Um ein Uhr fahre ich, Shadow auf dem Rücksitz, zum Flugplatz im Osten der Insel; das Foto liegt bleischwer in meiner Tasche. Je nachdem, was der Gerichtsmediziner sagt, werde ich die Handschrift identifizieren lassen müssen. Ich fahre auf der Küstenstraße nach Norden und komme an Town Beach vorbei, wo die Fischerboote jetzt bei Ebbe im Schlick liegen. In Porth Mellon bummeln Touristen, Kameras über der Schulter und Eistüten in der Hand, über den Gehsteig. Sie sehen aus, als gehörten sie zu einem Paralleluniversum und wären blind für alle Arten von Gefahr. In den Lower Moors passiere ich Weiden, auf denen Schafe unter hohen Ulmen Schutz vor der heißen Sonne suchen. Die Zufahrtstraße zum Flugplatz säumen eigentlich Blumenfelder, doch die liegen im Moment brach; weit und breit ist nur hellbraune Erde zu sehen. Kaum etwas erinnert daran, dass die gesamte Landschaft hier noch vor wenigen Monaten voller leuchtend gelber Narzissen stand.
Ich komme genau rechtzeitig auf dem Parkplatz an, um zu sehen, wie das Zehnsitzer-Lufttaxi nach einer perfekten Landung über den Asphalt rollt. Sobald es seine Position erreicht hat, lässt der Betriebsleiter mich zu dem Flieger gehen. Die Pilotin, Jade Finbury, springt heraus, ihr Fluggast bleibt drinnen sitzen. Die brünette Frau ist Anfang dreißig und hat ein rundes, freundliches Gesicht, das zum Lächeln bestimmt zu sein scheint. Sie ist vor sechs Jahren gleich nach ihrer Ausbildung zur Pilotin aus London hierhergezogen. Jade hat sich problemlos an das Inselleben angepasst und einen Partner und Freunde in der Gemeinde gefunden. Ich kenne sie nicht näher, aber sie ist gut in ihrem Job; ich bin schon häufig mit ihr geflogen, wenn ich zu Schulungen aufs Festland musste.
»Ihr Gast hat viel Gepäck dabei, Ben. Soll ich einen der Träger holen?«
»Das wäre toll, danke.«
»Ist in meiner Abwesenheit irgendwas passiert?«
»Eine junge Frau ist zu Tode gekommen. Sie haben gerade die Chefkriminaltechnikerin von Cornwall hergeflogen, die uns unterstützen wird.«
Ihr Lächeln verschwindet. »Ist es jemand von St. Mary’s?«
»Heute Nachmittag um drei halten wir eine öffentliche Versammlung im Pfarrsaal ab, auf der wir die Einzelheiten bekannt geben.«
Sie schüttelt den Kopf. »Hier passiert nie was Schlimmes.«
»Kommen Sie zur Versammlung, Jade. Bis dahin wissen wir mehr.«
»Okay, ich werde da sein.«
Die Pilotin schaltet wieder in den Profimodus, greift nach ihrem Flughandbuch und überlässt es mir, Gannick in Empfang zu nehmen, während sie eiligen Schrittes zum Flughafengebäude marschiert. Ein kleiner Berg von Kisten und Boxen auf den vorderen Sitzen des Fliegers verdeckt den Blick auf die Chefkriminaltechnikerin. Noch bevor wir uns begrüßt haben, fängt sie an, mir mit ihrem nordenglischen Akzent lauthals Befehle zu erteilen.
»Ich hab unser mobiles Labor mitgebracht. Stehen Sie nicht untätig herum, die Sachen sind tonnenschwer.«
»Schön, Sie zu sehen, Liz. Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Warum brauchen Sie Hilfe bei einem Selbstmord, in Gottes Namen?«
»Das Mädchen war neunzehn Jahre alt. Ihre Eltern werden detailliert informiert werden wollen. Ich muss wissen, ob sonst noch jemand involviert war.«
Gannick sucht mein Gesicht nach Anzeichen von Panik ab und bildet sich bereits ein Urteil. Ich kämpfe gegen meinen Impuls an, ihr beim Aussteigen zu helfen, und schaue zu, wie sie sich, ihre Krücken schwingend wie ein Akrobat, leichthändig auf das Rollfeld manövriert. Sie hat mir von ihrer offenen Wirbelsäule erzählt, aber davon lässt sie sich selten bremsen. Sie sieht eher aus wie eine Studentin und nicht wie eine Leitende Tatortermittlerin. Ihre zierliche Gestalt steckt in einer engen Jeans und einem scharlachroten T-Shirt. Bei unserem letzten Zusammentreffen waren ihre kurzen Haare noch blondiert, jetzt sind sie rabenschwarz und, als besonderer Pfiff, mit neonpinken Strähnen durchsetzt. Ihre elfenhaften Gesichtszüge sind so zart und kantig, dass sie auch die einer Zwölfjährigen sein könnten, doch aus ihrem Blick spricht Lebensüberdruss.
»Dann hoffen wir mal, dass ich hier nicht meine Zeit verschwende.« Sie ist jetzt schon zappelig vor Ungeduld. »Worauf warten Sie? Am Tatort werden von Minute zu Minute mehr Spuren verwischt.«
»Es sind nur ein paar Meter von hier.«
»Haben Sie etwa den verdammten Hund im Wagen?«
»Er wird überglücklich sein, Sie zu sehen.«
Gannicks Abneigung gegen Shadow ist nur Show. Sie schimpft zwar über ihn, aber wenn sie sich unbeobachtet wähnt, steckt sie ihm teure Leckerlis zu. Ich habe erst bei einer Ermittlung mit ihr zusammengearbeitet, doch ihr Stil ist unverändert. Außerhalb der Dienstzeiten ist sie sehr gesellig, aber sie arbeitet in einem halsbrecherischen Tempo, und ihr brüskes Kommunikationsverhalten kann zarte Gemüter in Angst und Schrecken versetzen. Während ich dem Träger helfe, ihr Equipment in den Polizeitransporter zu laden, schaut sie mit säuerlicher Miene zu, so als ob die Kisten sich selbst transportieren sollten.
Die Forensikerin setzt sich zu Shadow auf die Rückbank und bombardiert mich während unserer kurzen Fahrt an der Bucht von Old Town vorbei und an der Westküste entlang mit Fragen. Aber als wir uns Peninnis Head nähern, verstummt sie. Das Gebiet wurde mit Polizeiband abgesperrt, und über Sabines Leiche ist ein steriles weißes Zelt errichtet worden. Obwohl meine Fußabdrücke ohnehin schon großzügig auf der Rasenfläche verteilt sind, besteht Gannick darauf, dass ich einen weißen Ganzkörperschutzanzug und Überschuhe anziehe. Der Kunststoff ist an einem so heißen Tag die reinste Strafe – die Sonne brennt auf die felsige Landschaft herab und bleicht das Granitgestein aus. Genau in dem Moment, in dem Gannick wieder neben mir erscheint, sehe ich den Gerichtsmediziner zurück zu seinem Auto gehen.
»Ich bin froh, dass Sie uns unterstützen, Liz. Das Opfer war eine Bekannte von mir.«
»Keine Sorge, ich weiß, was ich tue. Sie haben mir den Chefposten nicht ohne Grund gegeben.«
Ich hatte ganz vergessen, dass Gannick dazu neigt, Komplimente in ihr Gegenteil zu verkehren. Sie duckt sich unter dem Absperrband hindurch, während ich zum Gerichtsmediziner hinübergehe. Gareth Keillor war früher Polizeiarzt; er ist zwar seit Jahren in Pension, aber weiterhin als Gutachter auf den Inseln tätig. Seine spärlichen grauen Haare flattern im Wind, und er beobachtet mich mit seinen durch die starken Brillengläser verkleinerten Augen. Er lädt die Arzttasche schwungvoll in den Kofferraum seines Wagens, als könnte er es gar nicht erwarten, von hier wegzukommen.
»Gott sei Dank begegnet uns diese Todesart nicht häufig«, sagt er. »Furchtbar, wenn das Leben einer jungen Frau so endet.«
»Falls sie umgebracht wurde, muss ich sofort die Insel abriegeln.«
»Ein Selbstmord war das nicht, so viel ist sicher. Die Hautabschürfungen an ihren Handgelenken stammen von einem Seil. Sie wurde gefesselt und dann ermordet, und zwar innerhalb der letzten zwölf Stunden.« Er legt seine Hände auf den Kofferraumdeckel. »Ich kann nicht sagen, ob sie in dieses Braut-Outfit gesteckt wurde, bevor oder nachdem ihr jemand die Blumen ins Haar geflochten hat, aber da hat jemand viel Zeit und Liebe aufgewendet.«
»Sind Sie sicher, dass sie nicht vom Pulpit Rock gesprungen ist?«
»Hundertprozentig.«
»Was ist mit anderen Verletzungen?«
»Ich habe Abstriche fürs Labor gemacht, aber es gibt keine Anzeichen für sexuellen Missbrauch, wenn Sie das meinen.«
»Glauben Sie, sie musste lange leiden?«
Seine Miene drückt Bedauern aus. »Wollen wir es nicht hoffen. Aber wir werden es herausfinden, wenn ich mir die Leiche genauer ansehe.«
»Danke für Ihre Hilfe, Gareth. Tut mir leid, dass ich Ihr Spiel unterbrechen musste.«
Keillor lacht trocken. »Ich hatte den Sieg schon so gut wie in der Tasche. Aber jetzt will ich nur noch einen starken Drink.«
Der Gerichtsmediziner winkt mir kurz zu, bevor er sich in seinen brandneuen Audi setzt. St. Mary’s ist nur fünf Meilen lang; der Luxuswagen scheint ein Ausgleich für die grausigen Pflichten zu sein, die er bei jedem unklaren Todesfall erfüllen muss. Gareth Keillor ist der einzige mir bekannte Gerichtsmediziner, der die Mordopfer, die er untersucht, nicht als Objekte betrachtet, sondern als Menschen. Und er hat meinen Verdacht bestätigt. Ich rufe schnell Lawrie Deane an, um ihm zu sagen, dass er den Reiseverkehr zur und von der Insel mit sofortiger Wirkung stoppen soll.
Liz Gannicks Schatten bewegt sich durch das Innere des Zeltes, das Sabines Leiche abschirmt. Auf der Rasenfläche davor liegt eine Schachtel mit verschiedenen Behältern für die Proben. Eddie und Isla sitzen auf einem Felsen in der Nähe, ihre Neoprenanzüge haben sie vor sich auf den Boden gelegt. Sie werden froh sein, aus der sengenden Hitze rauszukommen, nachdem sie den ganzen Morgen hier aufpassen mussten.
»Sobald ich mit Liz gesprochen habe, können wir zurück aufs Revier fahren«, sage ich zu den beiden.
Gannick wirkt unberührt von dem Anblick einer toten jungen Frau. Sie ist über das Brautkleid gebeugt und zupft mit ihren in Handschuhen steckenden Fingern ruhig und geduldig an dem Stoff herum.
»Keillor sagt, sie wurde umgebracht, Liz.«
»Alles andere wäre auch merkwürdig; ich hab noch nie einen derart aufwendig inszenierten Selbstmord gesehen. Sie können den Schmuck mitnehmen«, sagt sie und zeigt auf einen weißen Plastikkoffer. »Nur den Ring nicht, den hat ihr jemand mit Gewalt über das Fingergelenk geschoben. Ich versuche später, ihn abzukriegen.«
Als ich einen Blick in den Koffer werfe, liegen darin zwei durchsichtige Asservatenbeutel mit Dingen, die ich nicht kenne. Das goldene Medaillon habe ich nie an Sabine gesehen; sein Gehäuse ist stark zerkratzt und trägt eine Gravur. Die Kreolen in dem anderen Beutel scheinen dagegen brandneu zu sein. Ich kann nicht erkennen, ob sie aus purem Gold sind, aber das gelbliche Metall funkelt, als ich mit meinem Handy einige Fotos mache.
Gannick schaut zu mir hoch. »Das ist wie bei diesem alten Hochzeitsbrauch.«
»Etwas Altes und etwas Neues?«
»Wenn’s auch noch was Geborgtes und was Blaues gibt, sind Sie der Erste, der’s erfährt.«
Eigentlich würde ich ihr gern sagen, dass ich ihre Aufmerksamkeit für Details zu schätzen weiß, aber sie würde das Kompliment mit einer Handbewegung wegwischen. Gannick wird ein bis zwei Stunden brauchen, um Sabines Leiche auf den Transport in dem einzigen Krankenwagen zum Leichenschauhaus der Insel vorzubereiten. Bei dem Transfer darf kein Haar und keine Faser verlorengehen, die Auskunft über die Identität des Mörders geben könnten. Gannick ist so in ihre Arbeit am Tatort vertieft, dass sie gar nicht mitbekommt, dass ich im Aufbruch bin.
Die Keast-Brüder sind gekommen, um hier Wache zu halten. Steve wirkt entspannt, während Paul von einem Fuß auf den anderen tritt. Mir ist schon aufgefallen, dass mein Freund mit den Jahren sensibler geworden ist, aber die emotionalen Auswirkungen des Mordfalls auf andere Menschen haben für mich im Augenblick keine Priorität. Ich kann froh sein, dass die Brüder eingewilligt haben, ihre Pläne für den Moment hintanzustellen, während ich mit Eddie und Isla zurück aufs Revier fahre, um die Beweise zu sichten. Bevor wir zum Wagen gehen, lasse ich meinen Blick noch einmal über den Tatort schweifen. Warum geht ein Mörder das Risiko ein, sein Opfer an einem der beliebtesten und schönsten Flecken auf der Insel zur Schau zu stellen? Abgesehen von dem Zelt wirkt der Ort unberührt. Die wilden Grasflächen und die Heidelandschaft mit ihren Blumen enden abrupt an der Stelle, wo das Kliff zum Meer abfällt; der Leuchtturm blickt über zweitausend Meilen kristallklaren Ozean hinweg.
Lawrie Deane tippt bei unserer Rückkehr eifrig Nachrichten und verlässt nur widerstrebend seinen Computer, als ich ihn für eine Einsatzbesprechung in Madrons Büro rufe. Wenigstens war er so vorausschauend, ein Mittagessen für uns zu bestellen: ein Tablett mit Sandwichs und Kaltgetränken wartet auf uns. Die Gesichter meines Teams sind ernst. Wir versammeln uns um den Tisch. Zwei Sergeants und eine unerfahrene Constable – mehr Personal steht mir nicht zur Verfügung, solange der DCI im Urlaub ist und ein weiterer Officer krankheitsbedingt längere Zeit ausfällt. Vier Vollzeitkräfte reichen unter normalen Umständen vollkommen aus, um in den friedlichen Inselgemeinden mit ihren weniger als zweitausend Einwohnern Recht und Gesetz durchzusetzen. Aber um in der Hochsaison einen grausamen Mord aufzuklären, werde ich vielleicht mehr Leute brauchen. Ich könnte zusätzliche Beamte vom Festland anfordern, aber das würde womöglich mehr schaden als nützen. Hier reden die Leute erst, wenn sie dazu bereit sind, und bis der Täter gefunden ist, wird unsere Hauptaufgabe darin bestehen, unter den Insulanern keine Panik aufkommen zu lassen.
Meine drei Officer schauen mich erwartungsvoll an; ich habe als Einziger hier Erfahrung in der Leitung einer Mordermittlung, und die Hierarchie schreibt vor, dass ich derjenige bin, der alle wichtigen Entscheidungen trifft. Isla ist blasser als zuvor, und sie wirkt angespannt, als ich erkläre, dass der Fall sich nun zu einer Mörderjagd entwickelt hat. Ich ziehe das Polaroidfoto, das in einem Asservatenbeutel steckt, aus der Tasche und reiche es herum.
»So ein krankes Arschloch«, zischt Isla, als sie liest, was auf der Rückseite steht.
»Ganz klar das Werk eines Verrückten«, stimmt Eddie ihr zu. »Wer sonst sollte einer jungen Frau so was antun?«
Lawrie Deanes Reaktion überrascht mich. Normalerweise macht der Sergeant gern auf tough, aber als er mir das Foto zurückgibt, hat er Tränen in den Augen. Da seine Tochter ungefähr im selben Alter ist wie Sabine, ist es jedoch nicht wirklich verwunderlich, dass ihn die Sache mitnimmt.
»Wir suchen also nach jemandem, der psychisch krank ist«, sage ich. »Nur ein Sadist entführt eine junge Frau, steckt sie in ein Braut-Outfit – samt Schminke und Blumenschmuck – und wirft sie dann von einem Kliff herunter. Wir wissen noch nicht, ob es ein Mann oder eine Frau ist, aber es muss jemand sein, der bereit ist, Risiken einzugehen. Persönlich ein Foto zum Polizeirevier zu bringen und die Leiche dann öffentlich zu drapieren, erfordert schon eine Menge Chuzpe. Der Täter hätte sie auch bei Flut still und heimlich ins Meer werfen können, aber er wollte etwas beweisen. Sagt einem von Ihnen der Satz ›Die Braut trägt heute ihr Geschmeide, auf ewig schön im weißen Kleide‹ etwas? Mich erinnert er an irgendwas, aber ich kriege es nicht zusammen.«
Eddie beugt sich über sein Handy. »Im Netz gibt es keinen Treffer.«
»Für den Mörder muss dieser Spruch eine bestimmte Bedeutung haben. Unsere erste Aufgabe wird jedoch sein, herauszufinden, wer Sabine gekannt hat. Sie ist Mitte Juni auf St. Mary’s angekommen. Ich möchte alles über etwaige Liebschaften oder One-Night-Stands in diesem Zeitraum erfahren. Wir wissen, dass neunzig Prozent der Gewaltverbrechen an Frauen von Männern verübt werden, mit denen sie eng vertraut sind. Es könnte ein Mann mit einem Fetisch sein oder eine Frau, die stark genug ist, um jemanden, der so fit ist, wie Sabine es war, überwältigen zu können.«
Isla ist inzwischen noch blasser geworden, und ich frage mich, ob sie vielleicht unter Schock steht. »Glauben Sie, dass der Mörder noch hier ist, Boss?«
»Vermutlich schon. Seit gestern Nacht haben keine Fähren abgelegt, und der Hafenmeister hat alle örtlichen Boote überprüft, um sicherzugehen, dass er nicht übers Meer entkommen ist.« Ich lasse den Blick erneut über mein Team gleiten. »Ich will alles über Sabine wissen. Wie hat sie ihre Freizeit verbracht? Wo kommt dieses Kleid her? Und woher der Schmuck? Kleine Details können den Täter verraten. Außerdem müssen wir dringend ihr Handy finden. Lawrie hat für fünfzehn Uhr eine öffentliche Versammlung im Pfarrsaal organisiert. Kann bitte einer von Ihnen dafür sorgen, dass der Termin im Lokalradio bekannt gemacht wird?«
Ich teile jedem Officer einige Aufgaben zu. Isla wirkt auf mich immer noch labil, doch sie scheint sich mit Arbeit ablenken zu wollen. Dann hefte ich Sabines Foto an die Magnetpinnwand, betrachte erneut ihr Gesicht und versuche, meine Wut auf den Mörder in Energie für die Aufklärung der Tat umzulenken, damit Sabine Gerechtigkeit widerfährt. Sie war frei und unabhängig und mutig genug, um allein durch Europa zu reisen und den gesamten Sommer in einem fremden Land zu verbringen. Dennoch war der Mörder darauf aus, sie zu erniedrigen, indem er ihr Gesicht mit Schminke zugekleistert hat, die sie zu Lebzeiten niemals getragen hätte. Und wer weiß, welche anderen Demütigungen sie vor ihrem Tod noch erleiden musste.
Ich schließe mich in Madrons Büro ein, um die schlimmste Aufgabe des Tages hinter mich zu bringen. Hier riecht es immer noch nach seinem altmodischen Aftershave und seiner Stiefelwichse, und es fühlt sich falsch an, seinen Raum in Beschlag zu nehmen, aber es ist der einzige auf dem Revier, in dem man ungestört sein kann. Um noch ein bisschen Zeit zu schinden, ordne ich einige Gegenstände auf Madrons Schreibtisch anders an, dann raffe ich mich schließlich auf und rufe Sabines Eltern in Riga an. Die Mutter klingt zuerst ganz entspannt und neugierig, warum sich jemand aus England meldet, und ich unterbreite ihr die schlechte Neuigkeit so einfühlsam wie möglich. Fünf Sekunden lang herrscht Stille in der Leitung, dann schnappt sie laut nach Luft. Es folgt ein gellender Schrei, der so schrill ist, dass ich mir am liebsten die Ohren zuhalten würde, dann kommt ein Mann ans Telefon. Er bittet mich in gebrochenem Englisch um eine Erklärung, und so bin ich gezwungen, die Nachricht vom Tod seiner Tochter noch einmal zu übermitteln.