Noch immer herrschte helles Tageslicht, als sechs Offiziere und zwei Dutzend handverlesene Matrosen in sechs Booten von der Cornwall ablegten. In einer abschließenden Erklärung gegenüber den Männern hatte Captain Davenport betont, dass sie zwar nur eine nachgeordnete Rolle spielten, ihr Beitrag jedoch trotzdem wesentlich für das Gelingen der Operation »Overboard« sein würde.
Eine vierzehn Mann starke SBS -Einheit sollte eine Stunde später in ihren Schlauchbooten aufbrechen, und zuletzt würde Captain Davenport zusammen mit seinen sechs erfahrensten Einsatzkräften in zwei Hubschraubern starten. Sie würden den Zeitpunkt ihres Aufbruchs bis auf die Minute genau abstimmen, wenn ihnen ihre mächtigste Waffe von Nutzen sein sollte – die Überraschung.
Drei unmarkierte, identische Fahrzeuge standen hintereinander vor den Gefängnistoren. Mansour Khalifah nahm auf der Rückbank des mittleren Wagens Platz. William saß auf dem Beifahrersitz des Führungsfahrzeugs. Neben ihm wartete Danny ungeduldig auf die Anweisung, sich auf den Weg zu machen. In einer Stunde und einundfünfzig Minuten würde Chalabi Khalifahs Flugzeug anrufen und erwarten, dass sein Herr und Meister sich meldete.
In Anbetracht von Holbrookes Worten – »Ihre einzige Aufgabe besteht darin, mir Zeit zu verschaffen, Warwick« – wollte William nicht früher als notwendig dort sein, aber er konnte auch nicht riskieren, zu spät zu kommen.
»Wie lange haben Sie bisher im ungünstigsten Fall bis nach Heathrow gebraucht?«, fragte er Danny.
»Einmal habe ich anderthalb Stunden gebraucht, Chef. Aber nur, weil es auf der Autobahn einen Unfall gegeben hatte.«
»Ob Unfall oder nicht – wenn Sie es schaffen, diesen Rekord zu brechen, dürfen Sie mit meiner Erlaubnis doppelt so viele Überstunden aufschreiben.«
»Es dauert nicht mehr lange, dann setzt der Feierabendverkehr ein«, sagte Danny unschuldig. »Also werden wir wahrscheinlich aufgehalten. Und ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis. Bevor man die Autobahn erreicht, ist die langsamste Fahrbahn immer die in der Mitte, wenn man London verlässt. Es sei denn, man nähert sich einem Kreisverkehr. Dann ist es die äußere.«
Ein Mann, der üblicherweise nichts dabei fand, Abkürzungen mit siebzig Meilen in der Stunde zu nehmen, rote Ampeln zu ignorieren oder bei einer Verfolgungsjagd auf dem Bürgersteig zu fahren, schaltete in den ersten Gang und ordnete sich in der mittleren Fahrbahn ein. Als er sich der ersten Ampel näherte, fuhr er langsamer, und als diese auf Gelb sprang, berührte er leicht die Bremse. Die schwarzen Fahrzeuge näherten sich Heathrow mit der Geschwindigkeit eines Leichenzugs.
Drei Schlauchboote schwankten auf dem Wasser auf und ab und warteten auf den Befehl zum Start.
Davenport warf einen weiteren Blick auf seine Uhr. Er war sich bewusst, dass es die gesamte Operation gefährden konnte, wenn er seine Männer eine Minute zu früh oder zu spät losschickte.
Schließlich hob er langsam den Arm wie ein Ordner beim Start eines Bootsrennens an einer Universität. Er wartete, bis sich die Aufmerksamkeit aller drei Bootsführer auf ihn richtete. Dann senkte er energisch den Arm und gab ihnen das Startzeichen.
Die Schlauchboote begannen, sich durch die Wellen zu pflügen. Nur wenige Sekunden nachdem der erste Hubschrauber über dem Heck der Jacht auftauchen würde, sollte die Besatzung zweier der Boote versuchen, von steuerbord her an Bord zu gelangen. Die Männer im dritten Boot würden warten, denn sie hatten die anspruchsvollste Aufgabe, weshalb sie ihren Bootsführer den »königlichen Jagdaufseher« nannten.
Als Danny schließlich eine Stunde und zweiundvierzig Minuten später den Flughafen erreichte, ließ er sich Zeit, um Khalifahs Flugzeug zu suchen, obwohl die Maschine von einem Dutzend Polizeifahrzeugen mit blinkenden Lichtern umringt war und DI Adaja, der ganz offensichtlich das Kommando innehatte, auf dem Asphalt stand – was Danny bei seiner Suche eigentlich eine Hilfe hätte sein sollen.
Als die Kolonne anhielt, blieb Khalifah in seinem Fahrzeug sitzen, bis ihm jemand die Tür öffnete. Er stieg aus und sagte: »Es hätte Sie nicht viel mehr Zeit kosten dürfen, Superintendent. Wir wollen um Lady Victorias willen hoffen, dass Chalabi nicht bereits versucht hat, mit mir Kontakt aufzunehmen.«
William wusste, dass ihm immer noch neun Minuten blieben, bis Chalabis nächster Anruf stattfinden sollte, weshalb er sich nicht dazu äußerte. Er begleitete Khalifah über die Landebahn zu dessen wartendem Privatjet. Dann blieb er am Fuß der Leiter stehen, während Khalifah in das Flugzeug stieg. Er fühlte sich hilflos, als ihm die Tür vor dem Gesicht zugeschlagen wurde.
Khalifah ließ sich in den großen, bequemen Ledersessel sinken und sah auf seine Uhr. Sie hatten fast jede Minute ihrer zwei Stunden aufgebraucht.
»Wann werden wir starten?«, fragte er die Stewardess, die ihm ein Glas Wasser einschenkte.
»Das Flugzeug wird gerade betankt, Sir, weshalb es nicht mehr allzu lange dauern dürfte«, antwortete sie, als das Telefon in Khalifahs Armlehne zu klingeln begann.
Sobald die drei Schlauchboote außer Sichtweite waren, drehte sich Captain Davenport um und ging zum Hubschrauberdeck, wo die beiden Piloten vor dem Start ihre letzten Checks durchführten. Seine Männer gingen auf und ab wie nervöse Boxer, die bereits ihre Handschuhe angezogen hatten und es nicht erwarten konnten, in den Ring zu steigen.
Er war bereits darüber informiert worden, dass die HMS Ursula irgendwo unter der Lowlander patrouillierte und bereit war, einen Torpedo abzufeuern und die Jacht in die Luft zu jagen, sollte die Mission schiefgehen. Er versuchte, nicht daran zu denken.
Davenport war der Letzte, der im Führungshubschrauber an Bord ging, und er wäre der Erste, der sich abseilen würde. Nachdem er den Sicherheitsgurt angelegt hatte, wartete er, bis der Sekundenzeiger seiner Stoppuhr das Zifferblatt zwei Mal umrundet hatte, bevor er dem Piloten fest auf die Schulter klopfte.
Die Rotorblätter drehten sich immer schneller, bis der erste Hubschrauber schließlich langsam vom Deck abhob und eine Böe aus Wind und salziger Gischt aufwirbelte, vor der sich die Männer des Wartungstrupps schützten, indem sie die Hand vor die Augen legten.
Der zweite Hubschrauber folgte nur wenige Augenblicke später, und obwohl beide vorerst nie mehr als einhundert Meter voneinander entfernt waren, würden sie sich trennen, sobald sie das Ziel erreicht hatten, und verschiedene Richtungen einschlagen.
»Zehn Minuten«, sagte Davenport, indem er die Funkstille brach.
»Können Sie dafür sorgen, dass es elf werden, Sir?«, lautete die Reaktion des Schlauchbootführers.
»Geht klar.«
Als sie sich der Jacht näherten, wurde der Himmel immer dunkler, bis die Sonne schließlich hinter dem Horizont versank.
Für den Fall, dass im Flugzeug niemand das Telefon abnahm, hatte Chalabi bereits entschieden, wer als Erster sterben würde. Für den Fall, dass abgenommen wurde und sein Anführer ihm bestätigte, dass er startbereit war und sich auf den Heldenempfang in Tripolis freute, hätte er nichts weiter zu tun, als das auszuführen, was für das sogenannte »Endspiel« vorgesehen war.
Hassan war ausgesucht worden, um dem Personenschützer einen Arm und ein Bein abzuhacken, bevor er ins Wasser geworfen würde. Sie hatte Chalabi versprochen, dass die Hofdame lange genug am Leben bleiben würde, um ihren Liebhaber zu sehen und zu ihm ins Wasser geworfen zu werden, damit die beiden ihre letzten ergreifenden Augenblicke gemeinsam verbringen konnten. Hassan freute sich bereits darauf herauszufinden, wer von ihnen zuerst ertrinken würde. Chalabi wollte ein Video drehen, das den Todeskampf der beiden zeigte, damit er das Vergnügen haben würde, immer wieder den Abspielknopf drücken zu können. Sobald sie wieder in Libyen waren, würde das Band endlos auf Al Jamahiriya laufen, damit die ganze Welt sehen konnte, was er erreicht hatte. Held im eigenen Land, ein Schurke für den Rest der Welt. Was konnte man mehr verlangen?
Khalifah nahm den Hörer in der neunundfünfzigsten Sekunde der neunundfünfzigsten Minute der zweiten Stunde ab und hörte die Worte: »Allah sei gepriesen.«
»Allah sei gepriesen«, wiederholte Khalifah und legte auf. Er war aufgeregt und gleichzeitig erschöpft. Die Erschöpfung gewann die Oberhand, und er fiel in einen tiefen Schlaf, während das Flugzeug abhob und die blinkenden Lichter Heathrows unter ihm verschwanden.
»Allah sei gepriesen«, wiederholte Chalabi, als er eine Pistole aus seinem Halfter zog. Er wollte gerade den Befehl geben, Inspector Hogan an Deck zu bringen, wo er die Exekution persönlich überwachen würde, als er durch Schüsse von oben abgelenkt wurde. Er ließ das Telefon fallen, sank auf die Knie und starrte zum Himmel auf, wo er einen Hubschrauber sah, der über dem Heck der Jacht schwebte. Als er sich umdrehte, erkannte er, dass eine Armada kleiner Boote mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zuraste.
Hassans Männer erwiderten das Feuer, doch Chalabi wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie überwältigt würden, weshalb ihm nur eine einzige Chance blieb, seine Haut zu retten. Er drehte seinen Gefährten den Rücken zu und kroch auf die Wendeltreppe zu, die zum Unterdeck führte, als er einen zweiten Hubschrauber über dem Bug der Jacht schweben sah. Ein dickes Seil hing aus diesem zweiten Hubschrauber, und ein Mann seilte sich blitzschnell ab, gefolgt von einem zweiten. Chalabi hatte das untere Ende der Treppe erreicht, bevor Davenport an Deck sprang und losrannte.
Als Ross den ersten Schuss hörte, sprang er von einem Balkon auf den anderen zu der Prinzessin und Victoria. Die Männer des SBS aus dem ersten Schlauchboot hatten bereits eine Leiter an der Seite der Jacht fixiert und kletterten fast so schnell an Deck, wie sich ihre Kameraden aus den Hubschraubern abseilten, während die für das Ablenkungsmanöver verantwortlichen Soldaten der Cornwall das Heck der Jacht erreicht hatten. Ross wusste, dass der Kampf, der nun folgte, in wenigen Minuten vorüber sein würde. Aber nicht für Jamil Chalabi, der durch den Korridor auf die königliche Suite zustürmte.
Als Chalabi in die Kabine platzte, packte Ross die Prinzessin, eilte mit ihr auf den Balkon und warf sie über Bord. Nur wenige Sekunden später hatte das dritte Schlauchboot sie erreicht, und »der königliche Jagdaufseher« beugte sich über sie und zog sie ohne weiteres Zeremoniell aus dem Wasser. Sobald er sah, dass sie an Bord des Bootes war, griff Ross nach der Pistole, die er unter der Balkonreling versteckt hatte, und rannte zurück in die Suite. Er warf sich auf den Boden und feuerte drei Mal auf Chalabi, der nur reglos dastand und somit ein leichtes Ziel bildete. Doch statt des Knalls der Patronen, den er erwartet hatte, hörte Ross nur ein dreifaches Klicken. Ein selbstzufriedenes Lächeln erschien auf Chalabis Gesicht.
»Sie haben mich schon wieder unterschätzt, Detective Inspector«, sagte er, hob langsam seine Pistole, sah Ross in die Augen und zielte. Er wollte gerade abdrücken, als eine Hand seinen Pferdeschwanz packte, worauf er nach hinten stolperte und einen Schuss in die Decke abgab.
Er fand gerade das Gleichgewicht wieder, als er spürte, wie sich etwas Spitzes seitlich in seinen Hals bohrte. Mit einer wohlvertrauten und effizienten Bewegung schlitzte ihm jemand mit einem Brieföffner die Kehle von einem Ohr zum anderen auf. Er sackte zu Boden, während das Blut aus seinem Hals spritzte. Chalabi lag zu Lady Victorias Füßen und starrte zu der Hofdame auf.
»Sie haben mich unterschätzt«, sagte Victoria und schenkte ihm ein warmes Lächeln, während er ein letztes Mal nach Atem rang.
Wenige Augenblicke später stürmte Captain Davenport in die Kabine. Ungläubig starrte er auf Chalabis leblosen Körper hinab und sagte dann: »Haben Sie das getan, Miss?«
»Ja«, sagte Victoria ruhig, während sie ein Papiertaschentuch aus einer Schachtel zog und den silbernen Brieföffner abwischte.
»Haben Sie schon einmal daran gedacht, für den SBS zu arbeiten?«, fragte Davenport.
»Ganz sicher nicht. Die Pfadfinderinnen waren für meinen Geschmack ausreichend.«
Die Stewardess ließ ihn eine Stunde lang schlafen, bevor sie ihn weckte. »Wir werden in Kürze landen, Sir«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug.«
Mansour Khalifah äußerte sich nicht dazu, denn er war bereits mit größeren Dingen beschäftigt.
Behutsam senkte sie seine Armlehne und half ihm mit seinem Sicherheitsgurt. Ohne sich zu rühren, saß er tief in Gedanken versunken da, während er noch einmal seine Rede durchging, die er in den langen Tagen in Einzelhaft vorbereitet hatte. Er hatte sogar eingeübt, wie er der Menge noch vom Flugzeug aus zuwinken würde, nachdem es aufgesetzt hätte und die Landebahn entlangrollte. Er fragte sich, ob der Oberst ihn dort sogleich persönlich willkommen heißen würde.
Als das Flugzeug zum Stehen kam, öffnete die Stewardess die Kabinentür und trat beiseite. Khalifah erhob sich aus seinem Sessel, zog den langen, weißen Thawb glatt, richtete seine Kufiya und schritt langsam durch den Gang.
Der Pilot kam aus dem Cockpit und sagte: »Willkommen zu Hause, Sir.«
Ein triumphierender Ausdruck erschien auf Khalifahs Gesicht, als er durch die Flugzeugtür trat, um sich den Blitzlichtern und dem Jubel der wartenden Menge zu stellen. Er hob die Hand zum Gruß – aber es gab keine Blitzlichter, und niemand jubelte. Er sah unsicher nach unten. Es war ganz eindeutig nicht Oberst Gaddafi, der ihn am Fuß der Treppe in Empfang nehmen würde.
Rasch drehte er sich zur Kabine um, wo ihm der hohe Absatz eines Damenschuhs mit voller Wucht mitten in die Brust gerammt wurde. Rebecca lächelte, als Khalifah rückwärts die Treppe hinabtaumelte und dem Leiter der Royalty Protection in die Arme fiel.
Danny fuhr ihn in Rekordzeit nach Belmarsh zurück. Der Direktor erwartete ihn an den Gefängnistoren.
Captain Davenport war enttäuscht darüber, dass einer seiner Männer während des Scharmützels verwundet worden war – so nannte er das zwölfminütige Feuergefecht gegenüber der Premierministerin. Der Kampfeinsatz war fast schon beendet, als ein junger Corporal durch eine Kugel am Fuß getroffen worden war, die unerklärlicherweise aus dem Deck unter ihm kam.
Die elf Terroristen waren bereits auf See bestattet worden, als ob sich dieser Zwischenfall nie ereignet hätte. Sollten die Ereignisse jemals Thema werden, hätte Victorias Kindermädchen wohl gesagt: »Am wenigsten erwähnt, am schnellsten verheilt.«
Die Lowlander war makellos und in bester Ordnung, als sie zurück nach Mallorca fuhr, wo Davenport der Chartergesellschaft die Schlüssel übergab. Zwanzig Mann, die zweifellos nicht an Bord gewesen waren, als die Jacht ein paar Tage zuvor jene pittoreske Bucht verlassen hatte, flogen mit verschiedenen Flugzeugen zurück nach London, wo sie den Zug zum SBS -Hauptquartier in Poole nahmen, um sich auf das nächste Scharmützel vorzubereiten.
Ross wurde beim ersten Licht des Morgens per Hubschrauber zur HMS Cornwall geflogen, wo er bei seinem Eintreffen erfuhr, dass die Prinzessin und Lady Victoria in der Offiziersmesse mit dem Kapitän frühstückten.
Als vier Glasenschläge erklangen, versammelte sich die Schiffsbesatzung in Paradeuniform an Deck, um die königliche Besucherin zu begrüßen. Die Prinzessin verbrachte den Rest des Vormittags damit, sich das Schiff zeigen zu lassen, wobei sie der Besatzung für den wichtigen Dienst dankte, den diese für Königin und Vaterland verrichtete. Nach einem Lunch im Beisein sämtlicher Offiziere wurde sie mit dem Hubschrauber nach Valletta geflogen, von wo aus sie ein Flugzeug nach Schottland nehmen konnte. Der Jubel und die in die Luft geschleuderten Mützen, die den Start des Hubschraubers begleiteten, schienen darauf hinzudeuten, dass der Mythos Diana auf diesem Schiff wahrhaft unsterblich werden würde. Denn der SBS war nirgendwo zu sehen, und die HMS Cornwall würde vor ihrer Rückkehr nach Portsmouth noch mehrere Monate lang auf See sein.
Ross begleitete die Prinzessin und Victoria auf dem Flug nach Balmoral, wo seine königliche Schutzbefohlene am darauffolgenden Tag die Highland Games besuchen würde.
Er hoffte auf ein paar Augenblicke alleine mit Victoria. Doch es ergab sich keine Gelegenheit dazu, denn das königliche Protokoll verlangte, dass er in der Schutzhütte auf dem Balmoral-Grundstück schlief, während sie im Schloss blieb. Als er in seinem Bett lag, dachte er unwillkürlich daran, wie nahe er und Victoria sich gekommen waren. Sie war die einzige Frau, für die er nach Josephines Tod wieder Interesse aufbrachte. Vielleicht war es an der Zeit, ihr zu sagen, was er für sie empfand. Er schlief ein.
Am Morgen darauf begleitete Victoria die königliche Familie zum Frühstück in den Speisesaal, während Ross nach unten in die Gemächer des Verwalters ging, wo er gemeinsam mit den Hausangestellten dasselbe Frühstück genoss.
Als er sich zu einer Schale heißem Porridge setzte, der mit Salz bestreut und mit Honig beträufelt war, warf er einen Blick auf die Schlagzeile des Daily Telegraph , bevor die Zeitung vom Butler gebügelt und auf einem Silbertablett nach oben getragen wurde. »Die Princess of Wales unterbricht ihren Urlaub in Schottland, um der HMS Cornwall einen Überraschungsbesuch abzustatten .«
Victoria hatte ihm einmal gesagt, dass man sich stets auf Lord Deedes – einen ehemaligen Herausgeber des Telegraph und engen Berater der Queen – verlassen konnte, wenn man ihm an einem bestimmten Tag eine Exklusivmeldung für die erste Ausgabe der Zeitung anbot, welche die späteren Ausgaben aller anderen Blätter ebenso übernehmen würden wie seinen ausführlichen Dank an den königlichen Haushalt.
Nur die Daily Mail blieb bei ihrer ursprünglichen Schlagzeile auf der Titelseite, die vermeldete, dass ihr Starfotograf des Königshauses unter mysteriösen Umständen während eines Urlaubs auf Mallorca verschwunden war. Doch da er nicht für andere Zeitungen fotografierte, nahmen diese den Bericht nicht auf. Der Palast hatte bereits das Wort von einer »Verschwörungstheorie« vorbereitet, sollte die Angelegenheit außer Kontrolle geraten.
Ross saß vorn auf dem Beifahrersitz des Jaguars, als die Prinzessin und Victoria an jenem Vormittag zu den Highland Games gebracht wurden.
Nach ihrer Ankunft bezog er Stellung im hinteren Bereich der königlichen Loge, während Prince Charles und die Prinzessin in einem offenen Land Rover um das Spielfeld gefahren wurden und den wogenden Jubel der Menge erwiderten.
Ross genoss es, den Highland-Tänzern zuzusehen, während sie, begleitet von den Dudelsackspielern der Scots Guards, »Dashing White Sergeant« aufführten. Er bewunderte die Kraft der wuchtigen, muskulösen Kerle, die sich im Baumstammwerfen versuchten, und die sechs geschmeidigeren Athleten, die am 100-Yard-Rennen teilnahmen, während sie über die grasbedeckte Rennstrecke an ihm vorbeisprinteten. Der Sieger erreichte das Zielband in weniger als zehn Sekunden. Von Zeit zu Zeit warf Victoria ihm einen Blick zu und schenkte ihm ein warmes Lächeln.
Ross war erfreut, als Victoria sich während des Tees von der königlichen Gruppe trennte und zu ihm nach hinten in die Loge kam. Er wollte sie gerade fragen, wann sie nach London zurückkehren würde, als einer der Gäste, der eine elegante Lovat-Jacke und einen Kilt mit blau-grünem Clanmuster trug, zu ihnen herüberschlenderte.
Ross hatte die Gästeliste samt den beigefügten Fotos beim Frühstück durchgesehen, weshalb er wusste, dass es sich bei dem Herrn um Sir Hamish McTaggart handelte, den Aufsichtsratsvorsitzenden von Aberdeen Oil, einem der größten Energieunternehmen Schottlands.
»Hamish«, sagte Victoria, als er zu ihnen trat, »das ist Inspector Ross Hogan, der Personenschützer der Prinzessin.«
»Schön, Sie zu sehen, Hogan«, sagte McTaggart, während sie einander die Hand gaben.
»Hamish«, sagte Victoria und schob ihren Arm unter seinen, »ist mein Verlobter.«
Es dauerte einen Augenblick, bis es Ross gelang, darauf zu reagieren. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Vielen Dank, Inspector«, sagte McTaggart. »Werden Sie den Rest des Wochenendes mit uns verbringen?«
»Nein, Sir. Ich werde heute Abend nach London zurückkehren. Einer meiner schottischen Kollegen wird dann übernehmen.«
»Das ist schade«, sagte McTaggart. »Sie werden den Höhepunkt der Spiele verpassen, das Tauziehen zwischen den Schotten und einer Gastmannschaft aus England.«
»Ich glaube, ich weiß bereits, wer die Schlacht gewonnen hat«, sagte der Gast aus England.