Miles Faulkner hatte die Absicht, die tägliche Sporteinheit gewinnbringend zu nutzen.
Zuvor hatte Tulip ein Gespräch mit dem einzigen Menschen organisiert, der in der Lage wäre zu ermöglichen, was Miles vorschwebte: Reggie der Zuhälter, der zu fünf Jahren verurteilt worden war, weil er minderjährige Jungen belästigt hatte, um daraus Kapital zu schlagen.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Faulkner«, fragte Reggie, während sie über den Sportplatz schlenderten. Zwei kräftig gebaute Häftlinge vor ihnen und einige weitere ein paar Schritte hinter ihnen sorgten dafür, dass niemand ihren Boss stören würde.
»Ich brauche einen Strichjungen für Freitagabend«, sagte Miles. »Er muss vor allem etwas im Kopf haben und sehr schön sein.«
»Es dürfte ziemlich schwierig sein, jemanden ins Gefängnis zu schmuggeln, Mr. Faulkner, selbst für jemanden mit Ihren Kontakten.«
»Doch nicht für mich, du Schwachkopf. Für meine Ex-Frau.«
»Entschuldigen Sie das Missverständnis. Was würde von meinem Jungen erwartet?«
»Am Freitagabend geht meine Ex-Frau immer ins Tramp und versucht, dort jemanden aufzugabeln, den sie später mit nach Hause nehmen kann. Ich brauche einen deiner erfahreneren Don Juans, dem es gelingt, auch tatsächlich eine Einladung für die Nacht zu bekommen.«
»Ich kenne jemanden, dem sie nicht wird widerstehen können«, sagte Reggie. »Er nennt sich Sebastian.«
»So viel zur Schönheit«, sagte Miles. »Jetzt kommen wir dazu, dass er auch etwas im Kopf haben muss, was möglicherweise eine gewisse Herausforderung darstellt. Nachdem er den ersten Teil seiner Aufgabe zufriedenstellend erledigt hat, soll er in der Wohnung bleiben, bis sie eingeschlafen ist. Das ist der Punkt, an dem er ernsthaft anfangen muss, sein Geld zu verdienen. Irgendwo in der Wohnung meiner Frau werden zwei schwarze Tumi-Koffer stehen. Sie sind ziemlich groß, sodass es nicht allzu schwierig sein dürfte, sie zu finden. Sobald er sie an sich gebracht hat, wird vor der Tür ein Mann auf ihn warten, der sie entgegennimmt. Also, was würde der Spaß kosten?«
»Sagen wir, ein paar Tausender, Mr. Faulkner?«
Miles nickte, und die beiden Männer schlugen ein, was die einzige Möglichkeit war, im Gefängnis ein Geschäft zu vereinbaren – und möge der Himmel jedem helfen, der auch nur mit dem Gedanken spielte, solch einen ungeschriebenen Vertrag zu brechen.
»Betrachten Sie es als erledigt«, sagte Reggie, als die Sirene erklang, die das Zeichen für die Häftlinge darstellte, dass sie noch fünf Minuten hatten, um in ihre Zellen zurückzukehren. »Darf ich fragen, was in den Koffern ist?«, sagte er, als sie den Hof verließen.
»Nein«, sagte Miles. »Aber sollte dein Junge sie nicht übergeben, solltest du nicht einmal daran denken, alleine zum Duschen zu gehen.«
Booth Watson wartete, bis seine Sekretärin das Büro verlassen hatte, bevor er eine Privatnummer nachschlug und in sein Telefon einzugeben begann.
»Warwick«, sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Hier ist Booth Watson, Julian. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich mit meinem Mandanten gesprochen habe und er zu meiner Überraschung mit Ihren Bedingungen einverstanden ist.«
»Er ist bereit, sich in allen neuen Anklagepunkten schuldig zu bekennen, wenn ihm dadurch zwei Jahre seiner Haftstrafe erlassen werden?«, sagte Sir Julian. Er fügte allerdings nicht hinzu: Ich glaube Ihnen nicht.
»Ich habe ihm natürlich abgeraten, was Sie nicht überraschen dürfte.«
Sir Julian war überrascht, äußerte sich jedoch nicht dazu.
»Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um ihn davon abzubringen, aber er hatte sich bereits entschieden.« Ein Satz zu viel – das genügte schon, um Sir Julian davon zu überzeugen, dass Booth Watson nicht die Wahrheit sagte. »Wenn Sie also das übliche Verfahren in die Wege leiten und die Vereinbarung aufsetzen würden, sorge ich dafür, dass er sie unterzeichnet. Schade«, fügte Booth Watson hinzu, »ich hätte so gerne noch einmal die Klingen mit Ihnen gekreuzt.«
Das immerhin glaubte Sir Julian.
»Ich werde mich bei Ihnen melden«, sagte er, »sobald der Strafverfolgungsdienst seine offizielle Zustimmung erteilt hat.«
»Ich freue mich schon darauf, von Ihnen zu hören, Julian. Wir sollten uns irgendwann mal zum Lunch treffen. Vielleicht im Savoy.«
Ein weiterer überflüssiger Satz, mit dem sich Booth Watson verriet, dachte Sir Julian, als seine Sekretärin ins Büro kam.
»Sagen Sie mir, Ms. Weeden, träume ich?«, fragte er, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte.
»Ich glaube nicht, Sir Julian«, sagte die Sekretärin und sah ihn verwirrt an.
»Wenn das so ist, dann bitten Sie doch Ms. Warwick und Ms. Sutton, mich unverzüglich für eine dringende Konsultation aufzusuchen.«
»Mrs. Faulkner und ich werden gegen fünf Uhr nachmittags aus der Bank kommen«, sagte Booth Watson. »Sie wird zwei große Koffer bei sich haben, die ihr Chauffeur zweifellos im Kofferraum ihrer Limousine verstauen wird, einem dunkelblauen Mercedes mit dem Kennzeichen J423 ABN .« Lamont machte sich eine Notiz. »Da alle anderen Banken zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen haben, wird sie sich wahrscheinlich direkt nach Hause fahren lassen.«
»Was ist, wenn der Chauffeur sie irgendwo absetzt und sie die Koffer im Wagen lässt, weil er sich darum kümmern soll?«
»Das ist unwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass Mrs. Faulkner das Geld aus den Augen lassen wird. Sie wird sich erst sicher fühlen, wenn sie wieder in ihrer Wohnung ist.«
»Warum nehme ich die Koffer nicht einfach an mich, wenn sie aus dem Wagen gehoben werden?«, fragte Lamont.
»Das können wir nicht riskieren. Wir müssen subtiler vorgehen. Der Chauffeur wird die Koffer wahrscheinlich zu dem Gebäude tragen, in dem sich ihre Wohnung befindet, und vergessen Sie nicht, dass dort ständig ein Portier an der Tür steht. Ich habe ihn mir angesehen. Er ist fast einen Meter neunzig groß und hat eine gebrochene Nase – also eher nein.«
»Wie komme ich dann an die beiden Koffer?«
»Nachdem sie den Abend im Tramp verbracht hat, wird Mrs. Faulkner wahrscheinlich gegen Mitternacht in ihre Wohnung zurückkehren. Sie wird von jemandem begleitet werden, den sie für ihre jüngste Eroberung halten wird, einem jugendlichen Pflänzchen namens Sebastian, der in Wahrheit unser Mann ist. Sie werden draußen in Ihrem Auto warten, bis er in den frühen Morgenstunden mit beiden Koffern zu Ihnen kommt, die er Ihnen im Austausch gegen das hier überreichen wird.« Booth Watson schob einen dicken braunen Umschlag über den Schreibtisch.
»Was mache ich mit den Koffern?«
»Bringen Sie sie direkt hierher in meine Kanzlei.«
»Aber es könnte drei oder vier Uhr morgens sein«, sagte Lamont.
»Es ist mir egal, wie spät es ist. Schaffen Sie sie einfach nur so schnell wie möglich hierher. Ihr Honorar bekommen Sie in bar bei Lieferung.«
Lamont nahm den Umschlag an sich und stand auf, um das Büro zu verlassen, denn er dachte, die Besprechung sei beendet.
»Und denken Sie erst gar nicht daran, in die Koffer zu schauen«, warnte Booth Watson ihn. »Oder zu versuchen, den Mann, der sie Ihnen aushändigt, übers Ohr zu hauen. Denn es gibt drei Leute, die genau wissen, wie viel sich in diesem Umschlag befindet, und einer davon ist Miles Faulkner.«
»Ich glaube, ich habe herausgefunden, was Booth Watson vorhat«, sagte Sir Julian, nachdem seine Tochter und Clare Platz genommen hatten.
»Was mehr ist, als ich geschafft habe«, sagte Grace.
»Zunächst müssen wir uns fragen, warum Faulkner bereit ist, auf unseren Vorschlag einzugehen, wo ihm doch nur zwei Jahre einer sechzehnjährigen Haftstrafe erlassen werden, wenn er sich schuldig bekennt. Hat eine von euch einen Grund dafür gefunden?«
Clare hob die Hand, als säße sie wie eine Musterschülerin in der vordersten Reihe der Klasse. Sir Julian nickte.
»Booth Watson weiß, dass der Richter ihm eine Frage stellen könnte, die nicht nur dazu führen würde, dass er aus dem Anwaltsverein ausgeschlossen, sondern sogar selbst hinter Gittern enden würde, falls es zum Prozess kommt.«
»Und wie lautet diese Frage?«
»Wann haben Sie zum ersten Mal begriffen, dass Mr. Miles Faulkner noch am Leben war?«
»Er würde bluffen und irgendwelche Ausflüchte machen«, sagte Sir Julian, »und dann behaupten, er habe erst nach Faulkners Festnahme davon erfahren und sei so überrascht gewesen wie alle anderen.«
»BW ist durchaus fähig, Faulkner fallen zu lassen«, sagte Grace, »wenn es darum geht, die eigene Haut zu retten.«
»Aber wie will er dann erklären, was er am Tag der Festnahme in Faulkners Landhaus in der Nähe von Barcelona gemacht hat?«, fragte Clare.
»Er war im Interesse seiner Mandantin Mrs. Faulkner vor Ort, um ein Inventar der Besitztümer ihres verstorbenen Gatten anzulegen«, schlug Sir Julian vor.
»Aber was ist, wenn das Gericht Booth Watsons Terminplan als Beweismittel einsehen will?«, erwiderte Clare.
»Du kannst dich darauf verlassen, dass BW mindestens zwei Terminpläne führt«, sagte Sir Julian. »Aber wenn du schon so gewitzt bist, könntest du mir vielleicht verraten, wie Booth Watson Faulkner dazu bringen will, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die dafür sorgen wird, dass sein Mandant die nächsten vierzehn Jahre im Gefängnis verbringt.«
»Das hat uns beiden Rätsel aufgegeben«, gestand Clare. »Ich wäre gerne eine Fliege an der Wand, wenn BW Faulkner das nächste Mal im Gefängnis aufsucht.«
»Es gibt noch eine andere Frage, die sogar noch faszinierender ist«, sagte Grace. »Warum will Booth Watson überhaupt, dass Faulkner vierzehn Jahre im Gefängnis verbringt?«
»Weil er weiß, wo die Leichen begraben sind, wäre meine Vermutung«, sagte Sir Julian.
»Welche Leichen?«
»Rembrandt, Vermeer, Monet, Manet, Picasso, Hockney …«