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Mr. und Mrs. Smith waren die letzten Passagiere, die an Bord des Flugzeugs kamen. Doch nur wenige ihrer Mitreisenden ließen sich zum Narren halten, als sie ihre Plätze in der hintersten Reihe einnahmen und vier Plätze vor sich unbesetzt ließen.

Sie hatte Ross gesagt, sie wolle anonym bleiben – »mit der Menge verschmelzen« waren ihre genauen Worte gewesen. Aber da sie auf einem gewöhnlichen Pauschalflug nach Mallorca eine Sonnenbrille von Gucci, einen Seidenschal von Chanel und hochhackige Schuhe von Louboutin trug, hätte sie nicht noch auffälliger sein können. Ross hatte ihr von der ganzen Idee abgeraten, doch sie wollte nicht auf ihn hören. Bei seinem Versuch, sich zu entspannen, war es auch keine Hilfe, dass er den Fotografen entdeckte, den er kürzlich von Chalabis Grundstück vertrieben hatte und der jetzt nur ein paar Reihen vor ihnen saß. Ross zweifelte nicht daran, dass Chalabi dem Mann verraten hatte, welchen Flug Diana nehmen würde.

Als das Flugzeug in Palma de Mallorca landete, blieben die anderen Passagiere auf ihren Plätzen sitzen. Einhundert Augenpaare starrten aus den Kabinenfenstern, als sie die Maschine durch den Hinterausgang verließ. Sollte jemand noch nicht mitbekommen haben, dass sie an Bord gewesen war, so erfuhr er es spätestens jetzt. Am Fuß der Flugzeugtreppe wartete ein Rolls-Royce auf sie, auf dessen vorderen Kotflügeln zwei kleine Union Jacks flatterten. Nun wusste ganz Spanien, dass Ihre Königliche Hoheit, die Princess of Wales, in der Stadt war.

Ross setzte sich auf den Beifahrersitz und sah im Seitenspiegel, wie sein anderes Problem die Flugzeugtreppe hinabeilte. Wenigstens hätten sie ihm gegenüber eine Stunde Vorsprung. Sobald sie erst einmal in den Sonnenuntergang gesegelt waren, würde er nichts mehr über sie erfahren. Oder hatte man ihm bereits verraten, wo die Sonne untergehen würde?

Polizisten auf Motorrädern eskortierten sie durch den Privatausgang des Flughafens und in Richtung Palma. Sie hielten erst an, als sie den Hafen erreicht hatten, wo die Lowlander , Chalabis Privatjacht, vor Anker lag. Ungewöhnlicherweise richtete Diana während der ganzen Fahrt kein einziges Mal das Wort an Ross. Sie war sich bewusst, dass er ihren Urlaub mit Chalabi nach dem, was sich während ihres Wochenendes auf dessen Landsitz ereignet hatte, nicht guthieß. Ross hatte ihr seine Version der Geschichte noch immer nicht erzählt.

Dass Lady Victoria ebenfalls auf diese Reise eingeladen worden war, war das einzige Zugeständnis, das er erreicht hatte.

Ross musste akzeptieren, dass ihn die Prinzessin noch mehr auf Trab hielt als Jojo – die zweite junge Frau in seinem Leben, deren kleinster Laune er ohne zu zögern nachgab.

Schließlich hielt die Limousine vor der größten Jacht im Hafen. Bevor Ross auch nur die Chance hatte, ihr die Tür zu öffnen, war Diana nach draußen gesprungen. Sie rannte die Gangway hinauf, wo ein Mann mit einer goldverzierten Schirmmütze an Deck wartete, um sie zu begrüßen.

Als sie ihre Arme um ihn warf, hielt Ross Ausschau nach möglichen Fotografen und konnte erleichtert feststellen, dass es nirgendwo einen Hinweis auf deren Anwesenheit gab. Ihr Gastgeber stellte Ihre Königliche Hoheit dem Kapitän vor, der vor ihr salutierte. Daraufhin begleitete der Chefsteward das Paar unter Deck zu der seit Kurzem so bezeichneten »königlichen Suite«.

»Besteht irgendeine Hoffnung darauf, hier so rasch wie möglich abzulegen?«, fragte Ross, nachdem er sich dem Kapitän vorgestellt hatte.

»Ich fürchte, nein, Inspector. Wir werden erst nach dem Dinner in See stechen.«

»Natürlich«, sagte Ross. »Was dem Fotografen mehr als genügend Zeit verschafft, uns einzuholen«, fügte er murmelnd hinzu. Er lächelte zum ersten Mal, als Victoria in einem leichten gelben Sommerkleid und weißen Sandalen von unten an Deck kam. Sie war offensichtlich entschlossen, den Urlaub zu genießen.

»Ich bin Ihre Führerin, Inspector«, neckte sie ihn und zeigte ihm die Jacht, die sie als einen »vulgären schwimmenden Ginpalast« bezeichnete. Ross überprüfte jede Ecke des Schiffes vom Maschinenraum über die Unterkunft der Besatzung und die Kombüse, wo der Küchenchef das Dinner vorbereitete, bis hin zum Helikopterlandeplatz, der auf dem Achterdeck eingerichtet worden war. Alles bis auf die königliche Suite, die von innen abgeschlossen war.

Nachdem Victoria ihre Führung beendete, hatte Ross den Eindruck, dass sich das Ganze vielleicht doch zu zwei angenehmen Wochen entwickeln konnte. Aber als sie wieder an Deck waren, sah er den Fotografen an der Dockmauer stehen und von allem in Sichtweite Aufnahmen machen, während er darauf wartete, dass die Prinzessin erschien. Er musste nicht in die Fleet Street zurückkehren, da ein ganz besonderer Tisch auf ihn wartete, auf dem man seine Exklusivbilder begutachten würde.

Als Diana ein paar Stunden später an Deck kam, war sie barfuß und trug ein weißes T-Shirt und Shorts – ihre hochhackigen Schuhe hatte sie offensichtlich zurückgelassen. Sie wirkte entspannter und zufriedener, als Ross sie in letzter Zeit gesehen hatte. Trotzdem musste er sich unweigerlich fragen, wie der Prince of Wales reagieren würde, wenn sein Privatsekretär ihm am Morgen die Zeitungen auf den Frühstückstisch legte.

Die Prinzessin und Chalabi setzten sich zum Dinner, als die Sonne unterzugehen begann. Doch inzwischen war der Fotograf bereits gegangen, denn nur so konnte er vielleicht einige Aufnahmen in einer der ersten Ausgaben des morgigen Tages unterbringen, bevor die Druckerpressen angeworfen wurden.

Ross entspannte sich erst, als er hörte, wie die Schiffsmotoren ansprangen und von der Brücke aus an den Maschinenraum die Anweisung weitergegeben wurde: »Langsame Fahrt voraus.« Das Schiff löste sich gemächlich vom Dock und nahm Kurs auf eine abgeschiedene Bucht, wo, wie der Kapitän ihm versichert hatte, niemand sie finden konnte. Ross war ziemlich sicher, dass es einem Menschen trotzdem gelingen würde.

Ross war der Letzte, der unter Deck ging, nachdem er in allen Richtungen nichts weiter als die ruhige See ohne irgendein anderes Schiff hatte entdecken können.

Leise ging er an der königlichen Suite vorbei, unter deren Tür kein Lichtstreif hervordrang, und zog sich dann in seine Kabine auf demselben Deck zurück. Auf diesem Arrangement hatte er bestanden. Er duschte und ging zu Bett, wobei er zwischen die frischen, steifen Baumwolllaken sank und sein Kopf auf einem Federkissen ruhte. Wären da nicht das leise Brummen der Motoren und die sanfte Bewegung des Schiffes gewesen, hätte er nicht sagen können, ob sie sich auf See befanden.

»Gewöhnen Sie sich nicht daran«, hatte Hawksby ihn gewarnt, »oder Sie werden unaufmerksam.« Bevor er seine Nachttischlampe löschte, sah er noch einmal aus dem Bullauge, um sich davon zu überzeugen, dass niemand ihnen folgte. Und so verhielt es sich tatsächlich: Niemand folgte ihnen.

Lamont bog von der Hauptstraße ab und folgte einem Hinweisschild, das den Weg zu einem Lagerhallenkomplex in der Nähe von Gatwick beschrieb.

Miles, der inzwischen einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe sowie eine gestreifte Krawatte trug, hatte seine Verwandlung von einem Kriminellen auf der Flucht in einen ehrenwerten Geschäftsmann abgeschlossen. Er warf einen Blick in die dicke Brieftasche in der Innentasche seines Anzugs. Wenn er heute Nacht zu Bett ging, wäre sie leer. Aber wo befände sich dieses Bett?

Lamont parkte gegenüber einem großen Umzugswagen, damit sie vor neugierigen Blicken geschützt wären. Dann ging er zum nächsten Gebäude und verschwand darin.

Einen Augenblick später erschien er wieder und gab Miles mit einem Nicken zu verstehen, dass dieser sich ihm gefahrlos anschließen könne. Im Gebäude stand ein gedrungener, kräftig gebauter Mann, der einen braunen Overall, ein Hemd mit offenem Kragen und eine Baseballmütze trug, vor einer schweren, verstärkten Tür, die mit zwei großen Vorhängeschlössern gesichert war.

»Reg«, sagte Lamont. »Das ist Mr. Booth Watson, der, wie ich dir gesagt habe, seine Bilder persönlich abholen wird.«

»Ich muss irgendetwas Offizielles sehen.«

Miles griff nach seiner Geldbörse und reichte dem Mann fünfhundert Pfund in bar, die blitzschnell in einer tiefen Tasche verschwanden. Damit waren alle Fragen zur Identität des Besuchers geklärt.

»Unterzeichnen Sie hier«, sagte Reg und reichte Miles ein Transportformular. »Dann können meine Jungs mit dem Einladen anfangen.«

Nachdem Miles irgendetwas Unleserliches auf die Unterschriftzeile gekritzelt hatte, legte Reg die Hand an seine Mütze und erklärte: »Wir sehen uns in ein paar Stunden in Lambeth, Mr. Booth Watson, und dann …«

»Bekommen Sie wie versprochen die übrigen fünfhundert Pfund«, sagte Miles. »Aber erst, wenn die Bilder wieder sicher in ihrem alten Zuhause untergebracht sind.«

»Das ist nur fair«, sagte Reg und wandte sich der Tür zu, um die Schlösser zu öffnen.

Lamont und Miles kehrten zu ihrem Fahrzeug zurück. Als Lamont wieder hinter dem Lenkrad saß, warf er einen Blick auf die Uhr und sagte: »Wir werden uns beeilen müssen, wenn Sie Ihren nächsten Termin noch rechtzeitig erreichen wollen.«

Miles nickte knapp, wiederholte davon abgesehen jedoch nur seine Bemerkung von zuvor: »Überschreiten Sie niemals das Tempolimit.«

Lamont hielt sich auf der Innenfahrbahn, als sie in Richtung London fuhren, wobei er sich immer wieder nach möglichen Streifenwagen umsah. Er wollte nicht an einer Ampel neben einem zum Stehen kommen und vielleicht erkannt werden. Er wechselte auf die mittlere Fahrbahn, als sie sich Hyde Park Corner näherten. Obwohl Lamont die Strecke am Tag zuvor abgefahren war, war es ihm nicht gelungen, in der Nähe der Bank einen Parkplatz mit einer Parkuhr zu finden, und es war nicht gerade empfehlenswert, einen Fluchtwagen auf der doppelten gelben Linie stehen zu lassen. Er umrundete die Bank und entdeckte schließlich einen gebührenpflichtigen Parkplatz etwa einhundert Meter vom Haupteingang der Bank entfernt. Ein berechenbares Risiko.

Lamont fütterte die Parkuhr mit so vielen Münzen, dass sie zwei Stunden bleiben konnten. Mehr bot ihnen die Uhr nicht an, und sie konnten jede einzelne Minute davon gebrauchen. Als er auf die Bank zuging, stieg Miles aus dem Auto und folgte ihm. Sie vermieden den Empfangstisch, schlossen sich einer Gruppe von Männern an, die ebenfalls graue Anzüge trugen, und stiegen in einen Aufzug. Lamont drückte den Knopf mit der Zahl 5, und die Tür schloss sich. Miles war klar, dass Lamont als ehemaliger Polizist seine Hausaufgaben gemacht und das Risiko von Überraschungen so weit wie möglich minimiert hatte. Aber er wusste auch, dass es immer etwas gab, womit man nicht gerechnet hatte.

Als sich die Aufzugtür im fünften Stock öffnete, stieg Lamont als Erster aus. Mit raschen Schritten folgte er dem Flur und klopfte an eine Milchglastür, auf der »Mr. Nigel Cotterill, Gebietsleiter« stand. Er wartete nicht auf eine Reaktion, obwohl sie ein paar Minuten zu früh für ihren Termin waren. Vielleicht würden ihnen diese fünf Minuten später von Nutzen sein.

Falls Mr. Cotterill überrascht war, seinen früheren Kunden zu sehen, so ließ er es sich nicht anmerken. Denn er hatte bereits zwei Mal mit Lamont gesprochen und wusste genau, was von ihm erwartet wurde.

Miles setzte sich auf einen Stuhl, der dem Schreibtisch des Direktors gegenüberstand; Lamont blieb einen Schritt hinter ihm stehen. Jetzt hatten sich ihre Rollen umgekehrt.

»Wie Mr. Lamont Ihnen bereits erklärt haben wird«, sagte Miles, »benötige ich ein neues Bankschließfach, für das niemand außer mir den Schlüssel haben wird.«

Cotterill nickte, schlug eine Akte auf seinem Schreibtisch auf, nahm mehrere Dokumente heraus und legte sie fein säuberlich vor einem der wichtigsten Kunden der Bank aus. Miles las jedes einzelne Papier sorgfältig durch, bevor er seine richtige Unterschrift an die entsprechende Stelle setzte.

»Und wie steht es um meine andere Bitte?«, fragte er, während er die Kappe wieder auf seinen Füllfederhalter schraubte.

»Im Augenblick halten wir sechsundzwanzig Millionen Pfund auf Ihren Namen, die aus dem Verkauf Ihres einundfünfzigprozentigen Anteils an Marcel and Neffe stammen. Aber wie Sie zweifellos wissen, befindet sich die Summe auf einem Kundenkonto, weshalb Mr. Booth Watson bei Bedarf in Ihrem Namen Geld abheben kann, um für seine Honorare und die sonstigen Kosten für Ihre juristische Vertretung aufzukommen.«

»Wie viel hat er abgehoben, während ich … seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«

Cotterill warf einen Blick auf die Spalte mit den Abhebungen. »Zweihunderteinundvierzigtausendsiebenhundert Pfund«, sagte er.

Miles ging nicht darauf ein, sondern sagte stattdessen in entschiedenem Ton: »Sorgen Sie dafür, dass der vollständige Restbetrag von dem gemeinsamen Konto auf mein Privatkonto transferiert wird, bei dem nur ich Abhebungen vornehmen darf. Unterdessen werde ich den Inhalt meines alten Schließfachs in mein neues übertragen.«

»Ich werde sämtliche Dokumente zur Unterschrift vorbereitet haben, wenn Sie wiederkommen«, sagte Cotterill. »In der Zwischenzeit werde ich den Leiter unserer Sicherheitsabteilung bitten, Sie in das Untergeschoss zu begleiten und Ihnen den Raum mit den Schließfächern zu öffnen. Die Nummer Ihres neuen Fachs ist 178.« Er reichte Miles einen Schlüssel, nahm den Telefonhörer auf seinem Schreibtisch ab und rief die Sicherheitsabteilung an.