»Warum siehst du so selbstzufrieden aus?«, fragte Beth, als William das Auto gegenüber dem Kricketfeld parkte.
»Zunächst einmal, weil keine Wolke am Himmel ist und wir deshalb eine echte Chance haben, uns für den ganzen Rest des Tages ein Spiel anzusehen.«
»Ich kann mir nichts Aufregenderes vorstellen, als einen ganzen Sonntagnachmittag damit zu verbringen, mir fünf Stunden lang ein Kricketspiel ansehen zu müssen.«
»Sei froh, dass es kein Test Match ist, das fünf Tage dauern kann«, sagte William. Er stieg aus und öffnete die hintere Tür, um die drei Kinder, die lange hatten still sitzen müssen, nach draußen zu lassen.
»Daddy«, sagte Artemisia und zog an seinem Hosenbein, »können wir ein Eis haben?«
»Ganz sicher nicht«, sagte Beth entschieden. »Wir haben gerade zu Mittag gegessen. Ihr müsst bis zur Teepause warten.«
»Ich habe dir doch erklärt, dass Mum das sagen würde«, bemerkte Peter. Dann stürmte er los, um zuzusehen, wie sich die Spieler auf dem von Netzen umspannten Übungsplatz aufwärmten.
»Ah, ich sehe eine Wolke«, sagte William, als sie die Spielfeldgrenze entlanggingen.
Beth war verwirrt, denn der Himmel war klar, und die Sonne strahlte auf eine glückliche Zuschauermenge herab. Dann sah sie Christina, die alleine für sich saß.
»Vielleicht solltest du dir einen Liegestuhl nehmen und dich neben sie setzen«, sagte William. »So hast du die Chance herauszufinden, was sie kürzlich vorhatte – nichts Gutes übrigens, würde ich sagen.«
»Wirst du jemals aufhören, wie ein Polizist zu denken?«, fragte Beth seufzend.
»Nicht, solange sie wie eine Gottesanbeterin auf der Lauer liegt. Denn ich kann nicht glauben, dass sie gekommen ist, um sich das Kricketspiel anzusehen.«
»Aber vielleicht die Spieler«, erwiderte Beth, als sie bemerkte, dass Paul mit Christina plauderte.
»Daraus wird nie etwas«, sagte William. Er sah sich am Spielfeldrand um, bis sein Blick auf Ross und Jackie fiel, die ins Gespräch vertieft nebeneinandersaßen.
»Wer ist denn auf die Idee gekommen?«, fragte Jackie, während sie die Umgebung musterte und feststellte, dass fast jeder Liegestuhl besetzt war und einige Gäste im Gras saßen.
»Der Chorknabe natürlich«, erwiderte Ross. »Er hatte den Eindruck, dass es zwischen den Beamten der Royalty Protection und den Polizisten in Uniform einen Riss gibt.«
»Ein Riss, der sich eher noch vergrößert, wenn man bedenkt, dass ein Mitglied der Royalty Protection viele Jahre lang für die Person, die er beschützt, arbeiten kann – während Polizisten, die dem Schutz von Kabinettsministern zugeteilt werden, diesen Dienst höchstens drei oder vier Jahre versehen. Das ist weniger als ein durchschnittlicher Fußballtrainer.«
»Genau deshalb war der Superintendent der Ansicht, ein Kricketspiel könnte einige Barrieren einreißen«, sagte Ross.
»Wer geht da zusammen mit William zur Mitte des Spielfelds?«, fragte Jackie, die zum Schutz gegen die Nachmittagssonne die Hand an die Stirn legte.
»Chief Inspector Colin Brooks. Er war im Sicherheitsstab der Premierministerin, bis Hawksby ihm nach Milners Kündigung die Leitung der Royalty Protection übertragen hat.«
»Im Vergleich zu seinem Vorgänger dürfte er auf jeden Fall eine Verbesserung darstellen.«
»Er hat zwar Milners Platz eingenommen, aber damit enden die Parallelen auch schon. Brooks ist ein altmodischer Polizist, der sich für einen kleinen Zahn an einem großen Zahnrad hält, während Milner zu glauben anfing, er sei das Rad.« Ross runzelte die Stirn. »Es sieht so aus, als hätten wir die Platzwahl verloren.«
»Wie kommt es nur, dass ein Ire so viel über Kricket weiß?«
»Vergiss nicht, dass ich meine Jugend in einem Internat in Belfast verbracht habe«, antwortete Ross. »Bevor man mich rausgeschmissen hat.«
»Wie kam es dazu? Was hast du angestellt?«, fragte Jackie, als die beiden Mannschaftskapitäne unter freundlichem Geplauder das Spielfeld verließen.
»Ich habe zum ersten Mal gegen das sechste Gebot verstoßen.«
»Wer war die Glückliche?«
»Die Ehefrau unseres Hausvaters. Ehrlich gesagt war sie es, die mich verführt hat. Aber sie konnten sie ja wohl kaum entlassen, weshalb ich es war, der gehen musste«, sagte Ross, als William zu ihnen trat.
»Wir bilden die Feldmannschaft«, sagte er. »Du wirst als Erster werfen, Ross. Also solltest du dich wohl besser aufwärmen.«
Als Ross aufstand, bemerkte er, dass jemand an seinem Hosenbein zog.
»Kann ich ein Eis haben?«, fragte Jojo.
»Bitte«, sagte Ross.
»Kann ich bitte ein Eis haben?«
Ross nahm eine Einpfundmünze aus seiner Tasche und reichte sie ihr. »Sieh zu, dass Artemisia und Peter auch eines bekommen.«
»Ja, Daddy«, sagte Jojo und rannte davon.
»Es mag ein Klischee sein, dass sie dich um den Finger gewickelt hat«, sagte Jackie. »Aber es trifft mit Sicherheit zu.«
»Schuldig im Sinne der Anklage«, sagte Ross, während er zusah, wie Jojo, ihre Münze hochhaltend, zu Artemisia und Peter trat, die neben dem Eiswagen warteten.
Jackie lächelte. »Gott sei Dank sorgt Beth dafür, dass sie mit beiden Beinen auf dem Boden bleibt.«
»Du hast schon wieder recht. Die Wahrheit ist, dass ich ohne ihre systematische Unterstützung meinen gegenwärtigen Posten nie hätte annehmen können.«
»Wohin fährst du mit Jojo in den Sommerferien?«, fragte Jackie.
»Belfast. Wir werden eine Woche bei ihrer Großmutter verbringen. Wenn sie das überlebt, kann ich sie beim SAS anmelden.«
»Und was ist mit der anderen Frau in deinem Leben?«, wollte Jackie wissen.
»Ich werde mit ihr in Urlaub fahren, sobald ich wieder zurück bin. Aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht darauf freue.«
»Warum nicht?«, fragte Jackie, die überrascht schien. »Die halbe Welt würde liebend gerne mit Prinzessin Diana in Urlaub fahren.«
»Ich bin nicht gerade begeistert vom gegenwärtigen …«, er zögerte einen Augenblick, »… Mann ihres Herzens. Ein Playboy, der sich im Glanz aalt, der von ihr ausgeht.«
»Hast du ihr jemals gesagt, was du von ihm hältst?«
»Meine Position erlaubt es mir nicht, so etwas zu tun«, sagte Ross, der sich dabei seltsam förmlich anhörte. »Obwohl ich nicht gut darin bin, meine Gefühle zu verbergen«, gestand er, als William zurückkam und ihm den Ball zuwarf. »In Ordnung, Superintendent. Das ist die eine Ausnahme, bei der ich niemanden schützen werde. Ich habe vor, sie so schnell wie möglich wieder in die Umkleideräume zurückzuschicken.«
»Nicht zu schnell«, flüsterte William. »Du solltest unser langfristiges Ziel nicht vergessen.«
Beths Vater Arthur Rainsford und Sir Julian saßen im Besucherzelt und warteten auf den ersten Wurf. Sie waren im Laufe der Jahre Freunde geworden, obwohl Sir Julian nicht leicht Freundschaften schloss. Beide trugen elegante blaue Blazer, der von Sir Julian war ein Zweireiher mit Messingknöpfen von Lincoln’s Inn – sogar während des Spiels war er bei der Arbeit. Dazu trugen beide weiße Hemden und Krawatten des MCC , als besuchten sie den ersten Tag der Test Matches auf dem Lord’s Cricket Ground und nicht eine hastig arrangierte Begegnung zweier Abteilungen der Polizei.
»Wer hat den ersten Wurf?«, fragte Arthur und richtete sein Fernglas auf einen großen Mann, der den Ball an seiner Hose abrieb.
»DI Ross Hogan«, antwortete Sir Julian. »Er hat einen Fuß in beiden Lagern, denn er arbeitet im Augenblick als Personenschützer der Princess of Wales. Was eine große Hilfe ist, denn dadurch hatte William von Anfang an einen Insider in dieser Abteilung.«
»Keine leichte Aufgabe in diesen Tagen«, sagte Arthur, ohne seine Bemerkung weiter zu erläutern.
»Ich glaube, du wirst sehen, dass Ross dieser Herausforderung gewachsen ist. Er liebt den Flirt mit der Gefahr.«
»Beth hat mir erzählt, dass das nicht das Einzige ist, mit dem er gerne flirtet«, sagte Arthur, als Ross seine Anlaufstrecke inspizierte und William das Spielfeld einrichtete. »Du musst sehr stolz auf William sein. Er ist der jüngste Superintendent bei der Polizei.«
»Ich musste ihn daran erinnern, dass Nelson mit dreiundvierzig Vizeadmiral war«, sagte Sir Julian. »Und Eisenhower war ein einfacher Colonel, als Amerika in den Zweiten Weltkrieg eingetreten ist, aber zwei Jahre später hatte er es zum Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa gebracht.«
»Und wo wird William einmal sein?«
»Er wird definitiv nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden«, sagte Sir Julian und sah zu seiner Schwiegertochter hinüber. »Wie kommt Beth zurecht, nachdem sie von Sloane so übel behandelt wurde?«
»Es scheint alles in Ordnung mit ihr zu sein, soweit ich sagen kann«, antwortete Arthur. »Sie und Christina Faulkner haben irgendetwas vor. Aber ich weiß nicht, was.«
»Ich hoffe, Beth weiß, was sie tut. Mrs. Faulkner ist niemand, auf den ich mich gerne verlassen würde.«
»Ein guter Schlag, Sir«, sagte Arthur, als der Ball auf das Begrenzungsseil zuflog. »Die Mannschaft hat einen tollen Start erwischt.«
»Um über etwas Ernsthafteres zu sprechen, Arthur«, sagte Sir Julian. »Da die Kinder inzwischen in der Schule sind, sollten wir ihr Treuhandvermögen aufstocken.«
»Soll mir recht sein. Ross Hogan hat mehr als nur seinen Teil dazu beigetragen, seit Jojo hinzugekommen ist.«
»Ja, das Arrangement hat sich bewährt. Besonders nachdem es Beth möglich ist, seit ihrer Kündigung mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen.«
»Ein guter Wurf, Sir«, sagte Arthur, als der mittlere Stab eines der eröffnenden Schlagmänner aus dem Boden gerissen wurde und die Feldspieler auf den Werfer zurannten, um ihm zu gratulieren.
»Ich habe so das Gefühl«, sagte Christina und nickte in Richtung der zwei alten Herren, »dass die beiden über uns reden. Wissen sie, dass wir Partner sind?«
»Auf keinen Fall«, sagte Beth. »Und ich habe auch nicht die Absicht, sie darüber zu informieren, bevor wir unsere ersten einhunderttausend gemacht haben.«
»Ich wette, Sir Julian findet es schon lange vorher heraus«, sagte Christina, öffnete eine Halbliterflasche Champagner und schenkte ihnen zwei Gläser ein. »Irgendein Coup in letzter Zeit?«
»Wir haben ein paar Tausend Gewinn gemacht, als ich den Brabazon Brabazon an die Chris Beetles Gallery in Mayfair verkauft habe.«
»Chapeau«, sagte Christina und hob ihr Glas. »Und was steht als Nächstes auf deiner Abschussliste?«
»Hast du schon jemals von der Newlyn School gehört?«
»Könnte ich nicht unbedingt behaupten.«
»Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Künstlern, die gegen Ende des letzten Jahrhunderts in Cornwall gearbeitet haben und gerade wieder in Mode kommen. Ich habe ein Auge auf ein Gemälde von Albert Chefallier Tayler geworfen, das von Cheffins in Cambridge zum Verkauf angeboten werden soll. Wenn ich es für etwa dreitausend bekomme, wäre das in der Tat eine Art Coup«, sagte Beth, als Ross einen Luftsprung machte und rief: »Wie war das!«
Ein Mann in einem langen weißen Mantel – der Schiedsrichter – dachte kurz nach und hob dann seinen Zeigefinger, um den Fall des zweiten Wicket zu bestätigen.
»Williams Mannschaft scheint sich wacker zu schlagen«, sagte Christina, »auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, worüber ich rede.«
»Das hat dir doch früher nichts ausgemacht«, neckte Beth sie, als der Schlagmann, der ein Half-Century erzielt hatte, das Feld verließ, während die Zuschauer »Gut gespielt, Sir!«, »Bravo!« und »Sauberes Innings!« riefen.
»Mir war gar nicht klar«, fuhr Beth fort, »dass all die Kontakte und das Wissen, das ich mir in den letzten zehn Jahren aneignen konnte, einen solchen Gewinn einbringen würden. Und was noch wichtiger ist: Ich bin entspannter und kann mehr freie Zeit mit den Kindern verbringen.«
»Wie nennt man das?«, fragte Christina, als ein Ball hoch über das Begrenzungsseil flog und die Zuschauer in lauten Jubel ausbrachen.
»Das ist eine Sechs«, antwortete Beth. »Das kommt ziemlich oft vor, wenn William zum Werfen antritt. Ehrlich gesagt habe ich in den letzten drei Monaten mehr verdient als ein Superintendent in einem ganzen Jahr.«
»Verrate das bloß nicht William«, sagte Christina.
Beth schien es nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, Christina zu berichten, dass sie William alles erzählte. »Es wird Zeit für den Tee«, bemerkte sie nur. »Und denk nicht einmal daran, irgendwelche Sandwiches zu stehlen«, fügte sie hinzu, als sie zu William, den beiden Mannschaften und den Gästen im Teezelt traten, obwohl sie eher fürchtete, dass Christina einen der jüngeren Spieler entführen würde.
»Seid ihr dabei zu gewinnen?«, fragte Beth, als William ihr ein Gurkensandwich reichte.
»Keine Ahnung. Oft kann man vor dem letzten Ball des Tages nicht sagen, wer gewinnen wird, was zum Charme des Spiels beiträgt.«
»Sie sollten die einhundertdreiundsechzig Punkte schaffen, die nötig sind, um das Spiel zu gewinnen«, sagte der Commander, während er sich eine Tasse Tee einschenkte.
»Das ist eine ziemliche Herausforderung«, sagte William. »Dazu müssten wir sehr gut schlagen.«
»Es wäre weitaus weniger herausfordernd, wenn du dich nicht als Werfer hättest aufstellen lassen«, sagte Beth.
»Ich bin immer noch zuversichtlich«, sagte William, indem er die freundliche Stichelei ignorierte. »Vorausgesetzt, dass Paul seine üblichen fünfzig erreicht.« Er sah sich im Zelt um und bemerkte, dass sein erster Schlagmann mit Christina plauderte.
»Du solltest dich besser auf den Weg machen und den armen Kerl retten«, sagte Beth, als sie sah, wie Paul ihr ins Netz zu gehen drohte. »Oder er erreicht nicht einmal die Linie.«
William schlenderte hinüber zu Paul, der seine Blicke nicht von der verbotenen Frucht abwenden konnte. »Zieh deine Schienbeinschoner an, Paul. Du bist unser erster Schlagmann.«
»Aber normalerweise bin ich vierter oder fünfter, Skipper«, protestierte Paul.
»Heute nicht. Du und Ross, ihr seid unsere ersten Schlagmänner.«
Widerwillig ging Paul davon, um sich vorzubereiten. »Sehen wir uns später?«, fragte Christina.
»Sehr viel später, hoffe ich«, murmelte William.
»Was meinst du damit, William?«, fragte Christina, der es nicht gelang, ein schiefes Lächeln zu unterdrücken.
»Ich will, dass mein bester Schlagmann den Ball im Auge behält, nicht dich. Wenn du uns helfen willst, solltest du dich an den Typen dort drüben ranmachen«, sagte er und deutete auf einen bierbäuchigen Mann, der ein Stück Sahnekuchen in sich hineinstopfte.
»Warum gerade er?«
»Er ist ihr erster Werfer, auch bekannt als der ›dreckige Dämon‹. Also zeig dich von deiner schlechtesten Seite«, sagte William und ging davon.
»Nicht mein Typ«, sagte Christina, während sie zusah, wie Paul seine Schienbeinschoner anzog.
Lamont stand in der Schlange vor dem Besucherkiosk. Als er die Spitze erreicht hatte, kaufte er zwei KitKat und eine Tüte frischen Orangensaft. Er gab dem Verkäufer einen Zwei-Pfund-Gutschein, den er im Austausch gegen Bargeld am Empfangsschalter vor dem Betreten des Gefängnisses erworben hatte.
Zum verabredeten Zeitpunkt schloss er sich einer großen Gruppe aus Ehefrauen, Kindern und mehreren Kriminellen an, die in den Besuchersaal geführt wurden. Er erhielt einen Plastikchip mit der Zahl 18, welche die Nummer des Tisches darstellte, dem er zugeteilt war.
Er setzte sich auf einen blauen Stuhl, und dann wartete er und wartete und wartete. Nichts geht schnell im Gefängnis, es sei denn, es gibt eine Revolte.
Schließlich erschien der Gefangene Nummer 0249 und setzte sich auf den roten Stuhl ihm gegenüber.
»Bevor Sie etwas sagen«, begann Lamont, »sollten Sie wissen, dass uns die Hälfte der Beamten von der Galerie aus beobachtet und dabei einzig und allein in Erfahrung bringen möchte, ob Besucher und Häftlinge etwas austauschen. Drogen, Messer und einmal sogar eine Pistole, wie ich mich erinnere, woraufhin der Besucher sogar eine noch längere Haftstrafe erhielt als der Mann, den er aufgesucht hat.«
»Und die andere Hälfte?«, fragte Miles.
»Ist weitaus gefährlicher«, sagte Lamont, als Miles die Verpackung seines KitKat aufriss, während er weiter zuhörte. »Ausgebildete Lippenleser. Sie haben dazu beigetragen, mehrere Straftaten aufzuklären, bevor diese überhaupt begangen wurden – und zwar alleine aufgrund der Informationen, die sie während solcher Besuche gewonnen haben. Sie werden also den Bauchredner spielen müssen, wenn Sie nicht wollen, dass jemand unsere Unterhaltung Wort für Wort gegenüber Commander Hawksby wiederholt.«
»Ich habe mich gefragt, wie ich Hawksby eine Nachricht zukommen lassen kann«, sagte Miles, wobei er kaum seine Lippen bewegte. Er sah hoch zur Galerie und fand sogleich den Beamten, der für seinen Tisch zuständig war. Dann wandte er sich um und sah auf der anderen Seite der Galerie einen zweiten Beamten, der ihn von jener Seite aus ins Visier nahm. Er würde dafür sorgen, dass die beiden eine Stunde ihrer Zeit verschwendeten.
»Ich habe darum gebeten, mit Ihnen zu sprechen, weil ich weiß, dass Sie gelegentlich Aufträge für Booth Watson erledigen«, sagte Miles. Er bemerkte, dass die Bs ein Problem waren.
»Stimmt.« Ein Wort, das man aussprechen konnte, ohne die Lippen zu bewegen.
»Wie viel bezahlt er Ihnen?«
»Zwanzig Pfund die Stunde«, sagte Lamont.
»Er schafft es nicht einmal, mir in dieser Hinsicht die Wahrheit zu sagen«, erwiderte Miles. »Von nun an werden Sie doppelt bezahlt. Aber er darf unter keinen Umständen herausfinden, dass Sie auch für mich arbeiten. Ist das klar?«
»Klar«, sagte Lamont mit fester Stimme. Ein weiteres Wort, das man aussprechen konnte, ohne die Lippen zu bewegen.
»Hoffentlich, Lamont. Denn sonst wird das der letzte Auftrag sein, den Sie für mich übernehmen«, er hielt kurz inne, »oder auch für jeden anderen.«
Lamont wirkte überzeugt.
»Ich möchte, dass Sie herausfinden, ob BW …« Miles’ Lippen bewegten sich kaum während der nächsten zehn Minuten, und Lamont nickte mehrmals.
»Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen müssen«, sagte Miles schließlich, »können Sie jederzeit nachmittags um halb fünf im Gefängnis anrufen.«
Lamont versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Es gibt hier einen kooperativen Beamten, der um diese Zeit in der Telefonzentrale sitzt und bereit ist, Ihren Anruf entgegenzunehmen. Sagen Sie nur ›Bibliothek‹, dann wird er Sie durchstellen. Aber bleiben Sie nicht länger als nötig in der Leitung.«
»Verstanden.«
»Doch ich muss Sie warnen. Wenn BW herausfindet, dass Sie für beide Seiten arbeiten, wird er Sie fallen lassen. Und was noch wichtiger ist: Er wird wissen, dass er durchschaut wurde. Dann verlieren Sie beide Parteien, die für Ihre Honorare aufkommen.«
Lamont verstand.
Ein lautes Summen erklang, was bedeutete, dass den Häftlingen noch fünf Minuten blieben, bevor sie in ihre Zellen zurückkehren mussten.
Miles trank den letzten Schluck von seinem Orangensaft und steckte das zweite KitKat ein, bevor er sagte: »Wenn Sie Ihre Aufgabe erfolgreich erledigen, Bruce« – es war das erste Mal, dass er sein Gegenüber beim Vornamen nannte –, »können Sie den Rest Ihrer Tage damit verbringen, auf Mallorca Piña Coladas zu trinken. Wenn Sie versagen, könnte es sein, dass Sie am Ende eine Zelle mit mir teilen müssen.«
Miles erhob sich und ging langsam durch den Besuchersaal auf die wartenden Beamten zu. Zuvor jedoch sah er hoch zu einem seiner Lippenleser auf der Galerie, fing den Blick des Mannes auf und sagte mit deutlicher Artikulation: »Ich muss dringend mit Superintendent Warwick sprechen.«
Dann drehte er sich um und wiederholte gegenüber seinem zweiten Lippenleser dieselbe Nachricht.
»Mir ist klar, dass Sie im Augenblick andere Dinge im Kopf haben«, sagte Hawksby, als William zu ihm trat. »Aber ich habe gerade einen dringenden Anruf aus Belmarsh erhalten, über den wir nach dem Ende des Spiels sprechen müssen.«
»Natürlich, Sir. Aber zuerst muss ich ein Half-Century schaffen, wenn wir das Spiel gewinnen wollen.«
»Superintendents nennen mich außer Dienst nicht ›Sir‹«, sagte Hawksby mit einem schiefen Lächeln.
»So weit wird es niemals kommen, Sir«, war Williams spontane Antwort.
»Übrigens, wenn Chief Inspector Brooks die Royalty Protection genauso gut führt, wie er heute als Kapitän seiner Mannschaft auftritt, habe ich wenigstens ein Problem weniger«, sagte Hawksby, als ein Unparteiischer auf das Feld trat und eine Glocke läutete zum Zeichen, dass das Spiel in fünf Minuten fortgeführt würde.
»Viel Glück, Jungs«, rief Hawksby, als Ross und Paul zur Mitte des Feldes gingen.
Ross nahm seine Position ein. »Mitte und Bein«, sagte er zu dem Unparteiischen.
»Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Sir«, sagte William. »Ich muss mich einem Match widmen, das sogar noch wichtiger ist.« Er wandte Ross und Paul den Rücken zu, um ein Spiel zu beobachten, das auf einer Seite des Besucherzelts stattfand. Peter sah sich einigen recht aggressiven Würfen gegenüber.
»Wie war das!«, rief der Werfer, als er Peter am Schienbein traf.
»Aus!«, rief ein weiterer Junge, und Peter brach in Tränen aus, woraufhin Beth ihm rasch zu Hilfe eilte. Doch Peter schob sie ebenso rasch beiseite.
William lächelte seinem Sohn zu, bis er hörte, wie Leder gegen Holz klatschte und sich hinter ihm Jubel erhob. Er drehte sich um und sah, wie Paul mit gesenktem Kopf niedergeschlagen in Richtung Besucherzelt ging. Denn es war ihm nicht gelungen, auch nur einen einzigen Punkt zu erzielen.
Paul ignorierte die Stimmen, die »Pech, alter Junge« und »Einfach kein Glück gehabt« murmelten, denn es traf nicht zu, was die Leute sagten. Er war einfach zu unkonzentriert gewesen. Er löste seine Schienbeinschoner, nahm sich ein Sandwich und machte sich auf die Suche nach einem freien Liegestuhl.
»Wie heißt die Frau, die neben Paul sitzt?«, fragte Arthur.
Sir Julian wandte sich nach rechts. »Rebecca Pankhurst. Sie arbeitet eng mit William zusammen und wurde kürzlich zum Detective Sergeant befördert.«
»Es kann nicht leicht sein für jemanden mit einem solchen Namen.«
»William hat mir gesagt, dass sie genauso beeindruckend ist wie ihre engagierte Vorfahrin und dass sie regelmäßig den Rest des Teams überstrahlt, ihn eingeschlossen.«
»Ich bin ein Idiot«, sagte Paul.
»Das kann kaum als Geheiminformation gelten«, neckte Rebecca ihn.
»Ich war entschlossen, heute fünfzig Punkte zu holen, den Chef zu beeindrucken und uns eine gute Chance auf den Sieg zu verschaffen.«
»Vielleicht hättest du mehr Zeit auf dem Übungsplatz verbringen sollen und weniger damit, dich mit Christina Faulkner zu unterhalten.«
»Touché. Obwohl ich glaube, dass ich eine Chance habe.«
»Bei ihr haben sogar die Unparteiischen eine Chance«, sagte Rebecca verächtlich, und Paul sah plötzlich noch hoffnungsvoller aus. »Wie ich höre, hast du die letzte Woche mit den Personenschützern der Premierministerin verbracht«, fügte sie hinzu. Offensichtlich wollte sie das Thema wechseln.
»Ja. Da Colin Brooks jetzt in Buckingham Gate die Royalty Protection leitet, hat der Superintendent mich gebeten, ein Auge auf den Neuen zu werfen, der inzwischen seine frühere Stelle hat.«
»Taugt er etwas?«
»Er hat sich ganz gut gemacht, bis ein vorbeifahrendes Auto eine Fehlzündung hatte, als die Premierministerin an einem Samstagmorgen zu Fuß in ihrem Wahlkreis unterwegs war. Ihre beiden Personenschützer packten die Eiserne Lady, warfen sie nahezu auf die Rückbank ihres Autos und rasten davon.«
»Aber ist das nicht die Standardprozedur, wenn ein Personenschützer den Eindruck hat, dass seinem Schutzbefohlenen irgendeine Gefahr drohen könnte?«
»Ja, aber sie ließen Denis Thatcher verloren auf dem Bürgersteig zurück.«
Rebecca brach in schallendes Gelächter aus.
»Ich habe mich bei ihm entschuldigt. Doch er meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, denn das sei nicht das erste Mal gewesen, dass so etwas vorkam. Und er nahm an, es würde auch nicht das letzte Mal sein. Verdammt«, sagte Paul, als ein weiteres Wicket fiel. »Es sieht im Augenblick nicht gut für uns aus. Als Nächster ist der Superintendent an der Reihe, und da er in seiner Jugend Kurzbahnen gelaufen ist, wird er wahrscheinlich von Ross davonziehen, der unsere einzige Hoffnung darstellt. Schließe die Augen und bete.«
»So wie du, als du an der Linie gestanden bist?«
Paul ließ sich in seinen Liegestuhl zurücksinken und sah nach links. Er bemerkte, dass Christina ihm zulächelte.
»Paul kannst du vergessen«, sagte Beth, die Christinas Blick gefolgt war. »Das ist streng verbotenes Territorium.«
»Warum? Er sieht doch ziemlich süß aus.«
»Das mag schon sein. Aber solange du als Starzeugin im Prozess gegen deinen Ex-Mann vorgesehen bist, wird er es nicht riskieren, mit dir gesehen zu werden, solange ein anderer Polizist in der Nähe ist.«
»Kann ich mir dann den anderen Inspector aussuchen?«, fragte Christina, als Ross seinen Schläger hoch in die Luft reckte, um dem Publikum für den Applaus angesichts seines Half-Century zu danken.
»Ich dachte, du hättest bereits einen Freund.«
»Mein letzter erreicht in Kürze sein Verfallsdatum«, seufzte Christina. »Deshalb muss ich jemand Neuen finden, der mich ablenkt, bis der Prozess vorüber ist.«
»Wie wäre es mit Hans Holbein?«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich ihm jemals begegnet bin.«
»Das ist kaum überraschend, denn er ist seit über vierhundert Jahren tot. Aber sei’s drum. Er spielt in einer ganz anderen Liga als du, sonst hätte ich ihn dir schon früher vorgestellt.«
»Entgeht mir da gerade etwas?«
»Nicht wenn du zwölf Millionen übrig hast, denn mir wurde kürzlich ein Holbein-Porträt von Heinrich dem Achten angeboten. Um genau zu sein, es wurde dem Fitzmolean angeboten. Aber der Umschlag war als persönlich und vertraulich gekennzeichnet, weshalb meine ehemalige Sekretärin ihn mir geschickt hat.«
»Ich finde das faszinierend«, sagte Christina und stellte ihr Champagnerglas ab.
»Der Brief stammt von einem gewissen Mr. Rosen, einem Herrn aus Holland, der in Amsterdam lebt. Die Ironie besteht darin, dass dieser Mann sich eigentlich an Miles hätte wenden sollen. Denn Miles hat noch keinen Holbein in seiner Sammlung, besitzt allerdings, soweit ich weiß, zwölf Millionen Pfund.«
»Hattest du schon jemals zuvor Kontakt zu diesem Mr. Rosen?«
»Nein, aber was das Bild so ungewöhnlich macht, ist die Tatsache, dass an der Rückseite des Eichenbretts, worauf das Porträt gemalt wurde, ein handgeschriebener Brief von Holbein selbst befestigt ist. Der Brief ist an einen Dr. Rosen gerichtet, der anscheinend kurz vor Holbeins Tod dessen Arzt war. Das ist auch der Grund, warum wir, so glaube ich, annehmen dürfen, dass der Verkäufer das Bild geerbt hat und jetzt gezwungen ist, sich von ihm zu trennen.«
»Gezwungen ist?«
»Tod, Scheidung oder Schulden. Eine Ausprägung dieser unheiligen Dreifaltigkeit ist üblicherweise der Grund, warum ein so bedeutendes Gemälde auf den Markt kommt.«
»Und sind zwölf Millionen ein fairer Preis?«, fragte Christina in lässigem Ton.
»Im freien Verkauf könnte man dafür bis zu fünfzehn Millionen bekommen. Aber vielleicht möchte Mr. Rosen nicht die ganze Welt wissen lassen, dass er sich von einem Familienerbstück trennen muss, weshalb er es nicht Christie’s oder Sotheby’s anbietet. Was natürlich alles keine Rolle spielt, denn ich habe den Brief inzwischen an das Fitzmolean zurückgeschickt. Die Damen und Herren in dem für die Einkäufe zuständigen Komitee werden Stunden damit verbringen, über die Möglichkeiten zu diskutieren, wie sie das Geld aufbringen können, um das Bild zu kaufen, bevor sie am Ende zu dem Schluss kommen werden, dass es nicht zu schaffen ist. Es könnte sogar sein, dass man sich an dich wendet und dich um eine Spende bittet.«
»Nach dem, wie sie dich behandelt haben, können sie lange darauf hoffen«, sagte Christina, als sie sich noch einmal zur Seite wandte und in Pauls Richtung sah. Doch sie war bereits mit etwas beschäftigt, das sie noch mehr genoss als Sex: Geld.
»William hat sein Bestes getan, um sich zu behaupten«, sagte Sir Julian, »und es Ross überlassen, dafür zu sorgen, dass es auf der Punktetafel weiterhin ganz gut läuft.«
»Es wird trotzdem ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden«, sagte Arthur, nachdem er einen Blick auf die Tafel geworfen hatte. »Wir brauchen weitere dreiunddreißig Punkte und haben nur noch fünf Durchgänge zu je sechs Würfen.«
»Dann müssen die beiden bis zum Ende des Spiels dabeibleiben, wenn wir überhaupt noch eine Aussicht auf den Sieg haben wollen«, sagte Sir Julian, als William den Ball hoch in die Luft schlug. Alle Anwesenden folgten der Flugbahn, als ein Feldspieler vom Spielfeldrand lossprintete und mit einem gestreckten Sprung den Ball mit einer Hand auffing, bevor er zu Boden stürzte.
»Der Fluch des Kommentators«, sagte Arthur reuevoll, als William seinen Schläger hob, um seine Anerkennung für diese Leistung zu zeigen, bevor er die Schlagzone verließ. Dieses Detail im Gesamtablauf hätte er nicht besser planen können. Unter großem Beifall kehrte er in das Besucherzelt zurück, legte seine Schienbeinschoner ab und trat zu dem Commander.
»Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie noch für ein paar Würfe geblieben wären«, sagte Hawksby. »Sie haben Ihre Mannschaft verlassen, obwohl Ihre Leute noch immer dreizehn Punkte brauchen und nur wenige Durchgänge haben.«
»Sie wollten noch etwas mit mir besprechen, Sir.«
»In der Tat. Miles Faulkner hat Kontakt aufgenommen.«
Rasch wechselte William hinüber in seine andere Welt. »Damit meinen Sie wohl Booth Watson.«
»Nein. Und das ist das Seltsame daran«, sagte Hawksby. »Als Faulkner heute Mittag nach der Unterhaltung mit einem Besucher in seine Zelle zurückgekehrt ist, hat er zur Galerie aufgesehen und zweien unserer Lippenleser eine eindeutige Nachricht zukommen lassen.«
»Und wie lautete die Nachricht?«
»›Ich muss dringend mit Superintendent Warwick sprechen.‹«
»Der hat Nerven.«
»Sehe ich genauso«, sagte Hawksby. »Doch wenn Sie sich weigern, ihn zu treffen, und es stellt sich später heraus, dass die Information ein schweres Verbrechen hätte verhindern können, hätte Booth Watson nur noch mehr Munition, die er auf die Geschworenen abfeuern kann, wenn dieser Fall vor Gericht kommt.«
»Aber wenn er sich schuldig bekennt«, sagte William, »gibt es keinen Prozess.«
»Es sei denn, er hat seine Meinung inzwischen geändert und möchte einen Deal eingehen.«
»Wer hat ihn heute besucht?«, lautete Williams nächste Frage.
»Lamont.«
»Warum hat Faulkner dann nicht ihn beauftragt, die Nachricht zu überbringen?«
»Das habe ich mich auch schon ein Dutzend Mal gefragt und bin zu dem Schluss gekommen, dass Faulkner ihm wohl einfach nicht vertraut.«
»Nun, dann haben wir ja etwas, worauf wir uns einigen können«, sagte William. »Aber warum war Faulkner dann überhaupt bereit, mit ihm zu sprechen?«
»Das Einzige, was die Lippenleser erkennen konnten«, antwortete Hawksby, »war ›Kunstsammlung‹, ›Lee‹, ›Bankdirektor‹ und ›Booth Watson‹.«
»Ich glaube, es wird DS Pankhurst Spaß machen, den Faden zu finden, der diese Wörter verbindet«, sagte William. »Aber das erklärt immer noch nicht, warum Faulkner nicht einen der üblichen Kanäle benutzt und Booth Watson gebeten hat, die Nachricht zu überbringen, wenn es so dringend ist.«
»Vielleicht traut er ihm inzwischen auch nicht mehr.«
»Sie könnten recht haben«, sagte William. »Ich habe nie verstanden, warum ausgerechnet Miles Faulkner so schnell nachgegeben und sich gegen wenige Jahre Strafnachlass bereit erklärt hat, der Vereinbarung zuzustimmen, wo es doch so viel gab, mit dem er auf uns hätte feuern können.«
»Nur Booth Watson kennt die Antwort darauf«, sagte Hawksby, »und manchmal weiß seine rechte Hand nicht, was seine linke vorhat.«
»Und das bei dem Theater, das Faulkner veranstaltet hat, als wir ihn aus Spanien zurück ins Land gebracht haben«, sagte William. »Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass Booth Watson uns ganz andere Sachen an den Kopf wirft als nur ein paar Lappalien wie bisher.«
»Weshalb ich vermute«, sagte Hawksby, »dass die Dinge, die Faulkner so dringend besprechen will, nichts mit seinem Prozess zu tun haben. Offen gestanden gibt es nur eine Möglichkeit, wenn wir herausfinden wollen, worum es sich handelt.«
William sah zum Spielfeld hinüber und versuchte, zwei Probleme gleichzeitig im Blick zu behalten.
»Wenn Sie beschließen, ihn aufzusuchen«, fuhr Hawksby fort, »sollten Sie jemanden mitnehmen, damit Sie jedes Wort festhalten können, das er sagt. Denn ich würde diesem Mann noch immer nicht über den Weg trauen.«
»Und trotz allem glauben Sie, dass es das Risiko wert ist?«
»Ich vermute, wir haben keine andere Wahl, Superintendent«, sagte Hawksby, als ein Zuschauer in Hörweite schlenderte. »Das wird eine knappe Kiste«, fügte er hinzu, womit er das Offensichtliche aussprach.
William sah zur Punktetafel und versuchte, sich auf das Spiel zu konzentrieren. Der Kapitän der gegnerischen Mannschaft warf dem Bowler, der Paul nach der ersten Wurfserie enttäuscht vom Feld geschickt hatte, den Ball zu.
»Noch acht Runs aus der letzten Serie«, sagte Hawksby nachdenklich. »Das sollte mit Ross an der Linie kein Problem sein.«
Die beiden richteten ihre Aufmerksamkeit auf das, was auf dem Spielfeld vor sich ging, wo sich der Bowler mit einem giftigen Blick bereit machte, den ersten Ball der letzten Serie zu werfen.
Ross lehnte sich zurück, traf den versuchten Yorker und machte zwei Stationen gut, riskierte aber keine dritte, denn er wollte den Schlag nicht gefährden. Er wehrte die nächsten beiden Würfe ab, wodurch noch immer sechs Runs aus den letzten drei Bällen erzielt werden mussten.
»Das sollte nicht allzu schwierig sein«, erklärte Hawksby zuversichtlich.
William äußerte sich nicht dazu.
Der nächste Wurf war ungültig, und Ross schlug den Ball an den Spielfeldrand, wodurch die letzten beiden Würfe des Spiels noch zwei Runs einbringen mussten. Energisch polierte der Bowler den Ball an seiner von roten Flecken übersäten Flanellhose, nahm erneut Anlauf und warf einen Aufsetzer, der über Ross’ Schulter flog, sodass mit dem letzten Ball noch immer zwei Runs erzielt werden mussten.
Schweigen senkte sich über die Menge, als der Werfer den Ball ein letztes Mal polierte, bevor er erneut mit drohender Miene auf das Wicket zuschritt. Ross schien von einem geschickt angetäuschten langsamen Ball überrascht zu werden. Er trat nach vorn, ließ sich von der Flugbahn verwirren, drehte sich um und schob hektisch seinen Fuß zurück auf die Linie, als der Wicket-Keeper, der einen Hinweis auf die Absichten des Werfers bekommen hatte, zu den Stäben trat, die Querhölzer beiseitewischte und so laut er nur konnte rief: »Wie war das!«
Jeder auf dem Spielfeld wandte sich dem Unparteiischen zu, der darüber zu entscheiden hatte, ob der Ball aus war, falls das vor dem Mal stehende Bein des Spielers von dem Wurf getroffen worden war. Nach mehreren quälenden Augenblicken, die er benötigte, um zu einer Entscheidung zu gelangen, hob er seinen Zeigefinger hoch in die Luft, was von den Spielern der Royalty Protection und ihren Anhängern mit lautem Jubel begrüßt wurde, die sofort aufsprangen und den Sieg ihrer Mannschaft mit einem einzigen Run Vorsprung zu feiern begannen.
»Es passt so gar nicht zu DI Hogan, dass er sich in einem so entscheidenden Moment einen solchen Fehler erlaubt«, bemerkte Hawksby, als Ross sich mit gesenktem Kopf vom Schlachtfeld zurückzog.
»Das hat er auch nicht«, sagte William leise. »Er hat nur eine Anweisung ausgeführt.«
Der Commander starrte William eine Zeit lang an und sagte schließlich: »Ich glaube, Superintendent, Sie sind um kein bisschen weniger gerissen als Ihr hochverehrter Herr Vater.«
»Das ist das größte Kompliment, das Sie mir jemals gemacht haben, Sir«, erwiderte William und ging auf das Spielfeld. »Gut gespielt, Colin«, sagte er und schüttelte dem Kapitän der gegnerischen Mannschaft die Hand. »Ein wohlverdienter Sieg.«
»Kein bisschen weniger gerissen als Ihr Vater«, wiederholte der Commander, als er sich zu Sir Julian umwandte, der leise applaudierte.