Die Wände des Raumes, in dem Strafgefangene in Belmarsh mit ihrem Anwalt sprechen konnten, bestanden aus Glas. Der Tisch in der Mitte war am Boden befestigt und bestand ebenfalls aus Glas. Die weißen Plastikstühle waren am Boden festgeschraubt, um dafür zu sorgen, dass Anwalt und Strafgefangener stets räumliche Distanz zueinander wahrten. Dem Wachpersonal war es zwar nicht möglich, all das mitzuhören, was in diesem Raum gesprochen wurde, doch die Justizbeamten konnten jede Bewegung beobachten, die während der zugestandenen einen Stunde darin stattfand – einschließlich möglicher Versuche, Drogen, irgendwelche Unterlagen oder sogar Waffen an einen Insassen des Gefängnisses weiterzureichen.
An jenem Morgen erschien Booth Watson ungewöhnlich früh vor den Gefängnistoren, was nicht nur daran lag, dass er während der letzten sechsunddreißig Stunden kaum geschlafen hatte. Nachdem man ihn durchsucht und den Inhalt seiner Gladstone-Tasche überprüft hatte, die voller juristischer Unterlagen war, unterschrieb er das unvermeidliche Freigabeformular, bevor er von einem leitenden Beamten in den Flügel geführt wurde, der für anwaltliche Besprechungen vorgesehen war. Keiner der beiden Männer sagte etwas. Sie verachteten einander.
Als sie sich dem sogenannten Glaskäfig näherten, konnte Booth Watson sehen, dass sein Mandant, der das vorgeschriebene blau-weiß gestreifte Gefängnishemd und eine abgewetzte Jeans trug, bereits am Glastisch saß und auf ihn wartete. Die ausdruckslose Miene seines Mandanten war nicht zu deuten.
Miles Faulkner stand auf, als Booth Watson den Raum betrat, und obwohl es ihnen verboten war, einander die Hand zu geben, empfing er den Anwalt mit der Andeutung eines Lächelns.
Booth Watson spürte, wie er sich das erste Mal seit Tagen entspannte. »Da wir nur eine Stunde haben«, sagte er, streifte seine Rolex vom Handgelenk und legte sie zwischen sich und seinen Mandanten auf den Tisch, »sollten wir keinen Augenblick verschwenden.« Faulkner nickte und setzte sich. »Zuerst werde ich Sie auf den neuesten Stand bringen hinsichtlich all dessen, was sich seit unserer letzten Begegnung ereignet hat.« Der Kronanwalt beugte sich nach vorn und nahm mehrere Akten aus seiner Tasche.
»Ich bin zu unserer monatlichen Konsultation nach Barcelona geflogen, wo ich feststellen musste, dass man Sie bereits festgenommen und gegen Ihren Willen in Ihrem eigenen Flugzeug zurück nach London gebracht hatte.«
»Ich nehme an, es war Collins, der Ihnen das gesagt hat.«
»Nein«, sagte Booth Watson, der mit dieser Frage gerechnet hatte. »Es war Ihre spanische Anwältin, Señora Martinez. Sie hat mich über alles informiert, was Warwick und Hogan angerichtet haben, bevor ich angekommen bin.«
Booth Watson zog ein einzelnes Dokument aus den Akten vor sich und fuhr dann fort. »Señora Martinez hat bereits eine offizielle Beschwerde bei den spanischen Behörden eingereicht, denn einen Bürger ohne einen Prozess seiner Freiheit zu berauben, ist unvereinbar mit der europäischen Menschenrechtskonvention von 1953.«
»Das wird mir sicher ganz furchtbar viel helfen«, sagte Faulkner.
»Normalerweise würde ich Ihnen zustimmen«, erwiderte Booth Watson. »Doch angesichts dieser Rechtslage können wir verlangen, dass Leutnant Sanchez von der spanischen Polizei an einem möglichen Prozess teilnimmt und dem Gericht erklärt, warum er bei diesem Fall nicht die Führung übernommen, sondern DCI Warwick das Kommando überlassen hat.«
»Das herauszufinden, dürfte Sie nicht mehr als ein paar Stunden gekostet haben. Warum sind Sie dann nicht gleich am nächsten Tag nach London zurückgekehrt?«
Auch auf diese Frage hatte sich Booth Watson gründlich vorbereitet.
»Ich hatte mich dafür entschieden, in Barcelona zu bleiben und so viele Informationen wie möglich zu sammeln, die bei Ihrem Fall von Nutzen sein könnten, bevor ich wieder nach England kommen würde.«
Faulkner wirkte nicht überzeugt.
»Informationen, die nicht nur eine mögliche frühere Entlassung wahrscheinlicher machen, sondern der Polizei kaum eine andere Wahl lassen, als Warwick und Hogan festzunehmen und wegen Entführung und Diebstahl anzuklagen.«
Faulkner lächelte zum ersten Mal.
»Nachdem ich mir alle notwendigen Informationen beschafft hatte, bin ich zurück nach London geflogen und habe unverzüglich den Strafverfolgungsdienst der Krone um eine Notfall-Konsultation mit meinem Mandanten ersucht, was jedoch rundweg abgelehnt wurde.«
»Warum?«, wollte Faulkner wissen.
»Ich kann es nicht beweisen, doch ich vermute, dass die Behörde alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um mich daran zu hindern, Sie zu sprechen, nachdem man dort begriffen hatte, dass zwei der angesehensten Beamten der Met möglicherweise selbst verhaftet werden würden. Aber ich bestand darauf, und schließlich gestanden sie mir diese einstündige Konsultation heute Morgen zu, weshalb wir es uns nicht erlauben können, weitere Zeit zu verschwenden.«
Booth Watson sah auf, aber er konnte nicht erkennen, ob Faulkner ihm glaubte. »Bevor ich fortfahren kann, muss ich Sie jedoch fragen, ob es Ihr Wunsch ist, dass ich Sie auch weiterhin juristisch vertrete.«
»Warum fragen Sie?«, sagte Faulkner, der jetzt noch misstrauischer klang als zuvor.
»Weil ich Sie seit Ihrer Flucht aus Belmarsh kein einziges Mal mehr gesehen habe – jedenfalls habe ich das gegenüber dem Strafverfolgungsdienst angegeben, als ich vor einigen Tagen über unser Verhältnis befragt wurde.«
Es vergingen einige Augenblicke, bis Faulkner die Bedeutung dessen begriff, was Booth Watson ihm gegenüber gerade angedeutet hatte. »Da mussten Sie aber sehr viel schreddern«, sagte er.
»Verbrennen ist effektiver, seit die Polizei eine Maschine hat, die die Stücke wieder zusammensetzen kann. Aber wenn ich Ihr Anwalt bleiben soll, dann müssen Sie das bestätigen«, sagte Booth Watson und zog ein weiteres Blatt Papier aus einer der Akten. »Ich habe die erforderliche Erklärung vorbereitet.«
Faulkner las das Dokument sorgfältig. »Und wenn ich nicht unterschreibe?«, fragte er, wobei sich die Andeutung einer Drohung in seine Stimme schlich.
»Dann werden wir beide nach einem juristischen Vertreter suchen müssen.«
Faulkner machte eine wegwischende Geste, griff nach dem goldenen Füllfederhalter, den ihm sein Gegenüber reichte, und unterschrieb auf der gepunkteten Linie.
»Was ist mit Christina?«, fragte er und schob den Füllfederhalter in seine Tasche. »Sie könnte diese Geschichte ebenso für Sie wie für mich in die Luft fliegen lassen.«
»Ich habe sie bereits darüber informiert, welche Folgen es hätte, wenn sie etwas so Unüberlegtes tun würde, und wir haben, wie ich es nennen würde, eine gewisse Verständigung erreicht.«
»Wie viel würde mich diese Verständigung kosten?«
»Zehn Millionen.«
»Das klingt völlig überzogen«, knurrte Faulkner.
»Nicht, wenn Sie die Zusatzklauseln des Vertrages gelesen haben, die verhindern sollen, dass sich die Dauer Ihrer gegenwärtigen Haft verdoppelt.«
»Wie könnte es Ihnen möglich sein, das zu verhindern?«
»Weder die Polizei noch der Strafverfolgungsdienst wird wollen, dass Warwick oder Hogan im Zeugenstand erscheinen und zugeben müssen, zu welchen extremen Mitteln die beiden gegriffen haben, um Sie nach England zu schaffen. Es ist ein viel zu großes Risiko für sie.«
»Ich bin ganz Ohr«, sagte Faulkner.
»Zunächst müsste Warwick unter Eid erklären, warum er Sie aus Ihrem Haus in Spanien ohne Genehmigung der spanischen Regierung entführt und gegen Ihren ausdrücklichen Willen nach London zurückgeflogen hat.«
»Wie kann ich beweisen, dass ich nicht aufgrund eines eigenen freien Entschlusses nach London zurückgekommen bin? Immerhin wird Warwick darauf hinweisen, dass das in meinem eigenen Flugzeug geschehen ist.«
»Ihr Pilot wird bestätigen, dass Warwick und Hogan Sie bei der Ankunft in London buchstäblich aus dem Flugzeug gezerrt und auf die Rückbank eines bereitstehenden Streifenwagens gestoßen haben, obwohl er versucht hat, die beiden daran zu hindern. Und es wird für die Polizei sogar noch peinlicher werden, wenn ich darauf hinweise, dass keine Anstrengungen unternommen wurden, Sie in Spanien festzuhalten, während ein offizieller Auslieferungsantrag auf den Weg gebracht wurde, dem die spanischen Behörden ironischerweise bereitwillig stattgegeben hätten, wie Señora Martinez vermutet.«
Ein Nicken und ein Lächeln waren die Reaktion auf diese Ausführung.
»Zweitens und gleichermaßen vernichtend für die Polizei werde ich Warwick um eine Erklärung dafür bitten, wie ein wertvolles Selbstporträt eines holländischen Meisters aus Ihrem Haus in Spanien verschwinden konnte, nur um ein paar Tage später an einer Wand des Fitzmolean Museum in London zu erscheinen. Ich vermute, es ist im selben Flugzeug mitgeflogen.«
»Christina wird behaupten, dass der Frans Hals ihr gehört und sie ihn dem Museum für die Ausstellung geliehen hat.«
»Nein, das wird sie nicht«, sagte Booth Watson. »Denn das ist eine der Zusatzklauseln in ihrem Vertrag.« Er legte Faulkner ein weiteres juristisches Dokument vor, das auf der letzten Seite eine Unterschrift trug, die dieser sofort wiedererkannte. Sein Lächeln wurde breiter, nachdem er diese besondere Klausel gelesen hatte.
»Was ist mit meiner übrigen Sammlung? Befindet sie sich noch immer in Sicherheit in meinem Haus in Spanien?«
»Wo Collins sich um sie kümmert, ja«, bestätigte Booth Watson.
»Ein guter Mann, Collins«, erklärte Faulkner. »Kümmern Sie sich darum, dass er einen Bonus bekommt. Er hat ihn verdient.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte Booth Watson und machte eine Notiz mit einem goldenen Füllfederhalter, der demjenigen zuvor genau glich.
»Und was passiert jetzt?«
»Ich werde Sir Julian Warwick, der in Ihrem Fall nach wie vor die Krone vertritt, um einen Gesprächstermin bitten. Dabei werde ich ihm klarmachen, dass es von Nachteil wäre, wenn die Presse die wahre Geschichte erfahren sollte. Denn das würde die Polizei sowohl hier wie in Spanien in große Verlegenheit bringen, weshalb es angesichts der Umstände klug von ihm wäre, den Strafverfolgungsdienst aufzufordern, die jüngsten Vorwürfe im Austausch gegen Ihr Schweigen fallen zu lassen.«
»Und wie, glauben Sie, wird der Strafverfolgungsdienst auf diesen Vorschlag reagieren?«
»Ich glaube nicht, dass sie eine Wahl haben. Es sei denn, sie wollen, dass die Geschichte auf jeder Titelseite des Landes erscheint mit der Überschrift: ›Chief Inspector in Entführung und Einbruch verwickelt‹.«
»Und wie stehen die Chancen?«, fragte Faulkner, indem er sogleich zum entscheidenden Punkt kam.
»Besser als fünfzig-fünfzig, würde ich sagen. Es mag ja sein, dass Sir Julian Ihre Haftzeit am liebsten verdoppeln würde. Aber nicht um den Preis, dass sein einziger Sohn die Zelle neben Ihnen bezieht, anstatt befördert zu werden, was, wie ich höre …«
Von der Tür her erklang ein scharfes Klopfen, und ein Gefängnisbeamter schob seinen Kopf in den Raum. »Noch fünf Minuten, Sir.« Booth Watson war nicht sicher, wem von ihnen beiden die Anrede als »Sir« galt.
»Gibt es sonst noch etwas, womit ich mich befassen sollte, bevor wir uns wiedersehen?«, fragte Faulkner.
»Ja. Ich habe ein Angebot für Ihre einundfünfzigprozentige Aktienmehrheit an der malaysischen Teegesellschaft bekommen, die Sie von einem meiner anderen Mandanten erworben haben.«
»Einem Drogendealer, der nicht mehr unter uns weilt. Wie viel?«
»Sechzehn Millionen.«
»Das kann nicht mehr als ein Eröffnungsangebot sein. Eine Export-Import-Gesellschaft mit dem jährlichen Umsatz von Marcel and Neffe muss fast das Doppelte wert sein.«
»Seitdem Sie Ihren Aufenthaltsort geändert haben, sind die Aktien gefallen.«
»Verlangen Sie vierundzwanzig Millionen und stimmen Sie dem Verkauf bei zweiundzwanzig Millionen zu«, sagte Faulkner, als zum zweiten Mal an die Tür geklopft wurde.
Booth Watson schob seine Unterlagen zusammen und legte sie zurück in seine Gladstone-Tasche mit dem Gefühl, alles erreicht zu haben, was er sich nur erhoffen konnte. Als er aufstand, sagte er: »Einmal pro Woche steht Ihnen eine vertrauliche Konsultation mit Ihrem juristischen Vertreter zu. Dürfte ich vorschlagen, dass wir uns jeden Freitagmorgen um zehn treffen?«
»Das passt mir gut«, sagte Faulkner. »In absehbarer Zukunft gehe ich nirgendwohin.«
»Ich hoffe, dass wir ›absehbarer‹ bald durch das Wort ›nächster‹ ersetzen können«, sagte Booth Watson. »Damit wir wieder gemeinsam das Frühstück im Savoy genießen können.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Faulkner.
Booth Watson ging zur Tür. »Danke, Officer«, sagte er und blieb einen kurzen Augenblick lang zwischen den beiden Männern stehen, damit Faulkner nach der Rolex greifen und sie sich über das Handgelenk streifen konnte.
Der Beamte führte den Gefangenen 0249 zurück in dessen Zelle in Block A, während Booth Watson in die andere Richtung zum Empfangsbereich ging. Er hatte den Eindruck, die Dinge hätten nicht besser laufen können. Er wusste jedoch, dass er Christina Faulkner genau im Auge behalten musste, um sicherzustellen, dass sie ihren Teil der Abmachung einhielt.