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»Es ist mir eine große Freude«, erklärte der neue Direktor des Fitzmolean, »Sie alle zu dieser bemerkenswerten Sammlung der Werke von Frans Hals willkommen zu heißen. Ich möchte nun Ihre Königliche Hoheit, die Prinzessin von Wales, bitten, die Ausstellung zu eröffnen.«

Die Prinzessin trat ans Mikrofon. Der Beifall hielt an, während sie einen Blick auf den ersten Absatz ihrer Rede warf.

»Zunächst möchte ich Ihnen sagen, wie erfreut ich über die Einladung war, diese mit Spannung erwartete Ausstellung zu eröffnen, die bereits begeisterte Besprechungen erhalten hat. Der Kritiker der Times hat uns heute Morgen daran erinnert, dass große Kunst alle Vorurteile und gesellschaftlichen Barrieren überwindet. Wenn wir ein Gemälde betrachten, denken wir weder an die Hautfarbe noch an die religiösen oder politischen Überzeugungen des Künstlers. Bevor ich diese Besprechung gelesen hatte, war mir nicht klar, dass viele Kunstkritiker Frans Hals denselben Rang zugestehen wie Rembrandt oder Vermeer und dass er fast mittellos starb, obwohl es ihm in seinem langen Leben nicht an Aufträgen gemangelt hat. Vielleicht lag das daran, dass er elf Kinder hatte.« Die Prinzessin wartete, bis das Gelächter sich gelegt hatte, bevor sie fortfuhr.

»Und doch hat er uns ein Erbe hinterlassen, das wir alle bewundern und das gewiss noch viele Generationen lang Bestand haben wird. Als holländischer Meister des Goldenen Zeitalters wäre er gewiss erfreut darüber, dass dieses Museum dank Beth Warwick, der Kuratorin dieser Ausstellung, ihn mit einer so umfangreichen Präsentation seines Werkes würdigt. Ihre Energie, ihr Engagement und ihre fachliche Kompetenz sind für alle unübersehbar.«

Eine herzliche Runde Beifall folgte, und Beth neigte leicht den Kopf.

DI Ross Hogan hätte sich gerne dem Beifall angeschlossen – aber nicht, solange er im Dienst war. Sein Blick streifte durch den Saal, während die Prinzessin mit ihrer Rede fortfuhr. Er bemerkte, dass sein Vorgesetzter, Commander Hawksby, hinter den versammelten Gästen stand und die Vorgänge beobachtete. Sogar bei einer solchen Veranstaltung konnte er nicht aufhören, Polizist zu sein.

Wenige Schritte vor Hawksby stand DCI Warwick und neben ihm dessen Vater Sir Julian Warwick, den Ross zuvor nur aus der Entfernung gesehen hatte, als er im Old Bailey im Zeugenstand aufgetreten war. Ross nahm an, dass die Frau zu seiner Linken Williams Mutter war.

Sein Blick wanderte weiter zu Williams Schwester Grace und ihrer Partnerin Clare. Die beiden beeindruckenden Frauen hielten sich bei der Hand und scheuten sich nicht, ihre Gefühle füreinander öffentlich zu zeigen. Ross fragte sich unweigerlich, was Sir Julian darüber dachte. Zur Rechten des Paares standen Beth Warwicks stolze Eltern, Mr. und Mrs. Rainsford, denen er ewig dankbar sein würde für die Art und Weise, wie sie Jojo als ihre zweite Enkelin in ihre Familie aufgenommen hatten.

Ross unterdrückte ein Lächeln, als sein Blick auf Victoria Campbell fiel, die etwas seitlich stand und unauffällig ihre Rolle als Hofdame wahrnahm. Er musste sich eingestehen, dass er immer noch fasziniert von ihr war, aber er brauchte niemanden, der ihn mit einem »Träum weiter« zurechtgewiesen hätte.

Ganz vorne unter den Gästen stand Christina Faulkner. Sie hielt die Hand eines jungen Mannes, den Ross zuletzt im Tramp gesehen hatte. Er war davon ausgegangen, dass Sebastian nur ein Liebhaber für eine Nacht wäre, doch ganz offensichtlich war er das nicht. Dann wurde Ross’ Aufmerksamkeit auf einen anderen Mann gelenkt, den er bei der Ausstellungseröffnung nicht erwartet hatte. Der Mann schien nicht auf die Rede zu achten, sondern fixierte unverwandt ein bestimmtes Gemälde.

Da es inzwischen nur noch wenige Wochen bis zu Miles Faulkners Prozess dauern würde, war Ross verwirrt darüber, warum ihn bisher niemand über das Bild befragt hatte, das Booth Watson anstarrte, und wie es dazu gekommen war, dass es Teil der Ausstellung geworden war. Noch überraschender war, dass Faulkners Anwalt keine offizielle Beschwerde eingelegt hatte, nachdem sein Mandant gewaltsam aus seinem Refugium in Spanien nach England zurückgebracht worden war, um sich einem zweiten Prozess zu stellen.

Ebenso verwirrend war Faulkners Entscheidung, auf schuldig zu plädieren im Gegenzug dafür, dass man ihm zwei Jahre Haft erlassen würde. Es ergab keinen Sinn. Faulkner hatte den Ruf, hart und geschickt zu verhandeln, und das war gewiss keine günstige Vereinbarung für ihn. Es musste etwas geben, dessen sich weder er noch William bewusst waren. Ross fragte sich, ob er jemals herausfinden würde, was es war. Wieder richtete er seinen Blick auf Booth Watson, der, wie er annahm, die Antwort auf all diese Fragen wusste.

Die Prinzessin wandte sich ihrer letzten Karte zu.

»Ich zweifle nicht daran, dass diese bemerkenswerte Ausstellung der Öffentlichkeit genauso viel Genuss bereiten wird wie uns«, sagte sie. »Und es ist mir eine Freude, sie hiermit als eröffnet zu erklären.«

Wieder erklang eine Runde Beifall. Begleitet vom Direktor des Museums verließ die Prinzessin das Podium und ging direkt auf die Kuratorin der Bilder zu, um ihr zu gratulieren. Artemisia, die ihre kleine Krone fest in ihr Haar geklemmt hatte, gelang es irgendwie, sich zwischen die beiden zu quetschen.

Als Diana und der neue Direktor weitergingen, um mit einigen anderen Gästen zu plaudern, musste Beth Artemisias Hand energisch festhalten, um sie daran zu hindern, die Rolle einer zweiten Hofdame zu übernehmen. Der Commander nutzte diesen Moment, um aus dem Schatten zu treten und sich leise an William zu wenden.

»Werfen Sie mal einen Blick nach dort drüben«, flüsterte er.

»Ich habe ihn bereits gesehen«, sagte William.

»Warum nur ist er an diesem besonderen Bild so interessiert?«

»Caravaggios Grablegung Christi «, sagte William, ohne sich umzuwenden, »wurde dem Museum von Miles Faulkner als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt – und zwar als Gegenleistung für die Aussetzung seiner Strafe zur Bewährung nach seinem ersten Prozess.«

»Ich muss gestehen, dass Booth Watsons Gesichtsausdruck eher auf eine vorübergehende Leihgabe hinzudeuten scheint«, erklärte Hawksby nachdenklich.

»Ich frage mich, was Faulkner bereit wäre, diesmal als Gegenleistung für das Aussetzen seiner Haftstrafe auf Bewährung anzubieten«, sagte William.

»Ich glaube, dass der Richter sich nicht einmal dann umstimmen ließe, wenn er uns seine gesamte Sammlung zur Verfügung stellen würde.«

»Es sei denn, Beth wäre die Richterin«, erwiderte William.

»Nicht einmal Faulkner könnte dafür sorgen. Aber das war nicht der Grund, warum ich mit Ihnen sprechen wollte. Kurz bevor ich heute Abend den Yard verlassen habe, hat mich der Commissioner angerufen. Er sagte, er habe am Montagmittag um zwölf einen Termin beim Prince of Wales, und er beabsichtigt, ihn im vollen Umfang über die außerplanmäßigen Aktivitäten von Superintendent Milner zu informieren.«

»Milner hat den heutigen Nachmittag mit dem Prince of Wales bei einem Besuch der Royal Geographical Society verbracht, Sir«, sagte William. »Er dürfte mehr als genügend Zeit gehabt haben, ihm seine Sicht der Dinge zu unterbreiten, lange bevor der Commissioner erscheinen wird.«

»Ich fürchte, wir können bestenfalls auf ein unauffälliges Ausscheiden aus dem Dienst aufgrund einer angeschlagenen Gesundheit hoffen.«

»Dieser verdammte Mann sollte gehängt, gestreckt und gevierteilt werden«, sagte William. »Und man sollte seinen Kopf auf der Tower Bridge auf eine Lanze stecken, während Reynolds auf Ludgate Hill an den Pranger gestellt und mit faulen Tomaten beworfen werden sollte.«

»Es ist wirklich erfrischend zu sehen, William, dass nach so vielen Jahren bei der Polizei in Ihrer Brust noch immer das Herz eines Chorknaben schlägt«, sagte Hawksby, während er sich im Saal umsah und sein Blick auf Sir Julian Warwick fiel, der in ein Gespräch mit Beth vertieft war.

»Warst du sehr enttäuscht darüber, dass du die Stelle als Direktorin nicht bekommen hast?«, fragte Sir Julian seine Schwiegertochter.

»Das war ich allerdings«, sagte Beth. »Es war auch nicht gerade eine Hilfe, als Tim Knox mir sagte, dass sich der Vorstand mit sieben zu fünf Stimmen für Gerald Sloane entschieden hat. Und um alles noch schlimmer zu machen: Wenn es sechs zu sechs gestanden wäre, meinte der Vorsitzende gegenüber Tim Knox, hätte er mir die entscheidende Stimme gegeben.«

»Was kannst du mir über Sloane erzählen?«, fragte Sir Julian und sah hinüber zum neuen Direktor des Museums.

»Während der letzten sieben Jahre hat er als Direktor der Manchester Municipal Gallery gearbeitet, und wie ich höre, betrachtet er das Fitzmolean als Zwischenstation auf dem Weg zu noch größeren Dingen, während ich das Ansehen des Museums in einer Weise fördern wollte, dass niemand mehr auf die Idee käme, es als Zwischenstation auf dem Weg zu was auch immer zu betrachten.«

»Hab Geduld, junge Dame, würde ich dir raten«, sagte Sir Julian. »Es könnte durchaus sein, dass du die Stelle früher bekommst, als du dir vorstellst. Gleichzeitig jedoch solltest du die Augen weit offen halten, denn Sloane wird dich als Konkurrentin betrachten. Er wird sich mit dir anfreunden wollen oder versuchen, dich zu unterminieren. Vielleicht sogar beides zugleich.«

»Du denkst wie ein Krimineller, Julian«, sagte Beth.

»Dafür werde ich bezahlt«, lautete seine Antwort.

»Mir ist klar, dass ich nicht auf Tratsch hören sollte«, sagte Beth. »Aber ich weiß aus sicherer Quelle, dass bei seiner Verabschiedung in Manchester nur die Hälfte der Belegschaft erschienen ist.«

»Was umso mehr ein Grund für dich sein sollte, vorsichtig zu sein. Es ist kein Geheimnis, dass du mit weitem Vorsprung gewählt worden wärst, wenn die Mitarbeiter des Fitzmolean hätten abstimmen dürfen.«

Beth nickte. »Ich weiß, dass das nicht gerade der ideale Zeitpunkt ist«, sagte sie. »Aber ich hätte gerne deinen Rat in einer privaten Angelegenheit.«

»Vielleicht solltet ihr alle am Sonntag nach Nettleford zum Lunch kommen. Dann hätten wir mehr als genügend Zeit, um alles durchzusprechen«, sagte Sir Julian, als seine Frau zu ihnen trat.

»Ich bin überrascht, Mr. Booth Watson hier zu sehen«, sagte Lady Warwick.

»Vielleicht ist er ein Bewunderer von Frans Hals«, sagte Beth, die nur allzu gut wusste, warum er hier war.

»Mr. Booth Watson bewundert überhaupt niemanden«, sagte Sir Julian. »Es sei denn, er findet eine Möglichkeit, ihn zu seinem Mandanten zu machen. Und Frans Hals fällt gewiss nicht in diese Kategorie. Obwohl er nicht der erste tote Mandant wäre, als dessen juristischer Vertreter BW auftritt.«

»Du bist so ein alter Zyniker, Julian«, sagte seine Frau.

»Man hat keine große Wahl, wenn man sein Berufsleben damit verbringt, die Klinge mit den Booth Watsons dieser Welt zu kreuzen«, erwiderte er. In diesem Augenblick ließ Artemisia die Hand ihrer Mutter los und schoss durch den Saal.

»Was hat das kleine Luder nur vor?«, fragte Sir Julian.

»Ich würde wetten, sie möchte sich von ihrer Freundin verabschieden«, sagte Beth, als Artemisia nach Ross’ Hand griff.

Artemisia war der letzte Gast, von dem sich die Prinzessin verabschiedete, nachdem sie ihre Krone bewundert und ihr einen Kuss gegeben hatte, was dem neuen Direktor nicht gefallen konnte.