Mein Schatz,
hör nicht auf Leute, die sagen, es sei schlimm, dass wir uns nicht sehen. Hör nicht auf Leute, die sagen, ich müsse dir fehlen und wie unglücklich du doch sein musst. Hör nicht auf Leute, denen es unangenehm ist, wenn von mir, der Situation oder all dem die Rede ist. Ich weiß, dass du weißt, dass man nicht auf andere Leute hören muss und dass sie alles Mögliche reden, du bist ganz gut darin, sie zu ignorieren und reden zu lassen.
Dir vom Verfahren, den Lügen, dem ganzen Drama zu erzählen erscheint mir unnötig. Du hast ganz gut verstanden, was die Gerechtigkeit ist, es erschließt sich ja auch recht schnell. Oder die Liebe, wenn es mit ihr zu Ende geht. So lernst du dazu. Es ist nicht meine Schuld, wenn es dabei etwas brutal zugeht. So ist das Leben. Erinnerst du dich an den Stierkampf? Wie alt warst du, sechs? Die Leute haben mich schon für verrückt gehalten, als ich dich dorthin mitgenommen habe. Ich liebe den Stierkampf wegen seiner Wahrheit. Die Wahrheit der Gewalt, der Angst, des Todes. Daher die Schönheit. Es ist ein Fest zu sehen, dass man die Dinge erträgt. Was deinen Vater und mich angeht, seine Wut auf mich und alles, was er über mich sagt, zur Richterin und zu dir, nimm es dir nicht zu Herzen. Sei ihm nicht böse. Du weißt doch, es ist ganz normal, dass sich frühere Liebhaber streiten. Das ist eine alte Geschichte, die Säure, mit der man Menschen angreift, die man nicht mehr liebt. Ehrlich gesagt finde ich es besser so, als wenn Leute an ihrem Scheidungstag noch mal zusammen essen gehen. Ich ziehe die Wahrheit des Krieges der Heuchelei des Friedens vor.
Ich weiß nicht, ob du mich hasst. Du musst mir nicht antworten. Du darfst mich hassen. Das ist sogar ein Erfordernis der Liebe, zu hassen. Es gibt keine Liebe ohne Hass. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner oder ein Feigling. Ein Kind muss seine Eltern hassen, vor allem ein Sohn seine Mutter. Und doch schaffen viele Söhne das nie. Ich als Tochter, die ihre Mutter wie ein Sohn geliebt hat, weiß nicht, ob ich wirklich in der Lage war, sie zu hassen, und ich glaube, dass sie deswegen gestorben ist. Weil sie wusste, dass ich nie den Mut gehabt hätte, sie zu töten. Und dass man töten muss, wen man liebt, dass man sich dazu in der Lage wissen muss und stets das Recht dazu hat. Liebe ist barbarisch.
Sei nicht traurig, wenn du an mich denkst, Traurigkeit nützt niemandem. Wenn du trotzdem traurig bist, dann wisse, dass ich jeden Tag an dich denke, ich bin deine Mutter, das ist etwas, das nie zu Ende geht.
Alles Liebe,
Mama
(nie abgesandter Brief)