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»Ihnen, Madam«, sagte Lucio, »würde ich die Sole meunière empfehlen, leicht in Butter angebraten und serviert auf einem Bett von Portobello-Pilzen mit nicht mehr als einer Andeutung von Zitronensoße.«

»Hört sich perfekt an«, sagte Beth und reichte die Speisekarte zurück.

»Und als passende Ergänzung vielleicht ein Glas gekühlten Pouilly-Fumé?«

»Eine ausgezeichnete Wahl.«

»Und was ist mit mir?«, fragte William.

»Für Sie, Sir, Fish and Chips mit pürierten Erbsen und mehr als nur einem Hauch Essig sowie Tomatenketchup?«, schlug Lucio vor.

»Serviert auf einem Bett von …«

»Serviert in der News of the World

»Passend ergänzt um?«

»Einen halben Liter warmen Bieres.«

»Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen«, sagte William mit selbstzufriedener Miene.

»Sie müssen wissen, Lucio, dass er ein Höhlenmensch ist«, sagte Beth und nahm Williams Hand. »Sein einziger Vorzug besteht darin, dass er mein Höhlenmensch ist.«

Lucio entkorkte eine Flasche Champagner und schenkte zwei Gläser ein. »Alles Gute zum Hochzeitstag«, sagte er, stellte die Flasche zurück in einen Eiskübel und verließ die beiden.

»Bevor ich mein Geschenk öffne«, sagte Beth mit einem Blick auf das kleine, von hübschem Geschenkpapier umhüllte Päckchen vor sich auf dem Tisch, »will ich unbedingt hören, um wie viele Jahre der Richter Faulkners Haftstrafe zusätzlich verlängert hat.«

»Um kein einziges«, erwiderte William. »Genau genommen hat er ihm sogar eine Sie-kommen-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte gegeben.«

»Wie bitte? Wie kann so etwas möglich sein?«

»Der Richter sprach von mildernden Umständen.«

»Als da wären?«

»Da musst du meinen Vater fragen.«

»Der mir wahrscheinlich noch weniger eine Antwort geben wird als du.«

William nahm einen Schluck Champagner, äußerte sich jedoch nicht dazu.

»Booth Watson muss absolut begeistert gewesen sein«, sagte Beth.

»Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, nicht unbedingt«, sagte William. »Als ich meinen Vater hinterher auf dem Gerichtsflur gesehen habe, sagte er mir, er hatte einen Augenblick lang den Eindruck, als wolle BW sogar gegen das Urteil Berufung einlegen. Aber er muss sich dagegen entschieden haben, denn am Ende – welch Überraschung – hat er versucht, es so darzustellen, als sei es sein Verdienst gewesen.«

»Faulkner ist sicher nicht darauf reingefallen«, sagte Beth.

»Nein, natürlich nicht. Ich vermute sogar, dass Booth Watson gerade seine lukrativste Einnahmequelle verloren hat.«

»Du solltest diesen Mann nicht unterschätzen«, sagte Beth. »Er schafft es, schneller die Seiten zu wechseln, als sich eine Wetterfahne nach dem Wind drehen kann. Er würde ohne schlechtes Gewissen Christina vertreten, und dann wäre Faulkner derjenige, der ständig einen Blick über die Schulter werfen muss.«

»Wodurch er zweifellos ihren Komplizen entdecken würde, der irgendwo im Schatten lauert«, erklärte William. Dann hob er sein Glas und sagte: »Alles Gute zum Hochzeitstag, mein Liebling.«

»Alles Gute zum Hochzeitstag. Vermutlich sollten wir unser Glas auf Miles Faulkner erheben.«

»Warum?«

»Hätte er nicht auf schuldig plädiert, würden wir heute Abend unseren Hochzeitstag vielleicht nicht feiern.«

»Es muss ihm bis zum Schluss schwergefallen sein, eine Entscheidung zu treffen«, gestand William.

»Könnte sie irgendetwas damit zu tun haben, dass du noch einmal vor Sonnenaufgang aus dem Bett gesprungen bist, um an einer weiteren COBRA -Besprechung teilzunehmen?« William nahm einen Schluck Champagner. »Ich weiß immer noch nicht, wofür COBRA steht«, gab Beth zu, indem sie gleichsam weiterhin versuchte, eine geschlossene Tür zu öffnen.

»Cabinet Office Briefing Room«, erwiderte William, ohne eine nähere Erklärung dazu abzugeben.

»Und das A?«

»Angeblich hat ein Beamter das A nachträglich hinzugefügt, denn er hatte den Eindruck, mit diesem Buchstaben würde der Ausschuss bedeutender klingen. Andere meinen, dass es sich einfach um den Ausschussraum A handelt.«

Nach langem Schweigen wandte sich Beth wieder dem Päckchen vor sich zu.

»Was könnte das wohl sein?«, fragte sie, während sie es auszupacken begann. »Vielleicht ein Diamanthalsband?«

»Ich glaube, du wirst bis zu unserem zehnten Hochzeitstag warten müssen, bevor du dir Hoffnungen darauf machen kannst.«

»Perlen, Rubine oder Gold?«

»Dreißig, vierzig und fünfzig Jahre«, neckte William sie, während Beth langsam das rote Geschenkpapier von einer Schachtel abstreifte, sie öffnete und ein Eternity-Armband herausnahm.

»Woher wusstest du, dass ich mir genau so etwas gewünscht habe?«

»Vielleicht weil du den ganzen letzten Monat über nicht besonders subtil darauf angespielt hast«, sagte William und legte ihr den Schmuck ums Handgelenk. Dann klappte er die Schließe um und passte mithilfe des winzigen goldenen Schraubenziehers die genaue Größe an.

»Jetzt bekomme ich lebenslang«, seufzte Beth. »Und es ist niemand da, der mich verteidigen würde.«

»Ich bin sicher, Booth Watson wäre nur allzu gerne bereit, dich juristisch zu vertreten, denn im Augenblick fehlt es ihm gerade an Mandanten.«

»Ich kann ihn mir nicht leisten«, sagte Beth, legte den Unterarm über die Stirn und seufzte erneut. »Also werde ich unglücklicherweise an dir hängen bleiben, Höhlenmensch.«

»Wer hat dir denn die gegeben?«, fragte William, als sein Blick auf die Tank-Uhr von Cartier an ihrem Handgelenk fiel, die er noch nie zuvor gesehen hatte. »Habe ich einen Rivalen?«

»Mehrere. Aber die Antwort auf Ihre erste Frage, Superintendent, lautet Christina.«

»Was für ein bemerkenswert großzügiges Geschenk. Ich kann dir versichern, dass ihr Ex-Ehemann mir nichts dafür gegeben hat, dass ich seine frühe Freilassung organisiert habe.«

Beth hob eine Augenbraue, aber William ließ sich nicht ködern.

»Wie das bei Christina immer so ist«, sagte Beth, »ist dieses Geschenk nicht so eindeutig, wie es aussieht. Denn ich erinnere mich daran, dass sie selbst die Uhr bei der Eröffnung der Frans-Hals-Ausstellung getragen hat. Doch das Krokodilarmband sieht neu aus, und wer wäre besser geeignet, mir Dinge aus zweiter Hand zu besorgen, als Christina? Wenn ich denn schon etwas bekommen soll …«

»Soll das heißen, dass euer gemeinsames Unternehmen Erfolg hat?«

»Ganz zweifellos. Nicht zuletzt deshalb, weil ich kürzlich einen kleinen Coup mit einem Russell-Flint-Aquarell landen konnte.«

»Vater oder Sohn?«

»Hör auf anzugeben«, sagte Beth. »Ich konnte es für eine stattliche Summe an einen Sammler verkaufen, und Christina investiert nach wie vor ihren Teil des Gewinns in neue Transaktionen. Sie bekommt als meine Partnerin fünfzig Prozent.«

»Du wirst in kürzester Zeit zu einer vulgären Kapitalistin«, sagte William, nachdem er erneut sein Glas erhoben hatte.

»Aber für wie lange noch?«, sagte Beth nachdenklich, was William veranlasste, seinerseits seine Augenbraue zu heben. Sie nahm einen Schluck Champagner, bevor sie auf seine unausgesprochene Frage antwortete. »Heute Morgen habe ich einen Anruf vom Vorsitzenden des Verwaltungsrats des Museums bekommen, der mir mitgeteilt hat, dass Gerald Sloane als Direktor zurückgetreten ist.«

»Warum sollte er so etwas tun?« William hielt inne und fügte dann hinzu: »Es muss doch einen Grund geben.«

»Wenn es einen gibt«, sagte Beth, »so sagt niemand ein Wort darüber.«

»Aber du hast es herausgefunden?«

»Christina hat es herausgefunden, als der Vorsitzende sie gefragt hat, ob sie es in Erwägung ziehen würde, dem Verwaltungsrat erneut beizutreten.«

»Dann muss sie den Grund kennen«, sagte William und fügte hinzu: »Was bedeutet, du auch.«

»Sagen wir einfach, dass drei Sekretärinnen von Sloane in seiner kurzen Zeit als Direktor gekündigt haben, was für den Vorstand anscheinend eine zu viel war.«

»Da muss mehr dahinterstecken.«

»Du erzählst mir, was du über Faulkner weißt«, sagte Beth. »Und ich erzähle dir, was ich über Sloane weiß.«

William schien einen Augenblick lang zu zögern, besann sich dann jedoch eines Besseren. »Wirst du dich auf die Stelle bewerben?«, fragte er, als hätte er die Bemerkung nicht gehört. »Schließlich muss ihnen klar sein, dass alleine du der Grund bist, warum das Selbstporträt von Frans Hals noch an einer Wand des Museums hängt.«

»Ich bin hin- und hergerissen«, sagte Beth und nippte an ihrem Champagner. »Sollte ich Direktorin des Fitzmolean werden, wäre mein Einkommen nur noch halb so hoch wie im Augenblick. Und ich hätte mich wieder an feste Bürozeiten zu halten, was bedeuten würde, dass ich die Kinder viel weniger zu Gesicht bekäme. Gleichzeitig müsste ich mich damit herumschlagen, neue Förder- und Spendengelder zu finden, um das Museum über Wasser zu halten.«

»Dann wird man mich zum Chief Superintendent befördern müssen«, sagte William.

»Vielleicht bieten sie mir diesen Posten ja überhaupt nicht an«, sagte Beth wehmütig.

»Sie werden denselben Fehler nicht zweimal machen.«

Wieder erschien Lucio und servierte Beth die Sole meunière, bevor er wenig begeistert den Teller mit Fish and Chips auf Williams Seite des Tisches stellte. Der Sommelier trat vor, entkorkte den Pouilly-Fumé und schenkte ein wenig davon in Beths Glas. Sie nahm einen Schluck und lächelte. Er füllte ihr Glas, während Lucio einen halben Liter Bier vor William stellte.

Beth griff gerade nach Messer und Gabel, als Williams Handy klingelte.

»Dieses Gespräch nimmst du auf eigene Gefahr entgegen, Höhlenmensch«, sagte Beth.

William zog sein Handy aus der Innentasche seines Jacketts und wollte es gerade ausschalten, als er sah, welche Nummer auf dem Display erschien. Das Klingeln dauerte an, während er über die Folgen nachdachte, die es haben würde, sollte er rangehen. Doch schließlich fasste er sich ein Herz und hielt das Handy an sein Ohr.

»Guten Abend, Sir«, sagte er. »Darf ich annehmen, dass Sie mich anrufen, um Beth und mir zum Hochzeitstag zu gratulieren, während wir gerade dabei sind, uns dem Hauptgang zu widmen?«

»Alles Gute zum Hochzeitstag«, sagte Hawksby und fuhr ohne innezuhalten fort. »Ich habe gerade einen Anruf bekommen von unser aller …«

William hörte sich aufmerksam an, was der Commander zu sagen hatte, während Beth das Fischmesser hoch über ihren Kopf hob. »Ich bin unterwegs«, sagte er, beendete die Verbindung und sah seine Frau entschuldigend an.

»Kannst du mir einen guten Grund nennen, warum ich dich nicht umbringen sollte?«, sagte sie, während sich das Fischmesser langsam in Richtung seines Herzens senkte.

»Nein, das kann ich nicht«, gestand er. »Aber ich würde um einen Hinrichtungsaufschub bitten, bis ich die Premierministerin gesprochen habe.«