20

Ross setzte sich auf den Beifahrersitz des Jaguars, nachdem die Prinzessin auf der Rückbank Platz genommen hatte. Er warf einen Blick in seinen persönlichen Rückspiegel und sah, dass Victoria sich ihnen nicht angeschlossen hatte und wohl nach Hause gegangen war. Obwohl Victoria dieses Thema niemals in seiner Gegenwart zur Sprache brachte, war es offensichtlich, dass ihr Dianas anderes Leben nicht gefiel.

Nur ein Mitglied der Paparazzi-Horde lauerte ihnen auf, als sie in die Jermyn Street einbogen. Kaum dass der Mann das Auto erblickte, sprang er auch schon mitten auf die Straße.

Ross fragte sich, ob er hier einfach nur ausgeharrt und auf eine Chance gewartet hatte, wie unwahrscheinlich sie auch sein mochte, oder ob er einen Tipp bekommen hatte. Hätte Ross auch nur ansatzweise die Möglichkeit dazu gehabt, hätte er ihn überfahren.

Die Prinzessin verbarg ihr Gesicht hinter ihrer Handtasche, während sie die Stufen zum Nachtclub hinabeilte. Der Oberkellner begleitete sie an ihren üblichen Tisch – mehrere Köpfe drehten sich nach ihr um, als sie über die Tanzfläche ging –, wo Jamil stand und auf sie wartete. Er küsste sie auf beide Wangen, und nachdem sie sich gesetzt hatten, hielten sie einander über dem Tisch und für alle sichtbar bei den Händen. Sie versuchten nicht mehr, ihre Beziehung zu verbergen.

Ross zog sich wie gewöhnlich an seinen Tisch zurück, der diskret hinter einer Säule stand. Als Diana und ihr Begleiter kurz darauf die Tanzfläche betraten, wäre sogar einem zufälligen Beobachter aufgefallen, dass sie ein Liebespaar waren. Der auf und ab hüpfende Pferdeschwanz störte Ross noch immer. Er schrieb nichts auf, würde William jedoch am Morgen umfassend Bericht erstatten. Er wusste, dass William den Commander auf dem Laufenden hielt, sodass stets alle informiert waren.

Wieder verließ Diana den Club kurz nach Mitternacht. Als sie hinaus auf den Bürgersteig trat, wurde sie bereits von mehreren Fotografen erwartet.

Ross tat sein Bestes, um sie vor den aufdringlicheren Vertretern dieser Zunft zu schützen, während sie in den Fond des Autos stieg. Doch sie wurden auch weiterhin von einem Blitzlichtgewitter verfolgt, bis der Jaguar um die Ecke in die St. James’s Street bog, wo einer der Reporter ihnen an der Ampel auflauerte, während sie kurz vor Piccadilly langsamer wurden. Ross sah, dass es derselbe war, der sie vor dem Tramp abgepasst hatte, als sie einige Stunden zuvor dort angekommen waren.

»Kennen Sie den Namen dieses Fotografen, Ross?«

»Ja, Ma’am. Alan Young.«

»Armer Kerl. Er drückt sich die ganze Zeit hier herum, nur für den Fall, dass ich auftauche.«

»Ich würde mein Mitgefühl nicht an ihn verschwenden, Ma’am. Er ist der bestbezahlte Knipser der Fleet Street, und er macht nur Fotos von Ihnen.«

Eine Zeit lang fuhren sie wortlos weiter. Schließlich sagte die Prinzessin: »Ich werde das Wochenende mit Jamil in seinem Haus in Sussex verbringen. Das gehört natürlich nicht zu meinen offiziellen Terminen, aber ich hoffe, dass Sie so freundlich sein werden, die üblichen Vorbereitungen zu treffen.«

»Gewiss, Ma’am«, sagte Ross, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, obwohl er sich darauf gefreut hatte, das Wochenende mit Jojo zu verbringen. Er hatte geplant, mit ihr ins Kino zu gehen, wo sie sich Arielle, die Meerjungfrau ansehen würden, und danach stand ein Besuch ihrer Lieblingseisdiele auf dem Programm. Gott sei Dank gab es William und Beth, dachte er, als der Jaguar in Richtung Kensington Palace Gardens abbog.

»Ich dachte, Jojo würde das Wochenende mit Ross verbringen«, sagte Beth, während sie den drei Kindern die Sicherheitsgurte im Auto anlegte.

William nahm hinter dem Steuer Platz. »Planänderung. Wie es aussieht, braucht ihn die Prinzessin für eine besondere Aufgabe.«

»Was könnte besonderer sein als Jojo?«, fragte Beth, die nicht wollte, dass er so leicht davonkam.

»Nun, sie wird das Wochenende nicht mit Prince Charles verbringen«, war alles, was William zu dem Thema zu sagen hatte.

»Willst du mir damit sagen, dass Diana eine Affäre hat?«, flüsterte Beth, als sie nach Nettleford aufbrachen.

»Ich will dir damit gar nichts sagen«, erwiderte William.

Beth wollte gerade protestieren, als Artemisia sagte: »Was ist eine Affäre?«

William und Beth schwiegen, aber Peter rettete sie, indem er fragte: »Wie lange dauert es, bis wir dort sind?« Sie hatten noch nicht einmal die erste Reihe von Ampeln erreicht.

»Etwa eine Stunde«, sagte William. »Aber es gefällt dir doch immer, einen Tag bei deinen Großeltern zu verbringen.«

»Warum hat Großvater keinen Fernseher?«, fragte Peter.

Beth und William versuchten, sich eine passende Antwort auszudenken, als Jojo in wehmütigem Ton fragte: »Wird Daddy auch da sein?«

»Nein, das wird er nicht«, sagte Artemisia. »Er verbringt das Wochenende bei meiner Freundin, der Princess of Wales.«

»Aber ich weiß, dass er das nächste Wochenende freihat«, sagte William, »und dann will er sicher auch noch mit dir in Arielle, die Meerjungfrau gehen. Und wenn du brav bist, bekommst du vielleicht sogar deinen Lieblingsschokoeisbecher.«

Jojo klatschte in die Hände.

»Was hast du nächste Woche vor?«, fragte Beth. »Außer der Prinzessin hinterherzuspionieren?«

»Frag lieber nicht«, erwiderte William, wobei er seine Stimme senkte. »Der Commissioner hat morgen einen Termin beim Prince of Wales, und niemand von uns hat die leiseste Ahnung, wie er reagieren wird, wenn er hört, was der Leiter seines Personenschutzes während der vergangenen elf Jahre angerichtet hat.«

»Die beiden werden dafür sorgen wollen, dass nichts in die Presse gelangt, was die Queen in Verlegenheit bringen könnte. Obwohl ich das Gefühl habe, dass der Prince of Wales nur allzu gut weiß, auf was für ein Spiel sich Diana fern von zu Hause eingelassen hat.«

»Prinzessin Diana«, korrigierte Artemisia ihre Mutter.

»Wenigstens du dürftest dich doch auf die nächste Woche freuen«, sagte William. »Nachdem heute Morgen überall in den Zeitungen Fünf-Sterne-Besprechungen der Frans-Hals- Ausstellung erschienen sind, werden die Leute doch sicher in Scharen in das Museum strömen.«

»Ich würde mich tatsächlich freuen, sofern der neue Direktor nicht so viel Zeit damit verbringen würde, meine Arbeit vor den anderen Mitarbeitern zu unterminieren.«

»Mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, er wird mit der Zeit schon wissen, was er an dir hat.«

»Das bezweifle ich. Wir haben kaum ein vernünftiges Wort gewechselt, seit er die Stelle angetreten hat, und es scheint auch nichts zu geben, mit dem ich ihn beschwichtigen kann.«

»Was bedeutet beschwichtigen?«, fragte Artemisia.

»Sich die Ansichten eines anderen zu eigen machen, um ihn zufriedenzustellen«, sagte Beth. Sie drehte sich um und sah, dass Peter und Jojo eingeschlafen waren.

»Ich fühle mit dir«, sagte William. »Besonders wenn ich daran denke, wie gut du mit Tim Knox ausgekommen bist.«

»Erinnere mich bloß nicht daran. Und es ist auch keine große Hilfe, dass Sloane mich morgen früh als Erstes sprechen möchte, sodass ich mir schon das ganze Wochenende über den Kopf zerbreche, weswegen er diesmal verärgert ist.«

»Du darfst nicht paranoid werden, was ihn betrifft«, sagte William. »Er ist es nicht wert.«

»Was bedeutet paranoid?«, fragte Artemisia.

Dies war eines der Gespräche, zu denen Booth Watson nicht zu spät kommen würde. Er hatte das Connaught Hotel nie zuvor besucht, doch er kannte dessen guten Ruf. Im typischen Stil der alten Welt, luxuriös, feinste Küche und immer Monate im Voraus ausgebucht. Amerikaner, so hatte das Hotel herausgefunden, trennten sich gerne von ihrem Geld, solange der Mantel der Tradition diese Trennung umhüllte, und das Hotel war fast genauso alt wie ihr Land.

Einst hatte Miles Faulkner sich Booth Watson gegenüber beschwert, dass es ihm trotz mehrerer Versuche nicht gelungen war, einen Platz im Hotelrestaurant zu reservieren. Sein Anwalt hatte ihm erklärt, warum das Hotel ihm nicht einmal dann einen Tisch anbieten würde, wenn sich kein einziger anderer Gast bei ihnen aufhielte.

Booth Watson nannte der Rezeptionistin seinen Namen, die ohne nachzusehen sagte: »Mr. Lee erwartet Sie, Sir. Wenn Sie den Aufzug in die oberste Etage nehmen wollen, wird Sie jemand in Empfang nehmen.«

»Wie lautet seine Zimmernummer?«

»Im obersten Stock gibt es nur eine einzige Suite, Sir«, sagte die Rezeptionistin, wobei sie noch immer so höflich lächelte wie zuvor.

Booth Watson durchquerte die Lobby, um zum Aufzug zu gelangen. Er war überzeugter denn je, dass er den Richtigen gefunden hatte. Ein Porträt im Forbes -Magazin hatte Lee als erfolgreichen chinesischen Geschäftsmann beschrieben, der Interesse an Banken und Immobilien besaß und zu dessen Hobbys das Sammeln von Kunst und teuren Weinen gehörte. Ein paar Jahre zuvor hatte er Faulkner bei Bonhams überboten, als es um ein Gemälde aus Picassos blauer Periode ging.

Booth Watson betrat den Aufzug, der nur einen Knopf besaß, und fuhr ohne Unterbrechung in die oberste Etage. Als sich die Türen öffneten, trat ihm eine junge Frau in einem Cheongsam aus roter Seide entgegen. Sie verbeugte sich und sagte: »Bitte folgen Sie mir, Mr. Booth Watson.«

Ohne noch etwas hinzuzufügen, führte sie ihn durch einen Flur, der mit einem hochflorigen Teppich ausgelegt war, zu einer eichengetäfelten Tür. Sie öffnete sie und trat beiseite.

Booth Watson betrat ein großes, kunstvoll möbliertes Zimmer, in dem fast jede freie Fläche von einem Arrangement frischer Blumen bedeckt war. Was ihm jedoch am meisten auffiel, waren die erlesenen Gemälde, die sämtliche Wände schmückten. Faulkner hätte eine solche Sammlung zugleich bewundert und wäre neidisch auf sie gewesen. Es war offensichtlich, warum es niemandem sonst gestattet war, diese besondere Suite zu buchen.

»Kann ich Ihnen etwas Tee anbieten, während Sie warten?«, fragte die junge Frau.

»Vielen Dank«, sagte Booth Watson genau in dem Augenblick, als auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers eine Tür geöffnet wurde und ein großer, grauhaariger Mann, der einen Zweireiher, ein weißes Hemd und eine Seidenkrawatte trug, auf ihn zutrat, um seinen Gast zu begrüßen. Ein typischer Geschäftsmann aus Hongkong, der keine internationalen Grenzen kannte, war Booth Watsons erster Eindruck.

»Verzeihen Sie mir, dass Sie warten mussten, Mr. Booth Watson«, sagte Lee, während sie einander die Hand gaben. »Das Telefon scheint immer genau dann zu klingeln, wenn ein Gast eintrifft.«

»Was für eine großartige Sammlung Sie haben«, sagte Booth Watson, als die junge Frau mit einem Teetablett zurückkam, das sie auf den Tisch stellte. Dann kniete sie nieder und begann, den beiden Männern einzuschenken.

»Wie freundlich von Ihnen, so etwas zu sagen«, erwiderte Lee. »Ich muss gestehen, dass das, was einst als Hobby angefangen hat, über die Jahre so etwas wie eine Obsession geworden ist.«

»Milch und Zucker?«, fragte die junge Frau.

»Ja, vielen Dank«, sagte Booth Watson.

»Ich habe die englische Tradition der unverbindlichen Plauderei nie wirklich gemeistert«, sagte Lee. »Deshalb werde ich es so vorsichtig wie möglich formulieren. Gehe ich recht in der Annahme, dass Mr. Miles Faulkner es angesichts seiner gegenwärtigen Lebensumstände in Erwägung zieht, sich von seiner legendären Kunstsammlung zu trennen?«

»Das ist korrekt. Aber ich würde gerne betonen«, sagte Booth Watson, »dass er es tatsächlich nur in Erwägung zieht.«

»Ich habe einst Jahre in einer solchen Einrichtung verbracht«, sagte Lee, womit er Booth Watson überraschte. »Als rebellierender Student während der Revolution.«

»Was ist geschehen?«

»Ich kam frei, aber nur weil meine Seite gewonnen hat.« Beide Männer lachten, als die junge Frau mit einem Teller Lachs- und Gurkensandwiches zurückkehrte, den sie zwischen sie auf den Tisch stellte.

»Ich muss gestehen«, fuhr Lee fort, »dass ich im Gefängnis fast so viel gelernt habe wie auf der Harvard Business School. Und in der Tat erwiesen sich die Kontakte, die ich dort geknüpft habe, als in jeder Hinsicht genauso nützlich.«

Booth Watson nahm sich ein Sandwich und wandte sich dann wieder dem Thema zu, über das sie beide sprechen wollten. »Sind Sie mit Mr. Faulkners Sammlung vertraut?«, fragte er.

»Das bin ich durchaus. Als er vor einigen Jahren seine Villa in Monte Carlo auf den Markt brachte, habe ich mir als möglicher Käufer das Haus angesehen und Fotos von allen einhundertdreiundsiebzig Gemälden gemacht – sowie von den einundzwanzig Skulpturen im Garten, von denen ich jede einzelne in den Erläuterungen der entsprechenden Kataloge identifizieren konnte. Besonders habe ich den liegenden Akt von Henry Moore bewundert.«

»In Wahrheit umfasst die Sammlung sogar einhunderteinundneunzig Gemälde und sechsundzwanzig Skulpturen«, sagte Booth Watson, nachdem er ein weiteres Sandwich gewählt hatte.

»Dann müssen achtzehn Gemälde und fünf Skulpturen erworben worden sein, nachdem er in sein jüngstes Zuhause, die Villa in der Nähe von Barcelona, gezogen ist«, sagte Lee in lässigem Ton, womit er Booth Watson ein weiteres Mal überraschte. »Aber wie auch immer«, fuhr Lee fort. »Ich bin sicher, dass Mr. Faulkner sich eine Meinung darüber gebildet hat, was seine Sammlung wert ist.«

»Nach der Einschätzung von Experten«, erwiderte Booth Watson, »irgendwo in der Größenordnung von dreihundert Millionen.«

»Wir alle haben Experten, die uns beraten, Mr. Booth Watson, und üblicherweise wissen sie, ob ihr Klient als Käufer oder Verkäufer auftritt. Die meinen sind der Ansicht, dass einhundert Millionen der Sache näher kommen.«

»Ich glaube, Mr. Faulkner würde angesichts seiner gegenwärtigen Lebensumstände zweihundert Millionen als einen fairen Preis betrachten«, sagte Booth Watson, indem er Lees früheren Ausdruck aufgriff.

»Dann werde ich Ihre Zeit nicht länger verschwenden«, sagte Lee und erhob sich. »Zweifellos haben Sie andere Interessenten, die nur zu gerne bereit sind, einen Scheck über zweihundert Millionen auszustellen, ohne zu viele Fragen zu stellen.«

»Falls mein Mandant Ihr Angebot von einhundert Millionen in Erwägung ziehen sollte«, sagte Booth Watson, indem er versuchte, sich wieder zu fassen, »wäre es dann möglich, dass der Betrag auf eine Bank in Hongkong überwiesen wird?«

»Ich halte einen Mehrheitsanteil an zwei Banken der Kronkolonie«, sagte Lee, als die junge Frau zurückkehrte und den Tisch abräumte.

»Und könnten Sie mir garantieren, dass keines der Werke aus Mr. Faulkners Sammlung in absehbarer Zukunft auf den Markt kommt? Denn das würde ihn in beträchtliche Verlegenheit bringen.«

»Wenn Sie sich umsehen, Mr. Booth Watson«, sagte Lee und nahm wieder Platz, »dann werden Sie erkennen, dass ich ein Sammler bin und kein Händler. Ich kann Ihnen versichern, dass keines der Werke zu meinen Lebzeiten zum Verkauf kommen wird.«

»Kann ich versichert sein, dass einhundert Millionen Pfund Ihr letztes Angebot ist, Mr. Lee, bevor ich die Entscheidung meines Mandanten einhole?«

»Dollar, Mr. Booth Watson. Ich handle nicht in Pfund. Das ist keine Währung, bei der ich mich sicher fühle.«

»Ich werde Ihnen die Entscheidung meines Mandanten so schnell wie möglich zukommen lassen, nachdem ich mit ihm gesprochen habe«, sagte Booth Watson und erhob sich aus seinem Sessel.

»Da ich während der nächsten Wochen in London bin, können Sie mich jederzeit anrufen«, sagte Lee. »Ein einfaches Ja oder Nein würde genügen, denn ich möchte Ihre Zeit nicht verschwenden.« Er erhob sich erneut, und wieder erschien die junge Frau, als habe er sie mit einem Zauberstab herbeigerufen. Lee verbeugte sich tief, aber nicht so tief wie die Frau, die Booth Watson aus dem Zimmer und zurück zum Aufzug begleitete.

Als die Türen sich schlossen, verbeugte sie sich ein weiteres Mal und kehrte dann in die Suite zurück.

»Was hältst du von unserem Gast, Mai Ling?«, fragte Lee, als sie das Zimmer betrat.

»Er ist niemand, dem ich trauen würde.«

»Ich stimme dir zu. Genau genommen bin ich nicht einmal davon überzeugt, dass Mr. Faulkner überhaupt weiß, dass dieses Treffen stattgefunden hat.«

»Was könnte dich davon überzeugen, wie es sich wirklich verhält?«

»Wenn Booth Watson mein Angebot von einhundert Millionen Dollar akzeptiert, kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass er nicht im Auftrag seines Mandanten handelt, sondern eigenständig. Denn ich glaube nicht, dass Mr. Faulkner sich für eine so lächerliche Summe von einer Sammlung trennen würde, die er über sein ganzes Leben hinweg zusammengestellt hat.«

»Ich wüsste auch noch einen anderen Weg, auf dem du herausfinden könntest, ob er die Wahrheit sagt, Vater«, erwiderte Mai Ling.

»Audrey ist eine so wunderbare Köchin«, sagte Beth, »dass ich mich angesichts meiner bescheidenen Bemühungen in der Küche jedes Mal schuldig fühle, wenn wir euch besuchen. Obwohl William sich nie beklagt.«

»Du hast andere Talente«, sagte Sir Julian, »die, wie ich dir versichern kann, Audrey sehr bewundert. Nicht zuletzt die Tatsache, wie hervorragend du im Museum zurechtkommst.«

»Gut möglich, dass das nicht mehr lange der Fall sein wird.«

»Es tut mir leid, das zu hören. Ist das der Grund, warum du dich mit mir unterhalten wolltest?«

Beth nickte. »Ich fürchte, das ist er. Ich kann nicht behaupten, dass es mir Freude bereitet, unter dem neuen Direktor zu arbeiten. Und obwohl ich nicht glaube, dass er vorhat, mich zu entlassen, solange er mich nicht mit der Hand in der Kasse erwischt, denke ich ernsthaft darüber nach zu kündigen.«

»Könntest du eine vergleichbare Stelle in einem anderen Museum finden?«

»Das würde schwierig. Es gibt nicht so viele davon. Das Ironische an der Sache ist, dass die Tate mich vor ein paar Monaten angesprochen und mich gefragt hat, ob ich Interesse an der Position einer stellvertretenden Direktorin hätte. Ich hätte über dieses Angebot definitiv nachgedacht, wenn Tim Knox mir nicht gesagt hätte, er habe mich dem Vorstand bereits als seine Nachfolgerin empfohlen.«

»Ist die Stelle an der Tate noch verfügbar?«

»Nein. Sie wurde einem hervorragenden Kandidaten vom Victoria and Albert gegeben, der, wie ich gehört habe, ausgezeichnete Arbeit leistet.«

»Dann wäre mein Rat, dass du alles so belässt, bis sich eine weitere Gelegenheit bietet. Es würde dir nicht gefallen, arbeitslos zu sein, vom Verlust deines Einkommens ganz zu schweigen.«

»Das ist der eigentliche Grund, warum ich dich um Rat bitten wollte, Julian. Ich würde gerne eine Gelegenheit wahrnehmen, die sich bereits ergeben hat. Sie stellt jedoch ein gewisses moralisches Dilemma für mich dar.«

»Einzelheiten, Einzelheiten«, verlangte Sir Julian, als spreche er mit einem seiner Mandanten.

»Ich habe eine Bleistiftzeichnung von Rembrandt entdeckt, die ein kleines Auktionshaus in Pittsburgh in Kürze anbieten wird.«

»Und wo ist das moralische Dilemma?«

»Die Zeichnung ist nicht als ein Werk von Rembrandt, sondern als das eines unbekannten Künstlers ausgewiesen. Die Wahrheit ist, dass ich mir selbst nicht mehr vollkommen sicher bin. Aber wenn ich recht habe, könnte sie bis zu vierzigtausend Pfund wert sein, während das Auktionshaus sie nur auf zweihundert Dollar schätzt.«

»Das nennt man dann wohl Fachwissen und Erfahrung, bei gleichzeitiger Bereitschaft, ein Risiko einzugehen«, sagte Sir Julian. »Es ist nicht dein Fehler, wenn das Auktionshaus seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.«

»Ich bin ganz deiner Ansicht«, sagte Beth. »Aber sollte ich Sloane von meiner möglichen Entdeckung berichten? Oder sollte ich zweihundert Dollar meines eigenen Geldes riskieren in der Hoffnung, eigenständig einen großen Fund zu sichern?«

»Was hättest du getan, wenn Tim Knox noch der Direktor wäre?«

»Ihn sofort informiert«, sagte Beth, ohne zu zögern. »Damit das Fitzmolean davon profitieren kann.«

»Dann hast du deine Frage selbst beantwortet. Deine größte Verantwortung gilt dem Museum, nicht seinem Direktor, wer immer das auch sein mag. Museen sind etwas Dauerhaftes, Direktoren sind nur vorübergehend da.«

»Sogar wenn Sloane dem Vorstand gegenüber angeben würde, dass es seine Entdeckung war, und er den ganzen Ruhm dafür einheimsen würde?«

»Du magst ihn wirklich nicht, oder?«

»Nein, tatsächlich nicht«, sagte Beth, die sich keine Mühe gab, ihre Gefühle zu verheimlichen.

»Einen Menschen nicht zu mögen, ist kein guter Grund, sich das eigene Urteilsvermögen trüben zu lassen oder sich auf sein Niveau zu begeben.«

»Du hast natürlich recht. Ich werde ihm gleich morgen früh von der Zeichnung berichten.«

»Ich glaube, das wäre klug«, sagte Sir Julian. »Auch wenn nichts anderes herauskommen mag, als dass sich dein Verhältnis zu ihm verbessern könnte.«

»Darauf solltest du dich lieber nicht verlassen.«

»Gehen wir zu den anderen, bevor William sich fragt, was wir aushecken«, sagte Sir Julian.

»Ich habe keine Geheimnisse vor William«, sagte Beth. »Ich habe das Problem bereits mit ihm besprochen, und du wirst sicher nicht überrascht sein, wenn du hörst, dass er mit dir einer Meinung ist.«

»Er kann sich wirklich glücklich schätzen«, sagte Sir Julian, als er sich von seinem Schreibtischstuhl erhob, die Tür seines Arbeitszimmers öffnete und beiseitetrat, sodass Beth zurück in den Salon gehen konnte.

»Artemisia hat uns von ihrer jüngsten Unterhaltung mit der Princess of Wales erzählt«, sagte Audrey, als Beth und Sir Julian zurückkamen.

»Jedes einzelne Wort«, sagte William.

»Ja, das habe ich«, sagte Artemisia. »Ich kann es gar nicht erwarten, sie wiederzusehen, denn ich muss ihr eine wichtige Frage stellen.«

»Und wie könnte die wohl lauten?«, fragte Sir Julian.

»Mummy hat Daddy im Auto erzählt, dass Prinzessin Diana sich außerhalb ihres Zuhauses auf ein gewisses Spiel eingelassen hat, und ich würde gerne wissen, um welchen Sport es dabei geht.«

Sir Julian beantwortete die Frage seiner Enkelin nicht, denn er war nicht sicher, was er seiner jüngsten Mandantin raten sollte.