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Homosexuelle Beziehungen zu führen kann heutzutage ebenso wenig wie das Schreiben von Büchern als Zeichen psychischer Instabilität gewertet werden: So steht es im psychologischen Gutachten, das jetzt da ist. Im April, neun Monate nach dem richterlichen Beschluss, der dem Psychologen sechs Monate eingeräumt hatte. Der Satz steht in der Einleitung oder im Fazit, ich weiß es nicht mehr. Der Arzt hat es für nötig gehalten, das festzuhalten, in seiner Rolle als Experte, als Psychologe, für den Fall, dass es, man weiß ja nie, noch bezweifelt wird, im Kopf der Richterin oder in dem von Laurent, fünf Jahre nach der Ehe für alle. Das Gesetz ist eindeutig, aber an einigen Ecken klemmt es wohl noch. Ich habe gehört, an der Schule im sechsten Arrondissement hätten mich manche Eltern für krank erklärt. Und meine Familie spricht im Grunde nicht mehr mit mir, außer mein Vater natürlich, dearest Papa, auch wenn er sich anfangs etwas schwergetan hat.

In seinem Gutachten gibt der Psychologe auch Aussagen wieder, die Paul ihm gegenüber gemacht hat, als er ihn im Dezember getroffen hat, vor meinem Wiedersehen mit Paul beim Verein. Dinge wie: Papa fragt mich ständig, was sie macht. Ich will Papa eine Freude machen. Er bittet mich, ihm alles zu erzählen, was Mama tut. Aber wirklich alles. Ich erzähle ihm alles. Sie macht viele Dinge ohne meine Zustimmung. Zum Beispiel hat sie mich einmal zum Mittagessen mit ihren Freunden mitgenommen, obwohl ich nicht darum gebeten hatte und lieber zu Hause bleiben und lesen wollte. Papa hat mir gesagt, ich solle sagen, dass Mama sich wenig um mich gekümmert habe und dass Mama und ich keine Aktivitäten zusammen unternähmen. Jetzt lebe ich bei Papa und muss Mama in einem Verein besuchen. Ich habe sie seit sechs oder sieben Monaten nicht mehr gesehen. Ich finde, sie ist komisch, sie ist nicht normal. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Papa verdient viel mehr Geld als Mama. Er kann mir schöne Geschenke machen. Papa sagt, Mama habe uns verlassen. Ich will nur bei ihm bleiben, weil er traurig ist. Ich möchte bei Papa bleiben und Mama ab und zu sehen. Sie kümmert sich nicht um mich, wenn ich bei ihr bin. Sie sitzt den ganzen Tag am Computer und schreibt Seiten für ihr Buch, von dem Papa sagt, dass es kein normales Buch sei. Sie hat uns verlassen, um ihr Buch zu schreiben, und ich bin damit nicht einverstanden, denn jetzt ist Papa traurig, aber ich bin ja da.

Doktor A. gelangt zu folgendem Schluss: Der Minderjährige spricht hier nicht frei. Er kritisiert seine Mutter, um seinem Vater, mit dem er täglich lebt, nicht zu missfallen. In psychologischer Hinsicht ist nicht belegt, dass die Mutter Störungen aufweist, aufgrund derer sie Paul schaden könnte. Vielmehr ist belegt, dass sie fähig ist, Paul Zuneigung entgegenzubringen sowie alles Weitere, was ein Kind von seiner Mutter erwarten darf. Es gibt keinerlei fachliche Rechtfertigung für eine richterliche Einschränkung des Sorgerechts der Mutter gegenüber dem des Vaters.

Das Gutachten liegt vor, aber es gibt immer noch keine Anhörung. Es gibt keinen Richter, um das Gutachten zu lesen. Mein Anwalt sagt mir, da lasse sich nichts machen. Vielleicht in einem Jahr. Die Leiterin des Vereins hat vom Gutachten noch nichts gehört, oder es ist ihr egal. Sie sagt, es sei gut, dass sich die Bindung wiederherstelle. Sie fühlt sich gebraucht. Sie findet es völlig normal, dass wir dort sind. Dafür ist sie ja da, um uns zu helfen, sie freut sich, dass es vorangeht. Ich bitte sie, das Gutachten zu lesen. Sie sagt, sie habe viel zu tun. Ich solle ihr das Gutachten schicken. Als ich ihr gesagt habe, dass ich den richterlichen Beschluss angefochten habe, hat sie mich angeschrien. Als ich ihr gesagt habe, dass ich nicht einverstanden bin mit dem Beschluss, hat sie gemeint, ich hätte unrecht und dass es ein Fehler sei, Dinge nicht wahrhaben zu wollen.