Eisbeutel an die Wange hält, damit die Schwellung nachlässt. Wenigstens sind keine Knochen gebrochen. Aus dem Spiegel über dem Waschbecken starrt mir ein mit Blutergüssen übersäter, ernster schwarzhaariger Riese entgegen. Die Ärztin nimmt es mit Erleichterung auf, dass die Mörder fünf Tage, nachdem Sabine Bertans’ Leiche am Pulpit Rock hing, gefasst wurden. Und sie ist sichtlich stolz zu hören, dass ihre Tochter Isla tatkräftig an der Lösung des Falls mitgewirkt hat.
Sobald sie mich fertig behandelt hat, gehe ich durch den Flur zu Hannah Webers Zimmer. Darin ist es bis auf das blinkende Licht des Herzfrequenzmonitors dunkel. Als ich mich an ihr Bett setze, wirkt die Frau, als würde sie friedlich schlafen und nicht schwer verletzt im Koma liegen.
»Wir haben sie«, sage ich zu ihr. »Sie können nie wieder jemandem weh tun.«
Hannah Webers Lider flackern, und sie bewegt sich. Ich warte noch zehn Minuten, weil ich hoffe, dass sie wieder zu Bewusstsein kommt, doch als ich keine Anzeichen dafür erkennen kann, lasse ich ihr ihren Frieden.
Eddie bietet an, mich zum Hotel zu fahren, aber ich möchte lieber zu Fuß gehen. Der sintflutartige Regen hat aufgehört, und die Nachtluft ist trocken und salzig, während die Flut langsam aus dem Hafen von Hugh Town zurückweicht. Als ich durch den Sand auf den Garrison Hill zustapfe, werden die ehrwürdigen Mauern des Star Castles von Flutlichtern angestrahlt, und ich wünsche mir mit jeder Faser meines Wesens, Sabine Bertans hätte sich eine andere Insel für ihren Sommerjob ausgesucht. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde Jade weiterhin fliegen, und Hannah Weber wäre sicher zu Hause in Deutschland. Ich bleibe am Strand stehen, bis die Wellen über meine Füße schwappen und mir sagen, dass es an der Zeit ist, zu gehen.