Als der Offizier des SBS , der die Tauchgänge seiner Männer überwachte, einen Anruf vom Kommandanten in Faslane erhielt, stabilisierte er sein Boot, schaltete die Taucher-Rückruf-Vorrichtung ein und ließ das Gerät zu Wasser. Es sank unter die Wellen und löste nur wenige Augenblicke später eine Explosion aus, was den Tauchern der Schwadron M zu verstehen gab, unverzüglich an die Wasseroberfläche zurückzukehren. Innerhalb von Sekunden erschien ein Dutzend Gestalten, die in Gummianzügen steckten und sich ein Wettrennen zum Sicherheitsboot lieferten. Man brauchte ihnen nicht zu sagen, dass es sich um einen Notfall handelte, denn sie konnten zwei schnellere Boote sehen, die mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zurasten.
Der Befehl war einfach: »Kehren Sie zur Basis in Coulport zurück, legen Sie Ihre Taucherausrüstung ab und bereiten Sie sich darauf vor, in zwanzig Minuten einen Hubschrauber zu besteigen. Jeder, der bis dahin nicht auf dem Hubschrauberlandeplatz ist, wird zurückgelassen.« »Zurückgelassen« war das einzige Wort, das der Einsatzleiter wiederholte.
Als die letzten Mitglieder der Schwadron M den Hubschrauberlandeplatz in Coulport erreichten, drehten sich die Rotoren des dritten Hubschraubers bereits. Er würde unverzüglich losfliegen und gemeinsam mit den beiden anderen Hubschraubern die Männer in das SBS -Hauptquartier in Poole bringen. Niemand verpasste den Flug.
»Sind das Terroristen oder Piraten?«, fragte Victoria und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie besorgt sie war.
»Terroristen«, sagte Ross, ohne zu zögern. »Wir wollen hoffen, dass die Piraten bereits daran arbeiten, wie sie uns retten werden.«
»Haben sie es auf Geld abgesehen?«, fragte Victoria. »Denn wenn das der Fall ist, müssen sie doch wohl nichts weiter tun, als den entsprechenden Betrag mit der Regierung auszuhandeln.«
»Ich glaube nicht, dass diese Typen auf Geld aus sind.«
»Was könnten sie denn sonst wollen?«
»Mansour Khalifah. Der libysche Terrorist, der hinter dem Lockerbie-Attentat steckt und zurzeit in Belmarsh hinter Schloss und Riegel sitzt. Er ist Oberst Gaddafis rechte Hand, und da wir im Augenblick einen südöstlichen Kurs eingeschlagen haben, vermute ich, dass es sich bei dem nächsten Hafen, den wir anlaufen werden, um Tripolis handelt.«
»Da Sie letzte Nacht kaum geschlafen haben, Inspector … haben Sie inzwischen einen Plan ausgearbeitet, um uns hier rauszubringen?«, fragte Victoria, als sie nach draußen ging und zu Dianas Balkon hinüberspähte, wo jedoch niemand zu sehen war.
Ross folgte ihr auf den Balkon, blickte sich um und erklärte: »So eine Kabine haben sie mir nicht gegeben.« Denn er wollte nicht, dass sie über das Thema nachdachte, das sie beide am meisten beschäftigte.
»Verständlich, Inspector«, erwiderte sie und deutete ihm gegenüber ein Lächeln an. »Andererseits bin ich selbst nicht oft gezwungen, die Nacht mit einem Mitarbeiter von so geringem Rang zu verbringen. Gibt es sonst noch einen Grund, warum Sie glauben, dass Libyen das Ziel ist?«, fügte sie hinzu, denn sie wollte ihn nicht so einfach davonkommen lassen.
»Als wir letzte Nacht auf dem Korridor standen, habe ich gehört, wie einer von Chalabis Kumpanen ›der Oberst‹ sagte und dann triumphierend die Faust hob. Aber wohin wir auch immer fahren mögen, meine Hauptaufgabe ist es nach wie vor, die Prinzessin zu schützen.«
»Das wird nicht leicht sein. Wir sind wahrscheinlich ohnehin in größerer Gefahr als sie.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Wenn Sie recht haben und diese Leute Khalifah gegen die Prinzessin austauschen wollen, dann besteht ihre einzige Hoffnung darin, sich ihre Königin nicht vom Schachbrett nehmen zu lassen. Wobei es ihnen nichts ausmachen dürfte, ein paar Bauern zu opfern und ebenso den einen oder anderen Turm, was die vier Schüsse erklären würde, die wir letzte Nacht gehört haben. Außerdem könnte es die Politiker in Whitehall ein wenig entschlussfreudiger machen. Falls Ihre Piraten es nicht rechtzeitig schaffen.«
»Sie wären eine gute Ermittlerin geworden«, sagte Ross. »Wie also sieht Ihrer Meinung nach deren nächster Schritt aus?«
»Das werden wir erst herausfinden, wenn derjenige, den Chalabi in London kontaktieren will, aufgewacht ist. Was durchaus noch eine weitere Stunde oder noch länger dauern könnte. Was sollen wir bis dahin unternehmen?«
»Uns bleibt immer noch die Möglichkeit, wieder ins Bett zu gehen«, scherzte Ross, indem er versuchte, sie von dem abzulenken, worüber sie, wie er fürchtete, in Wahrheit nachdachte.
»Ich muss gestehen«, sagte Victoria, »dass ich verschiedene Szenarien erwogen habe, in denen es dazu kommen könnte, dass ich gezwungen wäre, die Nacht mit Ihnen zu verbringen. Die Tatsache, dass eine Gruppe von Terroristen eine freie Kabine braucht, stand jedoch nicht gerade weit oben auf meiner Liste. Offen gesagt glaube ich, Sie sollten sich mehr Sorgen über die neueste Frau in Ihrem Leben machen«, fuhr sie fort und deutete in Richtung Oberdeck. »Und angesichts Ihrer vielen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, Inspector, wäre es faszinierend für mich zu erfahren, was sie von ihr halten.«
»Sie ist eindeutig gewissenlos und effizient. Die ganze Operation war gut geplant, weshalb sie genau wissen dürfte, wie ihr nächster Schritt aussehen wird. Aber die eine Sache, die sie vielleicht nicht bedacht hat, war der Paparazzo am Ufer, als sie letzte Nacht die Jacht gekapert haben. Und er hatte eines mit mir gemeinsam«, sagte Ross. »Er hat die Prinzessin nie aus den Augen gelassen.«
»Dann wird die Geschichte bereits auf allen Titelseiten der Morgenzeitungen stehen.«
»Nicht, wenn er tot ist. Ich habe gehört, wie letzte Nacht ein einzelner Schuss aus einem Hochleistungsgewehr abgegeben wurde, nicht aus der Waffe, mit der die anderen umgebracht wurden«, sagte Ross und schaute durch das Bullauge zum Himmel hinauf.
»Was versuchen Sie zu sehen?«, fragte Victoria.
»Ich versuche nichts zu sehen. Ich lausche. Sobald man in London begriffen hat, dass die Prinzessin entführt wurde, wird irgendwo da oben eine Nimrod sein und versuchen, unsere genaue Position zu bestimmen.«
»Aber werden die Terroristen das nicht mitbekommen und gewarnt sein?«
»Der Pilot wird darauf achten, so hoch zu fliegen, dass er außer Sichtweite bleibt. Und glauben Sie mir, diese Leute sind in der Lage, aus zwanzig Meilen Entfernung einen Delfin zu erkennen, ganz zu schweigen von einer Siebzig-Meter-Jacht.«
»Aber selbst wenn sie uns finden, was könnten sie sinnvollerweise unternehmen?«
»Jede Regierungsbehörde wird unter Hochdruck arbeiten, aber es wird der SBS sein, der die Rettungsaktion durchführt. Ihr größtes Problem ist, dass sie nur ein begrenztes Zeitfenster haben, bevor wir die libyschen Hoheitsgewässer erreichen.«
»Das ist nicht gerade der Ort, an dem die Prinzessin ihren Sommerurlaub verbringen wollte.«
»Ich muss zugeben, Victoria, Sie wirken bemerkenswert ruhig unter den gegebenen Umständen«, sagte Ross, obwohl er bemerkte, wie sie sich leicht auf die Lippen biss, was eher ihre wahren Gefühle verriet.
»Meine Familie hat früher schlimme Dinge durchgemacht. Mein Ururgroßvater hat bei der Belagerung von Mafeking ein Bein verloren«, sagte sie. »Mein Großvater fiel am Strand von Dünkirchen, und mein Vater hat unklugerweise das Familienvermögen in Lloyd’s of London investiert und steht jetzt auf ihrer Liste mit den sogenannten Härtefällen – weshalb ich davon ausgehen muss, dass mein Erbe den Bach runtergeht und ich gezwungen sein werde, das zu tun, was die Frauen unseres Clans früher häufig getan haben: reich heiraten. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, ich bin absolut entsetzt. Aber wie meine Großmutter zu meiner Mutter zu sagen pflegte, als die Bomben auf London fielen: ›Bleib ruhig, mach weiter und denke immer daran, Messer und Gabel zwischen den einzelnen Bissen abzulegen.‹«
Ross konnte nicht anders, als die Art und Weise zu bewundern, wie die junge Frau unter Druck reagierte. Doch er sagte ihr nicht, dass sie bisher nur ein erstes Scharmützel erlebt hatten. Victoria ging zum Tisch in der Ecke ihrer Kabine, auf dem ein großer Stapel ungeöffneter, an die Prinzessin gerichteter Briefe lag. Sie griff nach einem silbernen Brieföffner und öffnete den obersten Umschlag mit einem oft praktizierten, effizienten Schnitt.
»Von einem ihrer vielen Bewunderer?«, fragte Ross.
»Ja, aber das ist nur eine kleine Auswahl dessen, was Ihre Königliche Hoheit jeden Tag bekommt. Es ist eine meiner Aufgaben, dafür zu sorgen, dass sie alle beantwortet werden, auch die weniger schmeichelhaften. Ich habe einen Stapel davon mitgebracht, um sie abzuarbeiten, wenn ich nichts Besseres zu tun hätte.«
»Wie reagiert sie auf die weniger schmeichelhaften?«
»Sie bekommt sie nie zu Gesicht«, gestand Victoria. »Ich lege ihr zum Frühstück immer einige vor, die von ihren größten Bewunderern stammen, obwohl ich nicht glaube, dass ich heute die Gelegenheit dazu haben werde.«
»Glauben Sie, dass sie bei den Leuten auch weiterhin so beliebt wäre, wenn bekannt würde, dass sie den Urlaub mit ihrem Liebhaber verbracht hat und nicht mit dem Prinzen?«
»Bei den meisten von ihnen, ja«, sagte Victoria. »In den Augen der Leute, die sie geradezu anbeten, würde sie nie etwas falsch machen.«
Ross wirbelte herum, als die Tür aufflog und zwei von Chalabis Gangstertypen in die Kabine stürmten. Sie packten Ross bei den Armen, zogen ihn hinaus auf den Korridor und verriegelten die Tür hinter sich. Als sie alleine in der Kabine war, brach Victoria in Tränen aus. Ihre steife Oberlippe zitterte nun doch.
Während sich ein Gewehrlauf schmerzhaft in seinen Rücken presste, wurde Ross die Treppe hinaufgezerrt und auf das Oberdeck gestoßen, wo Chalabi und Hassan ihn bereits erwarteten. Die Sonne brannte auf sie herab, ohne sich bewusst zu sein, dass hier niemand mehr Urlaub machte.
»Es ist an der Zeit, Inspector Hogan, dass wir zu Phase zwei meines Plans übergehen.«
Plötzlich begriff Ross, warum sie ihn nicht umgebracht hatten.
»Jeder Anruf, den Sie auf dieser Fahrt von Ihrer Kabine aus gemacht haben, wurde überwacht, Inspector. Deshalb sind Sie mir vorerst – und ich betone: vorerst – lebend nützlicher als tot. Ich möchte, dass Sie mit Superintendent Warwick Kontakt aufnehmen, denn anscheinend ist er der für die Royalty Protection zuständige Beamte.« Ross schwieg. »Sie werden ihn unverzüglich an den Apparat holen, damit ich im Detail darstellen kann, was ich im Gegenzug dafür erwarte, dass ich die nächste Königin von England nicht umbringe.«
Wiederum erhoben sich alle, als Mrs. Thatcher den Raum betrat.
»Brigadegeneral«, sagte die Premierministerin und nahm Platz.
»Eine SBS -Einheit von hervorragend ausgebildeten Einsatzkräften wurde vollständig über ihre Mission informiert, die inzwischen den Namen ›Overboard‹ trägt. Die Männer sind bereit, sich auf den Weg ins Mittelmeer zu machen«, sagte der Direktor der Special Forces. »Nach der gestrigen Besprechung bin ich nach Poole geflogen und habe dem SBS unsere jüngsten Informationen übermittelt. Als ich kurz nach Mitternacht den Rückflug zum RAF -Stützpunkt in Northolt angetreten habe, hatten wir bereits in groben Zügen einen Plan ausgearbeitet.«
»Aber würden sogar die erfahrensten Einsatzkräfte nicht mehrere Tage benötigen, um eine so ungeheuer anspruchsvolle Operation im Mittelmeer vorzubereiten?«, fragte der Kabinettssekretär.
»Eigentlich nicht, Sir Robin«, sagte der Brigadegeneral. »Der SBS verbringt jede wache Stunde damit, sich auf eine solche Möglichkeit vorzubereiten, und kann es gar nicht erwarten, von echten Terroristen auf die Probe gestellt zu werden – und nicht nur von Freiwilligen, die deren Rolle übernommen haben.«
»Aber wie können sie davon ausgehen, an Bord eines Schiffes zu gelangen, das sich mitten auf dem Meer rasch fortbewegt und dessen neue Besatzung nach irgendwelchen Anzeichen für eine Gefahr Ausschau hält?«, fragte die Premierministerin.
»Es kommt darauf an, in welche Richtung sie schauen, wenn unsere Jungs auftauchen«, sagte der Brigadegeneral. »Aber Sie können versichert sein, dass unsere Leute mehrere Variationen dieses Themas bei zahllosen Trainingseinsätzen durchgespielt haben und auf eine solche Herausforderung absolut vorbereitet sind.«
»Können Sie uns in dieser Hinsicht über irgendwelche Einzelheiten aufklären?«, fragte der Verteidigungsminister. »Oder ist es noch zu früh dazu?«
Auf dem Bildschirm am anderen Ende des Raumes erschien eine Karte des Mittelmeers, auf der mitten im Ozean drei Stellen mit großen Kreuzen markiert waren. Der Brigadegeneral stand auf und trat mit einem Laserpointer in der Hand hinzu.
»Das nennen wir beim Militär einen Drei-Punkte-Angriff. Zunächst werden zwei Dutzend der erfahrensten Männer der HMS Cornwall einen Ablenkungsangriff aus östlicher Richtung starten.« Ein Lichtpunkt traf eines der Kreuze. »Sobald sie die Aufmerksamkeit der Terroristen auf sich gezogen haben, werden zwanzig Mann des SBS unter der Führung von Captain Mike Davenport sich der Jacht von Westen her nähern, sechs von ihnen in zwei Hubschraubern der Cornwall « – das Licht berührte kurz ein zweites Kreuz –, »von denen die Männer sich auf das Deck abseilen und die Terroristen neutralisieren werden. Die übrigen vierzehn SBS -Mitglieder werden in drei Hochgeschwindigkeits-Schlauchbooten von Nordwesten heranrücken.« Das Licht berührte das dritte Kreuz und vervollständigte so das Dreieck, das die Lowlander umgab. »Das entscheidende Element bei diesem Plan ist der zeitliche Ablauf. Alle drei Teile des Dreiecks müssen genau im richtigen Augenblick zusammenkommen. Niemand kann es sich leisten, auch nur ein paar Sekunden lang zurückzufallen.«
»Und wo sind die drei Teile dieses Dreiecks im Augenblick?«, fragte der Kabinettssekretär.
»Vierundzwanzig Mann der Schiffsbesatzung, die den Ablenkungsangriff durchführen sollen, werden im Augenblick über die entscheidende Rolle informiert, die sie spielen werden, wenn dieser Plan irgendwelche Aussicht auf Erfolg haben soll. Die Eliteschwadron M dürfte«, er warf einen Blick auf seine Uhr, »innerhalb der nächsten dreißig Minuten mit der nötigen Ausrüstung, einschließlich der drei Schlauchboote, in zwei Lastwägen auf dem RAF -Stützpunkt in Lyneham eintreffen. Sobald alles in eine C-130 verladen ist, werden sie um fünfzehnhundert starten, vielleicht auch früher. Die SBS -Einheit wird wahrscheinlich kurz nach achtzehn Uhr dreißig Ortszeit mit der Cornwall Kontakt aufnehmen. Wenn ich könnte, würde ich Ihnen weitere Einzelheiten nennen. Aber die ganze Operation ist noch sehr im Fluss, und es wäre möglich, dass es in letzter Minute noch Änderungen gibt.«
»Wie wollen Sie zwanzig Mann aus einer C-130 auf die Cornwall bringen?«, fragte der Kabinettssekretär mit einem Blick auf die Landkarte. »Es gibt im Umkreis von fünfhundert Meilen keine einzige Landebahn.«
»Sie werden mit ihren Fallschirmen und zusammen mit ihren Schlauchbooten ins Meer abspringen«, erklärte der Brigadegeneral. »Für diese Männer ist das nicht schwieriger, als wenn Sie oder ich in einen Swimmingpool springen. Unterdessen wird eines unserer neuesten U-Boote, die Ursula , sich der Jacht nähern. Eigentlich sollte sie sie schon mit ihrem Radar geortet haben«, fügte er hinzu und führte einen Lichtpunkt auf eine Position weit südlich des dritten Winkels des Dreiecks.
»Welche Rolle spielt das U-Boot bei dieser Operation?«, fragte der Außenminister.
Langes Schweigen folgte, bevor der Verteidigungsminister schließlich gestand: »Es ist unsere letzte Rettung, wenn alles andere scheitert.«
»Letzte Rettung – in welcher Hinsicht?«, fragte die Premierministerin.
»Wenn es uns nicht gelingt, die Jacht in unsere Gewalt zu bringen.«
»Und was soll dann geschehen?« Der Kabinettssekretär gab sich nicht zufrieden mit der Antwort.
Jetzt folgte ein sogar noch längeres Schweigen, bis der Verteidigungsminister schließlich zugab: »Die HMS Ursula würde die Jacht in die Luft jagen. Aber erst, wenn wir sicher wären, dass die Terroristen die Prinzessin umgebracht haben. Und auch dann nicht ohne Ihre Freigabe, Prime Minister«, fügte er hinzu, als am anderen Ende des Tisches ein Handy zu klingeln begann. William wirkte angemessen verlegen und wollte das Handy gerade ausschalten, als er sah, welcher Name auf dem Display erschien.
William stand auf, beugte sich vor und schob das Motorola in die Mitte des Tisches, wobei er einen Finger an seine Lippen legte. Sämtliche Männer und die als eisern beschriebene Dame in ihrer Mitte verstummten, obwohl eigentlich sie es gewohnt waren, Befehle zu geben. William drückte auf die Lautsprechertaste, damit alle die Unterhaltung mithören konnten.
»Guten Tag, Sir«, sagte eine Stimme mit leichtem irischen Akzent, die William sofort erkannte. »Hier ist DI Hogan.«
Er konnte sich nicht daran erinnern, wann Ross ihn zuletzt »Sir« genannt hatte.
»Wie Sie wissen, Inspector«, sagte William, indem er sich auf das Spiel einließ, »verlangt das Protokoll in einer solchen Situation, dass Sie vier Sicherheitsfragen beantworten, um Ihre Identität zu bestätigen.«
»Verstanden«, sagte Ross, dem klar war, dass William jedes einzelne Wort analysieren würde, das er äußerte.
»Wie viele Offiziere unterstehen meinem Kommando in Buckingham Gate?«
»Zehn«, sagte Ross.
»Wie lange dauert es im Durchschnitt, bis ein Krankenwagen in London den Ort eines Verkehrsunfalls erreicht?«
»Etwa achtzehn bis zwanzig Minuten«, erwiderte Ross.
William notierte »zehn«, »achtzehn« und »zwanzig«, bevor er die nächste Frage stellte. »Was war nach der Schule Ihr erstes eigenes Auto?«
»Ich wollte einen Porsche, musste mich aber mit einem gebrauchten MG zufriedengeben, der nur eintausend Meilen auf dem Tacho hatte.«
William fügte seiner Liste »eintausend« hinzu.
»Wie war der Mädchenname Ihrer Mutter?«
»O’Reilly. Ich hatte sechs Brüder und vier Schwestern. Unsere Mutter hat uns mit einer Eisenrute großgezogen.« William notierte »sechs« und »vier«.
»Vielen Dank, Inspector Hogan. Bitte nennen Sie mir nun den Grund für Ihren Anruf.«
»Wie Sie wissen, Bill, wurde die Jacht, auf der sich meine Auftraggeberin befindet, gekapert.« Er vermied es, »von einer Gruppe Terroristen« hinzuzufügen. »Und die Person, die die Führung übernommen und jetzt auf dem Schiff das Sagen hat, wünscht Sie zu sprechen.«
Alle im Raum warteten darauf, dass als Nächstes die Stimme von Nasreen Hassan zu hören sein würde, doch sie sollten die erste von mehreren Überraschungen erleben.
»Guten Tag, Superintendent. Mein Name ist Jamil Chalabi. Lassen Sie mich Ihnen gegenüber klarstellen, dass sich das Schiff vollständig unter meiner Kontrolle befindet. Außerdem möchte ich von Anfang an unmissverständlich darauf hinweisen, dass ich nicht zögern werde, Ihre ehebrecherische Prinzessin über die Planke gehen zu lassen, sollten meine Anweisungen nicht bis ins kleinste Detail genau ausgeführt werden. Das mag übertrieben dramatisch klingen, aber ich habe so das Gefühl, dass das Ereignis die Einschaltrekorde aller Fernsehsender auf der ganzen Welt brechen würde.«
Eine junge Sekretärin, die hinter der Premierministerin saß, fiel in Ohnmacht, und zwei ihrer Kolleginnen trugen sie aus dem Zimmer. Alle um den Tisch lauschten wie gebannt der Unterhaltung.
»Ihr Schweigen scheint anzudeuten, dass ich Ihre Aufmerksamkeit gewonnen habe«, sagte Chalabi. »Deshalb werde ich Ihnen jetzt sagen, was als Nächstes geschehen wird, wenn Sie Ihre kostbare Prinzessin wiedersehen wollen. Zunächst werden Sie unseren Anführer, Mansour Khalifah, aus der Einzelhaft in Belmarsh entlassen und ihn in die Krankenstation des Gefängnisses verlegen, wo ich ihn in einer Stunde anrufen werde. Ist das einfach genug, damit Sie mir folgen können, Superintendent?«
»Ja, das ist es«, sagte William, ohne auf die Provokation näher einzugehen. »Aber Ihnen muss klar sein, dass der Assistant Commissioner der Metropolitan Police über die Entlassung von Mr. Khalifah entscheidet, nicht ich. Und ich habe keine Ahnung, wo sich der AC gerade aufhält.« William sah über den Tisch hinweg zu Holbrooke, der ihm knapp zunickte.
»Sie haben eine Stunde, mehr nicht. Und ich vermute, dass er mit Ihnen im selben Zimmer sitzt, weshalb Sie dafür sorgen sollten, dass er meinen Anruf entgegennimmt, wenn ich mich wieder melde. Sollten Sie versuchen, ein falsches Spiel mit mir zu treiben, wird als erster … nein, ich sollte genauer sein … wird als sechster Mensch Ihr Kollege Inspector Hogan sterben, der dieses Gespräch mit anhört. Es wird ein besonderer Tod sein, über den ich schon länger nachgedacht habe. Ich wollte schon immer wissen, wie lange jemand ohne Rettungsweste im Meer überleben kann. Nicht mehr als ein paar Stunden, würde ich sagen.« Die Verbindung war weg.
»Ich dachte, Sie hätten uns darüber informiert, dass dieser Chalabi ein Playboy und Partylöwe ist«, blaffte die Premierministerin, »und kein gewissenloser Terrorist.«
»Bis zu diesem Augenblick gab es keinerlei Anzeichen, die auf etwas anderes hindeuteten«, entgegnete Commander Hawksby, indem er William zu Hilfe kam. »Ich muss jedoch zugeben, dass Inspector Hogan mich im Zusammenhang mit seinen Pflichten als Personenschützer der Prinzessin mehr als einmal davor gewarnt hat, Chalabi zu unterschätzen, und davon überzeugt war, ich zitiere«, sagte er mit einem Blick auf seine Notizen, »›dass er nicht ganz so naiv ist, wie er uns glauben machen möchte‹.«
»Das ist ja wohl eindeutig«, sagte die Premierministerin. »Denn er hat Sie alle zum Narren gehalten und …«
»Gab es noch etwas, das Sie beim Gespräch mit Inspector Hogan erfahren haben, Superintendent?«, warf der Kabinettssekretär rasch ein, bevor die Premierministerin etwas sagen konnte, das sie später vielleicht bedauern würde.
»Seine Antworten auf die Sicherheitsfragen waren in Wahrheit eine Möglichkeit, entscheidende Informationen weiterzugeben, ohne Chalabis Misstrauen zu wecken. DI Hogan nannte die Zahl zehn, als ich ihn gefragt habe, wie viele Beamte meinem Kommando in Buckingham Gate unterstehen. Die korrekte Antwort lautet vierzehn, weshalb wir davon ausgehen können, dass es sich bei zehn um die Anzahl der Terroristen handelt, die an der Kaperung beteiligt sind. Plus Chalabi macht elf.«
»Und wie lange braucht ein Krankenwagen im Durchschnitt, bis er in London den Ort eines Verkehrsunfalls erreicht hat?«, fragte der Kabinettssekretär.
»Sieben bis acht Minuten«, antwortete William. »Deshalb vermute ich, dass sich die Lowlander gegenwärtig mit achtzehn bis zwanzig Knoten fortbewegt.«
»Und somit im Augenblick noch etwa eintausend Meilen von ihrem Ziel entfernt ist«, sagte der Erste Lord der Admiralität.
»Clever«, sagte der Kabinettssekretär. »Aber was ist mit den sechs Brüdern und vier Schwestern?«
»Ich weiß, dass Inspector Hogan ein Einzelkind war«, sagte William. »Deshalb vermute ich, dass es sich bei den sechs Brüdern um aktive Terroristen handelt und bei den vier Schwestern um ihre unbewaffneten Helfer. Eine Eisenrute ist Slang für ein Dragunow-Scharfschützengewehr, das vermutlich für den Tod des Fotografen am Ufer verantwortlich ist.«
»Und ›Bill‹ schien auch nicht so recht zu der übrigen Unterhaltung zu passen«, sagte der Kabinettssekretär. »Man spricht Sie wahrscheinlich mit ›William‹ an, und Inspector Hogan würde Sie üblicherweise ›Sir‹ nennen.«
»Es ist ein Code, mit dem er mir versichert, dass alles, was er gesagt hat, zuverlässig ist und ihm nicht mit vorgehaltener Waffe oder unter noch schlimmeren Umständen abgepresst wurde.«
Der Erste Lord der Admiralität nickte William respektvoll zu und sagte: »Uns bleibt weniger als eine Stunde, bevor wir erfahren werden, wie Chalabis nächste Forderungen aussehen. Bis dahin sollte das SBS -Transportflugzeug unterwegs zur HMS Cornwall sein. Sie werden mir ein wenig Zeit verschaffen müssen, Superintendent. Denn es muss vollkommen dunkel sein, bevor meine Jungs versuchen können, an Bord der Jacht zu gelangen, und die Sonne wird erst in fünf Stunden untergehen.«
»Bloß kein Druck«, flüsterte Hawksby, wobei sein Gesichtsausdruck keinerlei Ironie ahnen ließ.
»Wie ich bereits erwähnt habe«, sagte die Premierministerin, »verhandeln wir nicht mit Terroristen. Aber das braucht uns nicht davon abzuhalten, mit allen möglichen Vorwänden dafür zu sorgen, dass sie weiter mit uns sprechen, bis die Männer vom SBS bereit sind, ihren Part zu übernehmen. In Anbetracht dieser Tatsache dürfte ich Ihnen vielleicht einen Rat geben, Superintendent: Achten Sie stets darauf, dass der Akku Ihres Handys frisch geladen ist.«