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Die beiden Schlauchboote glitten in die Bucht. Sie fuhren nicht schneller als zwei Knoten, sodass man in der ruhigen, windstillen Nacht ihre Motoren nicht hören konnte, während sie auf die vor Anker gegangene Jacht zuhielten, deren Silhouette sich im Mondlicht abzeichnete. Nasreen Hassan saß im Bug des ersten Schlauchboots und richtete ihr Fernglas auf das einzige Licht, das von der Lowlander nach draußen drang.

Ein Mann saß auf der Brücke der Jacht und spielte Schach gegen sich selbst, um sich die langen Stunden der Ankerwache zu vertreiben. Ihr Fernglas war so leistungsstark, dass sie seinen nächsten Zug sehen konnte: Dame bedroht Springer.

Ihren nächsten Schritt hatte sie schon mehrere Wochen zuvor geplant. Sobald sie das Datum kannte, an dem die Zielperson mit ihrem Freund Urlaub machen würde, hatten die Vorbereitungen für diesen unangekündigten Besuch begonnen.

Sie und ihre Leute wussten bereits, dass die Jacht, die Chalabi gemietet hatte, in Palma de Mallorca vor Anker lag. Es brauchte nicht mehr als ein wenig Bestechungsgeld für den stellvertretenden Hafenmeister, um zu erfahren, wann diese den Hafen verlassen würde. Sie besaßen sogar einen Plan der Jacht und hatten die letzten beiden Tage in einem verborgenen Meeresarm etwas weiter nördlich an der Küste verbracht und letzte Hand an ihre Pläne gelegt.

Hassan warf einen Blick auf ihre Uhr – 03:17. Sie war überzeugt davon, dass der einzige Mensch, der an Bord noch wach war, der junge Mann auf der Brücke wäre. Turm bedroht Läufer. Der junge Mann nahm einen Springer vom Brett.

Sie drehte sich um und sah die kleine Flottille und ihr Neun-Mann-Team, von denen jeder über eine besondere Fähigkeit verfügte. Um sie herum im vorderen Boot saßen fünf Auftragskiller, für keinen von ihnen war das seine erste Mission. Sie alle trugen Schwarz von Kopf bis Fuß, und ihre Gesichter waren mit Korkasche eingerieben, damit man sie im Mondlicht nicht sehen konnte. Jeder von ihnen konnte sechsunddreißig Stunden ohne Schlaf auskommen, doch dieser Teil der Operation würde kaum mehr als ein paar Minuten in Anspruch nehmen. Was wirklich Zeit brauchen würde, wäre das Verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, und Zeit – oder genauer gesagt, der Mangel daran – war ihr einziger Feind.

Hassan hatte ein Dragunow-Scharfschützengewehr um die Schulter geschlungen, das sie sogar mit ins Bett nahm. Sie hatte sich einen Namen gemacht, indem sie einen britischen Soldaten in Libyen mit einem einzigen Schuss aus sechshundert Metern Entfernung getötet hatte. Die fünf Männer in ihrem Boot trugen Kalaschnikows bei sich, die sie auf dem freien Markt gekauft hatten. Einer von ihnen hielt seine Waffe im Anschlag, in deren Kammer sich bereits die erste Patrone befand. Er ging davon aus, nur einen Schuss abgeben zu müssen.

Das zweite Boot wurde von einem Kapitän gesteuert, der sich für einzelne Aufträge anwerben ließ und zwanzig Jahre als Drogenkurier im Dienst verschiedener Kartelle vorweisen konnte, sowie von seinem Gehilfen, der mehr Zeit im Gefängnis als auf offener See verbracht hatte. Hinter ihnen saß der Maschinist, dessen fahles, von Falten durchzogenes Gesicht die vielen Jahre zu verraten schien, die er schwer atmend und verschwitzt im Bauch verschiedener Schiffe verbracht hatte. Letztes Mitglied des Teams war ein Arzt, dem schon mehrmals die Zulassung entzogen worden war – obwohl der Truppe für das, was Hassan vorhatte, ein Beerdigungsunternehmer von größerem Nutzen gewesen wäre.

Jedes Augenpaar in den Schlauchbooten war auf die Jacht gerichtet. Der Mann, der ausgewählt worden war, um den Schachspieler zu eliminieren, sollte als Erster an Bord gehen, während Hassan und die übrigen vier Männer aus dem ersten Boot nach unten gehen würden, wo die Prinzessin und möglicherweise noch andere Gäste Chalabis in Träume versunken wären, die sich schon bald in einen Albtraum verwandeln würden.

Hassan spürte, dass ihr Mund trocken wurde, wie es stets vor einem Angriff geschah. Ihr geliebter Anführer hatte sie ausgewählt, um diesen kühnen Schlag durchzuführen, und ihr versichert, dass im Erfolgsfall die Briten nicht nur vor den Augen der Welt gedemütigt würden, sondern darüber hinaus ihr Name in die große Überlieferung ihrer Nation einginge und viele andere junge Frauen dazu inspirieren würde, sich ihrer Sache anzuschließen. Die Ironie bestand darin, dass sie in Wakefield geboren und an der Universität rekrutiert worden war. Wie so viele neu Bekehrte setzte sich Hassan mit weitaus größerer Leidenschaft und Hingabe für die Sache ein als irgendeiner der Söldner, die um sie herumsaßen und nur daran interessiert waren, wie viel man ihnen bezahlen würde.

Als sie nur noch wenige Hundert Meter von ihrem Ziel entfernt waren, fuhren sie noch langsamer, damit der Schachspieler auf der Brücke durch das leise Brummen ihrer Motoren nicht gewarnt würde. Hassan lächelte bei dem Gedanken daran, wie der mit der Vermietung beauftragte Mitarbeiter der Charter-Firma ihr erklärt hatte, einer der besonderen Vorzüge der Jacht bestehe darin, dass sogar ein Kind nach dem Schwimmen ohne fremde Hilfe wieder an Bord gelangen könne.

Als sie nur noch einhundert Meter entfernt waren, schalteten sie die Motoren aus und ließen die beiden Schlauchboote zum Heck der Jacht treiben, damit neun ungebetene Gäste die Party stürmen konnten.

Als das erste Schlauchboot die Kante des Landedecks berührte, ging der ausgewählte Attentäter als Erster an Bord. Rasch eilte er über das Unterdeck und über eine kurze Treppe hinauf zur Brücke. Der Schachspieler sah auf, nachdem er seinen letzten Zug gemacht hatte, woraufhin eine einzelne Kugel in seine Stirn drang. Bevor er irgendeinen Ton von sich geben konnte, brach er auf dem Boden neben dem Steuerrad zusammen. Ohne ein Wort zu wechseln, übernahmen der neue Kapitän und sein erster Maat das Schiff.

Hassan war auf halber Höhe der Wendeltreppe, die zu den Gästekabinen führte, als Ross wegen des Schusses aufwachte. Sofort war er hoch konzentriert, obwohl er einen Augenblick lang nicht sicher sein konnte, ob das Geräusch noch zu seinem Traum gehört hatte. Er sprang aus dem Bett, eilte zur Tür seiner Kabine und öffnete sie, woraufhin sich der Lauf einer Kalaschnikow zwischen seine Augen richtete. Während zwei der Angreifer Ross in den Korridor zerrten, sah er instinktiv hinüber zur Kabine der Prinzessin. Die Tür ging auf, und Jamil Chalabi kam heraus; er trug eine Kaki-Uniform und hielt eine Waffe in der Hand. Er beugte sich vor, küsste Hassan auf beide Wangen und sagte: »Du hättest deinen Auftrag nicht professioneller erledigen können, meine Schwester. Unsere Bewegung wird immer in deiner Schuld stehen.«

»Darf ich ihn umbringen?«, fragte sie und blickte zu Ross.

»Nein«, sagte Chalabi nachdrücklich. »Ich habe etwas anderes für ihn vorgesehen.« Hassan wirkte enttäuscht. »Vorerst bleiben wir bei unserem ursprünglichen Plan. Durchsuche als Erstes alle Kabinen. Halte Ausschau nach Waffen jeder Art – Pistolen, Messer – und, was genauso wichtig ist, Telefonen. Danach solltest du alle einschließen. Steck diese beiden in dieselbe Kabine«, sagte er, indem er in Ross’ und Victorias Richtung nickte. »Ich werde meine eigene Kabine brauchen und habe so das Gefühl, dass die Prinzessin mich nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird.«

»Was machen wir mit diesen vier Leuten hier?«, fragte Hassan und deutete mit der Waffe auf den Kapitän, den Maschinisten, den Steward und den Koch, die aus ihren Betten gezerrt worden waren.

»Du kannst sie umbringen«, sagte Chalabi, als handele es sich um eine Art Kompensation. »So sind wir nicht in Unterzahl und sorgen dafür, dass der Inspector noch einmal nachdenkt, bevor er auf die Idee kommt, den Helden zu spielen.«

Einer der Angreifer rammte Ross das Knie in den Unterleib, der daraufhin zusammensackte und rückwärts in Victorias Kabine stürzte. Die Tür wurde zugeschlagen, und er hörte, wie jemand abschloss. Wenige Augenblicke später erklangen vier Schüsse. Victoria klammerte sich an Ross. Sie zitterte, aber als sie sprach, klang ihre Stimme herausfordernd.

»Ich habe diesem Mann nie getraut. Wenn ich auch nur ansatzweise eine Chance dazu bekomme, werde ich ihn mit dem größten Vergnügen umbringen.« Ross hätte nie damit gerechnet, dass ihn noch etwas überraschen konnte.

Chalabi ließ zwei seiner Männer im Korridor als Wache zurück, während er hinauf an Deck ging, wo er überall das vergossene Blut sah. Seine Lieblingsfarbe.

Er wollte gerade den Befehl geben, den Anker zu lichten, als er sah, wie am Ufer ein Blitzlicht aufleuchtete. Er packte ein Fernglas und konnte im Mondlicht gerade noch erkennen, wie eine einzelne Gestalt eine Kamera mit Teleobjektiv, die auf einem Stativ montiert war, auf die Jacht gerichtet hatte.

»Verdammt, den hatte ich vergessen«, sagte Chalabi. »Aber da er inzwischen nicht mehr von Nutzen ist …« Er musste den Satz nicht beenden. Hassan, die neben ihm stand, hob ihr Gewehr, stützte es auf der Reling des Schiffes ab und nahm ihr Ziel durch das Nachtsicht-Fernrohr ins Visier. Der Fotograf war etwa vierhundertfünfzig Meter entfernt. Sie presste den Gewehrschaft fest gegen ihre Schulter, holte tief Luft und drückte dann behutsam den Abzug. Sie war bereit, einen zweiten Schuss abzugeben, sollte am Ufer eine weitere Bewegung zu erkennen sein. Doch es gab keine mehr.

»Wir starten«, rief Chalabi zur Brücke hinauf. Er wusste, dass die Lowlander nur zwanzig Knoten schaffte – weshalb es keine Zeit zu verlieren galt, wenn sie es sicher bis in ihre Heimat schaffen wollten, wo die Welt von diesem waghalsigen Coup erfahren würde und ihr nichts anderes übrig bliebe, als auf seine Forderungen einzugehen.

Das Telefon auf Williams Seite des Bettes klingelte. Er nahm ab und hoffte, dass Beth nicht aufwachen würde. Sie stöhnte und drehte sich um.

»Guten Morgen, Warwick«, sagte eine Stimme, die er, so hatte er geglaubt, nie wieder hören würde.

»Guten Morgen, Assistant Commissioner«, sagte er und bemühte sich, wach zu klingen.

»Ein örtlicher Fischer hat die Leiche eines Paparazzo an einem entlegenen Küstenstreifen von Mallorca gefunden.«

Williams Gedanken rasten, während er sich darüber klar zu werden versuchte, warum das um fünf Uhr morgens für ihn von irgendeiner Bedeutung sein sollte.

»Die örtliche Polizei«, fuhr Holbrooke fort, »hat seine Kamera neben ihm gefunden und uns die Bilder geschickt, die er gemacht hat. Mehr müssen Sie im Augenblick nicht wissen, nur dass in einer Stunde eine COBRA -Besprechung in Whitehall stattfinden wird und Ihre Teilnahme daran erforderlich ist.«

Warum ich?, fragte sich William.

»Wir halten es für möglich, dass Mansour Khalifah in die Sache verwickelt ist«, lautete die Antwort auf seine unausgesprochene Frage.

Verwickelt worin?, hätte William gerne gefragt, wenn am anderen Ende der Leitung nicht bereits aufgelegt worden wäre. Er sprang aus dem Bett und eilte ins Bad.

»Wer war das?«, fragte Beth noch im Halbschlaf, aber er hatte die Tür bereits geschlossen.

Alle erhoben sich, als Mrs. Thatcher den Cabinet Office Briefing Room betrat, der nur durch einen Korridor von den Regierungsräumen getrennt und damit vor den Blicken Neugieriger geschützt war, die sich ansonsten gefragt hätten, warum eine Gruppe so mächtiger Personen um sechs Uhr morgens im Besprechungsraum des Kabinetts zusammenkam. Sie nahm auf dem mittleren Stuhl an dem langen Tisch Platz und musterte ein Dutzend der wichtigsten Entscheider der Nation, die von einem Augenblick auf den anderen ihre warmen Betten verlassen hatten und hierhergekommen waren. Hinter ihnen saßen zahlreiche Regierungsbeamte, die dafür sorgen würden, dass die Anweisungen ihrer Vorgesetzten ausgeführt wurden, sobald diese nach der Besprechung in ihre Büros in Whitehall zurückgekehrt waren.

»Assistant Commissioner«, begann die Premierministerin und sah zur gegenüberliegenden Seite des Tisches. »Vielleicht können Sie uns alle auf den neuesten Stand bringen.«

»Die Situation ist noch immer im Fluss, Prime Minister«, erwiderte Holbrooke, »weshalb unsere Nachrichtendienste bereits in diesen Minuten die jüngsten Informationen zusammentragen. Zweifelsfrei wissen wir bisher nur, dass eine Gruppe bewaffneter Terroristen, die möglicherweise von Oberst Gaddafi finanziert werden, eine Jacht vor der Küste von Mallorca gestürmt und in ihre Gewalt gebracht haben, auf der sich die Princess of Wales als Gast aufhält. Der gegenwärtige Standort des Schiffes ist unbekannt.«

»Ich dachte, sie und der Prince of Wales verbringen einen gemeinsamen Urlaub in Highgrove«, kommentierte die Premierministerin, während sie einen Blick auf eine Landkarte warf, die in der Tischmitte ausgebreitet worden war.

»Genau wie der Rest der Welt da draußen«, sagte Holbrooke, »und ich möchte, dass es auch so bleibt.« Er drückte auf eine Taste seiner Konsole, und ein Foto der Lowlander , an deren Heck zwei Schlauchboote trieben, erschien auf einem großen Bildschirm, der einen Großteil der hinteren Wand des Raumes einnahm.

»Wie sind Sie da rangekommen?«, fragte der Kabinettssekretär, der zur Linken der Premierministerin saß.

»Ein Paparazzo war am Ufer, als der Überfall stattfand, und die spanische Polizei konnte seine Kamera sicherstellen.«

»Das ist ein echter Glücksfall«, sagte der Kabinettssekretär.

»Für den Fotografen nicht«, erwiderte Holbrooke. »Jemand hat ihm eine Kugel in den Kopf geschossen.«

»Was hat er so spät in der Nacht noch dort gewollt?«, fragte die Premierministerin.

»Er dürfte für eine Boulevardzeitung gearbeitet und gewusst haben, dass die Prinzessin an Bord der Jacht ist. Glück für uns«, fuhr Holbrooke fort, »dass er bereits mehrere Fotos gemacht hatte, bevor er ermordet wurde. Seine Leiche wurde von einem örtlichen Fischer gefunden. Die spanische Polizei konnte darüber hinaus eine 54-mm-Patrone sicherstellen, die im Sand neben der Kamera steckte. Die Art, die von professionellen Attentätern bevorzugt wird.«

Mehrere Anwesende begannen, gleichzeitig zu sprechen, bis die Premierministerin eine wegwischende Geste machte und Holbrooke zunickte.

»Wir hatten keine Möglichkeit herauszufinden, wer den Fotografen umgebracht hat«, fuhr Holbrooke fort, »bis wir die Aufnahmen bekamen, die er letzte Nacht gemacht hat.«

Das Foto der Jacht verschwand, und auf dem Bildschirm erschien das Gesicht einer jungen Weißen.

»Wer ist sie?«, fragte die Premierministerin.

»Ruth Cairns«, sagte der Leiter des MI 6. »Sie wurde in Wakefield geboren und hat an der Manchester University Politik studiert. Aber sie hat das Studium abgebrochen und war fast ein Jahrzehnt lang verschwunden, bis wir kürzlich wieder auf sie aufmerksam wurden, als wir ein Gespräch abgefangen haben. Sie benutzt jetzt den Namen Nasreen Hassan und ist eine der treuesten Untergebenen Gaddafis.«

Ein kurzes Video, das eine Frau zeigte, die vor einem jubelnden Mob einen amerikanischen Militärangehörigen enthauptete, ließ bei niemandem mehr Zweifel daran aufkommen, mit was für einer Art Mensch sie es zu tun hatten.

»Cairns scheint für die Operation verantwortlich zu sein«, sagte Holbrooke.

»Wie viele Terroristen waren an dem Angriff beteiligt?«, fragte der Außenminister, indem er das erste Mal das Wort ergriff.

»Da es nur zwei Schlauchboote zu geben scheint, nicht mehr als ein Dutzend. Höchstens«, antwortete Holbrooke. »Fünf von ihnen, so scheint es, konnten wir bereits identifizieren. Unsere Nachrichtendienste haben Unterlagen über sie.«

Mehrere Verbrecherfotos erschienen auf dem Bildschirm, während Holbrooke die bei der COBRA -Besprechung Anwesenden darüber informierte, um wen es sich handelte und welche Rolle der Betreffende wahrscheinlich bei der Operation spielte. Die nächste Aufnahme auf dem Bildschirm zeigte zwei Männer in Schwarz, die auf der Brücke der Jacht standen. »Wir vermuten, dass es sich hierbei um ihren Kapitän und seinen Assistenten handelt. Denn sie gleichen keinem der fünf Mitarbeiter auf dem Schiff, die am Freitagabend von Palma de Mallorca aus in See gestochen sind.«

»Müssen wir davon ausgehen, dass sämtliche Besatzungsmitglieder der Jacht tot sind?«, fragte die Premierministerin.

»Wahrscheinlich. Hassan hält nichts davon, Gefangene zu machen, besonders wenn ein unmarkiertes Grab so bequem zur Verfügung steht. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Prinzessin noch am Leben ist. Denn sonst hätten sie nichts mehr, mit dem sie verhandeln könnten.«

»Verhandeln … das klingt nach Geld oder nach irgendeiner Art von Eintauschen gegen etwas anderes«, sagte die Premierministerin. »Was meinen Sie, Assistant Commissioner, um welches von beidem geht es?«

»Nicht etwas anderes, Ma’am, sondern jemand anderer. Hassan ist nicht an Geld interessiert«, versicherte Holbrooke, »ansonsten wäre Jamil Chalabi, der aktuelle … Begleiter der Prinzessin, ihr Ziel gewesen und nicht die Prinzessin selbst.«

»Was macht Sie so sicher?«, fragte der Kabinettssekretär.

»Chalabi ist der Sohn eines reichen Geschäftsmannes aus Dubai«, antwortete Commander Hawksby. »Er taucht ständig in den Klatschkolumnen auf, wo er üblicherweise als Multimillionär und Playboy oder Partylöwe beschrieben wird. Laut Inspector Hogan, dem Personenschützer der Prinzessin, bereitet es ihm keinerlei Probleme, jeden, einschließlich der Presse, wissen zu lassen, dass er ein Verhältnis mit ihr hat.«

»Wenn Sie nicht glauben, dass es um Geld im Austausch gegen die Prinzessin geht«, fragte der Kabinettssekretär, »worum dann?«

»Im Augenblick sitzt Gaddafis rechte Hand, Mansour Khalifah, im Gefängnis Belmarsh ein«, sagte Hawksby. »Weshalb ich nicht glaube, dass wir weiter suchen müssen als Thamesmead.«

»Sie werden sich daran erinnern, Prime Minister«, warf der Generalstaatsanwalt ein, »dass ich Khalifahs Festnahme genehmigt habe, als er vor ein paar Monaten in Heathrow auf dem Weg nach Moskau zwischengelandet ist.«

»Wir zweifeln nicht daran«, fügte der Innenminister hinzu, »dass Khalifah hinter dem Lockerbie-Anschlag steckt und ebenso hinter dem kürzlich vereitelten Versuch, während des Abschlusskonzerts ein Selbstmordattentat in der Albert Hall durchzuführen. Seien Sie nicht überrascht, falls Gaddafi ihm die Verantwortung für mögliche Verhandlungen übertragen hat.«

»Wir verhandeln nicht mit Terroristen«, sagte die Premierministerin, als handele es sich um eine öffentliche Verlautbarung. Aber in diesem Fall glaubte ihr niemand am Tisch.

Mehrere Anwesende begannen, gleichzeitig zu sprechen, doch sie verstummten, als sich die Premierministerin dem Leiter des Verteidigungsstabs zuwandte. »Was sollen wir als Nächstes tun? Was würden Sie empfehlen, Admiral?«

»Wir haben eine Nimrod, welche die unmittelbare Umgebung überfliegt, und eine zweite ist bereits unterwegs. Die Lowlander kann nicht mehr als einhundert Meilen zurückgelegt haben, seit sie gekapert wurde. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir die Jacht aufgespürt haben.«

»Welches Ziel hat die Jacht Ihrer Ansicht nach?«, fragte der Kabinettssekretär mit einem Blick auf die Karte.

»Sie werden sich nicht lange in spanischen Gewässern aufhalten wollen«, antwortete der Erste Lord der Admiralität. »Ich würde sagen, sie steuern Tripolis an«, ein Finger bewegte sich über die Karte, »in der Hoffnung, die libyschen Hoheitsgewässer zu erreichen, bevor wir einen breit organisierten Gegenangriff starten können.«

»Wie viel Zeit haben wir?«, fragte der Kabinettssekretär.

»Wenn sie ungefähr achtzehn Knoten schnell sind, werden sie etwa achtundvierzig Stunden benötigen, um sich in den Schutz ihrer Territorialgewässer zurückzuziehen.«

»Wenn ihnen das gelingt«, sagte der Außenminister, der der Premierministerin gegenübersaß, »gibt es keine weiteren Sanktionen, mit denen wir Libyen drohen könnten, weshalb wir nicht gerade in einer besonders guten Verhandlungsposition sind.«

»Sie ist sogar sehr schwach«, sagte die Premierministerin und verschränkte die Arme. »Worauf also können wir während der nächsten achtundvierzig Stunden hoffen, wenn wir dafür sorgen wollen, dass es nicht so weit kommt?«

»Wir haben eine erstklassige Schwadron des SBS , die in mariner Terrorismusabwehr ausgebildet wurde und im Augenblick auf dem Clyde in der Nähe von Faslane eine Übung veranstaltet«, antwortete der Direktor der Spezialkräfte. »Ich habe bereits Befehl gegeben, dass die Einheit unverzüglich in ihre Basis in Dorset zurückkehrt, wo ich sie heute noch aufsuchen werde.«

»Sind zurzeit irgendwelche Schiffe von uns in der Gegend?«, fragte der Kabinettssekretär, beugte sich über den Tisch und tauchte seinen Finger gleichsam in die Mitte des Mittelmeers.

»Der Flugzeugträger HMS Cornwall lag eben noch vor Malta vor Anker«, erwiderte der Erste Lord der Admiralität, »hat sich inzwischen aber mit Höchstgeschwindigkeit auf den Weg gemacht. Er sollte die Jacht in etwa achtzehn Stunden eingeholt haben. Außerdem gibt es ein U-Boot, das wegen kleinerer Reparaturen in Gibraltar liegt und noch im Laufe des Vormittags in See stechen und die Cornwall irgendwann morgen Nachmittag einholen könnte.«

»Ich gehe davon aus«, sagte die Premierministerin, »dass Sie die Leitung dieser Operation einem besonders fähigen Kommandanten anvertraut haben?«

»Ja«, sagte der Erste Lord der Admiralität. »Er ist der Beste. Denn für etwas so Großes können wir ganz gewiss keinen Simubei gebrauchen.«

»Keinen Simubei?«

»Spaß in der Messe, unfähig bei Einsätzen. Ich kann Ihnen versichern, dass Captain Davenport gewiss niemand ist, dem Khalifah gerne begegnen würde.«

»Unter welchen Bedingungen sitzt Khalifah im Augenblick ein?«, fragte die Premierministerin und sah sich am Tisch um, denn sie war sich nicht sicher, wer ihre Frage beantworten konnte.

»Er sitzt derzeit in Belmarsh in Einzelhaft«, sagte William. »Er hat keine Möglichkeit, zu irgendjemandem von außerhalb Kontakt aufzunehmen. Doch wir dürfen annehmen, dass er ganz genau Bescheid weiß über das, was vor sich geht.«

Alle am Tisch wandten sich William zu.

»Den Schlüssel wegzuwerfen sieht mir unter den gegebenen Umständen wie eine angemessene Reaktion aus«, sagte der Innenminister.

»Ich wünschte, es wäre so einfach«, erwiderte die Premierministerin. »Im Augenblick jedoch würde ich vorschlagen, dass sich alle an die Arbeit machen und versuchen sollten, das Ganze wie eine vollkommen gewöhnliche Aufgabe zu betrachten. Dabei ist es – und daran muss ich Sie gewiss nicht erinnern – zwingend geboten, dass die Presse nichts davon mitbekommt.«

»Und wenn doch?«, fragte der Pressesekretär der Premierministerin.

»Dann werde ich gegenüber jedem Presseerzeugnis der Fleet Street ein offizielles Verbot aussprechen, da die Veröffentlichung solcher Informationen die innere Sicherheit gefährden würde«, sagte der Generalstaatsanwalt, ohne zu zögern.

»Und wenn eine ausländische Quelle herausfindet, dass die Prinzessin entführt wurde?«, lautete die zweite Frage des Pressesekretärs. »Ihr gegenüber hätten Sie keinerlei Befugnis.«

»Sollte es dazu kommen, Bernard, müssen Sie ein Statement für mich vorbereiten«, sagte die Premierministerin gerade, als die Tür aufflog und ihr Privatsekretär hereinstürzte, um ihr eine Notiz zu überreichen. Sie öffnete sie und las die kurze Nachricht. »Eine Nimrod hat die Lowlander lokalisiert. Und Sie hatten recht, Admiral«, sagte sie und wandte sich dem Ersten Lord der Admiralität zu. »Die Jacht hat mit etwa siebzehn Knoten eine Ost-Südost-Route eingeschlagen.«

»Dann ist Tripolis also tatsächlich das Ziel«, sagte der Außenminister.

»Was bedeutet …«, sagte die Premierministerin mit einem Blick auf die Uhr, »… noch etwa siebenundvierzig Stunden, bevor mir nichts anderes übrig bleiben wird, als einen Anruf von Oberst Gaddafi entgegenzunehmen und aus einer sehr schwachen Position heraus zu verhandeln.« Sie sah sich am Tisch um. »Das ist etwas, das ich verhindern möchte«, sagte sie in entschiedenem Ton. »Koste es, was es wolle.«