»Während der letzten Wochen«, sagte William, »hat DS Roycroft in unserem Sinne auf Constable Smart eingewirkt. Und wenn Constable Smart sich dazu entschließen sollte, mit uns zusammenzuarbeiten, werden wir mehr als genügend Beweismaterial zur Verfügung haben, Milner und seiner Truppe Betrug in gigantischem Ausmaß nachzuweisen.«
»Und DS Adaja?«, fragte Hawksby. »Wie steht es mit ihm in Windsor?«
»Er hat mehr als genügend Beweise für rassistische Vorurteile gesammelt, jedoch nichts, das Milner nicht als groben, aber harmlosen Scherz beiseitewischen könnte.«
Hawksby runzelte die Stirn. »Das ist ein Problem, das man in der Polizei schon bald angehen muss, wenn wir für mehr Menschen wie DS Adaja attraktiv sein wollen.«
»Er meint allerdings auch, er könnte etwas auf der Spur sein, das Milner nicht so einfach wegwischen kann«, fügte William hinzu. »Aber er möchte noch nichts darüber sagen, bis er genügend Beweise hat, die die Geschworenen ohne den geringsten Zweifel von Milners Schuld überzeugen würden.«
»Die Vorstellung, dass ein junger Immigrant aus Ghana den Leiter der Royalty Protection zu Fall bringt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie«, sagte der Commander mit einem schiefen Lächeln.
»Das ist das Problem mit rassistischen Vorurteilen«, sagte William. »Milner würde nie auf die Idee kommen, dass DS Adaja genauso intelligent ist wie er selbst.«
»Und wie steht es mit Ihnen?«, fragte Hawksby. »Sind Sie auch so intelligent wie Milner?«
»Es ist mir gelungen, eine Tonne Indizien zu sammeln, aber nichts, was vor Gericht standhalten würde.«
»Vergessen Sie nicht, dass Sie eine Tonne unanfechtbarer Beweise brauchen werden, wenn Sie Milner aus dem Verkehr ziehen wollen, denn dieser Mann hat den Worten ›Freunde ganz oben‹ eine völlig neue Bedeutung gegeben. Was denken Sie, wem wird der Palast spontan glauben – einem Mann, der seit über einem Jahrzehnt den Mitgliedern der königlichen Familie dient, oder einem DCI , von dem sie noch nie gehört haben? Deshalb scheint mir, dass DS Roycroft und DS Adaja die besten Chancen haben, Milners Selbstbedienungsladen zu schließen.«
»Besonders, da er sich nur selten in Windsor aufhält, während …«
»Die Katze aus dem Haus ist«, sagte Hawksby. »Aber was ist mit DI Hogan? Hat er meine Anweisungen ausgeführt?«
»Aufs Wort.«
»Einzelheiten«, verlangte Hawksby.
»Erst kürzlich ist er mit seiner Tochter in den Londoner Zoo gegangen und hat alles als Spesen abgerechnet, einschließlich eines Schoko-Nuss-Eisbechers. Er hat die Quittungen vorgelegt, und Milner hat die Ausgaben nicht infrage gestellt.«
»Weshalb ich mich unweigerlich frage, was Milners Schoko-Nuss-Eisbecher ist. Hat DI Hogan sonst noch etwas herausgefunden, das wir wissen sollten?«
»Es sieht so aus, als unterhielte Prinzessin Diana ein Verhältnis mit einem jungen …«
»Gigolo«, sagte Hawksby. »Ja, ich habe bereits in allen Einzelheiten davon gelesen. Wir können nur hoffen, dass sie irgendwann wieder zu Verstand kommt.«
»DI Hogan hat mir berichtet, dass es anscheinend ziemlich ernst zu werden beginnt.«
»Dann wird man das Problem in andere Hände legen. Aber es könnte klug sein, wenn er in Zukunft seine Beobachtungen offiziell meldet. Denn wenn die Sache außer Kontrolle gerät, wird man nach einem Schuldigen suchen, und er ist der naheliegende Sündenbock«, sagte Hawksby, als das Telefon auf seinem Schreibtisch zu klingeln begann.
»Ich werde ihm das mitteilen, Sir«, sagte William.
»Ich habe Geoff Duffield am Apparat«, sagte seine Sekretärin, als Hawksby den Hörer abnahm. »Er ruft von Heathrow aus an. Er sagt, es sei ein Notfall.«
»Bei Duffield ist alles ein Notfall«, erwiderte Hawksby. »Stellen Sie ihn durch.« Er drückte auf den Lautsprecherknopf, damit William die Unterhaltung mithören konnte.
»Guten Morgen, Superintendent«, sagte Hawksby. »Das letzte Mal, dass Sie mich angerufen haben, ging es um eine Flugzeugentführung. Was haben Sie diesmal für mich?«
»Etwas Schlimmeres, fürchte ich«, sagte Duffield. »Ein Privatjet hat eine ungeplante Zwischenlandung in Heathrow eingelegt, um vor dem Weiterflug nach Moskau aufzutanken und die Besatzung zu wechseln. Möglicherweise befindet sich Mansour Khalifah an Bord.«
»Falls es sich wirklich so verhält«, sagte Hawksby, »kann das tatsächlich als Notfall gelten.« Er tippte etwas in seinen Computer und sah, dass gegen Khalifah sechsundzwanzig ausstehende Haftbefehle in ebenso vielen Ländern vorlagen und sein Name fast ganz oben auf der Fahndungsliste von Interpol stand.
»Wir müssen sicher sein, dass er es ist, bevor wir irgendwelche Schritte unternehmen können. Das Letzte, was wir jetzt noch brauchen können, ist ein größerer diplomatischer Zwischenfall, bei dem man uns vorwerfen würde, einen Unschuldigen verhaftet zu haben. Befragen Sie als Erstes die ausgewechselte Besatzung.«
»Das habe ich bereits, Sir. Die Leute konnten mir lediglich sagen, dass das Flugzeug aus Libyen kommt und sich nur drei Passagiere an Bord befinden.«
»Libyen könnte man als einen Hinweis betrachten«, sagte William.
»Aber er ist nicht eindeutig«, erwiderte der Commander.
»Wie lange wird es dauern, bis der Flug eine Starterlaubnis erhält?«, fragte William.
»Höchstens eine Stunde«, sagte Duffield. »Aber wir haben ihnen noch keinen Slot für den Start zugeteilt. Die neue Besatzung wartet noch darauf, an Bord gehen zu können.«
»Halten Sie sie auf«, sagte William. »Schließen Sie sie ein, wenn es sein muss.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich die Befugnis habe, so etwas zu tun«, sagte Duffield.
»Jetzt schon«, erklärte Hawksby.
»Haben Sie ein Sondereinsatzkommando vor Ort?«, fragte William.
»Ja, unter der Führung eines gewissen Inspector Roach. Die Männer sind in Bereitschaft.«
»Statten Sie sie als neue Besatzung aus und sagen Sie ihnen, dass wir die Stewardess mitbringen werden«, sagte William. »Wir sollten in etwa vierzig Minuten bei Ihnen sein.«
»An wen hatten Sie als Stewardess gedacht?«, fragte Hawksby, als er den Hörer auflegte.
»Bitte gehen Sie noch einmal das Programm mit mir durch, Victoria«, sagte die Prinzessin, als ihr Wagen in Richtung Princes Gardens abbog.
»Es ist ein etwas anderer Lunch als üblich, Ma’am. Nur einhundert Gäste, aber jeder von ihnen hat eintausend Pfund bezahlt, um daran teilzunehmen. Dadurch sind bereits einhunderttausend Pfund für karitative Zwecke beisammen.«
»Vor Abzug der Unkosten?«
»Die werden kein Problem sein. Asprey’s ist der Gastgeber bei diesem Ereignis und übernimmt alle Kosten zur Feier des einhundertdreißigsten Jahrestages der Auszeichnung als königlicher Lieferant durch Queen Victoria. David Carmichael, der Vorstandsvorsitzende, der übrigens zu Ihrer Rechten sitzen wird, hat mir sogar mitgeteilt, dass man zu Ihren Ehren die einzigartige Silbersammlung des Unternehmens präsentieren wird, worunter sich als Stolz der Ausstellung auch eine Statue von Queen Victoria befindet.«
»Wie überaus großzügig von Mr. Carmichael«, sagte Diana, als der Jaguar an Harvey Nichols vorbeifuhr, einem ihrer Lieblingsgeschäfte, wie sie Ross einmal gestanden hatte. »Ich darf nicht vergessen, mich bei ihm zu bedanken.« Sie fügte ihrer Rede einen Satz über die Silbersammlung hinzu.
Ross saß stumm vorn auf dem Beifahrersitz und dachte an die Menschen, die die Prinzessin begrüßen würden. Die Menge würde bei ihrer Ankunft nicht besonders groß sein, denn aus Sicherheitsgründen war der Name des Ehrengasts auf den Einladungskarten nicht erwähnt worden. Doch der rote Teppich und die elegant gekleideten Gäste, die alle in eine einzige Richtung gingen, würden unweigerlich einige neugierige Zuschauer anziehen. Bei der Abfahrt der Prinzessin würden sich die Menschen aus den Fenstern beugen, an Laternenpfählen hochklettern oder mitten auf die Straße strömen, nur um einen Blick auf den Ehrengast zu werfen. Das wäre dann der Zeitpunkt, an dem er eigentlich drei Augenpaare benötigte.
Ihre Königliche Hoheit riss ihn aus seinen Gedanken. »Erwarten Sie irgendwelche Probleme, Ross?«
»Es gibt da einen Verrückten, der zu Ihren letzten drei Terminen gekommen ist und behauptet, mit Ihnen verheiratet zu sein.«
»Ist das ein Verbrechen?«, fragte Diana.
»Das ist es in der Tat, solange Sie noch mit dem Prince of Wales verheiratet sind«, sagte Ross, bedauerte jedoch sofort seine Worte.
»Was ist mit der Gästeliste?«, fragte Victoria, um ihm aus dieser misslichen Lage zu helfen.
»Fast ausschließlich Prominente, nur ein oder zwei Ausnahmen.«
»Vielleicht noch mehr Verrückte?«, fragte Diana.
»Nein, Ma’am, aber zwei der Gäste sind vorbestraft.«
»Sagen Sie uns, weswegen«, bemerkte Victoria.
»Einbruch und Betrug. Ich werde dafür sorgen, dass Sie mit keinem von beiden zusammen fotografiert werden, Ma’am. Denn Sie können sich darauf verlassen, dass ein solches Bild morgen auf allen Titelseiten erscheinen würde.«
Als das Auto in die Bond Street abbog, sprang ein Dutzend Fotografen mitten auf die Straße, und jemand in der Menge rief: »Es ist Diana!«
»Mansour Khalifah«, sagte William, »ist zweifellos einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Wir wissen nicht einmal, wie viele Menschen er selbst umgebracht hat oder für deren Tod er verantwortlich ist. Wenn er in diesem Flugzeug sitzt und wir ihn entwischen lassen, werden die Amerikaner ganz sicher ein Wörtchen mit uns reden wollen – von den Israelis ganz zu schweigen. Da wir jedoch immer noch nicht sicher sind, ob er sich wirklich an Bord befindet, werden wir behutsam vorgehen müssen.« Er reichte Jackie ein weiteres Foto von Khalifah, das sie sorgfältig studierte, während ihr unmarkiertes Fahrzeug mit nur einem einzigen flackernden Blaulicht und einer Geschwindigkeit von fast einhundert Meilen pro Stunde über die Schnellstraße raste.
»Hat er irgendwelche besonderen Kennzeichen?«, fragte Jackie.
»Ein Muttermal auf der einen Seite seines Halses, unmittelbar unter dem linken Ohr. Er behauptet, es sei eine Narbe, die ihm ein amerikanischer Scharfschütze zugefügt hat – was seine Anhänger auch tatsächlich glauben. Doch es wird gut versteckt sein, denn er trägt eine traditionelle Robe und die entsprechende Kopfbedeckung.«
»Wie komme ich ins Flugzeug?«, fragte Jackie, während sie die Titelseite einer alten Newsweek musterte, auf der Khalifah wenige Augenblicke, bevor er einem amerikanischen Soldaten den Kopf abschlug, einen Krummsäbel in die Luft reckte.
»Sie schließen sich einer Anti-Terroreinheit an, welche die Besatzung ersetzt, die ihn nach Moskau fliegen sollte. Als Stewardess haben Sie die größte Chance, ihn zu identifizieren. Aber überlassen Sie es der Spezialeinheit, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Denn dieser Mann«, sagte William und tippte auf die Titelseite des Magazins, »würde, ohne zu zögern, seine Mutter umbringen.«
Danny drosselte das Tempo, als sie von der Schnellstraße abbogen und auf ein unmarkiertes Tor zufuhren, durch das sie direkt auf die zentrale Startbahn gelangen würden.
Es war nicht zu übersehen, dass der Beamte am Tor sie erwartete, denn er brauchte nur einen kurzen Augenblick, um sich Williams Dienstmarke anzuschauen, bevor er auf ein isoliertes Gebäude auf der anderen Seite der Startbahn deutete. Danny fuhr erst wieder langsamer, als er Superintendent Duffield entdeckte, der dort als einziger Polizist stand. Nirgendwo war ein uniformierter Beamter zu sehen.
Ross hielt sich ein paar Schritte hinter Diana, die sich mit dem Vorstandsvorsitzenden von Asprey’s unterhielt, während den Gästen der erste Gang serviert wurde. Ein weiteres Mal streifte sein Blick durch den Saal. Und dann sah er sie.
Sie saß im hinteren Bereich des Saals, wo sie ein bisschen zu viel Salz auf ihr Essen tat. Dann blickte sie sich verstohlen um und ließ einen silbernen Salzstreuer in ihre offene Handtasche in ihrem Schoß fallen. Sie schloss die Tasche mit einem Klicken und aß weiter. Unter normalen Umständen hätte Ross sie diskret angesprochen und sie gebeten, den Salzstreuer wieder auf den Tisch zu stellen, um eine größere Verlegenheit zu verhindern. Aber dies waren keine normalen Umstände, und seine Anweisungen waren gleichsam in Stein gemeißelt: Lassen Sie niemals zu, dass irgendetwas Sie von Ihrer Hauptverantwortung ablenkt, die darin besteht, den Ihnen anvertrauten Menschen zu schützen. Doch er ertappte sich dabei, dass er sich ein zweites Mal ablenken ließ, als er einen Mann entdeckte, der am mittleren Tisch einen silbernen Serviettenring in sein Taschentuch gleiten ließ, während er vorgab, sich die Nase zu putzen. Danach verschwanden Taschentuch und Inhalt in seiner Hosentasche.
Als Ihre Königliche Hoheit sich erhob, um am Ende der Mahlzeit ihre Rede zu halten, waren sechs Salz- und vier Pfefferstreuer, drei Serviettenringe und ein Senftopf – samt Inhalt – auf Nimmerwiedersehen verschwunden, und Ross konnte nichts dagegen tun. Unter den einhundert reichsten Menschen des Landes befanden sich mindestens ein Dutzend, die sich mit kleinen Diebereien abgaben und die Dickens’ Schurke Fagin liebend gerne in seine Dienste genommen hätte.
Der Vorstandsvorsitzende von Asprey’s hörte sich die Rede der Prinzessin an, ohne dass auch nur einen Augenblick lang sein zufriedenes Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. Es wäre nicht Ross, der ihm sagen würde, dass in der einzigartigen Silbersammlung mehrere Stücke fehlten, wenn man diese wieder zurück in den Tresorraum brachte.
Als sich die Gäste erhoben, um der Prinzessin Beifall zu spenden, nutzten einige von ihnen zusätzlich die Gelegenheit, um sich das eine oder andere Stück zu sichern. Zur Beute gehörten ein silberner Teelöffel und ein weiterer Pfefferstreuer. Es war nicht schwer für Ross, die Diebe zu erkennen: Es waren diejenigen, die nicht klatschten.
Nachdem die Prinzessin mehrere Speisekarten signiert hatte, begleitete der Vorstandsvorsitzende seinen Ehrengast zurück zum Auto. Auf dem Weg dorthin blieb die Prinzessin stehen, um mit ein paar Menschen aus der Menge zu sprechen, darunter auch eine alte Frau in einem Rollstuhl, die ihr sagte, sie habe schon der Königinmutter die Hand gegeben. Diana umarmte sie, und sie brach in Tränen aus.
»Wie viele haben Sie gesehen, Mr. Hogan?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Ross drehte sich um und erkannte einen Mann, den er, wie er sich erinnerte, wegen Einbruchs festgenommen hatte, als er noch ein junger Constable gewesen war.
»Ein Dutzend, vielleicht sogar noch mehr«, gestand Ross. »Ich bin froh, dass Sie nicht darunter waren, Ron.«
»Ich bin kein Souvenirjäger, Inspector. Außerdem wäre die einzige Sache von Wert, die man hätte stehlen können, die Statue von Queen Victoria gewesen, und um das zu tun, hätte ich eine Ablenkungsaktion durchführen müssen.« Ross hätte am liebsten gelacht. »Aber wenn ich gewusst hätte, dass Sie im Saal sind, Mr. Hogan, hätte ich es gar nicht erst versucht.«
Ross gestattete sich ein Lächeln, bevor er nach vorn trat und die Autotür öffnete, damit Ihre Königliche Hoheit neben Victoria auf der Rückbank Platz nehmen konnte.
»Richten Sie dem Commander meine Grüße aus«, sagte Ron, als Ross die hintere Tür schloss und vorn neben dem Fahrer einstieg.
Während das Team die Kleidung wechselte und die Uniformen einer russischen Flugzeugbesatzung anzog – ein nettes Detail, dachte William –, fuhr Inspector Roach mit seinen Anweisungen fort.
»In Ordnung, Jungs«, sagte Roach, wobei seine Militärvergangenheit durchklang. »Denkt immer daran, dass wir es mit drei rücksichtslosen Terroristen zu tun haben, denen es nie in den Sinn kommen würde, Gefangene zu machen. Wir haben jedoch eine Geheimwaffe«, fügte er hinzu und stellte ihnen Detective Sergeant Jackie Roycroft vor. »Während DS Roycroft die Magazine austeilt und den Kaffee serviert, werden wir uns im Cockpit bereithalten, um zuzuschlagen, sobald sie uns ein Zeichen gibt.«
»Werden sie nicht misstrauisch sein, wenn wir an Bord gehen und sie keinen von uns erkennen?«, fragte Jackie.
»Unwahrscheinlich«, sagte Roach. »Das Flugzeug ist nicht auf Khalifahs Namen registriert und wurde von einer dritten Partei gechartert. Wenn sie Tiny sehen, werden sie ohnehin glauben, dass er keine Kerze ausblasen kann. Obwohl sie schon bald erleben werden, warum er Leichtgewicht-Boxchampion der Polizei wurde und warum Sergeant Pascoes Spitzname ›One Blow‹, ein Schlag, lautet.«
»Sobald DS Roycroft das Wort ›Sicherheitsgurte‹ ausspricht«, erklärte Pascoe, »ist das unser Zeichen, um reinzugehen. Alles sollte innerhalb von Sekunden vorbei sein.«
»Das hoffe ich«, sagte Tiny. »Denn heute Abend bin ich an der Reihe, die Kinder zu baden.«
Alle lachten außer William und Jackie, die den Humor der Anti-Terroreinheit vor einem Einsatz nicht gewohnt waren.
»In Ordnung, Jungs«, sagte Roach, nachdem er die russischen Uniformen noch einmal überprüft hatte. »Fangen wir an.«
William beobachtete aus dem Gebäude heraus, wie Roach seine kleine Truppe über die Landebahn zu dem wartenden Jet führte. Keiner der Männer konnte das Augenpaar übersehen haben, das aus einem der Kabinenfenster spähte und jeder ihrer Bewegungen folgte.
Roach und seine zwei Begleiter stiegen die kurze Treppe ins Flugzeug hinauf und verschwanden im Cockpit, ohne einen Blick auf die Passagiere zu werfen.
Jackie folgte direkt hinter ihnen. Nachdem sie das Flugzeug betreten hatte, stellte sie ihre Handtasche auf den kleinen Klapptisch vor der Kabine. Sie drehte den Passagieren den Rücken zu, öffnete die Tasche, nahm ihren Lippenstift heraus und überprüfte ihr Make-up im Spiegel ihrer Puderdose. Ihr Blick ruhte auf einem Mann in einem langen weißen Thawb, der eine goldene Schnur um seine Kufiya trug und die Financial Times las. Niemand hätte weniger wie ein Terrorist aussehen können. Sie richtete ihren Spiegel ein wenig aus und konzentrierte sich auf die beiden jüngeren Männer, die hinter ihm saßen. Einer von ihnen hatte seine rechte Hand auf einer Pistole liegen, während der andere sie nicht aus den Augen ließ. Sie legte den Lippenstift zurück in ihre Puderdose und nahm eine kleine Dose Haarspray aus ihrer Handtasche, bevor sie erneut in den Spiegel sah. Sie war immer noch nicht vollkommen sicher, ob es sich um Khalifah handelte, der völlig entspannt wirkte, als er eine Seite seiner Zeitung umschlug.
Jackie schob das Haarspray in ihre Jackentasche und drehte sich um, wobei sie bemerkte, dass der zweite Leibwächter sie immer noch anstarrte. Sie riskierte es, ihm ein Lächeln zu schenken, das er zu ihrer Überraschung erwiderte. Sie hielt sich an den Plan und begann, die Magazine in ihren Halterungen zu verstauen, was das Zeichen dafür war, dass One Blow in die Kabine kommen sollte. Überrascht entdeckte sie drei ältere Exemplare von Newsweek mit Mansour Khalifahs Foto auf der Titelseite. Seine Eitelkeit hatte ihn verraten. One Blow schlenderte an ihr vorbei, und sie wartete ein paar Sekunden, bis sie ihm durch den Mittelgang folgte.
»Guten Morgen, Sir«, sagte One Blow und blieb neben Khalifah stehen. Der erste Leibwächter ließ ihn nicht aus den Augen, während der zweite nach wie vor Jackie ansah. Khalifah hingegen würdigte die beiden kaum eines Blickes.
»Der Tower hat uns die Starterlaubnis erteilt, Sir«, sagte One Blow. »Falls Ihnen das genehm ist.«
Khalifah senkte seine Zeitung und ließ sich zu einem Nicken herab.
»Danke, Sir«, sagte One Blow.
Jackie trat nach vorn und sagte: »Gentlemen, würden Sie bitte die Sicherheitsgurte anlegen«, als Tiny gerade mit einer Flasche Champagner auf einem Silbertablett erschien. Zwei von ihnen griffen nach ihren Sitzgurten, was One Blow jenen Sekundenbruchteil verschaffte, den er brauchte, um Khalifah mit einem einzigen scharfen Schlag gegen den Hals außer Gefecht zu setzen, während Jackie dem ersten Leibwächter ihr Haarspray in die Augen sprühte und ihm dann einen Schlag versetzte, mit dem er nicht gerechnet hatte. Doch der zweite Leibwächter hatte die Flasche Champagner bemerkt, und lange bevor Tiny die Chance hatte, sie über seinen Kopf zu heben, war er aufgesprungen, hatte Jackies Arm gepackt und ihr auf den Rücken gedreht, während er ihr den Lauf seiner Pistole energisch gegen den Kopf drückte.
Tiny begriff sofort, dass er einen Fehler gemacht hatte.
»Eine falsche Bewegung«, sagte Khalifahs Leibwächter, »und ich blase ihr das Hirn aus dem Schädel.«
Tiny zweifelte nicht daran und ließ langsam die Champagnerflasche sinken. One Blow trat einen Schritt zurück.
»Ihr beide«, sagte der Leibwächter und nickte in Richtung von Tiny und One Blow, »verschwindet sofort aus dem Flugzeug.« Sie zögerten einen Augenblick, doch als der Leibwächter Jackie den Lauf seiner Pistole in den Mund schob, zogen sie sich widerwillig durch den Mittelgang zurück und stiegen die Treppe hinab auf die Landebahn.
Der Leibwächter befahl Jackie, die Treppe hochzuklappen und die Flugzeugtür zu verriegeln. Jackie konnte sehen, wie William mit hilfloser Miene auf der Startbahn stand, während One Blow und Tiny zu ihr hochstarrten. Sie wusste, dass ein Gewehr mit großer Reichweite vom Dach des Terminals aus auf die Flugzeugtür gerichtet war. Doch der Beamte mit dem Finger am Abzug würde es nicht riskieren abzudrücken, solange sie noch in der Schusslinie war. Nachdem Jackie die Tür geschlossen hatte, schob der Leibwächter sie nach vorn ins Cockpit, wo DI Roach auf dem Pilotensitz saß – was zu Plan B gehörte, falls Plan A schiefgehen sollte. Und Plan A war gewaltig schiefgegangen.
»Starten Sie die Maschine, sofort!«, schrie der Leibwächter Roach an und hielt den Lauf seiner Pistole fest gegen Jackies Nacken gedrückt.
Roach hielt es nicht für den geeigneten Moment, ihm zu sagen, dass er zu einer Anti-Terroreinheit gehörte und nie in seinem Leben ein Flugzeug geflogen hatte. Er streifte den Kopfhörer über und begann zu beten. Eine Stimme von oben erhörte sein Gebet.
»Folgen Sie sorgfältig meinen Anweisungen«, sagte der echte Pilot. »Starten Sie die Triebwerke, indem Sie die Starthebel im Armaturenbrett zur Seite drehen.«
Roach befolgte die Anweisung. Er drehte die beiden Hebel, die Triebwerke sprangen an und liefen nach wenigen Augenblicken im Leerlauf.
»Jetzt müssen Sie die Automatikbremse aktivieren. Der Schalter befindet sich rechts im vorderen Armaturenbrett. Drehen Sie ihn auf RTO . Jetzt drücken Sie die beiden Schubhebel neben Ihrem rechten Bein zur Hälfte nach vorn, und das Flugzeug wird anfangen zu beschleunigen. Steuern Sie mit Ihren Füßen – Sie dürfen die Pedale nur ganz leicht antippen, wenn Sie es schaffen wollen, eine gerade Linie einzuhalten.«
Roach sah nach rechts und links, bevor er versuchsweise die Schubhebel ein wenig nach vorn schob. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung.
»Die Startbahn vor Ihnen wurde geräumt, Inspector«, sagte die Stimme. »Jetzt möchte ich, dass Sie die Hebel ein wenig weiter nach vorn drücken, aber nicht ruckartig. Das Flugzeug wird beschleunigen, bis Sie eine Geschwindigkeit von etwa neunzig Meilen pro Stunde erreicht haben.«
Was dann?, hätte Roach gerne gefragt. Der Leibwächter legte eine Hand an die Seite der Cockpittür, um sich einen sicheren Stand zu verschaffen, während das Flugzeug immer schneller wurde.
»Bereiten Sie sich nun darauf vor, die Schubhebel in einer einzigen Bewegung zurückzuziehen. Wenn Sie das tun, wird die Bremse automatisch und sehr heftig einsetzen. Es wird Ihnen vorkommen, als würden Sie in eine Backsteinmauer rasen. Der Leibwächter wird sicher das Gleichgewicht verlieren, und das ist die eine Chance, die Sie haben, um ihn zu entwaffnen.«
»Verstanden«, sagte Roach, der sehen konnte, wie die Startbahn vor ihm abrupt endete.
»Jetzt«, sagte die Stimme nachdrücklich.
Roach riss beide Schubhebel zurück, und als die Bremse einsetzte, löste sich ein Schuss. Roach sah, wie jemand neben ihm zu Boden geschleudert wurde.
»Sie haben was getan?«, fragte die Prinzessin, als der Jaguar aus der Bond Street kommend nach rechts abbog und auf Piccadilly zuhielt, wobei mehrere Polizisten auf Motorrädern dafür sorgten, dass der Verkehr aufgehalten wurde, bis das Fahrzeug die Kreuzung sicher überquert hatte.
Ross berichtete Ihrer Königlichen Hoheit, was er beobachtet hatte, während der Jaguar seine von keinem Hindernis unterbrochene Fahrt fortsetzte, und erklärte ihr, warum er nichts hatte dagegen tun können.
»Der arme Mr. Carmichael«, sagte Diana. »Es muss doch irgendetwas geben, womit ich ihm helfen kann.«
»Leider nein. Es sei denn, man ließe jeden Gast beim Verlassen des Gebäudes durchsuchen«, sagte Ross. »Das allerdings würde einige der besten Kunden von Asprey’s in Verlegenheit bringen, was wiederum Mr. Carmichael nicht gerade gefallen dürfte.«
»Aber er war so ein netter Mensch und hat sich so große Mühe gegeben, ein unvergessliches Erlebnis zu schaffen. Jetzt werden ihm nichts als schlechte Erinnerungen an diesen Tag bleiben. Vielleicht könnte ich die Angelegenheit ihm gegenüber wiedergutmachen, indem ich bei Asprey’s einhundert Silberrahmen bestelle und jedem einen schenke, dem ich nach einem offiziellen Termin ein Foto schicken möchte.«
»Das würde die Situation nur noch schlimmer machen«, sagte Victoria. »Das letzte Mal, als Sie so etwas getan haben, hat Asprey’s Ihnen nicht einmal eine Rechnung geschickt.«
Die Prinzessin schwieg eine Weile. Schließlich sagte sie: »Ich weiß, was ein Lächeln auf Mr. Carmichaels Gesicht zurückzaubern wird. Ich werde Ihre Majestät bitten, ihm die Würde eines MVO zu verleihen.«
»Aber damit werden normalerweise nur Menschen ausgezeichnet, die der königlichen Familie über Jahre hinweg gedient haben«, erinnerte Victoria sie.
»Genau«, sagte Diana. »Vergessen Sie nicht, dass Asprey’s der Monarchie seit über einhundert Jahren dient.«
»Verzeihen Sie mir die Frage, Ma’am«, sagte Ross. »Aber was bedeutet MVO ?«
»Mitglied des Königlichen Victoria-Ordens«, erwiderte Victoria. »Das Äquivalent eines MBE , aber seltener, da es eine persönliche Würdigung durch Ihre Majestät darstellt.«
»Wenn Sie also die nächsten zwanzig Jahre lang gut auf mich achten, Ross, könnte es sein, dass sogar Sie aufgenommen werden«, sagte Diana.
Das ist etwas, worauf man sich freuen kann, dachte Ross, als der Jaguar vor dem Kensington Palace vorfuhr. Doch er behielt seine Meinung für sich.
William beobachtete, wie vier Rettungssanitäter zwei Tragen die Flugzeugtreppe hinab und hinaus auf die Startbahn brachten. Langsam gingen sie auf einen bereitstehenden Krankenwagen zu, dessen Einsatz – so hatten alle gehofft – nicht nötig werden würde, und stellten die Tragen vorsichtig nebeneinander. Bei einer Person, die darauf lag, war das Gesicht bedeckt.
Nur wenige Augenblicke später wurden zwei Männer in Handschellen aus dem Flugzeug geführt und ohne Umschweife in zwei verschiedene Polizeifahrzeuge gesetzt, deren hintere Türen bereits offen standen.
»Tapferes Mädchen«, sagte Roach, als der Krankenwagen davonfuhr. »Sie wäre ein verdammt gutes Mitglied unserer Einheit geworden.«
William äußerte sich nicht dazu, aber wenn er eine Waffe mit sich geführt hätte, hätte er Khalifah auf der Stelle erschossen. Und es hätte mehr als nur Inspector Roach bedurft, um ihn zurückzuhalten.