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Die Körperbehaarung der Ersten reicht bis zu den Oberschenkeln und steigt zum Bauch auf, schwarze Flaumlinie bis zum Nabel, glattes Braun ihrer Haut, schöne Schultern, hübsche Beine. Ich streichle sie vor allem mit der Hand, mit den Fingerspitzen, der Handfläche, dem Daumen. Ich lecke sie nicht wirklich, das ist etwas, womit sie sich noch nicht so wohl fühlt und ich mich auch nicht, wegen der Haare, glaube ich. Sie sagt, sie sei eigentlich nicht lesbisch, für mich mache sie eine Ausnahme. Sie ist dünn und dick zugleich, Bauch, Hintern, Oberschenkel, wie manche Kinder, als ob ihr die Jugend an der Haut kleben geblieben wäre. Sie teilt sich mit ihrer Schwester eine Wohnung auf der gleichen Etage wie ihre Eltern, am Boulevard Voltaire. Im November wird sie eine Einraumwohnung im fünften Arrondissement bekommen. Sie hat denselben Vornamen wie eine Ex, das ist ein bisschen schade für die Liste, ich gebe ihr eine Nummer.

Die Zweite ist schlank, ungefähr mein Alter, helle Haut, aber von der Art, die im Sommer braun wird, sie hat kleine Brüste, ich hab sie noch nicht berührt, hab sie noch nicht nackt gesehen, ich hab meine Hand auf ihren Rücken gelegt, ihren Nacken, an dem Tag, an dem ich mich mit ihr getroffen habe, nachdem ich gesagt hatte, dass ich das nicht mehr wollte, sie hat angefangen zu weinen und ich bin schwach geworden, sie hat relativ kurze Haare, ein bisschen lockig, sehr fein, ein bisschen grau, gemischt mit hellbraun, fast blond. Ihre Wohnung habe ich noch nicht gesehen, sie wohnt oberhalb vom Jardin du Luxembourg, hat zwei Töchter und eine Wildlederjacke, sie sagt auch, dass sie hetero ist, ich denke, ich werde am Sonntag mit ihr schlafen.

Ich hab beide in derselben Woche kennengelernt, im selben Café gleich unter meiner Wohnung, La Palette. Das war die Woche, in der ich ausgezogen bin. Ich habe die Vierzig-Quadratmeter-Wohnung im sechsten Arrondissement gegen eine Neun-Quadratmeter-Wohnung im fünften getauscht. Ich war völlig pleite, hatte keine Kreditkarte mehr, hab bei Gibert meine Bücher verkauft, um ein bisschen Bargeld zu bekommen, hab immer um sechs Uhr morgens, vor dem Schwimmen, die Mülleimer von Ladurée in der Rue Jacob nach Macarons durchforstet. Ich hab mich durchgeschlagen, so gut es ging. Ich bin nicht ausgegangen, hab mein Buch geschrieben, alles andere war mir egal. Ich hätte es niemals anders machen können, und hätte man mir eine Knarre an den Kopf gehalten. Bis zu meinem Umzug ist das Buch fertig. Ich arbeite auch nicht mehr als Anwältin. Damit zumindest habe ich für immer abgeschlossen, finito.

Jeden Tag hab ich Möbel, Bücher und Klamotten nach unten gebracht. Ich hab alles auf den Gehsteig gestellt. Es war nicht einmal nötig, die Stadtreinigung anzurufen, alles war immer gleich weg, wie durch Zauberhand, manchmal habe ich aus dem Fenster zugesehen, wie die kleinen Ameisen des Sechsten alles abgebaut, alles eingesammelt haben. Bei den Büchern denkt man anfangs, das könne man nicht machen. Homer, Baudelaire, Musil, Duras. Erst traut man sich nicht, dann merkt man, dass es doch geht, dass nichts passiert, es sind ja nur Dinge. Ich hab alles weggeworfen. Bis auf zwei Taschen, die ich auf dem Roller transportieren konnte. Und Pauls Sachen. Die habe ich in Kartons gepackt, und die Kartons in den Keller von Freunden, wahrscheinlich verschimmeln sie dort.

Es waren die Frauen, die mich angemacht haben. Es ist immer so, seit ich lesbisch bin. Man sieht mir wohl an, dass ich dafür zu haben bin. Anfangs ging es um Liebe. Jetzt geht es um etwas anderes. Je mehr ich mich annähere, umso ferner fühle ich mich. Außerdem ist es einfach so, eine Frau ist keine Belastung.

Die eine hat nichts zu tun mit der anderen, was Alter, Körper, Sprache oder Vorlieben angeht. Keine gleicht der anderen. Eine Blondine und eine Brünette, eine Alte und eine Junge, eine Dünne und eine Dicke, eine Rasierte und eine Haarige, eine vom rechten und eine vom linken Seine-Ufer. Sie hätten sich ergänzen oder die eine hätte mich von der anderen ablenken können. Aber so läuft es nicht.

Wenn die Junge erregt ist, nimmt sie meine Hand und schiebt sie zu ihrer Muschi, damit ich einen Finger reinstecken kann. Sie mag es, wenn ich hinter ihr stehe, Hüfte an Hüfte. Sexualität sei für sie lange schwierig gewesen, sagt sie. Sie könne mich nicht streicheln. Einmal hat sie es versucht, ich hab gesagt: Wir können das auch ein andermal probieren. Neulich habe ich sie gebeten, es sich selbst zu machen, sie hat sich auf den Bauch gelegt und beide Hände zwischen ihre Schenkel geschoben, hat sich hin und her bewegt, sich gerieben, ihr Arsch ist auf und ab gegangen, ich habe nicht genau verstanden, wann sie gekommen ist.

Ich hab die erste Wohnung genommen, die sich ergeben hat, fünfhundert Tacken, neun Quadratmeter hinter dem Panthéon. Unten ist ein kleiner Platz, Cafés, Studenten, ein Grieche der sich Mit oder ohne Pommes nennt, ein Libanese gegenüber, das Hähnchen-Schawarma kostet 4,90 Euro, es gibt ein Schwimmbad in der Nähe, einen Kühlschrank, den ich nachts ausstecke, wegen des Lärms, eine Plastikpflanze auf der Fensterbank, eine Matratze auf Paletten, zwei Schubladen, eine Eckdusche, im Gebäude ist ein Waschsalon, tagsüber gibt es kein Tageslicht und nachts ist es hell, wegen einer Leuchtreklame unter dem Fenster, es gibt kein richtiges Netz, es ist ein bisschen wie ein Keller, ich habe mich in das WLAN des Nachbarn eingehackt. Neun Quadratmeter sind die Größe eines Kerkers, einer Mönchszelle, ich denke an Ignatius von Loyola und spirituelle Übungen. Es kann ein gewisses Vergnügen bereiten, Dinge zu tun, von denen man nicht wusste, dass man sie kann.

Nur zwei Straßen weiter liegt die letzte Wohnung, in der Laurent und ich zusammen gelebt haben. Paul war ein Jahr alt, als wir in die Rue Descartes zogen, fünf, als wir wieder auszogen, Laurent in seine Wohnung und ich in meine, Paul irgendwo dazwischen. In der Rue Descartes hat er laufen und sprechen gelernt, all die Dinge, die für Eltern normalerweise so aufregend sind. Die Wohnung war fast schon ein Haus, mit schiefem Dielenboden und einem in Auflösung begriffenen Teppich, wir haben Feuer im Kamin gemacht, unten war ein kleiner Garten, den Peugeot hab ich auf dem Parkplatz gegenüber abgestellt, im Aufzug bin ich Inès de la Fressange begegnet. Ich bin auch nur zwei Straßen vom Henri-IV entfernt, wo ich mich von der sechsten bis zur zwölften Klasse zu Tode gelangweilt habe. Ich glaube, das Gymnasium sollte mich an mein erstes Leben erinnern, bevor meine Mutter eine Überdosis genommen hat, an einem Septembermorgen während meines letzten Schuljahrs. Und die Fenster in der Rue Descartes erinnern an mein zweites, mein Familien- und Heteroleben, das ich dann an die Wand gefahren habe. Ich sage mir, dass ich Nostalgie, Trauer und Bedauern empfinden könnte. Aber ich fühle nichts davon.

Ich habe noch dieselben Beine, dieselben Ohren, dieselben Arme, trotzdem ist alles anders. Seit drei Jahren falle ich nach und nach auseinander. Immer noch ein Stück. Ich glaube, irgendwo anzukommen, sechs Monate später sehe ich mich um und finde mich in einem anderen Leben, einem anderen Ich wieder. Alles ist durcheinander, alles, was ich zum Fenster rausgeschmissen habe, die Dinge, der Job, die Kohle, die Familie. Auch alles, was mir passiert, was mir nun endlich passiert. Das zehrt natürlich, ganze Jahre so zu verbringen, klar hat man dann auch ein paar Leichen im Keller. Ist Orlando erschöpft am Ende des Romans? Oder die Liebhaber von Only Lovers Left Alive? Ich erinnere mich nicht. Ich bekomme graue Haare, kein Wunder. Aber es gibt auch Zeiten ohne besondere Hoch- oder Tiefpunkte. Körperlich befinde ich mich jetzt zum Beispiel auf einem solchen Plateau. Keine neue Tätowierung, kein neues Piercing, regelmäßig Sport, dieselbe Frisur, kurz, aber nicht rasiert, kein neuer Kleidungsstil. Männerklamotten, die auch Frauen tragen können: die einfachsten, möglichst schlicht, schwarz, weiß und grau, kein Schnickschnack, ein Nichtstil, der einzige, der mir passt. Auch sexuell gibt es nichts Neues: Ich lecke, fingere, ficke, ganz sanft, ganz höflich und die andere revanchiert sich in etwa genauso. Ein stabiler Zustand. Es ist etwas anderes, das sich gerade verändert, meine Moral. Anfangs wollte ich, dass alles reibungslos läuft, jetzt habe ich verstanden, dass ich niemandem etwas schulde.

Ein Kippmoment, ein Kairos, wie die Bekehrung des heiligen Augustinus, ebenso radikal. Es geht nicht darum, dass er an Gott glaubt oder ich Frauen liebe, sondern darum, dass es ein Leben davor gibt und eins danach. Was mich an der Homosexualität interessiert, sind nicht die Frauen, die ich ficke, sondern die Frau, die ich werde. Bei Männern gab es immer eine Grenze, hier habe ich so viel Raum, wie ich will, ich habe das Gefühl, alles tun zu können. Frauen, Liebe, Sex: Anfangs war das eine Entdeckung, es hat mich fasziniert, aber jetzt nicht mehr. Es wirkt natürlich weiter, es ist der Stoff, aus dem das, was mir passiert, besteht, aber es ist nicht wichtig, ein bisschen wie die Kulisse eines Theaterstücks; was ich suche, befindet sich dahinter. Homosexualität bedeutet für mich einfach Urlaub von allem. Ja, das ist es: die großen Ferien, etwas, das so weit wie das Meer ist, ohne Horizont, nichts Abschließendes oder Definierendes. Deshalb habe ich mit der Arbeit aufgehört. Um zugleich Meister und Sklave zu sein, um mir meine Grenzen selbst zu setzen. Finito, die Arbeit, die Wohnungen, die Familien. Ihr glaubt nicht, wie gut das tut.

Ich treffe die Schlanke um sechs Uhr am Place de l’Odéon. Es ist noch warm. Sie zeichnet gerade, als ich komme, klappt ihren Block zu. Wir reden ein wenig. Wir küssen uns. Nie zu lange, nie zu stark, ihre grünen Augen auf mir. Ich trinke einen Orgeat-Sirup. Sie fragt: Wusstest du, dass deine Zunge nach Orgeat-Sirup schmeckt und deine Lippen nicht? Sie streichelt mich unter meiner abgetragenen Jeansjacke, die an der Schulter gerissen ist, sie fährt mit ihrer Hand über meine Haut, meine Brüste, streift meine Nippel.

Kommst du mit zu mir aufs Studizimmer?

Wann?

Morgen, übermorgen, über-übermorgen.

Sie trägt ein Kleid, ich fahre mit der Hand über ihre schlanken Beine, unterm Tisch, von unten nach oben. Ihre Beine gegen den Strich rasiert.

Bei der Jungen gibt es ein Ledersofa, alte CDs, einen Haufen Klamotten, eine bunte Bettdecke, im Badezimmer Billigprodukte, Duschgel, Sprühdeo. Morgens bin ich in die Küche gegangen, hab mir Toast gemacht und Nescafé. Ich habe mir Mangosaft, Honig und Butter genommen. Ich bin früh los, bin auf der Treppe weder ihrer Schwester noch ihren Eltern begegnet.

Freitag ist die Schlanke vorbeigekommen. Wir haben uns auf mein Bett gesetzt, haben uns geküsst, sie hat mich ganz schnell ausgezogen, hat mich geleckt, zum ersten Mal ziemlich gut, wie ich fand, ich hab sie gefickt, später sind wir zu ihr, auf meinem Roller, ihre Wohnung ist groß, recht schön, ihre Schlafzimmerwände sind grau, sie hat Muscheln gekocht, wir haben ein bisschen Musik aufgelegt, Schallplatten, Depeche Mode und dann noch was von Tom Waits, das ich nicht kannte, wir haben wieder miteinander geschlafen, sind eingeschlummert, nachts sind die beiden Katzen aufs Bett gesprungen und haben mich an den Füßen gekratzt. Morgens hat sie Tee aufgesetzt, wir haben wieder miteinander geschlafen, haben gelesen. Sie hat lauter Produkte von Aesop, ich habe gebadet, sie hat mich zum Mittagessen eingeladen auf der Rue Grégoire-de-Tours, ich hab ein Glas Wein getrunken.

Manchmal kommen sie zu mir. Sie schreiben mir eine SMS, wenn sie da sind, ich komme runter, um ihnen aufzumachen, den Code habe ich ihnen nicht verraten, wir ficken auf der einfachen Bettkonstruktion. Meistens bin ich aber bei ihnen, in der Einraumwohnung der ersten auf dem Boulevard Voltaire, unter der Wohnung ihrer Eltern, in der großen Wohnung der zweiten, in der Rue de Tournon, wenn sie nicht auf ihre Tochter aufpasst. Oft bleibe ich über Nacht. Mal frühstücke ich Schokomüsli bei der einen, mal trinke ich geräucherten Tee bei der anderen. Ich liege in ihren Betten und lese, bade in ihren Badewannen, bediene mich aus ihren Kühlschränken. Ich nehme, was sie zu geben haben, und achte darauf, was passiert, wenn ich sie berühre. Ich nenne sie beide Häschen. Ich hätte sie gern bezahlt, um Missverständnissen vorzubeugen.