Samstag, 10. August
Sonnenschein strömt ins Zimmer. Harry sitzt am Fußende des Bettes und schaut zu, wie Lily die Augen aufschlägt und sich rekelt. Der Schmerz in ihrer Seite hat nachgelassen.
»Wie spät ist es?«, fragt sie.
»Mittag. Du hast stundenlang geschlafen.«
Sie richtet sich auf. »Hast du mit der Polizei gesprochen?«
Harry nickt. »Sie sagen, es war zwar nicht richtig, dass ich nach Sabines Verschwinden auf eigene Faust nach dem Auto gesucht hab, aber ich bin auch ein Opfer und werde nicht belangt. Kitto will mich einmal die Woche sehen, bis ich eine feste Arbeit hab.«
»Ich wusste, dass dir nichts passiert.«
»Wie hast du’s geschafft, das alles durchzustehen?«
»Ich habe an all die Sachen gedacht, die ich noch machen will, bevor ich sterbe.«
Er lächelt zaghaft. »Du bist noch zu jung für solche Gedanken.«
»Aber alt genug für ein bisschen Ehrgeiz.« Als Lily wieder zu ihm hinschaut, zittern seine Hände. »Dir geht’s ganz schön mies, was?«
»Ein Bier würde jetzt helfen, aber es wird Zeit, dass ich die Finger von dem Zeug lasse.«
»Wir müssen beide einiges ändern. Ich liebe die Inseln, aber wir sollten wieder aufs Festland ziehen.«
»Wieso?«
»Irgendwas Gutes muss doch aus all dem entstehen«, antwortet sie. »Ich möchte zur Uni gehen, und du würdest da leichter einen Job finden.«
»Mach dir über so was jetzt erst mal keine Gedanken.« Er steht auf. »Hast du Hunger?«
»Und wie!«
»Dann dusch dich und leg dich danach wieder hin. Ich bring dir was zu essen.«
Als Lily vorsichtig aufsteht, erinnert der Schmerz in ihrem Rücken sie daran, was sie für einen Albtraum überlebt hat. Sie hätte sterben können wie Sabine und Jade. Ihr ganzer Körper bebt, als sie von der Erinnerung überwältigt wird und zu weinen beginnt. Dann stellt sie sich unter die Dusche, legt den Kopf zurück und lässt das heiße Wasser die letzten Reste abwaschen, die noch von dem Make-up einer anderen Frau auf ihrer Haut kleben.