Ich bin schon den ganzen Morgen auf dem Revier. Ich hätte auch im Hotel bleiben und meine Wunden lecken können, dann hätte Eddie sich die Geständnisse von Jeff Pendelow und Elaine Rawle angehört, aber dazu war ich zu neugierig. Lawrie Deane sieht völlig fertig aus, als er zu mir kommt. Er hat letzte Nacht hier Wache gehalten und alle Viertelstunde nach unseren beiden Häftlingen gesehen, doch es ist nicht die Müdigkeit, die ihn so quält.

»Jeff und ich waren befreundet. Ich war total oft mit ihm angeln«, erklärt er. »Er hat nicht ein Wort gesprochen, seit er geschnappt wurde.«

»Und Elaine?«

»Die Frau faselt die ganze Zeit. Irgendwas von wegen, sie wollte die Frauen doch nur hier festhalten, damit sie sie nicht verlassen. Sie mussten dafür büßen, dass ihre Tochter gestorben ist.« Deane zögert einen Moment. »Ich kann verstehen, dass sie ausgetickt ist. Wenn eines von meinen Mädchen sterben würde, würde ich auch durchdrehen. Keine Mutter und kein Vater sollte das durchmachen müssen.«

»Danke, dass Sie hier aufgepasst haben, Lawrie. Gehen Sie nach Hause und schlafen sie.«

»Nicht, bevor Sie den Mistkerl vernommen haben«,

»Sie sind beide schuldig, nicht nur er. Ist die Anwältin bei beiden Verhören dabei?«

»Die tut sich bestimmt selbst leid«, antwortet er. »Mary Tunstall vertritt eigentlich Jeff, aber bis ein zweiter Anwalt vom Festland da ist, ist sie auch bei Elaines Verhör dabei.«

»Dann lassen Sie uns anfangen.«

Ich schiebe meine Unterlagen zu einem Stapel zusammen, aber bevor ich sie vom Schreibtisch nehmen kann, höre ich Eddie plötzlich schreien. Als ich bei den Zellen ankomme, sieht es so aus, als könnte Jeff Pendelow doch noch eine dritte Braut für sich reklamieren. Elaine Rawle liegt auf dem Boden ihrer Zelle und blockiert den Eingang, so dass ich gezwungen bin, sie mit der Tür zur Seite zu schieben. Sie hat den Stoff ihres Kleides zerrissen und zu einer Galgenschlinge verknotet. Sie muss schnell gewesen sein. Die Wandtafel zeigt, dass nur zehn Minuten seit Eddies letztem Sicherheits-Check vergangen sind.

Ich bin erleichtert, als Elaine wieder zu sich kommt und nach Luft ringt. Ich möchte, dass die Familien der Opfer beide Täter verurteilt sehen. Bis zu ihrer Überstellung aufs Festland werden wir sie durchgehend bewachen müssen. Elaines Äußeres hat sich verändert, als ich sie zusammengesackt in ihrer Zelle zurücklasse, mit ihren zerfetzten Kleidern und ihren schlaff herabhängenden Locken sieht sie aus wie eine kaputte Puppe. Lawrie Deane postiert sich vor ihrer Zelle und lässt die Klappe offen, um einen weiteren Selbstmordversuch zu verhindern.

Es ist bereits früher Nachmittag, als Jeff Pendelow in Madrons Büro geführt wird. Seine Anwältin macht einen

»Deine Ischiasbeschwerden waren gespielt, hab ich recht? Du wolltest, dass es so aussieht, als wärst du zu schwach, um irgendwem etwas tun zu können.«

»Das ist nicht wahr. Ich hatte wochenlang Schmerzen.«

Ich schüttele ungläubig den Kopf. »Warum fängst du nicht mal ganz vorn an? Sag uns, warum du Sabine Bertans und Jade Finbury umgebracht und zwei andere Frauen attackiert hast.«

»Kein Kommentar.«

»Unsere Kriminaltechnikerin war den ganzen Morgen bei dir zu Hause. Sie hat Blutspuren in deiner Küche entdeckt, und deine Turnschuhe passen zu dem Abdruckprofil am Auffindungsort von Jades Leiche. Beweise, um dich hinter Gitter zu bringen, haben wir also genug, aber mich interessieren die Details.«

»Kein Kommentar.«

Pendelow scheint seine letzte Chance, Kontrolle auszuüben, zu genießen. Ich werde meinen Trumpf ausspielen müssen, um seine Abwehr zu durchbrechen.

»Deine Frau wird von deinen Eskapaden erfahren.« Über sein Gesicht huscht ein schockierter Ausdruck. »Das bricht ihr das Herz. An so was Schreckliches erinnert sich selbst jemand mit Gedächtnisproblemen bis in alle Ewigkeit.«

»Das wäre ein Akt monströser Grausamkeit«, sagt Jeff.

Tunstall weist ihren Mandanten im Flüsterton an, ruhig zu bleiben, doch Wut hat seine Abwehr geschwächt.

»Du wirst dich besser fühlen, wenn du es dir von der Seele schaffst, Jeff.«

Sein Blick wandert zum Fenster. »Elaine ist seit Jahren psychisch krank. Sie glaubt, dass Leah ihre Disposition zu Depressionen geerbt hat, die schließlich zu ihrem Tod geführt haben. Die Schuldgefühle sind der Grund für ihren psychischen Zusammenbruch. Vor einem Jahr, als ich Val gepflegt habe, habe ich angefangen, mir ihre endlosen Selbstvorwürfe anzuhören; dafür hat sie mir mit Val geholfen.« Seine Schultern sinken herab, und er kämpft mit den Tränen. »Sie hat sich so nett um meine Frau gekümmert, dass ich mich in sie verliebt habe. Ich hätte alles getan, worum sie mich bittet.«

»Auch gemordet?«

»Elaine wollte sich Vals Auto leihen, und ich habe es ihr überlassen, ohne nach dem Grund zu fragen, obwohl ihr Verhalten damals schon erratisch geworden war. Sie hat Frank weisgemacht, sie würde spätabends noch ins Museum gehen, und kam dann zu mir. Aber ihre Besuche hatten nichts Freudvolles. Sie wurde von schrecklichen Albträumen gequält, in denen Leah um Erlösung flehte. Die erste Frau hat sie am dritten August umgebracht, dem Datum, an dem ihre Tochter eigentlich heiraten sollte. Elaine glaubte, dass Leahs Geist dadurch Ruhe finden würde.«

»Erzähl mir, was in der Nacht passierte, in der sie sich das Auto geliehen hat.«

Er beugt sich vor, stützt sich auf die Knie und hält den

»Wie meinst du das?«

»Ihre Psychose faszinierte mich. Sie konnte in dem einen Moment vollkommen klar sein und im nächsten völlig umnachtet und verwirrt.«

»Sie ist keine Patientin von dir, Jeff. Erzähl mir, was passiert ist.«

»Elaine hatte mir schon häufiger von ihrer Sehnsucht erzählt, junge Frau hier festzuhalten und sie für immer mit den Inseln zu vermählen. Ich dachte, sie würde phantasieren, bis sie mir in jener Nacht Sabines Leiche im Kofferraum von Vals Wagen zeigte. Sie hatte Angst, weil Harry Jago plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie war davon überzeugt, dass er sie gesehen hatte.« Jeff reibt sich mit der Hand übers Gesicht, als würde er Worte von einer Tafel abwischen. »Elaine hatte in dem Gewölbe unter dem Museum schon alles vorbereitet. Einen Spiegel, Stricke und einen Stuhl. Sie wollte, dass die Frauen versuchen, sich in Leah zu verwandeln. Sie hat Polaroidfotos gemacht, bevor sie sie erwürgt hat, obwohl die Opfer um ihr Leben gefleht haben.«

»Du musst ihr geholfen habe, Sabines Leiche am Pulpit Rock aufzuhängen. Allein hätte sie das nie geschafft.«

»Sie hat mir gedroht, allen zu sagen, es wäre meine Idee gewesen, wenn ich es nicht tue.«

»Du hättest dich jederzeit verweigern können. Stattdessen hast du ihr geholfen, die Leiche am Kliff aufzuhängen.

»Vielleicht haben sich in meinem Verstand ebenfalls Risse aufgetan, als Val krank wurde, und durch die konnten Elaines Ideen dann leicht Einzug halten.«

»Komm schon, Jeff. Du bist der hellste Mensch, den ich kenne. Du hast irgendwas für dich da rausgezogen, sonst hättest du nicht weitergemordet. Warum hast du ausgerechnet Hannah und Jade ausgewählt?«

»Elaine hat sie ausgesucht, nicht ich. Leah wollte für immer hierbleiben, bis die Krankheit ihren Traum zerstört hat, zu heiraten, Musiklehrerin zu werden und eine Familie zu gründen. Elaine hat die jungen Frauen gehasst, die so mir nichts, dir nichts wieder weggeflogen sind und zu unabhängig waren, um sich an die Inseln zu binden.«

»Du leugnest also deine Verantwortung, abgesehen davon, dass du ihr geholfen hast, die Leichen zu präsentieren?«

Er schaut mich entnervt an, so als würde ich seine höhere Logik nicht begreifen. »Val war sehr schön, als wir geheiratet haben, aber ich habe sie dahinwelken sehen wie eine Blüte in der Hecke. Als sie weg war, verschwamm für mich die Grenze zwischen Gut und Böse. Religion, Politik, Moral – nichts davon war noch wichtig.«

»Die Frauen haben einen hohen Preis dafür gezahlt, dass dir dein Glaube abhandengekommen ist.«

Das Verhör dauert noch weitere zwanzig Minuten, aber er lässt sich auf keine Erklärung seiner eigenen Motive ein. Er behauptet, es sei Elaines Idee gewesen, auf jedes der Opferfotos eine Zeile aus einem der alten Hochzeitslieder der

Ich bin noch dabei, all diese Informationen zu verarbeiten, als ich das Verhör um siebzehn Uhr abbrechen muss und draußen im Flur auf DCI Madron treffe. Mein Boss sieht so gepflegt aus wie eh und je; seine grau melierten Haare sind ordentlich gekämmt, und er trägt Krawatte. Ich hatte ganz vergessen, dass er heute zurückkommen wollte. Mit ernster Miene bittet er mich in sein Büro. Sein Blick wandert über die Unterlagenstapel auf seinem Schreibtisch, die von Fotos überquellende Magnettafel und die Jacke, die ich über seinen Stuhl geworfen habe.

»Wie ich sehe, haben Sie den Raum in Beschlag genommen, Kitto.«

»Tut mir leid, Sir. Wir brauchten den größten Raum für unsere Einsatzbesprechungen.«

Er wischt meine Entschuldigung beiseite. »Eddie und Isla haben mir bereits die Details berichtet, aber ich will es aus erster Hand hören.«

Ich brauche eine halbe Stunde, um ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Mein Boss hört schweigend zu und umklammert dabei die Armlehnen seines Stuhls, als säße er in einem außer Kontrolle geratenen Zug.

»Das ist nicht ganz so katastrophal, wie ich befürchtet hatte«, sagt er dann. »Niemand hätte ahnen können, dass Jeff und Elaine dahinterstecken. Sie machten immer den Eindruck, anständige, aufrechte Bürger zu sein.«

»Danke, Sir.«

»Das war kein Kompliment.«

»Wenn Sie den Hinweisen nicht konsequent nachgegangen wären, wäre Lily Jago jetzt auch tot.« Sein Lächeln dauert nur eine Nanosekunde. »Ich werde die Fallakte noch mal genau durchsehen, bevor ich den Bericht für die Polizeibehörde schreibe.«

»Das Team hat bis zum Umfallen gearbeitet. Wenn Sie meine Leute nicht lobend erwähnen, kündige ich.«

DCI Madrons finsterer Blick kehrt zurück. »Solche Drohungen sind inakzeptabel, Kitto. Immer wollen Sie, dass alles nach Ihrer Nase geht.«

»Wer will das nicht?«

Die Atmosphäre zwischen uns ist angespannt. »Wenigstens ist Hannah Weber auf dem Weg der Besserung.«

»Seit wann denn das?«

»Sie hat heute Morgen ein paar Worte geredet. Angesichts ihrer Kopfverletzungen ist das offenbar ein gutes Zeichen. Ihr Freund ist auf dem Weg von Heidelberg hierher, danach wird sie ins Krankenhaus von Penzance geflogen. Dort gibt es eine gute neurologische Abteilung, also hoffen wir mal das Beste für sie.«

»Das freut mich sehr, Sir«, sage ich und stehe auf. »Ich muss jetzt Elaine Rawle verhören.«

Er schaut mich streng an. »Sie haben hier nicht mehr das Sagen, Kitto. Ich übernehme den Fall, und Sie kommen erst wieder, wenn die Verletzungen in Ihrem Gesicht verheilt sind. Sie sehen aus, als hätten Sie einen Boxkampf gegen Tyson Fury verloren.«