Drei Monate habe ich nun nichts geschrieben. Drei Monate. Es muss viel länger sein. Aber nach dem Kalender sind es drei Monate.

Ich las gestern die ganze Nacht in dieser meiner Lebensgeschichte, denn schließlich ist es doch meine Lebensgeschichte, wenn auch noch so viel von Grete, Ulla und Anette darin steht. Ich wurde ruhig, zum ersten Mal ruhig seit dem 13. Mai und seit jener Nacht.

Erst war ich entschlossen gewesen, überhaupt nichts mehr zu schreiben. Es hilft ja doch nichts, dieses Gekritzel. Wenn es helfen könnte, dann wäre das alles nicht geschehen.

Aber wie ich gestern so ganz allein war, furchtbar allein, es war Nacht, das Fenster stand offen, nicht einmal die Fremde tauchte unter den Scheiben hervor, eigentlich war das Zimmer leer, ganz leer, kein Mensch war herin, kein Atem und keine Seele, kein Schmerz und keine Sehnsucht, es war wirklich einfach niemand in meinem Zimmer — ein Einbrecher hätte ruhig alles forttragen können — Da holte ich die Ledermappe wieder hervor, diese lächerliche Ledermappe mit den eingepressten Rosen und Vergissmeinnicht und den Liebesbriefen des Herrn Zaunegger, ich hatte alles zusammengesteckt, diese Briefe, und diese Notizen, diese Aufzeichnungen, diese Beweise meiner Erlebnisse......

Es steht ja auch so viel von Onkel Max drin. Ich hatte es vor drei Monaten schon verbrennen wollen. Aber das hätte sehr weh getan.

Nun will ich weiter schreiben. Vielleicht hilft es, und jedenfalls, was kann es schon schaden?

Ich machte also bei der Matura halt und bei jener Reise nach dem Süden, als ein Mann, ein Matrose, vielleicht war es auch ein Bettler, wie ein Hund über die Straße kroch und am Abend darauf —

Dann aber kommt plötzlich der 13. Mai, Gretes Sohn, ja, Gretes Sohn, Axels Sohn.

Ich glaube, ich werde doch erst von diesem Sommer schreiben. Steht etwas auf dem Papier, so wird man es am ehesten los. Ich erinnere mich auch gar nicht recht, was nach dieser einsamen Italienreise vor sich ging. Ulla hatte ihr erstes Jahr Medizin, Leichenschneiden und schlüpfrige Witze von hemdärmeligen Studenten, und Anette war bei der gewissen Bildhauerin, nein doch, zuerst in dem Wäschesalon —

Aber das alles kann ich genauso gut auch später schreiben. Es eilt ja nicht. Nun ist das Kind einmal da, schreit, strampelt, wächst, trinkt Milch aus Gretes durchscheinenden Brüsten, bekommt Brauen, Blick und Gesicht — Es hat keinen Sinn, dass ich da viel herumrede, schließlich fürchte ich mich doch nicht, und eigentlich war es gar nicht ich, also das weiß ich, das kann ich beschwören, es war nicht ich, nicht ich hatte diese erstickende grausame Furcht ihn zu verlieren, warum sollte ich auch — und wenn tausendmal die Fremde im Spiegel über dem Sofa schwebte —

Grete allein ist schuld daran. Ich würde es ihr ins Gesicht sagen, wenn sie es nicht ohnehin schon wüsste. Und Ulla ist schuld mit ihrer verdammten Gewissenlosigkeit, ihren Prinzipien von freier Kameradschaft, und Anette mit ihren verzwickten Augen, ihren erbsengrünen Seidenhemden.

Unschuldig ist nur die Fremde. Denn sie ist die Einzige, die Axel nicht liebt.

Übrigens, wenn ich die ganze Geschichte hier niederschreibe, dann wird sich ja herausstellen, wer es gewesen ist, dann wird alles klar werden, gesichtet und gerichtet — ein paar Seiten noch und ich schreibe ruhig von mir, von meinem Leben, meinen Plänen und meinen Absichten, ich schreibe weiter von Papa und Mama, von der Universität, den Vorlesungen, der Blinddarmentzündung im zweiten Jahr, von der Bibliothek und von Herrn Zaunegger.

Herrgott, wenn das nur nicht so langweilig wäre!

Am 13. Mai, abends um halb acht —

Also, natürlich, Grete ist an allem schuld. Wer kommt denn heutzutage noch auf die abgeschmackte Idee zuhause ein Kind zu gebären —!

Das tut man nicht, das ist unanständig, sagt Ulla. Sie, Ulla, sie ginge natürlich auf eine Klinik mit Kreißzimmer und Operationssaal und weißen Schwestern, und Anette, die würde vielleicht auch unter einer Eisenbahnbrücke gebären, im Straßengraben, wenn es sich so träfe, aber doch nicht im eigenen Bett, Tür an Tür neben dem Wohnzimmer, und das alles nur, weil es so schöner ist.

Ja schöner!

Am 13. Mai rief ich abends bei Grete an. Warum, weiß ich heute nicht mehr und wahrscheinlich war es ganz was Überflüssiges. Ich rief an und verlangte den Herrn Professor zu sprechen — damals sagte ich noch Herr Professor — und eine fremde aufgeregte Stimme antwortete.

Erst später wurde mir klar, dass das Ulla gewesen sein musste.

Also jetzt! Ich sah hinaus zu den hohen gewölbten Bogenfenstern der Bibliothek, die fernen Türme der Stadt schwammen in schwefelgelbem Dunst, über die Gitter der Parks strömte Goldregen — und ich sah Grete zart und unberührbar auf der Schulbank vor mir sitzen, ein sanfter Hauch wehte durch den goldigen Flaum ihres Nackens, englische Stoffe trug sie, war behütet von einem schönen starken Vater, um jetzt, jetzt, schmerzgebläht in seelenlosem Stöhnen ein Kind, ein dummes Kind, ein Bündel rotes Menschenfleisch in die Welt zu werfen.

Selbstverständlich ging ich zu Grete. Warum ging ich eigentlich zu ihr? Die Straßenbahnen klingelten aufgeregt. Beinahe hätte mich ein Lastauto überfahren. Nein, Onkel Max hätte Grete nie mit seinen haarigen Händen berühren dürfen.

Alle Straßen öffneten sich. Aus den Häusern strömten Menschen, Hunde, Frauen lehnten sich zu allen Fenstern hinaus. Grete, Grete, um Gotteswillen Grete!

Ich schwöre es, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist — aber ist mir denn überhaupt noch etwas heilig? — nun ich schwöre es jedenfalls: Als ich an jenem Abend zu Grete ging, dachte ich nur an sie, an sie allein.

Wer weiß, ob es nicht besser gewesen wäre, ich hätte nicht so sehr an sie gedacht.

Als ich aber das Haus betrat, die kühle, selbstbewusste Villa mit dem rasierten Vorgärtchen, da spürte ich etwas mir gänzlich Fremdes, etwas, das nichts mit Grete zu tun hatte. Etwas Feindseliges.

Jemand trug weiße Leintücher an mir vorbei, Ulla hatte einen weißen Mantel, eine Frau in riesiger weißer Schürze gab Befehle, weißer Äther drang durch die dichten weißen Wände und weißes Stöhnen — Ich sah Gretes Vater beinahe verschwimmend in weißem Nebel, er reichte mir die Hand. Mir war, als würden die Beine mir unter den Knien abgesägt — Gretes Mutter — ein ferner Friedhof voll Tulpen und Hyazinthen — Nun lag die Tochter, das Mädchen, das zarte goldene Mädchen krank und jammernd in einem fremden Bett — Ein Stöhnen, ein Schreien, ein Brüllen —

Grete brüllte!

Da muss ich den Verstand verloren haben. Türen wurden zugeschlagen. Das ganze Haus, die vernünftigen Wände mit den gewählten Bildern, den hohen Kachelöfen, war durchzogen von zitternden roten Adern. Ich legte die Hände an die Ohren, rannte einen Korridor entlang, stieß gegen etwas Knochiges, sah in ein entsetzensblasses Gesicht, Axel — Ich aber lief an ihm vorbei auf die Straße hinaus, deren plötzliches Dunkel mir die Ohren verstopfte, lief vorbei an einem Mädchen mit hohen Stöckeln.

Das war eine Feigheit, natürlich war es eine Feigheit, aber wenn ich in jenem Haus geblieben wäre — ich hätte auch gebrüllt.

So war ich allein in meinen vier Wänden, ich rannte hin und her, einmal riss ich sogar den Spiegel von der Wand, ich suchte die Fremde — und ich sah vor mir ein totes schmerzverzerrtes Gesicht, wie ich es noch nie gesehen hatte, die Lippen auseinandergerissen in einer Qual, die auch ein Lächeln sein konnte. Aber kein menschliches Lächeln.

Dann fiel ich in stickigen Schlaf.

Am nächsten Tag suchte Ulla mich in der Bibliothek auf, um mir mitzuteilen, dass Grete einen Sohn geboren hatte.

Ich nickte nur. Ich merkte, dass unter Ullas Augen große Ringe lagen. Sie hatte bei der Geburt assistiert. — Es ging schwer, aber normal, sagte sie. Ich blickte auf ihre Hände. Immer noch hatte sie die porzellanweißen klugen Gelenke, aber die Finger waren lang und grob und rot. Arbeitshände.

Gerade deshalb hatte sie eine so wunderbar gepflegte Haut, eine Haut, die ihre harten Züge weich erscheinen ließ und geschmeidig. Creme und Puder.

— Ja ja, sagte ich, ich komme heute Abend oder morgen.

Ich ging nachhause, machte noch die gewisse Eintragung in meine Notizen: 13.5. Heute Nacht hat Grete einen Sohn geboren. Und dann konnte ich drei Monate nicht mehr schreiben.

Denn nun geschah das Furchtbare, das Verbrechen. Wirklich Verbrechen? Kann das Selbstverständliche Verbrechen sein?

Und vor allem: War es denn ich? Wenn jemand kommen könnte und mir das beweisen, vielleicht die Fremde, wenn die Fremde mir beweisen könnte, dass ich es war, ich, die ich von Papa und Mama als Kind in allen Winkeln vergessen wurde, ich, die ich Onkel Max liebte, ich, die ich die Horky verriet, einmal, wann —

Oh Gott, nun verschwimmt schon wieder alles. Und es fällt mir ein, dass ich ihn heute an den Brief an die amerikanische Universität hätte erinnern sollen. Wie kann man nur so etwas Wichtiges vergessen!

Aber zurück zu jener Nacht. Das alles sind wohl Ausflüchte. Hier wird es stehen schwarz auf weiß. Und dann werde ich wissen, dass ich, ich, eine gemeine Person bin, ein Vampyr, eine Diebin, vielleicht auch bald eine Mörderin.

Nun, wenn schon, dann will ich es wenigstens auch selber wissen.

Zwei Tage nach dem 13. Mai ging ich endlich zu Grete. Ich hatte das Kind noch nicht gesehen. Es war ziemlich spät, ungefähr acht Uhr. Aber schließlich, ich habe doch meine Arbeit, ich muss doch in der Bibliothek sein, ich kann doch nicht tagsüber herumlaufen und Wöchnerinnenbesuche machen.

Die weiße Villa war so still, so tot, wie es nur nach einem ganz furchtbaren Lärm möglich ist. Es regnete lau und leise.

Ein Mädchen in weißer Pflegerinnenschürze legte strenge den Finger an die Lippen. Grete schlief. Das Mädchen wies mit der Hand nach einer Tür. Ich ging hinein. Es war Axels Arbeitszimmer.

Herrgott, nun kannte ich Axel ja schon lange. Er hatte mir immer gefallen, natürlich, ich hatte mich ja von ihm küssen lassen, er war stark, blond, überlegen und oft auch ein bisschen gleichgültig gewesen.

Heute aber, heute schien er mir ganz anders. Er saß allein in seinem großen Klubsessel, er war blass, vielleicht war er krank, er war traurig und er war hungrig.

Ja, hungrig, das war es. Als er mich ansah mit seinen kleinen, hellen verhungerten Augen, ein unglücklicher Knabe, da — da lief ich zuallererst in die Küche. Von den Mädchen war niemand zu sehen. Oh, es ist eine herrliche Küche, blitzblank mit blauen Streifen, und ich fand gleich alles, was wir brauchten, kalte Eier und etwas Salat. Butter und Käse und einen Teller Kirschen. Er war sehr froh. Besonders über die Kirschen. Wir spuckten die Kerne in einen Teller.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er nicht von Ulla gesprochen hätte. Wie tüchtig sie sei, wie beruhigend sie gewirkt hätte gestern in all dem Trubel — und — Seine hellen unruhigen Augen sahen mich an, an mir vorbei, durch mich hindurch, zum Fenster hinaus, und da packte mich die sinnlose, die törichte, die grausame, die zerreißende Angst, ihn zu verlieren.

Denn wenn er jetzt fortginge, fort von mir, er würde Ulla aufsuchen in ihrem stillen kühlen Zimmer auf der Klinik, wenn er nicht auf der Straße haltmachte, um Anette zu begleiten, ach was, Anette, irgend eine Anette.

Seine Augen waren so hungrig. Und plötzlich drang durch die schlaftote Stille des Hauses ein jämmerliches Winseln wie von einem nackten winzigen Tier.

Ich kann nicht, ich kann nicht schreiben, was gewesen ist. Das glaubt mir kein Mensch, niemand, und am schlimmsten ist, ich glaube es mir selber nicht.

Ich weiß nur, dass plötzlich alles ganz anders wurde, der Stuhl neben mir, der Schreibtisch mit der vernünftigen Glaslampe. Als würden weiße Tücher darüber gebreitet, stille Laken. Es roch nach weißen abgetrennten Hyazinthenblüten, und ich war furchtbar traurig und ich hatte Angst. Aber ich sah, dass Axel hungrig war, und da lächelte ich und senkte den Kopf, zart und sanft senkte ich den Kopf und mir war, als kräuselte sich auf meinem Nacken rosiger Flaum.

Zum Fenster herein strömte tiefblaue Rivieraluft. Neben mir auf dem Stuhl lag ein weißes, ein rieselnd-weißes seidenes Hemd. Es war mir furchtbar, dass er einen Bart hatte, er war zwar herrlich rasiert, aber er hatte doch einen Bart, und als er mich auf den Mund küsste, hätte ich am liebsten geschrien: Vater, Vater!

Aber ich tat es nicht, denn das Zimmer war voll Weihrauch, Kerzen brannten, unzählige Kerzen, fremde Worte, Murmeln, roter Wein und Champagnergläser — Vater, Vater!

Oh ich hatte wahnsinnige Schmerzen. Mir war, als würde eine unsägliche Kostbarkeit weggeschenkt, verschleudert und vernichtet.

Frauen wie Grete sollten nicht heiraten. Sie sollten in ein Kloster gehen, als Himmelsjungfrauen ausgehauen werden und in weißem Stein auf flimmernden Altären stehen.

Dies schrieb ich vor zwei Tagen. Nachher war ich so müde, dass ich mit dem Bleistift in der Hand ins Bett fiel. Als ich es am nächsten Abend las, kam es mir ekelhaft vor und verlogen. Heute nahm ich es nur mit Widerwillen in die Hand. Aber es ist gar nicht verlogen.

Es ist wahr. Diese Brautnacht, in der er mich nahm wie ein zartes, kostbares und ganz, ganz fremdes Mädchen, ist wahr. Herrgott, warum glaubt mir denn niemand, dass es nach Hyazinthen roch, dass eine fremde blaue Luft in Sternen schwamm.

Es ist natürlich auch wahr — oder vielleicht nicht? — dass ich, die Bibliothekarin mit Alterspension etc. etc. mit meinem Kollegen, dem Herrn Oberbibliothekar Max Zaunegger schon einmal einen ganzen Frühling ein — wie sagt man doch — Verhältnis hatte. Verhältnis — übrigens ein scheußliches Wort.

Ich werde davon auch noch schreiben, natürlich, selbstverständlich. Hoffentlich schlafe ich dann nicht ein über dem Papier.

Und es ist natürlich auch wahr, dass ich in fröstelnder Dämmerung plötzlich in meinen Kleidern auf einem fremden und befleckten Sofa erwachte. In meinen Kleidern — oh, das war hässlich! Und Ulla sagt, wir Frauen brauchen dabei immer etwas Schönes. Sie sagt sogar:Wir armen Frauen brauchen dabei immer etwas Schönes. Wir armen Frauen?

Grete ist nicht arm. Also, das ist ein Unsinn, sich so was nur vorzustellen. Und Grete war auch nicht arm, als sie sanft und süß und nahe und unendlich entrückt vor mir in der Schulbank saß, sie war nicht einmal arm, als ihre liebe gütige Mutter gestorben war und sie mit ihrem Vater die Friedhofsschwelle überschritt, denn sie wusste immer und allezeit genau, wie schön sie war, wie man sich sehnte, sie zu besitzen. Ach diese Sehnsucht! Doktor Alexander strömte diese Sehnsucht aus, wenn er in die Klasse trat und Grete aufrief, obwohl er wusste, dass sie gar nicht da war. Grete hatte seit jeher so was Badendes in ihren Bewegungen, als legte sie sich hinein in die Gefühle der andern, der Männer. Das war schon immer so gewesen. Aber am schlimmsten oder am schönsten wurde es in Gera, Gera oder Gießen oder Göttingen, wie hieß es doch, irgend eine kleine Universitätsstadt war es. Ihr Vater war dorthin versetzt worden, knapp nach unserer Matura, und Grete zog mit ihm nach — nun, sagen wir nach G.

G. — da war ja auch das Mädchen G. E. Aber das hat damit gar nichts zu tun.

Grete schickte mir ein paar Wochen, nachdem sie übersiedelt waren, eine Ansichtskarte aus G. Grete schrieb überhaupt immer Ansichtskarten, das tut sie auch jetzt noch, gestern kam erst wieder so eine Karte mit grünem Wald: Nun kommen wir endgültig Ende der Woche. Der Kleine ist wohl. Mir geht es gut.

Endgültig! Ja, da ist nichts zu machen, Fräulein Bibliothekarin. Sie können doch nicht ewig im Bett, nein im Ehebett einer andern liegen, ihr Lächeln lächeln, ihre Freuden, ihre Schauer teilen, aber immer lächeln, trotz alldem lächeln, und sich physikalische Experimente erklären lassen, ohne ein Wort davon zu verstehen.

Also, Grete schickte mir eine Ansichtskarte aus G., das sind nun wie gesagt, ein paar Jahre her, ich studierte damals mein erstes Semester Geschichte und diese Ansichtskarte war — nun so wie alle Ansichtskarten eigentlich sind. Eine Straße mit Bäumen, mit allerdings sehr viel Bäumen, und irgendwo im Himmel schwebend ein spitzer Turm.

In einer Nebenstraße dieser Hauptstraße, durch die sogar eine Straßenbahn klingelte, lag das Haus des Professors. Es war kein großes Haus mit keinem großen Garten, aber trotzdem war es ein blasses Schloss mit hohen Fenstern und der gestriegelte Rasen mit den Rotbuchen war ein Park.

Es roch nach faulen Blättern, aufgesprungenen Rosskastanien, als Grete mit ihrem Vater einzog. Sie stand im Reisemantel und ohne Hut in der Oktobersonne und gab Befehle, wie die Kisten ausgepackt werden sollten. Das Haar kräuselte sich im Nacken, sie sprach leise mit ihrer heiseren Stimme, aber alle die Packer hörten auf sie. Hinter dem Stacket zogen ein paar Studenten vorbei, der Professor riss im ersten Stock ein Fenster auf, sein silberner Scheitel beugte sich heraus, und über alle Zäune guckten Dienstmädchen und Nachbardamen.

Am Abend brannte im großen Kamin das Feuer. Der Tisch war gedeckt mit den silbernen Bestecken, die alle noch das Monogramm von Gretes Mutter trugen.

Es war ein gedecktes Leben in einer geschützten Stadt unter gesicherten Menschen. Ein Leben wie ein sanftes Zusammenlegspiel.

Mein Leben war nie gedeckt, geschützt, gesichert gewesen. Auch nicht, als Papa ein wohlhabender Bankier war und Mama mit Bea in Gesellschaften ging. Denn da war die Horky mit ihren groben Händen, die in unserer Herrschaftsküche herumtrampelte wie in einem tschechischen Stall, und Onkel Max, von dem man nie wusste, wann er verschwinden würde, vielleicht nach Amerika, vielleicht nach Indien, vielleicht auch nur in eine fremde Wohnung. Und dann war Ulla mit dem Ledersofa in dem Operationszimmer des Vaters (ich bin überzeugt, sie hat jetzt eine sandfarbene Daunendecke auf ihrem Zimmer im Spital) und Anette mit ihren frechen Fingern, dem roten Kunstseidevorhang im Frisiersalon — gar nicht zu reden von den Weibern am Markt, den Mädchen an den Straßenecken, den blaukitteligen Frauen in den Spitälern.

Drei Monate habe ich an das alles nicht mehr gedacht. Drei Monate war ich sicher und beruhigt. Drei Monate wusste ich, dass ich nur zu lächeln brauchte, zu lächeln mit breiten durchscheinenden Zähnen, und Axel kam aus dem Nebenzimmer wie gezogen an silbernen Drähten.

Gestern aber zerbrach ich eine Teetasse, eine von den kostbaren, blätterfeinen mit kobaltblauem Rand. Axel war sehr ärgerlich. Und im Spiegel stand verstört mit irrem Blick die Fremde.

Es war das erste Mal, dass in einem von Gretes Spiegeln die Fremde stand. Grete kommt Ende der Woche.

Heute brachte der Herr Zaunegger mir Blumen. Zum ersten Mal seit vorigem Frühling. Chrysanthemen, die aussehen wie gelbe Krautköpfe.

Ach die Blumen in G.! Eigentlich ist G. eine Gartenstadt. Rosen vor jedem Haus, Rosenbeete vor der Universität, Rosen in allen Vasen, Rosen unten in der Hall in einem opalschimmernden Glas, Rosen im Juni, strahlend, leuchtendleuchtend, wärmespendend, Rosen im nebelweißen November hinter Stacketen mit rotem Wein.

Natürlich bekam Grete von allen Rosen, von den Studenten, mit denen sie leicht und kühl auf den großen Bällen tanzte, von den ausländischen Gelehrten, die ihren Vater besuchten, von kleinen Mädchen, die für sie schwärmten. Die ganze Stadt kannte sie ja, beim Kaufmann und in Frau Schultzes Frisiersalon sprach man von nichts lieber als von der neuen Stadtschönheit.

Eines Tages würde dann einer kommen, irgend einer von den Dozenten oder Professoren, noch jung und kräftig, mit breiten Schultern, gutem Gehalt, sie zu sich holen in ein stilles Haus, Küche weiß mit blauen Streifen, gewählte Bilder, Klubsessel, verhängte Lampen und eine vernünftige Nurse. Es würde auch noch ein bisschen Schmerz dazukommen. Grauen und Ablehnung, aber doch wieder Sehnsucht, wenn die Abende lang wurden und das Zimmer leer.......

Von allen Verehrern Gretes — Verehrer ist ein Stubenmädchenwort, sagt Ulla — von allen Freunden also — nein, Freunde hat Anette, und die zahlen Champagner und flaumige Pelze — sagen wir denn, von allen den Männern, die die Villa des Professors umschnüffelten, neugierig und bedächtig zugleich, mochte Grete den Privatdozenten mit der hohen Stirn, der kranken Frau und den vielen kleinen Kindern am besten leiden. Er hatte ein ganz besonderes Fach, chinesische Philosophie oder persische oder sonst was Ausgefallenes, und er war ein feiner Mensch, zurückhaltend und mit Gefühl. Man konnte sicher sein vor Händedruck und heißem Atem, vor plötzlichen Anträgen, denn er war ja verheiratet. Bei ihm zuhause roch es nach nassen Windeln und roten Flanellhöschen, die Kinder naschten Zucker vom Kaffeetisch, das Mädchen rannte in einer verdächtig sauberen Schürze durch die Zimmer und die Frau des Hauses saß in einen wollenen Schal gehüllt in einem Lehnstuhl, eben aufgestanden zu Ehren von Fräulein Gretchen — sie sagte Gretchen, das hatte sie von ihrem Mann gelernt.

Sie hatte hängende Augen, hängende Brüste und, wenn sie nicht eben sprach, ein hängendes Kinn.

Natürlich war es Grete nicht angenehm, dass ihretwegen das ganze Haus auf den Kopf gestellt wurde, dass man Kuchen vom Konditor und Zigaretten aus dem Café gegenüber holte, dass das Mädchen abends gekündigt wurde, weil die Milch überkocht war, und die Kinder mit Klapsen und Schelten ins Bett geschickt werden mussten. Sie bedauerte den Mann sogar ein wenig, wenn er sie durch die gepflegten Villenstraßen nachhause begleitete, sie hatte Lust, ihn mit sich zu nehmen, in ein stilles Zimmer zu legen und seine Stirn zu streicheln. Er hatte immer so fransige Krawatten.

Ich kann es nicht vertragen, dass Axel nun, da es kalt wird, Wollleibchen unter den Hemden trägt. Er tat das auch schon im Sommer, wenn es regnete.

Eigentlich erinnerte der Privatdozent an jenen Assistenten, der Grete einmal an einem Sonntagvormittag auf den Nacken geküsst hatte. Es war ein glitschiger Kuss gewesen, sehr unangenehm, und dann hatte sie ihn nie mehr wieder gesehen. Schade!

Diesmal wollte sie vorsichtiger sein. Wozu den Menschen wehe tun? Nein, Grete war gut, sie wollte niemand verletzen. Und sie schenkte dem Privatdozenten mit dem ausgefallenen Fach lange Nachmittage bei seiner kranken Frau, den viel zu vielen Kindern.

Und sie hätte nie erfahren, dass sie in jenen sanften Stunden gehasst worden war wie eine böse und hinterlistige Schlange, dass sie in den darauf folgenden Nächten, Nächten, die sie sich nicht vorstellen konnte, denn was wussten wir schon von Ehe, ach Grete, was wussten wir von Ehe, von Liebe ja vielleicht, aber doch nicht von Ehe — dass sie in jenen Nächten der Gegenstand giftigen Gezänkes war. Sie hätte es nie erfahren, wenn die Geschichte mit dem Jungen nicht gewesen wäre.

Eigentlich war er ein dummer Junge. Es ist hässlich, über einen Toten so was zu sagen und noch dazu in diesem Fall. Auch war es gar nicht Liebe, sondern bestimmt Eitelkeit. Aber wer weiß das nachher. Und jedenfalls, es war nicht gut für Gretes Ruf, die Leute taten ihr Unrecht, und dann noch der Heiratsantrag des Dozenten, der Heiratsantrag eines verheirateten Mannes! Gar nicht zu reden von dem italienischen Grafen.

Da kam Axel als Retter und sofort war alles gut. Axel!

Ich muss an einen verrückten Tag heuer im Sommer denken. Erst gab es Unannehmlichkeiten in der Bibliothek und in der Straßenbahn war es so heiß, dass man an den Sitzen festklebte, dem Schaffner rann der Schweiß in einem dünnen salzigen Streifen über die Uniform, er gab mir eine nasse Karte, die Mauer gegenüber blendete, etwas Großes, Schwarzes rannte in uns hinein, ein Ungeheuer, Krachen und Splittern —

Nein, mir war nichts geschehen, nur eine Schnittwunde am linken Zeigefinger, Weiber kreischten, die Pfiffe der Rettungsgesellschaft —

Ich lief und lief, mir war ja nichts geschehen, aber ich hatte das Gefühl, als läge Grete zermalmt unter den Scherben des Automobils, das in uns hineingefahren war.

Axel jedoch kam mir schon auf der Treppe entgegen, er führte mich in sein kellerkühles Arbeitszimmer, verband mir die Hand, brachte mir Limonade und alles wurde gut und fest und sicher. Er schob mir das Kopfkissen aus seinem Bett unter den Nacken, und da lag ich nun und war ganz ruhig.

Aber ich wollte von dem Jungen erzählen. Er hieß Hans Jürgen und hatte einen Schmiss quer über die Wange. Das hatten übrigens alle in G. Und er war der Sohn der Geheimrätin, der Witwe eines ehemaligen Rektors. Sie war tonangebend in der kleinen Stadt, führte einen geistigen Salon, sprach viel von Kunst, hatte einen falschen weißen Riesenschopf und nahm sich Gretes an. Ein mutterloses junges Mädchen!

Und Hans Jürgen verliebte sich in Grete, das war ganz natürlich. Er verliebte sich ein wenig mehr als die andern, aber das konnte Grete nicht wissen, wirklich nicht. Er hatte ein rosiges Kindergesicht mit verschwommenen Augen, ein hübsches Gesicht, eigentlich zu hübsch für so einen Jungen. Und weil er so hübsch und zart war, wurde er der beste Boxer, machte er die wildesten Autofahrten. Ach, er war wirklich ein dummer Junge. Und Grete mochte ihn gut leiden. Daraus kann man ihr schließlich keinen Vorwurf machen. Man kann ihr überhaupt keinen Vorwurf machen, dass die Männer sich in sie verliebten. Hätte sie ihnen nachlaufen sollen wie die andern Mädchen. Dann natürlich wäre sie alle los geworden. Sie hätte den Privatdozenten nur einmal ansehen müssen, so von der Seite her — er wäre noch in derselben Nacht zu seiner Frau zurückgekehrt. Aber das tat sie nicht. Nie.

Und deshalb wollten alle sie besitzen.

Dann kam die unsinnige Geschichte mit der Wette. Nein, die Geheimrätin hat es nie erfahren, darf es auch nie erfahren. Sie glaubt, es sei die reine Leidenschaft eines verblendeten jungen Menschen gewesen, und das war es natürlich auch, nur schade, dass diese Wette dazukam.

Es war Johannisfest und das wurde in G. immer mit Umzügen und Feuern auf den Hügeln und einem großen Ball gefeiert. Die Studenten marschierten vor die Stadt, setzten sich dort in allen Wirtshäusern fest, getrunken wurde auch — aber davon darf man schon gar nie etwas zu der Geheimrätin sagen. Sie geht seit damals in tiefer Trauer, trägt ein schwarzes Häubchen auf dem weißen Schopf.

Alle Rosen dufteten in G. Das war natürlich auch was Berauschendes. Auf den welligen Anhöhen ringsum loderten die Feuer, Gitarren klimperten, Mädchenstimmen, weiße Kleider, süße weiße Kleider.

Nie war Grete so schön wie in jener Nacht. Ihre Augen brannten, ihr Mund quoll auf, war etwas zu groß, etwas zu rot —

Nein, das darf ich nicht schreiben. Das ist Verrat. Kein Mensch darf es wissen. Niemand. Frauen wie Grete sprechen nicht, sprechen nie, und wenn man ihnen das Herz aus dem Leibe reißt.

Ich kann ja nichts dafür, aber da war ein Mann auf diesem Ball, ein Fremder, groß und dunkel und biegsam, ein Italiener, ein Graf, der Mund ein feiner verbissener Strich, bräunliche Wangen.

Er tanzte wie noch nie ein Mann mit Grete getanzt hatte, er tanzte wie ein geschmeidiges südliches Tier.

Axel war nicht da, war verreist an diesem Tag.

Er aber zog Grete in eine Ecke hinter Girlanden mit Papierröschen, er beugte ihren Kopf nach hinten, vielleicht war es auch noch im Tanz, und küsste sie —

Es war nur ein Kuss, aber davon darf kein Mensch erfahren, denn der schmale Strich seiner Lippen öffnete sich, sanfte, zarte, etwas faule Blütenblätter, dazu noch der Griff brutaler Finger.

Natürlich stieß sie ihn zurück, so was ist bei Grete ja selbstverständlich — aber nicht gleich.

Denn Grete sagt es nicht und Grete will es nicht und Grete gesteht es nicht und Grete weiß es nicht, ahnt es nicht, dass sie diesen Mann geliebt hat. Dass er der Einzige war, der sie auf den Mund küssen durfte.

In derselben Nacht verschwanden verschiedene Wertgegenstände aus der Gesellschaft und tags darauf war der italienische Graf verschwunden. Es stellte sich heraus, dass er ein Eintänzer aus einem der umliegenden Kurorte gewesen war, kein Graf, vielleicht auch gar kein Italiener.

Man hat ihn nie erwischt. Gottseidank!

Darf man das schreiben? Darf man so etwas niederschreiben? Frauen wie Grete ersticken an ihrem ungelebten Leben und lächeln dazu.

Ich lächle auch, wenn Axel mich auf den Mund küsst, obwohl ich das nicht leiden kann. Dem Herrn Zaunegger hatte ich es einfach verboten.

Hans Jürgen, dieser dumme Junge, wollte Grete nicht auf den Mund küssen. Er wollte was viel Einfacheres. Er wollte sie mit seinem neuen Chrysler entführen, auf den Hügel bringen, wo er mit seinen Kameraden das größte Feuer der Stadt hatte, selbstverständlich das größte Feuer und genau um Mitternacht.

Es war eine Wette, sonst wäre es dem Privatdozenten nicht zu Ohren gekommen, und Hans Jürgen roch ein wenig nach Wein aus dem Mund, als er Grete mitten während des Balls plötzlich vorschlug, seinen neuen Chrysler zu besichtigen, und Grete hätte es auch getan, aber da trat plötzlich der Privatdozent dazwischen und wurde heftig. Grete war ja so schön, so zitternd schön in jener Nacht, und Hans Jürgen wurde grob, sehr grob, und der Privatdozent gab ihm eine Ohrfeige und Hans Jürgen wollte sich auf ihn stürzen, aber Grete stellte sich vor ihn, sie dachte plötzlich an die kranke Frau und an die vielen Kinder.

Hans Jürgen raste in seinem Chrysler zum Feuer auf dem Hügel, dem größten und herrlichsten Feuer, neunzig Kilometer Geschwindigkeit, und als er halt machte, jagte er sich eine Kugel durch den Kopf.

In G. spricht man noch heute von der Geschichte. Hans Jürgen wurde mit allen Ehren zu Grabe getragen. Eine Ehrenaffäre nannte man das Ganze. Ehre?

Ulla sagt, Ehre sei eine Erfindung der Bourgeoisie. Axel hat auch Ehre, er würde sich nie und niemals eine Ohrfeige gefallen lassen. Wenn er stirbt, so steht sein Name in der Zeitung, so wie er jetzt bei allen Kongressen steht. Auf Axel kann man sich verlassen. Als ich unlängst das Mädchen mit der Telefonrechnung nicht rechtzeitig zur Post schickte, war er ernstlich böse.

Er liebt Ordnung in allen Dingen. Es war kolossal anständig von ihm, dass er nach jenem unglückseligen Johannistag um Gretes Hand anhielt. War sie einmal seine Braut, so wagte niemand an ihr zu zweifeln.

Die alte Geheimrätin schrieb ihr sogar einen wunderschönen und rührenden Brief. Grete hatte ihn wirklich und wahrhaftig niemandem gezeigt, aber ganz G. sprach davon.

Ganz G. sprach auch von dem Heiratsantrag des Privatdozenten. Es ist unbegreiflich, wie alle Dinge in so einer kleinen Stadt herumgesprochen werden.

Der unglückselige Mensch erschien plötzlich an einem verregneten Vormittag mit einem Zylinder — also weiß Gott, er trug einen Zylinder, Grete musste, als sie ihn sah, sofort an ein Leichenbegängnis denken — und hielt um Gretes Hand an. Grete trug ein dunkelblaues Kleid und sah ihn an mit nassen und entsetzten Augen. Dann blickte sie zum Fenster hinaus. Der Rasen war mit einem Mal so klein geworden, von den Rotbuchen troff braunes Nass. Eigentlich war es ein einfaches Haus, in dem sie wohnte, eine gewöhnliche Villa, wie man sie in allen deutschen Universitätsstädten findet. Durch den Park — es war ja kein Park — durch den Garten ging mit gesenktem Kopf eine magere Frau, spannte eine Wäscheleine, hing Windeln auf, rote Flanellhöschen, sie bückte sich, goldiger Flaum im faltigen Nacken. Das war doch nicht sie, nein, nein, das war bestimmt nicht sie.

Grete schüttelte den Kopf. Der Privatdozent fiel in die Knie. Wie lächerlich! So was war auch nur in einer Kleinstadt möglich. Er sprach von seiner Frau, von nebeneinanderstehenden Ehebetten, Flüchen und Schwüren, von dem Hass der Kranken gegen das schöne und gesunde Mädchen, von nächtlichen Szenen, giftigem Gezänke — alles, alles wegen seiner Liebe zu ihr.

Der Herr Zaunegger hatte mir auch einmal in jenem Frühling, als wir zusammen jede Woche über den Sonntag ins Gebirge fuhren, die furchtbarsten Vorwürfe gemacht, weil — also, das habe ich ganz vergessen. Es war wohl jemand in der Bahn oder in einem Wartesaal oder in dem überladenen Autobus. Goldene Brillen hatte er und Bergfarbe und erinnerte an Doktor Alexander, vielleicht auch an Axel — ob ich mit ihm gesprochen habe, weiß ich nicht mehr. Kann sein, dass das die Ursache war. Jedenfalls saß der Herr Zaunegger abends höchst aufgeregt in seinem Bett. Es war ein graues Bett, graue Laken und eine stickige rote Steppdecke, in der einen Waschschüssel ein bisschen graues Wasser mit Seifenschaum —

Es war furchtbar. Grete wusste nicht, was tun. Ein Glück, dass ihr Vater plötzlich zur Tür hereinkam und der Geschichte ein Ende machte. Der Garten unten schien dunkel und struppig wie vor einem verlassenen Bahnwärterhaus.

Und wie herrlich war es, als Axel tags darauf plötzlich blond und vergnügt unten in der Hall stand. Die Sonne zuckte durch Regenwolken, er trug keinen Zylinder, ach wo, er kam in seinem Arbeitsanzug und hatte sogar einen kleinwinzigen Tintenfleck am Mittelfinger.

Ich darf nicht vergessen, morgen seine Füllfeder aus der Reparatur zu holen. Donnerstag kommt Grete. Donnerstag — das ist übermorgen. Grete und die Nurse und das Kind.

Und Axel sprach mit Gretes Vater, so leicht und nebenbei sprach er von der Hochzeit, wie man von einem Sommerurlaub spricht. Gegen Abend ging er mit ihr über den Rasen vor dem Haus, der Villa, dem Schloss, und der Rasen weitete sich, stieg an wie weicher Samt. Die Rotbuchen glühten im Sonnenuntergang, Gänseblümchen und goldene Fenster — Da legte Axel den Arm um mich und alles wurde weich und weiß, das rieselnde Hemd, Kerzen voll Weihrauch, Champagnerschaum, Blüten und Schleier, nur die Luft war blau, tiefblaue Rivieraluft.

Er hätte mich nicht auf den Mund küssen sollen. Seine Lippen schmeckten nach Blut.

Ja, ich weiß, man sollte ihn küssen können, so wie Ulla küsst, wie Frauen küssen, die es gelernt haben, denn auch küssen lässt sich lernen. Ulla hat viel gelernt, hat alles gelernt, sie spricht mit ihm von seinen Experimenten und rümpft dabei sogar manchmal die Nase. Diese Nase ist immer etwas zu stark gepudert. Als Kind bekam Ulla im Frühling Sommersprossen.

Also dieser Herr Zaunegger ist wirklich unverschämt. Was will er nur mit seinen gelben Krautköpfen. Bildet sich ein, dass das Chrysanthemen sind. Ich kann nicht leben ohne Axel. Ich kann es nicht. Will man mir denn die Beine abschneiden? Wie soll ich — auch nur über die Straße gehen — ohne ihn?........

Ulla holte ihn schon wieder vom physikalischen Institut ab. Ich glaube gar, sie duzten sich.

Ich will nicht leben ohne ihn. Die Füllfeder ist noch immer nicht repariert. Wer wird ihm die Füllfeder holen?

Morgen kommt Grete.

Wie immer, wenn alles ganz verrückt und unerträglich wird, erscheint die Fremde. Nein, ich liebe die Fremde nicht, mochte sie schon damals nicht leiden, als ich sie zum ersten Mal im Spiegel in der Eisenbahn sah. Meine Schwester Bea aß ein Butterbrot mit gelbem Käse und ich hatte eben erst die Horky verraten ...

Jetzt habe ich Grete verraten.

Aber was kümmert das alles die Fremde? Was braucht sie so beleidigt zu tun? Überhaupt, wie kommt sie dazu, neben mir in der Straßenbahn zu fahren. Bis jetzt war sie immer in Spiegeln und Fenstern, existierte wohl gar nicht, war Spuk, Traum, Phantasie, Hysterie — Aber heute, kein Zweifel, heute saß sie neben mir in der Straßenbahn, hielt ein abgegriffenes Buch in der Hand, war müde und traurig.

Sie tat mir leid. Und das ist das Furchtbare, das Unerträgliche. Wohin soll das führen? Sie, die Fremde, darf mir nicht leid tun. Denn zwischen ihr und mir ist keine Luft und kein Licht. Ich kann nicht zu ihr.

Grete ist angekommen. Der Kleine hat etwas Darmkatarrh. Mein Gott, das haben wohl alle kleinen Kinder. Aber Axel ist sehr besorgt, telephonierte nach allen möglichen Ärzten.

Für mich ist das gut. Jetzt hat die Geschichte wenigstens ein Ende. Ich kann natürlich leben ohne Axel. Was war ich schon für ihn! Bestenfalls ein Ersatz.

Unlängst sagte er furchtbar erstaunt: — Du hast ja braune Haare. Das hätte er wirklich schon bemerkt haben können. Und eigentlich ist er gar nicht so ungeheuer gescheit. Wenn man von Politik spricht, ist er idiotisch, sagt Ulla.

Ach Ulla, Ulla! Wenn Ulla nicht wäre! Denke ich an sie, und ich denke jetzt oft an sie, so befällt mich wieder die wahnsinnige, die unsinnige, die zerreißende Angst, ihn zu verlieren. Mir ist, als vertriebe man mich aus einem stillen sicheren Raum, vielleicht ist es eine weiße Küche mit blauen Streifen.

Ulla darf nicht, sie darf nicht. Ulla ist frech mit ihm, achtet ihn nicht. Einen Mann wie Axel nimmt man doch nicht seiner Frau weg, seiner schönen und geliebten Frau, und das alles nur, weil er breitschultrig ist und sehnig und ein liebes Bubenlachen hat, und weil man selbst ungeduldig ist und unglücklich verliebt in einen Primarius.

Nein, das dulde ich nicht. Wenn ich auch nur die Bibliothekarin bin mit dem Herrn Zaunegger als Verehrer, wenn ich auch mit abgegriffenen Büchern in der Straßenbahn fahre, wenn ich auch so langweilig bin und so unbedeutend schreibe, dass ich Abend für Abend Seite um Seite schreiben muss, um mich zu vergewissern, dass auch wirklich ich es bin, die da lebt — Ich dulde es nicht. Und ich werde es zu verhindern wissen.

Natürlich kann ich gar nichts verhindern. Ich habe nichts zu reden. Eine Woche lang habe ich Axel nicht gesehen. Inzwischen merke ich, dass es Herbst geworden war, welke Blätter im Park, es raschelt unter den Füßen, nasse Dächer, die Lichter brennen aufdringlich an warmen Abenden.

War denn gar kein Sommer, blaue Wellen, reifende Getreidefelder in schwülem Dunst? Was ist mit mir? Mich fröstelt? Wer — hat — mir — meinen — Sommer — gestohlen?....... 

Heute kam Axel zu mir in die Bibliothek. Er weiß, was sich schickt. Er war sehr freundlich. Sehr lieb. Lud mich zum Mittagessen ein. Fünf Minuten stand er bei mir. Fünf Minuten sind nicht lang. Ich sah auf die große Uhr zwischen den dichtbesetzten Regalen. Fünf Minuten sind nicht lang. Er war sehr lieb, sehr freundlich. In diesen kurzen fünf Minuten langweilte er sich ganz furchtbar mit mir.

Sowas sagt man nicht, so was spricht man nicht aus. Grete hätte das nicht einmal ihrer Mutter erzählt. Sie ist sehr blass, viel zu mager, hat große Ringe unter den Augen.

Und sie hat Angst vor der Nacht. Das Kind ist hungrig, sie hat nicht genug Milch — Und Axel — ich würde ihm so gerne wieder einen Teller Kirschen bringen. Er müsste die Kerne gar nicht mit mir in einen Teller spucken. Er hat so kleine verhungerte Augen.

Also das ist furchtbar, das ist entsetzlich, das halte ich nicht aus. Natürlich kann ich nichts verhindern, aber ich kann es mir nicht gefallen lassen, vor meinen Augen, an demselben Tisch — Wenn das Liebe sein soll oder gar Ehe!

Ich hätte nicht zu diesem Mittagessen gehen dürfen, wollte erst gar nicht, hatte dem Herrn Zaunegger schon versprochen, mit ihm Sonntag vormittags in das Naturhistorische Museum zu gehen, da hatte ich plötzlich das Gefühl, es schickt sich.

So was Dummes! Bea hatte auch das Gefühl, es schickt sich, als sie den Herrn von heiratete. Der älteste Sohn soll nicht ganz richtig im Kopf sein. Was geht mich das an, ob es sich schickt. Bin ich denn Bea?

Ich ging zu diesem verfluchten Mittagessen. Es regnete. Das rasierte Vorgärtchen schwamm in grauem Wasser. Im Kinderzimmer war es entschieden überheizt. Und Ulla hatte ein zu starkes Parfum. So geht man nicht in ein Haus, wo ein Säugling ist und eine stillende Mutter. Sie hat einen fabelhaften Teint. Der kann nicht geschminkt sein. Vielleicht Gesichtsmassage und dergleichen.

Axel ist toll mit ihr, einfach toll. Und das alles nur, weil sie will. Weil sie jede Bewegung ihrer Porzellangelenke berechnet, jeden schiefen Blick. Sie hat einen karminroten Mund. Er aber erlaubt nicht, dass Grete sich die blassen müden Lippen färbt. Wenn Ulla keine Suppe mag, ist er begeistert, wenn sie blaue Ringe raucht, so wird er verzückt. Er legt den Arm um die Lehne ihres Stuhls, als wären es ihre Schultern, zärtlich, vorsichtig.

Nein, nein, nein! Ich töte sie, ich werde sie ermorden. Ich kann es nicht ansehen. Das nächste Mal schlage ich mit der Hand auf den Tisch, dass die Gläser springen. Ich muss mir doch bei Gott nicht gefallen lassen, dass man mich mitten auseinander reißt, bei lebendigem Leib zerteilt und zerstückelt —

Wer lacht denn da? Ich weiß bestimmt, jetzt hat jemand gelacht. Ulla? Ach Unsinn, wo ist Ulla? Aber es war doch Ullas Stimme. Ein bisschen zu hell, wie zersprungenes Porzellan. Im Fenster spiegelt sich die Lampe. Die Fremde, die Fremde, wo ist denn die Fremde? Neben der Lampe nur kalte Augen, gletscherklare, eisige Augen, gierige Augen und ein kühner, lachender Mund — Nicht hinsehen, nein, und um Gotteswillen nicht lachen!

Ein neuer Versuch. Ich schreibe in der Bibliothek. An meinem Amtsschreibtisch. Hier lacht niemand. Der Herr Zaunegger hat ein neues Tintenfass und ist von einem wütenden Ernst. Natürlich wegen Sonntag.

Wenn ich durchlese, was ich gestern geschrieben habe, so scheint es mir ein wenig übertrieben. In diesem nüchternen weißlackierten Zimmer mit dem braven Regenlicht kommt man am besten wieder zur Besinnung.

Ulla sagt, eine Bibliothek ist zum Sterben langweilig. Nun ein Spital ist wohl auch kein Vergnügen.

Aber zurück zum Gelächter von gestern Abend. Ich war so erschrocken, dass ich alles liegen und stehen ließ, ins Bett sprang und den Kopf unter die Decke steckte.

Zu dumm! Ich hatte ja allen Grund zu lachen. Oder ist es vielleicht nicht lächerlich, dass ich, ausgerechnet ich, eifersüchtig bin? Auf Ulla? Als ob ich ein Recht dazu hätte. Ich — ein Recht auf Axel. Eine lächerliche Unverschämtheit!

Grete — ja bei Grete ist das anders. Aber Grete wird es nie sagen, beißt sich nur in die blutlosen Lippen, erstickt.

Was wird es heißen, wenn Grete stirbt? Lungenentzündung, ein schwaches Herz? Als man ihre Mutter zu Grabe trug, lächelte der Friedhof voll Tulpen und Hyazinthen. Grete ging am Arm ihres schönen Vaters. Ich aber sah sie krank und fieberdurstend in einem fremden Bett. Ein kleines Mädchen. Ein stolzes kleines Mädchen.

Oh Gott, es darf ihr nichts geschehen. Ihre Mutter war lahm. Ich werde es nicht dulden. Ich werde zu ihr gehen. Ich werde mit ihr sprechen.

Aber kann man denn mit Grete sprechen? Sie lächelt mit breiten durchscheinenden Zähnen und ist gleich wieder das schöne Kind, das mit goldigem Flaum im Nacken neben Anette sitzt, in der Bank vor mir und unerreichbar weit.

Dann werde ich es mit Ulla versuchen. Ulla ist ja immer so für Aussprache und Offenheit. Und Ulla ist klug, ein bisschen zu klug, aber gewiss nicht böse.

Ich gehe heute zu ihr ins Spital. Es hat doch was für sich, wenn man am hellen Mittag in einer öffentlichen Bibliothek seine — seine Lebensgeschichte schreibt. Ist es auch meine Lebensgeschichte?

So. Jetzt sitze ich wieder an meinem Tisch, bei meiner Lampe. Der Lampenschirm ist wirklich nicht mehr eben repräsentabel, die Wände sind verrußt. Ich werde im Frühling malen lassen, nicht wieder Grau, ein mattes Gelb, Sandgelb und keine Bilder.

Eigentlich hätte ich Wichtigeres zu schreiben. Aber ich bin so ruhig, unglaublich ruhig. Die Sache mit Axel ist wohl auch nicht gar so brennend. So sind alle Männer. Die meisten. Grete wird es nicht weiter tragisch nehmen.

Mein Spiegel hat einen Sprung. Deshalb sehe ich nicht gerne in ihn hinein. Aber das ist nicht gut, die Haare kommen nie in eine Richtung zu liegen, wenn man sie nicht wieder und wieder bürstet. Glattes Haar, das sicher anliegt, hat so etwas Beruhigendes.

Ich glaube, ich gehe zu Bett. Ich bin sehr müde. Von dem Besuch bei Ulla im Krankenhaus kann ich ja auch morgen schreiben. Ich werde Axel nicht mehr sehen. Vielleicht nie mehr. Gute Nacht.

Eine Woche später. Eine ganze Woche und vielleicht zwei Stunden später. Ich habe eine Woche lang nicht geschrieben, hätte wohl überhaupt nicht mehr geschrieben, wenn nicht Axel —

Schuld daran ist nur, dass er ein so konventioneller Mensch ist. Konventionell auch dann, wenn das Leben keineswegs mehr konventionell ist, sondern verschoben, verdreht und verrückt — ja, verrückt.

Er kam also heute Abend — Ich will gleich sagen, dass sich in dieser Woche viel bei mir verändert hat. Der Lampenschirm ist neu, nicht besonders schön, aber so, dass man gar nicht merkt, dass eine Lampe auf dem Tisch steht, und eine dicke, wollig weiche grüne Decke liegt auf dem Sofa.

Herrgott, wie es mich nervös macht, dass ich nicht bei einem bleiben kann — Und was ist schon dabei, dass Axel mich besucht hat. Man muss doch nicht im Bösen auseinandergehen, wenn man schließlich drei Monate —

Ach was, Axel war sehr lieb und sehr höflich, erzählte alles mögliche Berufliche, küsste mir beim Fortgehen die Fingerspitzen.

Übrigens, Grete ist krank. Das Abstillen macht große Schwierigkeiten — Eigentlich ist Grete häufig krank.

Der Spiegel hat keinen Sprung mehr. Neues Glas. Aber ich kann nicht hineinsehen. Obwohl mir die Haare in die Augen hängen und ich sicher wieder den gewissen Korkzieherscheitel habe. Ich habe Angst —

Vor was denn schon wieder? Man sollte mich in ein Krankenhaus sperren — Ja, ein Krankenhaus. Es muss doch nicht jeder Arzt sein in einem Krankenhaus, es gibt auch Patienten, Patienten in langen weißen Sälen auf weißen Betten hinter langen weißen Gängen, und durch diese Gänge kommt mit einem langen Zug von Assistenten der Primarius — Ruhe, nur Ruhe, der Primarius kommt.

Oh diese Ruhe! Ich erinnere mich noch, dass ich, ehe ich zu Ulla ging, furchtbar aufgeregt war. Ich hatte nicht zu Mittag gegessen, nahm ein Auto und ließ darin drei Bücher liegen (Bibliotheksbücher!). Ich stolperte, als ich dem Portier am Eingang des Gartens Ullas Namen sagte. Der Himmel war kalt und grün. Lange rote Wolken zogen sich über den riesigen weißen Häuserkasten. Das Gras ist ärmlich in einem Spitalsgarten, die Bäume nackt und mager, auch ein bisschen krank —

Aber das macht gar nichts, wenn man nur einmal auf den Korridoren ist, auf den herrlichen weißen sanften Korridoren. Was immer geschieht, es kommt ein weißes Mädchen mit einem Eimer voll Desinfektionsmittel und wäscht alles weg. Die Aufzüge funktionieren tadellos. Durch eine Glastür sieht man hinein in einen Saal voll bleicher Frauen in stillen weißen Betten. Oh nein, sie brauchen sich nicht aufzuregen, alles geht gut und alles ist in Ordnung, in jedem Saal ist eine große weiße Uhr, und alles kommt nach dieser Uhr, das Essen, das Fieber, die Schmerzen, der Tod und manchesmal auch der Primarius.

Ich habe ihn gesehen. Es war ein Zufall. Ich fand nicht gleich in Ullas Zimmer, die Korridore sind ja so lang, sehen einer aus wie der andere, und da kam er mir plötzlich entgegen.

Ein Gesicht hat er eigentlich nicht, aber einen weißen Mantel und sanfte farblose Augen. Eine blasse Glatze und farblose knochige Hände. Die andern Ärzte kamen erst ein Stück hinter ihm. Denn er hinkt. Ja, er hinkt.

Eine Schwester zog mich zur Seite, ich stand wie angewurzelt, noch drei Schritte, und er wäre in mich hineingetreten. Wie ich dann in Ullas Zimmer kam, weiß ich nicht mehr.

Ulla saß vor einem blendend rein gedeckten Tisch und trank Tee, leeren Tee, Tee ohne Zucker. Daneben stand ein Teller mit Äpfeln. An den Wänden keine Bilder, an den Fenstern keine Gardinen. Nur auf dem Toilettetisch funkelten üppige Fläschchen. Und Ulla trug natürlich auch den weißen Mantel.

Sie reichte mir die Hand: — Was fehlt Dir?

Ja, was fehlte mir? Ich sank auf ihre mit glattem gelblichen Leinen bespannte Chaiselongue und sie fühlte mir den Puls und gab mir ein paar Tropfen in einem Glas Wasser.

Natürlich konnte ich jetzt nichts von Grete sagen und von der ganzen albernen Geschichte mit Axel.

— Hast du das oft? — Beinahe jeden Tag. Und am schlimmsten wird es immer, wenn ich Fleischsuppe rieche. Dann halte ich es beinahe nicht aus.

Ulla runzelte die Stirn und sagte sachlich wie ein Buch: — Fürchtest du, dass du ein Kind bekommst?

Das Mädchen G. E.! Weshalb hatte ich nur dasselbe gesagt wie das Mädchen G. E.? Und Ulla sprach weiter mit jener sanften Ruhe, mit der man eben zu einem Fall spricht. Ich tat, als hörte ich zu, aber ich dachte an das schwarze Ledersofa im Operationszimmer, sie drehte die schirmlose Birne an, ich schloss die Augen, geblendet, und auf ihrem Bett lag eine sandfarbene Daunendecke.

Wo war Hermann, der Freund, der Genosse? Ein brauner Scheitel, Oliven, beizend salzige, schmelzend ölige Oliven. Er hatte eine scheue und abweisende Art, einem die Hand zu geben, aber wenn man diese Hand nahm, war man geehrt und gehoben.

Nun ging der Primarius wohl wieder zurück durch den Korridor. Er hinkte.

Ulla gab mir dann noch ein Pulver. War das die Ursache, dass ich so müde wurde und beruhigt, dass ich abends nichts zu schreiben wusste und schon halb zehn im Bett lag und Zeitung las?

Und alles wäre gut und in Ordnung und ich würde mich überhaupt nicht mehr um Grete kümmern. Was geht es mich an, ob sie Schwierigkeiten hat beim Abstillen, ob Axel sie genug liebt, ob die Küche mit den blauen Streifen in Ordnung ist, sie hat ihr Kind —

Übrigens sonderbar, dass Ulla mich gleich so was fragte. Und so was ist ja schließlich nie unmöglich. Man denkt nur nicht daran.

Das Mädchen G. E. Oh Gott!

Ja, was wollte ich nur sagen, alles wäre in Ordnung, wenn Axel nicht plötzlich bei mir erschienen wäre. Er sah sich um, sagte: — Hübsch hast du’s hier (als ob schon je jemand mein Zimmer hübsch gefunden hätte) und später küsste er mir die Hand, sehr vorsichtig, nur die Fingerspitzen, und ich hielt sie ihm hin wie eine Frau, die an ganz einen andern denkt. Und deshalb wird er wiederkommen.

Ulla, die könnte sich nie auch nur das Geringste aus dem Herrn Zaunegger machen. Im Gegenteil, sie würde die Brauen in die Höhe ziehen, wenn er bäte, mit ihr in ein Kaffeehaus gehen zu dürfen. Sie zieht nämlich manchmal die Brauen in die Höhe, wenn ihr was nicht passt, das ist schlimmer, als wenn jemand anderer eine Grobheit sagt. Und dann noch die Eiswasserblicke! Also unmöglich!

Dieser Zaunegger ist aber auch wirklich ein unmöglicher Mensch. Sicher hat er zu viele weiße Blutkörperchen und eine schlechte innere Sekretion. Dazu einen Schnurrbart wie eine kaputte Kinderzahnbürste.

Und wenn am Schreibtisch neben mir das Fräulein Marschall nicht wäre mit ihren fragenden Kugelaugen, wenn sie ihm nicht jeden Morgen, ehe er kommt, seine Bleistifte spitzen und ihm um zehn Uhr von ihrem Thermophortee anbieten wollte, dann wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass eine Frau auf der Welt ihn gerne haben könnte. Sie aber liebt ihn. Sie lauert ihm auf. Sie hat einen Plüschmantel, der soll aussehen wie Pelz. Und gestrickte Handschuhe. Sie will ihn heiraten.

Nein, einen Mann wie den Herrn Zaunegger nimmt man nicht zu seinem Vergnügen. Das Fräulein Marschall will ihn auch nur haben, weil so ein dummes altes Mädchen überhaupt nicht weiß, was ein Mann ist.

Ich war übrigens sein erstes anständiges Verhältnis. Sonst waren es nur —

Dieses Schwein hat einen Ausdruck gebraucht, mit dem ich mir nicht das Papier verdrecken werde. Natürlich, der Herr Oberbibliothekar kann sich ja Frauen kaufen, Frauen an allen Straßenecken —

Fehlt nur noch, dass wir uns Männer kaufen. Pfui Teufel!

Axel hat ein Auto. Eigentlich braucht er es schon längst, er wohnt so weit vom physikalischen Institut, aber er ist sparsam, Gott weiß, warum er so lange damit gewartet hat.

Und das Chauffieren steht ihm gut, verdammt gut. Er trägt jetzt eine Lederjacke, die glücklicherweise nicht ganz neu aussieht, und immer nur weiche Hemdkragen. Heute holte er mich von zuhause mit dem Wagen ab. Er roch ein klein wenig nach Benzin. Wenn ich mich nur nicht in ihn verliebe! Er hat Hände wie ein Monteur.

Wenn ich gut nachrechne, kann ich mir vielleicht einen Pelz auf Abzahlung kaufen, einen hellgrauen, der am ganzen Leib streichelt.

So, jetzt kommt Anette plötzlich hereingeschneit. Sie war in St. Moritz und hat ein Engagement im Chat Noir, wir müssen alle hinein, wenn sie Premiere hat. Grete, Ulla, Axel natürlich auch. Ihre Mutter brachte mir gestern das Billet.

Eigentlich glaube ich gar nicht, dass Anette immer an der Riviera ist, in St. Moritz oder andern mondänen Gegenden. Nein. Alles, was sie trägt ist zwar neu, glatt und glänzend, aber es sieht aus, als wäre es in St. Pölten gekauft. Dort vielleicht im feinsten Geschäft. Sie trägt Waschseidenstrümpfe.

Als sie gestern plötzlich in der Bibliothek bei mir auftauchte, wurde der Herr Zaunegger geradezu wütend. Am liebsten hätte er sie rausgeschmissen, obgleich er abends, wenn die Lichter brennen, im Stande ist, ihr sechs Straßen nachzulaufen. Aber immer nur Nebenstraßen lang, die nicht allzu gut beleuchtet sind.

Ihre Lieder sollen ungeheuer ordinär sein. Schickt sich eigentlich nicht für Grete, zu so was zu gehen.

Axel denkt doch nicht, dass ich die Absicht habe, die Geschichte mit ihm jetzt fortzusetzen. Da irrt er sich. Damals war es gewissermaßen eine — eine Notwendigkeit. Ich konnte nichts dafür, er war verhungert und ich habe ihn Grete bestimmt nicht abspenstig gemacht. Alle Mensehen meinen, dass die beiden eine vorbildliche Ehe führen. Und wenn ich sie zusammen — sehe, glaube ich es selbst. Aber ich erinnere mich an seltsames Erschlaffen in wilden Augenblicken, an dumpfe Angst vor seinen nackten Lippen, an eine Hingabe, die nichts war als Verrat.

Ich habe den ganzen Sommer lang mit Axel sehr gerne Tee getrunken.

Nein, nein, nein, ich werde nie mehr mit ihm Auto fahren. Denn das ist der Moment, in dem ich mich in ihn verlieben könnte, verschießen, verknallen.

Da sitzt er breit und sicher und sprungbereit, die Pfeife im Mund mit lächerlichen Lederhandschuhen, ein Ruck, und wir fahren in einen Graben, in ein paar Pferde, in ein kinderwimmelndes Haus. Aber er hat weiter die Pfeife im Mund, spuckt manchmal zum Wagen hinaus, sogar das steht ihm.

Dabei sind die Tage jetzt unnatürlich warm, brühende Oktobernebel von der Sonne zerrissen, plötzlich leuchten ein paar rote Blätter, brennende Straßen und nackter brauner Ackerboden.

Ich war sehr aufgeregt, ging heute um eine halbe Stunde zu früh von der Bibliothek nachhause, weil ich wusste, dass er kommen musste — der Pelz nämlich. Als er endlich, endlich gekommen war, drehte ich alle Lampen an, weiches lockendes Licht — ich habe das Zimmer doch noch rasch streichen lassen und eine neue Deckenbeleuchtung gibt es auch.

Oh — Grete würde mich nicht wiedererkennen. Mein Haar liegt auch so glatt, so selbstverständlich. Ich sah mich in der Fensterscheibe, weil der Spiegel zu klein war.

Wahrhaftig, ich bin groß in diesem Pelz, gestreckt und hochmütig, die Hände stecken in den tiefen Taschen, die Ellbogen stehen ein bisschen vor.

Nur schade, dass ich mich nicht lange so betrachten kann. Denn aus meinen Blicken — sie verschwimmen in der dunklen Scheibe — strömt es kalt und eisig auf mich zurück.

Ich schreibe im Pelz. Ich lege das Gesicht in seine graue Wärme. Ich gefalle mir, aber ich habe mich nicht lieb.

Dabei fällt mir ein, dass Ulla sich in der Schule schon nichts so sehr gewünscht hat, als einen Pelz. — Nicht, weil es fein ist, pflegte sie zu sagen, aber dürfen nur die Bourgeois nicht frieren!

Ulla friert leicht trotz aller Abhärtung. Sie hat eine so blasse kalte Haut, wird nie braun, auch nicht im Sommer. Vielleicht weil das Ordinationszimmer mit dem Ledersofa das ganze Jahr keinen Sonnenstrahl gekannt hat. Das war nicht Abhärtung, das war Mord. Und Ulla wird sich in diesem Leben nicht mehr erwärmen.

Durch ihr Zimmer im Spital zieht sich eine Dampfheizung. Dieselbe Heizung geht natürlich auch durch das Zimmer des Primarius. Dieselbe Wärme umspielt des Morgens seine und ihre Glieder. Sonst aber sehen sie sich nicht oft, manchmal fragt er sie etwas an einem Krankenbett, er ist sehr zurückhaltend und sehr höflich, besonders mit dem weiblichen Personal.

Gestern sah ich ihn wieder auf dem Korridor. Ich komme jetzt öfters zu Ulla und weiß, wie ich es einteilen muss, um ihm zu begegnen. Er hat so schmale, farblose Lippen, aber sein Mund muss doch eine Farbe haben. Ich möchte ihn gerne lächeln sehen.

Wenn ich krank wäre — aber ach, in diesem Spital hat man so scheußliche Krankheiten, und doch, wenn ich krank wäre, in so einem Saal läge, in einem weißen Bett mit schwarzer Tafel drüber, und er käme, dann müsste er nämlich kommen, auch zu mir, und ich würde dann irgend was Unsinniges sagen, irgend was wie Anette, wenn sie Doktor Alexander zum Lachen brachte —

Aber nein, das geht nicht, mir fiele bestimmt nichts ein. Wollte ich ernstlich zu ihm gelangen, ich müsste Ärztin werden, Medizin studieren.

Ulla war schon als kleines Mädchen fest entschlossen gewesen, Medizin zu studieren. Ihr Kinderbett roch ja nach Jodoform. Und doch gab es eine Zeit, wo sie alles, alles wollte, nur nicht das — die Zeit nach der großen Schande.

Ich erinnere mich genau, die ganze Stadt sprach davon, das Bild von Ullas Vater kam in die Zeitungen und es stand auch was von einer jungen Tochter..... Medizinerin......  vielleicht dabei gewesen...... 

Es war natürlich das Mädchen G. E. Nicht dasselbe, das ich im Nebenzimmer auf den Matratzen belauscht hatte, ach Unsinn, damals waren wir doch noch in der Schule und Ulla hatte die Zeitung im geographischen Atlas —

Es war eben ein anderes Mädchen G. E., das nicht geschwiegen hatte, sondern alles auf dem Totenbett verraten. Ullas Vater kam in den Kerker. Eine Zeitung schrieb von der »unbegreiflichen moralischen Verkommenheit eines alten Arztes.«

Ich habe Ulla damals nicht gesehen. Ich hatte gerade eine Blinddarmoperation überstanden, lag auf der Klinik, wir waren im dritten Semester —

Ja richtig, ich studierte Geschichte und Germanistik, und Papa war schon nicht mehr der Alte, krank und in Pension. Wir zogen in eine einfachere Wohnung, Mama sagte, ich müsse auch ans Verdienen denken, sie trug damals schon nicht mehr nur Waschlederhandschuhe und wir hatten bloß ein Mädchen und beim Abendessen brannte bloß eine Birne über dem Tisch und ich war krank, wie gesagt, eitrige Blinddarmentzündung, konnte nicht zu Ulla gehen —

Obwohl ich wusste, dass sie jetzt mit knirschenden Zähnen im Zimmer hin und her lief, in dem Operationszimmer, in dem nichts mehr stand als das Ledersofa und der gewisse Stuhl, alles andere hatten die Kerle vom Gericht ausgeräumt. Es gab nichts mehr im Hause, kein Stück Papier, das sie nicht durchgeschnüffelt hatten, sogar die Briefe Hermanns aus Amerika. Die lagen jetzt wohl auch bei dem »Material«, den Büchern und Rechnungen, aus denen alles hervorging, sogar die alte Geschichte mit dem Mädchen G. E.

Ulla lief im Zimmer auf und ab. Sie trug einen von den gelben Mänteln des Vaters, ein paar Blutspritzer waren darauf, vielleicht war das auch »Material« — einundvierzig Fälle, hieß es bei Gericht. Einundvierzig, oh, waren wohl viel mehr. Wenn diese einundvierzig jetzt im Zimmer wären, nur diese einundvierzig, verhungert, verkrüppelt, mit eiternden Löchern unter Kinn und Wangen, mit gierigen Augen, gierigen mageren Händchen — dann brauchte der Vater nicht in den Kerker zu kommen.

Es war nicht schön gewesen, nein, nein. Und es war auch nicht schön gewesen, als Ulla eines Nachts von dem Ledersofa auf musste und zu einem der Brüder ins Bett kriechen, weil eine halb verblutete Frau auf ihr Lager kam. Zwei Tage und zwei Nächte blieb diese Frau. Als sie wegging, drückte sie dem Vater weinend und dankend einen schmutzigen Geldschein in die Hand. Es war nicht viel. Und es war nicht schön, dass er es nahm. Es war überhaupt nicht schön, dass er schmutzige Geldscheine nahm. Schön war das alles nicht. Schönheit ist Luxus. Aber gut sein, ein bisschen gut, sogar wenn man dafür ein bisschen schmutziges Geld bekommt, das können sogar die Armen.

Ach, es war eine hässliche Kindheit gewesen. Niemals hatte der Vater, dieser stille und gütige Vater mit dem sanften Rabbinerbart ein hässliches Wort gesagt. Aber trotzdem war es hässlich gewesen — der rote Plüsch, die Fliegenden Blätter, die verschreckten Frauen. Deshalb hatte Ulla immer turnen müssen, schwimmen und zu lichten Höhen klettern. Deshalb wollte sie einmal in einer freundlichen und sonnigen Villa ein Ordinationszimmer haben, ein Zimmer, in dem nichts Verbotenes geschah. Das war eine Feigheit, aber es durfte nicht mehr sein, man konnte doch nicht noch ein Leben lang Tag für Tag mit Todesangst die Zeitung aufschlagen — Sie wollte auch kein Geld nehmen von den Patientinnen, sondern Rechnungen schicken auf bedruckten Formularen, oder auch nur eine schnelle ablehnende Handbewegung machen — das wäre schön, jawohl schön, aber das war nun für immer vorbei.

Der Vater wanderte in den Kerker, der älteste Bruder fuhr zu Hermann nach Amerika. Und Ulla sollte mit. Nein, das ging nicht. Wer sollte denn da sein, wenn der Vater zurückkam. Die beiden andern Brüder waren so unzuverlässig. Der eine reiste mit Strümpfen, der andere mit Galanteriewaren. Und es war kein Geld mehr im Haus.

Nein, Axel kennt diese ganze Geschichte nicht und ich werde mich hüten, auch bloß eine Andeutung zu machen. Er hört nicht gerne Trauriges und vor allem, was mit dem Gesetz zusammenhängt, hat er einen verteufelten Respekt. Er ist der Sohn eines Oberlehrers in einer deutschen Industriestadt, seine Mutter soll aus Dänemark gewesen sein oder auch aus Norwegen. Deshalb ist er auch so sparsam, dort oben sind sie alle so. Und Axel kann es nicht vertragen, wenn im Leben einer Frau nicht alles stimmt und alles klappt, das ist ihm so widerwärtig, wie ein schlecht gedeckter Tisch. Da steht er einfach auf und geht weg.

Bei Ulla hat es gar nicht geklappt, von allem Anfang an nicht. Und wüsste er erst von dem entsetzlichen Winter in Berlin, der auf die große Schande folgte, er würde nicht einmal mehr neben ihr sitzen wollen.

Aber mein Pelz ist schön. Nimmt sich fabelhaft aus in seinem Auto. Ich rieche so gerne seine Lederjacke. Sie riecht nicht nur nach Leder, auch nach Wind, Regen und Pfeifentabak. Er war übrigens von meinem Pelz begeistert.

Halt, das ist zu dumm. Ich kann nicht schlafen, muss nochmals aufstehen, mir ist, als hätte ich was vergessen. Was steht da nur von Auto, Pelz und Lederjacke — Verdammt nochmal, wenn Grete das liest, Grete oder Anette, die glauben bestimmt, ich hätte den Pelz seinethalben gekauft. Und dabei ist mir schleierhaft, wie ich in diesem Monat die Zimmermiete zahlen soll.

Also, damit man sich nicht irrt: Ich habe den Pelz nicht Axel zuliebe gekauft. Aber ich fuhr heute dem Pelz zuliebe mit Axel, obwohl ich vorher fest entschlossen war, ihm abzusagen. Grete darf überhaupt nicht fahren, sie verträgt das Schütteln nicht. Ich fuhr dem Pelz zuliebe mit Axel, denn Axel passt zu dem Pelz, jawohl, er passt besser dazu als ein parfümiertes Veilchenbukett.

Wer lacht denn da? Oh Gott, nur nicht lachen, das geht nicht, es ist ja so ein ernstes Leben auf den weißen Korridoren und der Primarius schläft. Sein Mund ist furchtbar zusammengefaltet. Ich weiß etwas von diesem Mund. Das — werde ich — nicht aufschreiben.

Aber die Fremde war heute in der Bibliothek, lehnte in einer Fensterecke und sprach mit dem Herrn Zaunegger. Sie hatte müde, rotgeschminkte Lippen. Das Fräulein Marschall erdolchte sie mit ihren Kugelaugen.

Ulla spricht nicht mit einem Herrn Zaunegger.

Heute ging ich zu Anettes Mutter, mir die Haare waschen lassen. Ich wusste gar nicht, dass sie ihr Geschäft noch betreibt, den Salon hatte sie ja schon längst aufgegeben, aber als sie mir das Billet brachte, sagte sie die neue Adresse.

Ein kümmerliches Lokal in einem Vorstadthaus nahe der Bahn. Es riecht nicht mehr nach Brillantine, sondern nach Ruß und Knoblauch. Keine wasserstoffsuperoxydblonden Mädchen und keine dicken Herrn. Ganz leer ist das Geschäft. Höchstens, dass Samstag eine von den abgearbeiteten Frauen aus dem Haus kommt und ihr Kopftuch auf den einzigen zersplitterten Korbsessel legt.

Anettes Mutter hat auch ihren zinnoberroten Schopf nicht mehr. Ihr Haar spielt viele Farben, braun, grün und violett. Und von dem falschen Gebiss fehlt die obere Hälfte.

Von der Selbstständigkeit aber spricht sie noch immer. Anette — ein unmöglicher Beruf, blödsinniges Zeug singen und dann mit grässlichen Männern Champagner trinken, oder gar nur Rotwein. Nein danke! Aber wenn man selbstständig ist, so wie ich zum Beispiel, Respekt genießt bei allen Menschen, Hochachtung sogar und dazu freie Kost und Quartier im Spital —

Wahrhaftig, sie verwechselte mich mit Ulla. Eigentlich hätte ich ihr sagen können, dass ich in keinem Spital arbeite, sondern in der Bibliothek, aber so groß ist der Unterschied denn doch nicht. Es ist auch nicht so weit, wie sie meint, von der Bibliothek zum Kabarett. Der Primarius, der Herr Zaunegger und die ... Wir leben ja doch alle von den Männern, jede auf ihre Art. Nur dass Anette sich am wenigsten graust. Sie greift zu. Schon als Kind. Ihre Finger waren Polypen, rote, unschuldige Polypen.

Es ist ein Unsinn, dass man nicht bereits in der Schule lernt, wie es mit Frauen steht. Das gehörte zum Geschichtsunterricht. Doktor Alexander sprach immer nur von Schlachten und Politik und geographischer Lage, manchmal auch ein bisschen von Kultur, aber niemals erklärte er uns, wie eine Frau zu leben hat, was sie tun muss, um — nun, um eben einen hohen Preis zu haben.

Grete war immer die Kostbarste von uns. Sie leistet, was man von ihr verlangt, stillt das Baby und macht mit der Köchin Speisezettel in der blauweißgestreiften Küche. Manchmal ist sie ein bisschen traurig, weil sie fürchtet, dass sie doch nicht den richtigen Preis bekommen hat —

Anette hatte schon als Kind nie Geld in der Tasche. Sie kaufte grässliche Bonbons, die sie immer gleich in der Klasse verteilte, und jetzt verschleudert sie ihre Zärtlichkeiten, ihre frechen Küsse.

Ulla aber — Ulla ist unverschämt. Sie will nicht gekauft werden. Sie geht herum und sucht sich die Männer, schöne, große, gesunde Männer, blödsinnig gesunde Männer — sie ist ganz ohne Scham.

Ich ertrage es nicht, dass Axel mich jetzt an das Vergangne erinnert. Ich will von den drei Monaten nichts hören. Ich will nichts wissen von dieser Zeit der regelmäßigen Liebkosungen.

Er glaubt, er kann mich verführen. Er soll es versuchen!

Ulla ist niemals verführt worden. Als sie zu Hermann in seine Studentenbude ging, war sie entschlossen, einen quälenden Zustand und eine lästige Neugier los zu werden. Als sie im ersten Jahr Medizin mit einem jungen Kollegen zusammen lebte, bestimmte sie die Sonntagsausflüge und die Farbe seiner Krawatte. Und als sie dann einmal nachts auf der Straße stand, auf einer nassen und glitschigen Straße, verhungert, verbittert, zu allem entschlossen, wie blutgierige Ungeheuer rutschten die Automobile an ihr vorbei, da — Nein, Axel darf die Geschichte niemals erfahren. Ulla würde es nicht einmal Hermann erzählen, wenn er aus Amerika käme, und wohl kaum dem Primarius, wenn er sie endlich, endlich einmal zu sich auf sein Zimmer kommen ließe, um mit ihr auch anders zu sprechen, als gehörte sie zum weiblichen Personal.

Es ist immer peinlich, wenn man eine Sache beginnt und nicht zu Ende führt. Immer blamabel, wenn man zu spät merkt, dass man etwas nicht kann, einfach nicht kann. Ich würde auch gar nicht davon schreiben, überhaupt bin ich müde und schläfrig. Morgen sollen wir zu Anette ins Kabarett, zu langweilig, das dauert sicher die halbe Nacht, also ich würde es weiter nicht erwähnen, aber Ulla, gerade Ulla ist immer so für Aussprechen und alles Beichten. Abreagieren nennt sie das. Vielleicht tut es ihr sogar gut, wenn es hier steht, schwarz auf weiß, auf dem Papier.

Sie ging also auf einer jener unendlich gleichmäßigen Berliner Straßen, in denen die Bäume wie Grenadiere stehen und alle Schilder von einer abwehrenden glatten Tüchtigkeit sind. Vier Wochen nach der großen Schande. Sie hatte sich so lange durchgehungert, aber heute hatte die Hausfrau sie vor die Tür gesetzt —

Ulla besaß nur mehr einen Mantel, einen alten Sommermantel, dunkelbraun gefärbt, das Kleid darunter war mit einem Mal zerfallen, es öffnete sich in allen Falten wie mit unzähligen klaffenden Fischmäulern. Die Leute, die sie um Arbeit anging, hielten es kaum für der Mühe wert, zu antworten, sahen immer nur auf den Mantel, ein kurzer Blick und alles war erledigt.

So kam es, dass sie nachts auf der Straße stand. Ihr Magen war ein vertrocknetes Loch. Man kann auch sterben in solch einem Zustand, aber Ulla wollte nicht sterben. Da hatten sie erst den Vater eingesperrt, die Wohnung ausgeräumt, jeden Fetzen Papier durchstöbert. Sollte sie der Bande auch noch den Gefallen tun, an einem Eckstein zu verrecken, während sie mit ihren roten Autoaugen rutschten?

Da sagte einer: — Tag, Puppe! Das hatten schon mehrere gesagt. Dieser eine hatte viereckige Schultern und sie ging mit ihm. Er hängte sich in sie ein. Eine gelbe Stupsnase und neugierige Mäuschenzähne. — Erst essen, sagte Ulla.

— Bist du aber! Er schüttelte den Kopf missbilligend wie ein Oberlehrer. Musterte sie unter einer Laterne. Ging dann mit ihr in die nächste Bierstube.

Ulla aß ein Paar Würstchen und noch ein Paar Würstchen und etwas Salat und ein Brötchen und noch ein Brötchen. Er schüttelte immer weiter den Kopf. Keine Manieren. Sie sah ihn ja nicht mal an dabei.

Plötzlich legte er die Hand auf die ihre. Eine nasse Hand, der Daumenknöchel stand ab wie ein Haken. — Genug! Jetzt gehen wir.

Schweigend schlichen sie durch den Regen. Sie gefiel ihm gar nicht. Reingefallen war er. Aber die vielen Würstchen, der Salat, die Brötchen — Man zahlt doch so was schließlich nicht umsonst. Sie war ihm was schuldig.

Ja, Ulla war ihm was schuldig. Das wusste sie selbst. Aber was denn nur, was? Ihr Magen krampfte sich zusammen, zwickte wie mit öligen Zangen. Der Salat! Was will der Mensch denn nur. Sie ist ja zu allem bereit, aber sie hat, sie, die kluge Ulla hat etwas vergessen......... 

Es fiel ihr ein, als sie in einem Zimmer mit Stehuhr, violetter Blumentapete und bauchigen Ehebetten stand. Vor dem Nachtkästchen gestickte Pantoffeln, in einer Ecke hing ein grauer Baumwollschlafrock.

— Meine Frau ist verreist, sagte er und stand schon in Hosenträgern.

Ulla dachte: Ich habe doch schließlich zwei Semester seziert. Leichenteile sind auch nicht angenehm. Ekelhaft zum Anrühren. Stinken. Und er hat gezahlt. Zwei Paar Würstchen, Brötchen, Salat, und —

Da griff er nach ihr und da verlor sie den Verstand. Die herzförmige violette Glasampel über den Ehebetten ging in Scherben, Stühle krachten, Ulla kratzte und biss um sich wie rasend, schlug in ein geiles gedunsenes Gesicht, spürte die hackigen Daumenknochen, schlug hinein in die neugierigen Mausezähne, spuckte, spuckte — Er packte sie bei den Handgelenken. Die Stupsnase schnaubte. — Wirste wohl! Ich bring dir auf die Polizei..... Er zitterte, zitterte vor Wut und Angst. Im

Nebenzimmer wurden Stimmen laut. In der Ecke hing der Schlafrock der Frau. Mit einem Fußtritt setzte er sie vor die Tür. Sie saß hinter einem Fass im Hinterhof, bis am Morgen das Haustor geöffnet wurde.

Dann aber ging sie nicht gleich fort. Sie suchte im Treppenhaus die Tür von gestern Abend: Karl Kmunke, Oberrevident. Sie notierte sich die Adresse. Sie war ihm Geld schuldig. Würstchen, Brot und Salat und die zerbrochene Eheampel. Er bekam es auch.

Denn Ulla ist anständig, anständig bis in die Knochen. Sie schämt sich noch heute vor jenem Mann, weil sie ihn betrogen hat. Sie wird nie einen Mann betrügen, und wenn sie zwanzig auf einmal liebt. Aber lieben muss Ulla, und wenn es auch nur die Lederjacke ist, ein bisschen Benzingeruch, ein lustiges Bubenlachen. Kaufen lässt sie sich nicht.

Wenn ich durchlese, was ich heute geschrieben habe, so tut mir das wohl, unsagbar wohl. Eigentlich ist die Geschichte gar nicht so blamabel. Aus dem, was ich schrieb, geht klar hervor, dass Ulla in einer Art Hungerpsychose gehandelt hat. Und Männer sind ekelhaft, wenn sie nicht gerade zum Verlieben sind. Man kann sich in sie verhassen, wenn sie in Hosenträgern vor bauchigen Ehebetten stehen. Verhassen ist das richtige Wort. Und wenn der Herr Zaunegger mir noch einmal die Hand — er hat lange schlappende Finger, wie tote weiße Regenwürmer — wenn er mir diese Regenwürmer, während ich an meinem Schreibtisch arbeite, noch einmal plötzlich über den Nacken legt — also, ich hau ihm eine runter, und wenn ich auch aus der Bibliothek rausfliege. Dann gibt es eben keine Krankenkasse und keine Alterspension.

Sonderbar, mein Pelz, mein schöner neuer grauer Pelz riecht nach Leder. Verhassen oder verlieben. Das schrieb ich doch selbst. Ja, wer denn sonst? Ich bin also in Axel verliebt, rettungslos verliebt.

Heute Abend gehen wir zu Anette ins Kabarett.

Ich hätte nicht gehen sollen, hatte gleich eine Hemmung, als die Friseurin mir das Billet brachte. Aber schließlich sind wir doch mit Anette in die Schule gegangen. Anette? Was geht mich Anette an?

Eben als ich das Billet zerreißen, in den Papierkorb werfen wollte, kam Axel mit seinem Auto, mit seinem festen und gesunden Auto und holte mich ab. Grete saß in eine Ecke gelehnt, sehr blass, in einem schwarzen Pelz. Sie hat jetzt immer so eine misstrauische Art, mir die Hand zu geben. Wenn man zudrücken will, hat sie diese Hand schon wieder weggezogen.

Herrgott, wie langweilt mich diese Frau! Warum war ich gerade mit ihr schon seit den Kinderjahren befreundet. Da waren doch auch noch andere in der Klasse, Gerda Lange, Liselotte Meller........

Wir fuhren durch die lauen, rieselnden Gassen. Was ist das überhaupt für ein Winter. Ewig warm und dunstig. Man sehnt sich ordentlich nach kristallenem Schnee.

Axel muss sich wahnsinnig mit Grete langweilen. Immer krank, immer schonungsbedürftig, eigentlich ganz, als wäre sie unausgesetzt schwanger.

Meinethalben könnte er sich zu Tode langweilen mit Grete. Ich wollte ihn dabei nicht stören. Schließlich ist es seine Sache. Wenn aber Anette, Anette mit ihren bazillenspritzenden Chinesenaugen, ihren roten Polypenfingern —

Was geht das mich an? Wenn man in einen Mann verliebt ist, in seine blonde Gelenkigkeit, seine Automobilbewegungen, so muss man —

Nein, ich lasse es nicht zu. Ich lasse ihn mir nicht krank machen. Ich lasse nicht sein Blut, sein gesundes warmes Blut mit den regelmäßigen Pulsschlägen vergiften.

Als ich unlängst im Korridor auf den Primarius lauerte, kam ein Mädchen im Spitalskittel an mir vorbeigeschlüpft. Flachsblonde Haare hatte sie, ein breites Gesicht, etwas Schwarzes um den Mund — Ganz jung war sie, lächelte wie ein Kind. Vielleicht war es eine Tochter der Horky.

Anette, wenn sie singt, hat auch so was Schwarzes um den Mund. Ulla ist Ärztin, Ulla könnte genau alle Symptome einer solchen Krankheit der Reihe nach aufzählen. Ich kann es nicht, aber ich weiß —

Und zu alledem kommt, dass drei Tische hinter uns mit farblosem Scheitel und dem ergebenen Lächeln einer Nonne die Fremde saß.

Wie soll ich das aushalten, wie erklären? An einem Tisch mit gelbem Luftballon saßen also ich, ja ich, Axel, Grete, ich und Anette stand vor uns.

An den roten Wänden ringsum war ein grässliches kubistisches Gekleckse. Anettes Mutter saß ganz vorne mit einem wasserstoffsuperoxydblonden Mädchen.

Ich war gleich nach Anettes erstem wasserstoffsuperoxydblonden Schmachtfetzen so nervös, dass ich auf und davon eilte. Es war erstickend heiß. Axel ist nicht ganz zuhause im Smoking.

Dann kam ein krebsrotes Negerlied mit ordinären Bewegungen. Axel schmunzelte. Nun so wie Männer eben schmunzeln. Das machte mich rasend.

Dann aber kam das Chinesenlied. Anette als Chinesenkind, gelb, mit schiefen Augen, kranken gelben Fingern. Ich sah auf Axel. Er saß vorgebeugt wie bei hundert Kilometer Geschwindigkeit. Und Anette riss den Mund auf, um diesen Mund herum war etwas Schwarzes.......

Ich werde Axel warnen. Nein, das sollte Ulla tun. Ulla ist ja die Ärztin. Ich werde Axel bitten, anflehen, auf meinen Knien — Ich will ihn küssen auf die Augen, den kurzen geraden Nasenrücken entlang, in die Spitzbubenmundwinkel hinein.

Ach ja, ja immer dasselbe, ich weiß, schon drei Monate, den ganzen Sommer lang war ich seine Geliebte, vielleicht sogar seine Frau, aber ich halte es nicht aus vor lauter Ungeduld, vor meinen Augen rote Wellen, mir schwindelt —

Ich habe Axel noch niemals wirklich geküsst.

Nun ist alles in Ordnung, alles richtig und vernünftig geregelt. Ich friere ein wenig. Vielleicht ein beginnender Schnupfen. Vielleicht — Alles ist so sehr in Ordnung, dass es mir schon unheimlich ist. Und ich darf nicht vergessen, weshalb ich das alles schreibe. Es soll, um Gotteswillen, es soll ja meine Lebensgeschichte sein. Was wird daraus?

Im Spiegel ein gepflegtes Gesicht, Creme und Puder, die Lippen sorgfältig rot gezogen, das Zimmer leer und in der Bibliothek die Fremde.

Wo........... wo bin ich? Wo war ich heute Nachmittag? Was habe ich getan?

Ruhe, nur Ruhe! Mit Verstand und Logik muss man alles erklären können. Axel holte mich ab aus der Bibliothek. Das wäre gar nicht so sonderbar gewesen. Wenn ich nur nicht diese verrückte Angst gehabt hätte wegen Anette.

Natürlich war er wieder beim Friseur gewesen, weil er versäumt hatte, sich morgens zu rasieren. Ich hasse es, wenn Männer zum Friseur gehen. Und er roch nach einer abscheulichen Seife mit parfümiertem Ladenschwengelkölnerwasser obendrauf.

Das wäre wirklich nicht so auffällig gewesen, aber ich dachte an Anettes Mutter, an den einstigen Salon, dort hatte es immer schon so gerochen, ich sah den Kunstseidevorhang, Polypenblumen, und ich war entschlossen, ihn zu warnen.

So was kann nur ein Fachmann. Ulla also. Ich erfand irgend eine dumme Ausrede, was, ist ja gleichgültig, und so gingen wir zu Ulla. Ich wollte dann das Gespräch auf gewisse Krankheiten bringen, das war ja nicht so schwer, in diesem Spital, und so weiter.........

Ulla war nicht in ihrem Zimmer. Die Schwester sagte, sie assistiere bei einer Operation, es würde noch eine kleine halbe Stunde dauern.

Dann waren wir allein. Ich öffnete das Fenster. Die Luft über dem Spitalgarten war wie graue dicke Watte vor einer unendlich fernen verschlafenen Abendsonne. Weich und voll geheimen Schnees.

Ulla assistierte jetzt dem Primarius, gehorchte jeder seiner Bewegungen, jedem Blinzeln. Blitzende Instrumente, Äther, Chloroform. Ulla assistierte dem Primarius. Ich weiß nicht, wie es kam, aber auf einmal hatte ich den weißen Mantel an, der an der Tür hing, und auf einmal saß ich neben Axel. Auf einmal küsste ich ihn, küsste ihn mit großen wilden Lippen, küsste ihn zum ersten Mal.

Und dann beugte er sich vor. In seinen hellen kleinen zielsicheren Augen hundert — hundertzwanzig Kilometer Geschwindigkeit.

Und ich liebte ihn, liebte ihn mit den Fingerspitzen und mit den Zähnen, ich saugte mich in ihn, ich genoss seine Kräfte, seine Bubenkräfte — lenkte sie, streichelte sie.

Irgendwo war ich einmal in einer dunklen Studentenbude auf einem zerknitterten Bett gelegen, voll Wut und Wissen. Braune Oliven, salzig ölige Oliven.

Und dann Regatta, Segelregatta auf blauer See, wie die Raubtiere kriechen die Männer über die Boote, wenden sich, schmeißen sich — während ich gleich einem Pfeil schlank und weiß ins Wasser springe, schäumende Gischt, im vordersten Boot ist einer, der reißt das Segel herum.

Und im Nebenzimmer räuspert sich ein großer blonder Mensch, der zweite Assistenzarzt, Doktor N. N., der Kollege aus dem Nebenzimmer.

Dann aber stand ich plötzlich in der Tür, an dem Fenster lehnte erhitzt und verlegen die Fremde, eine Nonne, der man eben den Schleier abgerissen.

Ich wusste alles — ach Unsinn, wie sollte ich es auch nicht wissen?

Ulla gab uns Tee und belegte Brötchen. Sie selbst rührte nichts an. Und ich saß dabei, saß neben Axel und dachte an den Primarius, der durch die weißen Korridore hinkt. Ich möchte ihn einmal lächeln sehen.

Nun bin ich Axels Geliebte. Nein, ich bin nicht Axels Geliebte. Aber Axel ist mein Freund. Das ist ein großer Unterschied.

Und ich betrüge nicht Grete. Ich betrüge Ulla. Das ist auch ein Unterschied.

Ich bestehle sie sogar. Ich stehle ihr das Leben aus dem Leib. Ist das nicht Mord? Ich küsse Axel mit ihren Küssen. Ist das nicht schlimmer als Mord? —

Ich schwöre es, ich habe es nicht gewollt. Ich will es nicht. Ich habe Angst. Mit der Horky hat es angefangen. Dann kamen die andern. Grete. Ulla. Wann kommt Anette? Es wird immer schlimmer. Jemand schielt auf mich. Aus allen Spiegeln schielt es auf mich. Ich kann mich nicht mehr von vorne sehen.

Es ist Winter, kristallharter, schneidender Winter. Ich schlafe nachts bei offnen Fenstern. Wenn auch morgens die Schläfen schmerzen, was schadet das?

Ich arbeite sehr viel. In der Bibliothek wird man auf mich aufmerksam. Axel erzählt mir jedes Experiment, jeden Vortrag, den er halten will. Das alles klingt sehr tüchtig, er versteht sein Fach. Genial ist er nicht. Er kann wunderbar chauffieren. Er könnte nicht die kleinste Hebelvorrichtung selbst erfinden.

Ich glaube, ich fühle mich wohl. Wir sehen uns regelmäßig. Grete besuche ich gar nicht mehr. Es ist besser so. Mein Leben ist geordnet. Axel ist ein Requisit dieses Lebens.

Ulla verfolgt mich. Nein, das ist bestimmt keine Einbildung. Immer ist sie da. Oder sie telefoniert. Was will sie nur von mir? Sie stört mich. Sie hat so was Fragendes in ihren Blicken, die Eiswasseraugen sind wie aufgetaut. Ich habe ihr doch nichts getan? Wenn ich mit Axel von ihr spreche, so geschieht das immer nur mit dem größten Respekt. Die Sache von ihrem Vater erwähne ich nie. Axel ist ja in solchen Dingen so beschränkt. Er glaubt, alle Frauen leben wie Grete, bestellen sich die Hebamme einfach ins Haus. Bleiben sanft und unerreichbar, auch wenn ihnen der Druck und die Not des Lebens bis an den Hals steigt. Ich würde ihm nie was von den Berliner Tagen erzählen.

Die jämmerliche Geschichte von Herrn Kmunke und seinen Hosenträgern war lange nicht das Ärgste. Ulla war eben hungrig gewesen. Die Idee, sich von irgend einem Kmunke auf irgend einer Berliner Straße das Leben retten zu lassen, ist dann gar nicht so unnatürlich. Axel könnte man so was nicht auseinandersetzen. Er hat nie gehungert.

Der Primarius vielleicht. Der Primarius hat kantenscharfe farblose Lippen, öffnet sie kaum, wenn er spricht. Aber wenn ich ihn einmal lächeln sehen werde, Herrgott, dann werde ich wahnsinnig, denn —

Nein, das schreibe ich nicht, das schreibe ich nicht. Es gibt auch Dinge, die man nicht schreiben kann. Ich will es nicht wissen.

Da schreibe ich lieber von ganz was anderm. Meinethalben auch von Berlin. Die Sache mit dem Journalisten, mit Herrn — nein, nicht den Namen! Man muss sich doch nicht bis ins Letzte ausliefern. Jeder Mensch kennt diesen Namen. Oh, er ist ein berühmter Schriftsteller. Zwischen den gedruckten Zeitungszeilen riecht man grünlichen Schleim. Er ist sehr geschickt, hat viel Geld. Erpressungen.

Das Schlimmste ist: Es war nicht unbedingt notwendig, dass Ulla zu ihm ging. Sie hatte von Hermann aus Amerika Geld bekommen, Geld, mit dem sie achtzehn Tage lang leben konnte. Da geht man nicht zu Herrn — sagen wir zu Herrn X.Y.

Ulla hatte von ihrem Vater einen Brief an diesen Herrn, denn er war mit dem Vater in die Schule gegangen. Vielleicht gab es bei ihm eine Arbeit. Stenographie und Schreibmaschine in der Redaktion. Vielleicht konnte sie sogar seine Sekretärin werden.

Sekretärin des Herrn X.Y.! Nein, das könnte man nicht einmal dem Primarius erzählen. Dann noch viel eher eine Nacht lang für Oberrevident Kmunke die »Puppe« sein. Denn was sind Herrn Kmunkes bauchige Ehebetten gegen das Gift einer bestochenen Presse. Um es gleich zu sagen: Ulla hat auch diesmal versagt. Aber die Schande ist, die Schande bleibt, dass sie auch hier einen Versuch machte.

Schuld daran war vor allem die Stadtbahn und Otto Webers Trauermagazin. Ulla fuhr beinahe täglich mit der Stadtbahn in eine Arbeitsvermittlungstelle. Dreiviertel Stunden fuhr sie durch die Hölle verrußter Hinterhäuser mit winzigen Balkönchen, Gardinen, jawohl Gardinen vor den Fenstern. Durcheinander stehen diese Häuser, wie weggespien von einem boshaften Korso. Manchmal brennt noch eine trauliche Lampe über einem Lehnstuhl mit greisenhaftem Gespenst, Frauen in Nachtjacken stehen am Fenster, nein, sie stürzen sich nicht auf die Geleise, sie richten sich das Haar vor den trüben Scheiben, Kinderwäsche —

Oh, es ist unerträglich! Aber man braucht den Blick nur abzuwenden und man sieht riesengroß und schwarz die Plakate von Otto Webers Trauermagazin, billig, billig, zu Dutzenden, zu Hunderten wird dort die Trauer hergestellt. Man braucht nur die trauliche Lampe zu löschen, die Gardinen zurückzureißen und ohne Blick in die trüben Scheiben —

Die Angehörigen bekommen, was sie brauchen, in Otto Webers Trauermagazin.

Nach so einer Fahrt ging Ulla, die den Brief des Vaters seit Wochen in der Tasche trug, plötzlich und ohne nachzudenken zu Herrn Chefredakteur X.Y. Sie trug den alten gefärbten Sommermantel. Was schadete das? Er war doch einmal mit Vater in die Schule gegangen. Zwei arme Judenjungen in einer polnischen Kleinstadt.

»Aufgang nur für Herrschaften«. Die Portiersfrau warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Na, eine »Herrschaft« war Ulla wirklich nicht.

Dazu kam, dass sie in der Menstruation war. Da bekommt ihre Porzellanhaut immer einen leicht vertrockneten Ton. Es war kalt. Sie hatte Krämpfe.

Misstrauen des Stubenmädchens. Warme Teppiche. Der Brief wird dem Herrn überbracht. Warten in einem erstickend weichen, erstickend reichen Raum, Seidenkissen. Wände voll Büchern.

Dann saß Ulla vor einem Menschen — ich weiß nicht mehr, ob er graue Augen hatte oder blaue, eine lange oder eine kurze Nase, ob er groß oder klein war, vielleicht trug er auch einen samtenen Hausrock. Aber seine beiden Lippen waren Reptile, nackte, glatte, schlängelnde Reptile.

Ulla konnte nicht sprechen. Sie roch auf einmal wieder grünen Schleim zwischen Zeitungszeilen. Ihr wurde übel.

Und Herr X.Y. musterte sie. Nein, nicht mit den Augen, sondern mit den Lippen. Und die Reptile sagten: — Warum sehen Sie so schlecht aus? Eine Frau darf niemals schlecht aussehen.

Und die Reptile schlängelten sich über den gefärbten Sommermantel, krochen durch die klaffenden Fischmäuler des verschlissenen Kleides. Das Hemd, das Hemd, sie hatte seit fünf Tagen nicht das Hemd gewechselt, Ulla, die beste Turnerin, die beste Schwimmerin der ganzen Klasse.

Ach, Herr Oberrevident Kmunke hatte sie wenigstens noch auf Würstchen, Brötchen und Salat eingeschätzt, aber dieser, dieser Herr X.Y. hielt ihren Wert sofort für gleich null. Sie war gekommen, um Arbeit zu suchen. Eine Frau darf nicht schlecht aussehen.

Was dann gesprochen wurde, weiß ich nicht. Sie saß ganz still vor ihm, antwortete kaum. Sie sehnte sich nach einer langen, unendlich langen Injektionsnadel. Mit Reptilen kämpft man nicht. Reptile vertilgt man.

Aber lieber, tausendmal lieber stürzt man sich aus einem Gardinenfenster vor die Stadtbahn, einer Lokomotive, einem gähnenden Otto Webers Trauermagazin in den Rachen, als dass man Hilfe sucht bei einem — nun eben bei einem Herrn X.Y.

Ulla schrieb mir kurz darauf einen verzweifelten Brief. Und was tat ich — ich ging ganz einfach zum Herrn von und pumpte ihn an. Er war so erstaunt, dass er mir sogar eine ganz anständige Summe gab. Ach was, wenn man zum Herrn Chefredakteur X.Y. gehen kann, um ihn um eine Arbeit zu bitten, so kann man auch zum Herrn von gehen und Geld von ihm verlangen. Schließlich war ich ja seine Schwägerin. Wir saßen einander an einem Kartentisch gegenüber und da erzählte ich was von Spielschulden. Ich glaube fast, das imponierte ihm.

Bea spielte damals rasend viel Bridge und Poker. Warum sollte nicht auch ich einmal Geld verloren haben?

Übrigens ging es uns gerade elendig. Papa war eben gestorben, Mama zog zu Bea. Ich konnte nur mit viel Stundengeben weiter studieren und suchte mir das Mietzimmer im vierten Stock, das ich jetzt noch bewohne, nur dass statt der Tapetenblüten mit Alpenwäldern und Wildbachbrücken seit Kurzem eine glatte sandgelbe Mauer ist. Es war eine graue Zeit. Als ich eines Sonntags Mama besuchte, hatte sie einen Brief von Onkel Max. Aus Liverpool. Ohne Datum.

Es waren nur ein paar Worte. Oh Papa! Papa hatte dieselben Schultern gehabt wie Onkel Max, dieselben vorsichtigen und eckigen Ellbogenbewegungen. Papa! Sie hatten ihn eingegraben. Und Bea hatte Kinder vom Herrn von. Der Älteste war nicht ganz richtig im Kopf. Papa hatte so viele Sorgen gehabt in den letzten Jahren. Und Mama war alt geworden, weißes Haar —

Ich fiel ihr um den Hals und weinte. Ich weinte um sie und Papa, um Bea und ihre Kinder, um den salzig strahlenden Nordseenachmittag, an dem Onkel Max auf einem Schiff verschwunden war. Ich weinte vielleicht auch um mich.

Seit damals hatte ich kein einziges Mal mehr geweint.

Heute aber schossen mir die Tränen in die Augen, heiß und verzweifelt. Ich konnte nicht sehen, stützte mich auf die weiße Heizung auf dem weißen Korridor — Das weiße Mädchen mit dem Desinfektionseimer ist inzwischen sicher schon gekommen, hat meine Tränen fortgewischt.

Es ist ja alles so gleichgültig in so einem Krankenhaus. Aber Axel soll heute nicht zu mir kommen, nur heute nicht, ich kann es nicht aushalten, wenn er mit seinen festen verrauchten Zähnen lacht.

Nur heute nicht!

Also gut, er kommt nicht. Er war etwas erstaunt über die Absage. Aber was ist das? Mir rinnen ja schon wieder die Tränen. Da ist nichts zu machen, es lässt sich nicht mehr verheimlichen: Ich habe ihn lächeln gesehen.

Ich kam durch den Korridor, trübes Schneelicht hinter trüben Fenstern, und da stand er und sprach mit einer Kranken. Ein ganz junges Ding, vierzehn Jahre vielleicht, dunkel in ihrem gestreiften Spitalskittel, geschlitzte Augen. Anette? Nein, nicht Anette. Vielleicht ihre Schwester? Anette hat keine Schwester.

Und er lächelte! Lebendige Falten über die Wangen, die Augen voll süßem gütigen Glanz, die farblosen Lippen bewegt auseinandergezogen, aber dazwischen — tote Zähne, große, dumpfe, tote Zähne. Ein falsches Gebiss.

Ich hasste seine Mutter. Sie hat ihn als Kind von einem hohen Tisch fallen lassen. Als er in die Schule ging, hatte er nicht genug Frühstücksbrot bei sich. Er hat gehungert. Niemand hat sich um ihn gekümmert. Er war schon mit zehn Jahren zerstört.

Oh, ich möchte zu ihm eindringen, in sein eigenes Zimmer, wo sein Bett steht, seine Strümpfe aufbewahrt werden. Ich möchte ihn streicheln.

Ich möchte zärtlich sein mit ihm, unbegrenzt zärtlich. Ich bin noch nie mit jemandem zärtlich gewesen.

Aber ich kann nicht zu ihm hinein. Ich gehöre zum weiblichen Personal.

Zum weiblichen Personal — was das wieder heißen soll! Ja, zum weiblichen Personal des Herrn Zaunegger. Der bekommt übrigens langsam eine Wut auf mich. Dafür wird das Fräulein Marschall sehr freundlich. Heute hat sie mir von ihrem Thermophortee angeboten. Als ich nur die Flasche sah, wurde mir übel.

Mir ist jetzt überhaupt oft übel. Und Axel kommt so oft. Heute roch er wieder nach dem gewissen Ladenschwengelkölnerwasser. Der Primarius benützt überhaupt kein Kölnerwasser. Nur blasse und geruchlose Seife.

— Was hast Du denn? sagte er. Ich war gar nicht lieb mit ihm. Mit Axel nämlich. Eigentlich braucht er mich nicht. Grete kümmert sich darum, dass seine Strümpfe gestopft werden. Besorgt ihm neue.

Sein Auto ist in Reparatur. Als ich unlängst neben ihm lag, er atmete so gut, so tief, so gesättigt, und ich lag lange ausgestreckt, beinahe groß auf dem Rücken — am liebsten wäre ich in ihn hineingekrochen, unter seinen Arm. Klein geworden, ein kleines Mädchen. Es ist so schwer, eine Frau zu sein. Und noch dazu eine kluge Frau.

Ach was, ich bin gar nicht klug, ich bin eine Gans. Und wenn das so weitergeht, so hat mich der Herr Zaunegger bis zum Sommer aus der Bibliothek hinausintrigiert. Das kann er nämlich.

Außerdem fühle ich mich elend. Wie zugenagelt. Ewige Üblichkeiten. Gestern erst musste ich wieder von der Bibliothek nachhause gehen. Am liebsten bin ich zuhause und allein. Wenn nur Ulla nicht wäre! Da steht sie heute Abend plötzlich in der Tür und bringt mir Mandarinen. Woher weiß sie denn, dass ich so versessen bin auf Mandarinen?

Und ich weiß, es kommt der Tag, da sieht sie mich an mit ihren Eiswasseraugen und sagt —

Nein, nein, nein, ich will es nicht hören! Ich, ich bin schließlich immer noch und trotz des Herrn Zaunegger die Bibliothekarin mit Alterspension. Ich lebe selbstständig, ich weiß, was ich will, was ich tun werde. Ich bin doch nicht das Mädchen G. E.

Ulla, die wüsste, was zu tun ist. Sie hat es ja sozusagen von frühester Jugend an gelernt. Pfui, das zu schreiben ist eine Gemeinheit. Aber Ulla war selbst immer mit sich gemein. Als sie ihren ersten Kopfsprung machte, wurde ihr totenübel, aber sie sprang gleich darauf wieder in das Schwimmbassin. Die andern klatschten in die Hände, schrien bravo, niemand hatte auch nur das Geringste bemerkt. Und es war keine Kleinigkeit, arm und erfolglos aus Berlin zurückzukehren, um doch noch und trotz aller Schande Medizin zu studieren. Ulla hat es durchgesetzt. Sie hat sich nie geschont.

Sie würde sich auch jetzt nicht schonen. Würde nicht einen Tag ihren Dienst versäumen. Niemand hätte eine Ahnung, wie elend ihr ist. Nicht einmal der Primarius.

Herrgott, dass doch alles so kommen muss, wie man es schon seit jeher weiß! An dem Tag, an dem die Zeitung mit der Geschichte von dem Mädchen G. E. im Atlas steckte, mitten in der Karte von England oder Brasilien oder der skandinavischen Halbinsel, an dem Tag wusste ich, dass es so kommen wird, so kommen muss. Warum denn gerade nur das Mädchen G. E.? Ich legte den Kopf auf die Arme über der polierten Schulbank. Alles Grauen, alles Entsetzen jenes fremden verbluteten Mädchens steckt in mir, jawohl in mir. Meine Brüste waren arm und vertrocknet, wo wird mein Kindchen trinken? — und es roch nach Fleischsuppe.

Diese Fleischsuppe! Daran konnte ich es sofort erkennen. Die ganze Stadt kocht jetzt Fleischsuppe. Es ist unerträglich. Axel —

Nein, nur nicht an Axel denken. Nicht ihn sehen und vor allem nicht, ihn riechen. Gestern blickte ich in den Spiegel, nachdem ich eben — wozu das eklige Zeug auch noch schreiben? — Ich blickte also in den Spiegel und ich sah seine kleinen frechen Bubenaugen ganz dumm und neugierig erschrocken, ein blondes Gesicht.

Ich werde den Spiegel weghängen. Man braucht keine Bilder an den Wänden. Spiegel sind Bilder. Immer wieder andere, unerträglich neue Bilder.

Die Fremde ist fort. Kommt nicht einmal mehr in die Bibliothek. Ich habe die Fremde nicht lieb, ich habe Angst vor ihr. Aber ich sehne mich nach der Fremden.

Ulla ist schuld, Ulla allein ist an allem schuld. Wenn man mich vor Gericht zitiert, ich bin es einfach nicht gewesen, ich lehne die Verantwortung ab, ich weiß von nichts.

Also, Ulla sah mich an mit ihren erbarmungslosen Eiswasseraugen und sagte: — Diesmal ist es wirklich wahr. Was wirst du tun?

Ich hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschlagen, wir saßen einander in der Straßenbahn gegenüber, aber das geht doch nicht, vor allen Leuten. Überdies weiß ich nicht genau, ob ich Ulla überhaupt ins Gesicht schlagen könnte.

Ich gab keine Antwort. Als sie aber sagte: — Fahren wir zu Axel, fuhr ich mit. Ich fahre eigentlich immer »mit«. Das ist das Unglück.

Ulla war sehr blass. Trotz Creme und Puder. Ich spürte es. Da zitterte ich.

Was hat Ulla damit zu tun. Ulla, Ulla! Ich habe ihr doch nichts genommen, was sie jetzt wieder zurückhaben will.

Axel war nicht zuhause, aber Grete. Ulla hat das vorausgewusst, Ulla hat das gewollt, sie hat es berechnet. Ulla ist ja so klug. Zu klug.

Übermorgen liege ich in einem Krankenhaus.

Axel war nicht zuhause. Aber deshalb musste es doch nicht schon auf der Treppe so leer sein. Wie tot. Das ganze Haus roch nach faulenden Blumen. Die Uhr im Wohnzimmer war stehen geblieben. Auf dem Kamin lag aufgeschlagen ein vergessenes Buch. Und es war kalt.

Das Stubenmädchen meldete, dass Grete zu Bett sei. Sie fühle sich nicht wohl, aber wir sollten nur warten, sie würde bald kommen.

Warten auf Grete. Und Axel nicht zuhause. Grete — was ist das nur für ein Name? Grete? Verblasste Kindheitstage. Onkel Max hatte Grete einmal an seine haarige Hand genommen und sie in einen Kreis spielender Kinder geführt. Und dann standen wir alle auf einem Friedhof, trunkene Märzensonne, übermütige Tulpen, Hyazinthen — Und Grete lag zu Bett in diesem kalten und toten Haus, kalt und tot lag sie in kostbaren Spitzenkissen, die Fenster waren verhangen, nicht einmal Tulpen und Hyazinthen, nur ein ferner und verwelkter Duft von Wasserlilien.

Grete! Ulla blätterte in dem Buch vor dem Kamin. Grete — was ist das nur? Ich hatte Grete ja durch Wochen, durch Monate vollkommen vergessen gehabt. Und nun lag sie tot auf ihrem Bett. Um Gotteswillen —

Nein, sie war nicht tot. Sie trat ins Zimmer, sanft und blass. Sie trug ein lavendelfarbenes stilles Kleid und sie lächelte mit breiten weißen Zähnen und sie drehte die Lampe über dem Teetischchen an und sie ließ das Mädchen im Kamin Feuer machen.

— Es ist furchtbar kalt, sagte sie. Sie fröstelte. Sie war nicht tot. Die Lampe brannte unter dem seidenen Schirm. Im Kamin zuckten die Flammen. Aber es wurde nicht warm.

Dann kam der Tee und dann — da soll der Teufel sich auskennen. Ulla ist ja verdammt gescheit und Ulla hat mich zu Grete geführt. Aber so raffiniert, so niederträchtig kann sie doch nicht sein, dass sie das alles vorauswusste.

Und doch, als das Mädchen den Tee brachte (dieses Mädchen hatte übrigens eine sonderbare Ähnlichkeit mit der Fremden), als das Mädchen den Tee brachte, lächelte Ulla. Einen Augenblick nur, vielleicht eine Zehntelsekunde lang. Ich sah es im Spiegel über dem Kamin, ich sah ihre weißen raubgierigen Zähne —

Nein, es ist gar nichts, gar nichts geschehen. Grete und ich, wir fuhren nicht aufeinander los, wir schrien nicht, wir weinten nicht einmal. Ulla hatte uns nicht zu beruhigen, sie rauchte bloß unzählige Zigaretten und wir tranken Tee.

Dieser Tee war lichtgrün. Grete sagte, es sei ein chinesischer Tee, ein Freund von Axel habe ihn aus Shanghai geschickt. Ein grüner Tee, man denke, ein lichtgrüner Tee, schmeckt nach Blütenblättern, leicht verfaulten süßen, leichenfahlen Blütenblättern.

Ich stellte die Tasse zurück auf den Tisch, schlug die Hände vor die Augen. Oh Gott, oh Gott, nur hier nicht erbrechen, nur nicht hier in Gretes gepflegtem Salon.

Als ich aufsah, saß Grete hochaufgerichtet vor mir. Sie sah mich an mit einem Blick — Nein, nein, das waren nicht Gretes Augen, die sanften die verständnisvollen, das waren Ullas Eiswasseraugen. Sie sah mich an mit einem Blick voll Hass.

Was ist da weiter noch viel zu sagen? Um Grete herum wird nichts gesprochen. Wir tranken schweigend den grünen Tee. Ulla sprach dabei einmal von Anette. Dann kam die Rede auf Axel. Und Grete erzählte, dass sie ihr zweites Kind erwartet.

Ich kann Grete nicht morden. Dazu liebe ich Axel viel zu wenig. Sie würde sterben ohne ein Wort des Vorwurfs zu ihm zu sagen. Sie würde an dem erstickten Vorwurf sterben. Aber sie würde es nicht ertragen, wenn gleichzeitig — sie würde es nicht ertragen, obwohl sie alles weiß. Und das ist das Entsetzliche.

Axel aber weiß nichts. Und er darf auch nichts wissen. Natürlich könnte ich lügen, sagen, das Kind sei vom Herrn Zaunegger oder sonst was Scheußliches. Aber wie soll ich es denn erhalten? Ein Kind kann man sich nicht auf Abzahlung beschaffen wie einen Pelz. Und aus der Bibliothek flöge ich auf der Stelle hinaus. Nicht einmal der gütige Primarius wollte mich, nein, dürfte mich unter dem weiblichen Personal behalten. Die sogenannte Freiheit der Frau, ein aufgelegter Schwindel, sagte Ulla, als sie mit mir die gewissen unangenehmen Wege macht. Übermorgen bin ich im Krankenhaus.

Ulla sieht furchtbar aus. Ihre Augen brennen blau. Das alles ist ihr unerträglich. Sie würde nie, niemals ihrem Primarius eingestehen, dass sie mir den Arzt dazu verschaff: hat. Als sie mit ihm sprach, wurde ihr schlecht. Ich möchte am liebsten dabei sterben. Das alles ist so hässlich. Aber nein, das darf nicht sein. Dann käme Ulla womöglich auch noch vor Gericht. Wer weiß, ob ich schweigen könnte, wie das Mädchen G. E.

Übermorgen — heilige Maria, Muttergottes!

Ja, das betete die Horky immer mit mir vor dem Einschlafen. Gegrüßt seist du Maria — sie saß an meinem Bettrand — Du bist voll der Gnade — ihr Gesicht glänzte, als hätte sie es eben mit flüssigem Kerzenwachs eingerieben — Der Herr ist mit dir — sie trug eine blaue Küchenschürze — Du bist gebenedeit unter den Weibern — gebenedeit —

Ich fürchte mich immer vor diesem Wort. Ich wusste nicht, was es bedeutete. Es ist schwer und trächtig, voll Angst und Schicksal.

Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Ich wusste nicht, was diese Frucht sein konnte. Ich dachte immer an eine große gelbe Birne. Die Horky aber betete mit mir so Abend für Abend. Die strohigen Haare hatte sie straff nach hinten gespannt. So saß sie an meinem Bett. Viereckig und fest wie eine Kiste.

Während das Tok-tok des Äthers mir das Hirn zusammenpresste, stieg schlank, kühl und porzellanweiß eine Gestalt aus mir heraus. Ich aber verblasste auf dem Operationsstuhl, die Beine grausam und gemein in die Höhe gezogen.

Als ich die Augen aufschlug, neigte sich eine sanfte Schwester über mich. Sie richtete etwas an meiner Decke. Durch ihre Hände liefen blaue Adern, sie waren leicht, gewichtslos wie Luft.

Da sah ich noch einmal in ihr Gesicht. Ach ja, natürlich, bekannte Züge. Die Fremde neigte sich über mein Bett. Ganz nahe war die Unerreichbare und voll furchtbaren Mitleids.

Drei Tage sorgte die sanfte Schwester nun für mich. Wir sprachen nie miteinander. Um ihre Lippen lag wie Schmerz ein tröstendes Lächeln. Mir galt es nicht. Wem galt es nur? Vielleicht dem Ungeborenen, das das Leben versäumt.

Oh dieses Leben!

Da lag ich wie ein leerer Sack auf einem fremden Bett. Einmal kam eine fremde Dame zur Tür herein. Sie hielt einen Strauß Mimosen in der Hand. Das musste ein Irrtum sein. Blumen bringt man Wöchnerinnen, aber nicht —

Sie kam auf mich zu und sprach zu laut und hatte ein zu starkes Parfüm, und da merkte ich, dass es Ulla war.

Sie redete zu viel. Ob sie nicht doch noch Axel von allem verständigen sollte? Ach Unsinn, wozu! Was geht das ihn an. Und er hat eine so kindische Angst vor allem, was gegen das Gesetz verstößt. Außerdem ist es doch vorbei.

Vorbei — ja vorbei. Ulla sprach noch alles Mögliche. Ihre Blicke schweiften ausdruckslos über die Wände, Gott weiß, woran sie dachte. Die sanfte Schwester lächelte sie tröstend an. Ich glaube, ich bin noch in ihrer Gegenwart eingeschlafen.

Das alles hätte ich nicht schreiben sollen. Ich fühle ja schon die ganze Woche, die ich zuhause bin, eine seltsam quälende Unruhe. Ich verlege alles, Handschuhe, Bücher, und Bleistifte. Und wenn ich suche, finde ich nie das Richtige.

Seit ich aber wieder schreibe, weiß ich, was ich suche. Die Fremde, die Fremde, die sanfte Schwester. Das ist nur natürlich. Ich habe Axel gebeten, in nächster Zeit nicht zu mir zu kommen. Für Ulla war ich schon zweimal nicht zuhause. Man kann doch nicht so allein sein. Man kann doch nicht ganz allein sein. Ich kann es nicht. Ich bin im Stande und mache mit dem Herrn Zaunegger sonntags einen Ausflug. Oder ich bitte das Fräulein Marschall, abends mit mir ins Kino zu gehen. Ich kann es nicht aushalten.

Das Zimmer ist so leer, dass ich große Lust habe, um die idiotischen Alpenlandschaften und Wildbäche zu bitten, die früher hier die Wände verzierten. Und der Spiegel muss wieder her. Die sanfte Schwester soll auf mich sehen. Ich will nicht leben ohne die Fremde. Sie soll auf mich sehen mit tröstendem Lächeln. Auf mich. Denn auch ich habe ein Leben versäumt. Ein Leben? Hundert Leben, hunderttausend.

Ins Bett, ins Bett! Wenn nur die Decke nicht so kalt bliebe, als läge eine Leiche darunter. Und dann noch die Seife. Die Sache mit der Seife ist unerträglich. Ich kann mich waschen, soviel ich will. Die Seife wird nicht kleiner.

Wenn ich schreiben kann, sogar heute noch schreiben kann, an diesem Tisch, so wie immer, so kann es keine Einbildung sein, dass ich, ich, die Bibliothekarin mit —

Es ist doch unmöglich, dass alles, was hier steht, dass diese ganzen verkritzelten Blätter nicht von mir stammen, sondern von einer andern, von vielen andern, von vielen andern oder überhaupt von keiner Einzigen. Ich habe doch einen Pass, eine rechtsgültige Unterschrift. Ich —

Ja zum Teufel, wer kann mir beweisen, dass ich es bin? Ich? Wer ich? Wenn ich mir nicht einmal beweisen kann, wieso —

Herrgott, wer kann mir denn helfen, wenn ich es nicht kann. Wer kann mir erklären, dass — es ist zu grauenhaft es auszusprechen —

Dass der Spiegel leer war.

Ich hatte morgens die Bedienerin gebeten, ihn wieder an den alten Platz zu hängen. Der lichte Fleck an der sandgelben Wand sah auch zu abscheulich aus.

Und als ich nachmittags nachhause kam — ich stellte mich hin und starrte hinein. Die Fremde, um Himmelswillen, wo ist denn die Fremde? Kein Mensch, kein Gesicht, keine rufende Seele. Ist Grete denn tot, Ulla verschwunden? Wo ist Anette, Bea, die Horky und meinethalben das Fräulein Marschall?

Man kann doch nicht allein sein auf der Welt? Man kann doch nicht niemanden sehen, wenn man in einen Spiegel blickt.

Ich habe den Spiegel in den Lichthof geworfen. Der Fleck an der Wand sieht aus wie ein leeres Knopfloch, ein ausgeronnenes Auge.

In der Bibliothek sagte jemand, es sei unnatürlich warm. Das Fräulein Marschall trug eine weiße Bluse wie im Sommer. Von Axel kam eine Karte aus Paris. Er ist also in Paris. Ich habe die Karte sofort verlegt. Was auf ihr stand, ist schon vergessen. Ich vergesse jetzt alles. Mein Herz und mein Blut, sonderbar, dass ich noch warten kann. Auf was warte ich?

Heute morgen um halb acht. Ich lag noch im Bett, neben mir stand unberührt die Tasse Tee. Es fällt mir so furchtbar schwer, in die Bibliothek zu gehen. Und was geschieht schon, wenn ich nicht komme, dann sitzt eben eines Tages eine andere auf meinem Platz. Das Fräulein Marschall mustert sie aufgeregt von der Seite her, der Herr Zaunegger fährt sich mit der Zungenspitze über die Lippen — Heute morgen also klopfte es plötzlich heftig und ungeduldig an meine Tür und herein trat ein armes Mädchen in vertretenen Schuhen, in einem filzigen grauen Mantel und mit einem neuen lachsfarbenen Strohhut — Ja, mit einem Strohhut. Es wird also Frühling.

Dieses arme Mädchen war Anette. Denn Anette ist arm. Morgens. Abends trägt sie ihre Waschseidenstrümpfchen und gewendete Tanzkleidchen. Das Schwarze um ihren Mund ist noch — ich kann es nicht anders ausdrücken, ist noch mehr geworden. Sie hat des Morgens Ringe unter den Augen und eine lederstumpfe Haut. Sicher schminkt sie sich sonst mit billigen und schädlichen Präparaten.

Anette setzte sich an meinen Bettrand. Sie trank meinen Tee und plapperte mit ihrer ein bisschen schnarrigen Stimme. Sie wolle nur eine kleine Gefälligkeit von mir, gar nicht viel, ein bisschen Gerichtsvollzieher und Pfandscheine im Frisiersalon, ein Freund in augenblicklicher Verlegenheit, das Ganze sei eine Sache von acht oder allerhöchstens zehn Tagen. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, aber Ulla hätte sie geschickt. — Ulla. Ich zuckte zusammen. Ulla meldet sich jetzt gar nicht mehr bei mir. Aber Ulla denkt an mich, Ulla weiß alles, kennt die Zusammenhänge, versteht sie jedenfalls besser als ich. Ulla ist klug, zu klug, und wenn Ulla Anette an mich weist, so hat das seine Gründe. Das mit dem Geld ist natürlich ein Vorwand. Ulla denkt doch nicht im Ernst, dass ich da helfen kann. Ich bin ja noch ganz verschuldet durch den Pelz.

Oh, dieser Pelz! Da hängt er im flimmernden Sonnenlicht am Fensterhaken, grau und flaumig. Ich hasse ihn, das ganze Zimmer riecht nach Leder und Benzin, nach neugierigen grauen Tieren.

— Ich habe gar kein Geld, sagte ich zu Anette. Aber du kennst dich aus mit Versatzgeschichten. Wenn du den Pelz dort ins Pfandhaus trägst, kann ich dir leihen, soviel du willst.

Anette gab ein Piepsen von sich wie ein erschrockener Vogel. Im nächsten Augenblick hatte sie das Fenster aufgerissen, den Pelz am Leib und streichelte ihn an sich mit zitternden Fingern. Die schwarzen Haare hatten einen ganz neuen roten Glanz bekommen, wie karminfarbene Wolle. Sie schüttelte sie, dass die Sonnenstäubchen tanzten. Die ganze Anette flimmerte.

— Du, sagte sie, das ist ja großartig. Sie wischte mir mit einem nassen Kuss über die Wange und fort war sie. Ihr filziger Mantel lag auf meinem Tisch.

Mittags klingelte sie mich in der Bibliothek an. Sie hätte eben mit dem Pelz den größten Eindruck auf einen Theateragenten gemacht, alles stünde herrlich — Ich sah in die neugierigen Kugelaugen des Fräulein Marschall und fragte Anette, ob sie abends mit mir ins Kino gehen wolle.

Leidenschaftlich gerne. Aber lieber morgen.

Es war ein seltsamer Kinobesuch. Unsinnig und kindisch. Kindisch war schon, dass ich mir Anettes Mantel anzog. Aber er schien so warm mit seinem dicken Stoff — ein Stoff, wie aufgeplustert mit Luft, vielleicht auch mit Zigarrenrauch — und draußen war es plötzlich kalt geworden, ein beizender Sturm fegte durch die Straße, schleuderte mir harte, breite Flocken ins Gesicht.

Als ich aber Anette unter schreienden Glühbirnen und dem Plakat einer Frau mit Engelsantlitz sah, wurde ich plötzlich vergnügt. Sie trug meinen Pelz, der sich ganz sonderbar struppig an ihr ausnahm, darüber tanzte der lachsrosa Strohhut, und sie lutschte an einer Schokoladestange, die sicher mit rosa Creme gefüllt war.

Perolin, schlechte Zähne, Fußtritte und Maiglöckchenparfüm. Das im Anfang. Dann aber kam das Adagio aus der neunten Symphonie, Meeresbrandung und Anette schloss den großen Mund. Sie nahm den Hut ab, senkte den Kopf. Was für einen kleinen Kopf sie übrigens hat, schmal und oval und wenn sie ihn hängen lässt, erinnert er an eine traurige Traube.

Es war ein schrecklich trauriger Film. Die Liebenden wurden getrennt. Sie war arm, mit onduliertem Wuschelkopf und weißer Hemdbluse. Er aber war ein vornehmer junger Mann, ein Lord, er hatte edelgeschnittene Züge, herrliche lange Beine und ein Schloss, das vor der Auktion stand. Natürlich musste er der eleganten schwarzen Witwe in die Hände fallen, galt es doch, seiner alten Mutter das gewohnte Heim zu erhalten.

Anette schneuzte sich. Vielleicht weinte sie. Der letzte Rest der Schokoladestange fiel zu Boden. Das Perlentäschchen klirrte nach. Unruhe im Publikum. Immer passiert so was mit Anette. Schon in der Schule rollte immer der Bleistiftspitzer bis beinahe vor die Tafel, alle Kinder fuhren herum, Doktor Alexander sagte: — Na, lassen Sie nur, und Anette kicherte.

Anette kicherte auch jetzt: — Schau doch, die dumme Gans, bildet sich ein, dass ER sie liebt.

Sie sprach dieses ER mit großen Buchstaben und wie der Lord sich formvollendet über die Hand der dämonischen Witwe neigte, Palmen, Perserteppiche, Seidenpintscher und »Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren«, flüsterte Anette mir mit heiserer schokoladeduftender Stimme ins Ohr: — Weißt du, wo ER jetzt ist?

— Pst, machte ein dicker Herr vor uns.

Und ich weiß gar nichts von ihm. Eigentlich nicht einmal, ob er lebt. Er war immer so viel in den Bergen, vielleicht ist er abgestürzt.

Anette und ich hielten uns an der Hand. Sprechen durften wir ja nicht miteinander. Wir zitterten, als das Netz des Schicksals sich um die Liebenden zusammenzog, wir fuhren auf, als Er am Tag vor der Hochzeit vom Pferd stürzte, wir wischten uns die Tränen ab, als die Blonde an sein Schmerzenslager eilte. Am liebsten wären wir ins Bild gesprungen, um der Nebenbuhlerin die Augen auszukratzen.

Alles nahm ein gutes Ende. Sonnenschein in der Dorfkirche, Myrthen und ein italienischer Balkon mit ineinanderschmelzenden Lippen.

Anette lächelte selig zwischen dem zum Ausgang trampelnden Publikum. Beim Nachhausegehen hielten wir uns immer noch an der Hand. Es war noch immer kalt, aber der Sturm hatte ausgesetzt. Anette sprach von Doktor Alexander. — Ihm zuliebe hätte ich auch studieren können — Immer wieder gingen wir an meinem Haustor vorbei, so wie damals, als Mama jeden Tag zankte, weil ich so spät aus der Schule kam.

Ich warf den grauen Zigarrenrauchmantel von mir. Ich fiel schlaftrunken ins Bett. Ich träumte von Doktor Alexander. Er stand zwischen Palmen und Perserteppichen und ich versuchte furchtbar aufgeregt, ihm etwas Wichtiges auseinanderzusetzen. Er sah mich an mit edlem Blick, gleich darauf versuchte er aber sich das Lachen zu verbeißen.

Ein Glück, dass Anette jetzt so oft zu mir kommt. Sie hat sich mit ihrem Freund überworfen, er heißt Willy. Sie nennt ihn gewöhnlich Herr Willy, und er ist der Sohn einer größeren Delikatessenhandlung. Manchesmal hilft er auch im Geschäft, aber er muss nicht, und jetzt hat er sicher eine andere.

Sicher! Anette strampelte mit den Füßen, als sie mir davon erzählte. Natürlich liegt ihr nicht »so viel« daran, sie biss dabei in die Zigarette, ihre Zigaretten haben immer zerkaute gelbe Enden. Wir gehen gewöhnlich ins Kino oder in ein kleines Vorstadtkafe, wo Anette Kredit hat. Zu mir kommt sie nicht gerne. Es gefällt ihr nicht. — Es ist so nackt bei dir, sagt sie. Und vor ein paar Tagen brachte sie mir ein paar gelbe Mullgardinen mit maikäfergroßen Tupfen. Aus dem Geschäft der Mutter, das tatsächlich aufgelassen wurde. Die Mutter geht jetzt »ins Haus« frisieren.

Ich hätte die Gardinen nicht vor das Fenster hängen sollen. Ulla fände diese Gardinen unmöglich. Sie sind stickig, jawohl stickig. Es kommt kein klares Licht mehr in mein Zimmer. Aber Anette wäre sehr gekränkt, wenn ich sie wieder herunternähme.

Dem Herrn Zaunegger gefällt Anettes schäbiger Mantel, obwohl mein Pelz im Winter weiß Gott schöner war. Er streicht mir mit der Hand über den Rücken. Heute standen ein paar schmutzignasse Schneeglöckchen in einem Wasserglas auf meinem Schreibtisch und die Marschall sagte, ich hätte ein Buch falsch eingetragen. Sie ist wirklich eine gemeine Person!

In meinem Zimmer hängt wieder der eine Alpenwildbach mit dem vollbusigen Mädchen auf schwankendem Steg. Aber wo der Spiegel hing, gähnt noch immer ein hohler heller Fleck.

Anette war schon zwei Tage nicht bei mir. Sie hat mir jedoch einen Roman gebracht, den sie besonders liebt: Das Schicksal der Brigitte Helmer. So eine Geschichte mit Weibsstolz und Frauenwürde. Eigentlich schickt es sich nicht für eine nun schon bald langjährige Bibliothekarin —

Ach was, ich pfeif auf die ewige Bildung und Intelligenz. Als ich im fünfzehnten Kapitel las, wie die schöne und sanfte Brigitte Helmer, welche bei dem berühmten Rechtsanwalt, Doktor Johannes Rüdiger, eine Stelle als Maschinschreiberin angenommen hatte, in den Papieren ihres Herrn eben Ordnung schaffte und er, der mit Armen und Verbrechern sonst so gütige Mann, wortlos an ihr vorbei aus dem Zimmer schritt, weil — also, da musste ich sofort an Ulla und den Primarius denken. Ulla ist nicht eigentlich schön und schon gar nicht sanft und Ulla und der Primarius werden am Ende des Buches oder vielmehr am Ende des Lebens einander nicht heiraten, abgesehen davon, dass Doktor Johannes Rüdiger kein falsches Gebiss hat und unmöglich hinken könnte —

Aber ist das trotzdem nicht alles ein und dasselbe? Als ich im Bett lag, den Roman in der Hand, da durchschauerte es mich, wenn Doktor Rüdiger nur das Haus betrat. Und als Brigitte Helmer bei Nacht und Nebel mit zitternden Händen ein Billet löste, um sofort mit dem nächsten D-Zug abzureisen, Fahrtrichtung einerlei, aber fort, nur fort von ihm — da weinte ich. Große, warme, lebendige Tränen. Oh es ist herrlich, so zu weinen. Zart und unberührbar wie eine Marmorstatue mit Spitzenhemd lag ich in meinem Bett. Doktor Johannes Rüdiger saß mit aufgestützten Ellbogen an seinem Ebenholzschreib tisch, dachte halb wahnsinnig vor Sehnsucht und Verzweiflung an Brigitte Helmer.

Gut, dass diese Seiten schließlich doch nur von mir gelesen werden. Es ist eine Schande, was ich da zusammenkritzle. Geradezu lächerlich. Aber ich sehe daraus, dass ich doch noch weinen kann, dass mir keineswegs alles gleichgültig ist, dass ich, ich, jawohl ich in meinem Bett liege — während Anette in einem Lokal voll kaltem Rauch sitzt. Dem Wirt lohnt es nicht mehr einzuheizen, die alten Glühbirnen geben ein triefend rötliches Licht, an verschiedenen Marmortischchen sitzen Pärchen, fahle Jünglinge oder alte Herren, die Kellner haben fleckige weiße Jacken, einer hat auch was Schwarzes um den Mund.

Anette friert in meinem Pelz. Der neue Strohhut liegt auf einem Haufen Modejournale und zerlesenen Witzblättern. Sie ist allein bei ihrer Tasse wässerigen Mokka, sie ist allein. Nichts ist trauriger für eine Frau als allein zu sein.

Manchmal kommt auch ein Herr Direktor oder ein Ladenschwengel. Dann lacht sie mit ihrem Riesenmund, kreuzt die Beine, raucht und trinkt Eierpunsch. Das ist Geschäft. Den Herrn Willy hat sie sogar ein bisschen geliebt. Aber so geht es auch.

Liebe — das alles hat gar nichts damit zu tun. Richtige Liebe — das gibt es höchstens bei Doktor Johannes Rüdiger. Man muss ein ganz kleines Mädchen sein, um zu glauben, dass sie einem eins zwei drei nur so begegnet. Im Gymnasium. Im Gymnasium dachten wir daran bei Doktor Alexander. Jede einzelne glaubte: Heute, morgen, übermorgen ruft er mich mit einer Ausrede ins Konferenzzimmer, höchstens, dass es noch bis Weihnachten dauern kann oder bis zu den Osterferien, und dort zündet er sich eine Zigarette an, nimmt meine Hände in seine großen Klettertatzen und sagt: — Ich habe immer nur dich geliebt.

Doktor Alexander aber hat uns niemals ernst genommen. Es war ihm nicht einmal der Mühe wert, Skandal zu schlagen, als wir bei der gewissen Geschichtsschularbeit geschwindelt hatten, unsere Kenntnisse und unsere Ehrlichkeit waren ihm so gleichgültig wie unsere kindischen Nachthemden. Nur wenn Grete nicht da war, sah er auf ihren leeren Platz.

Axel hat Grete auch nicht richtig geliebt. Er sieht sie täglich, aber er schielt nach den andern. Als Anette ihr gelbes Chinesenlied sang, wäre er imstande gewesen, Grete neben sich verbluten zu lassen, nur um dieses armselige verdorbene Kind zu — ach Gott, gewiss nicht eben, um es zu lieben. Dabei fällt mir ein, dass Doktor Alexander, wenn Anette eine Dummheit sagte, auch so schmunzelte, wie Männer nun einmal schmunzeln, und dass der Herr Zaunegger, als es sich herausstellte, dass die Marschall mich wirklich bei einer falschen Eintragung erwischt hatte, gar nicht zankte, sondern nur — nun, dass er auch nur schmunzelte.

Seit ich mich bei der Waschschüssel vor dem Closett wieder einmal von ihm küssen ließ, ist mein Leben in der Bibliothek überhaupt viel leichter geworden. Gott, schön ist er ja gerade nicht und sein Schnurrbärtchen ist lächerlich struppig. Aber letzten Endes riecht er wie alle Männer nach Rasierseife und Zigarrenrauch. Und er ist so dumm! Wenn ich das bisschen mache, was er von mir verlangt, so kann ich die Bibliothek auf den Kopf stellen, überhaupt nichts arbeiten oder alles falsch eintragen.

Nein, das gibt es nicht, das ist doch nicht möglich! In der Scheibe hinten im Fenster — es hat doch nicht an das Fenster geklopft — ich fahre herum — in der Scheibe geschlitzte Augen und ein vergnügter grinsender Mund, sind meine Finger nicht rot?

Herrgott, Herrgott, ich bin ja nicht mehr allein, eingerahmt bin ich zwischen gelben Mullgardinen mit rosa Maikäfertupfen.

Was für ein Glück. Was für ein kleines, bescheidenes, schmutziges rosa Glück! Grete, Ulla, die Fremde haben mich verlassen. Aber Anette ist da, Anette atmet neben mir. Was liegt daran, dass ihre Strümpfe nur aus Waschseide sind, letzte Qualität, dass sie am Bauch die grässliche Narbe hat und um den Mund etwas Schwarzes. Sie trägt meinen Pelz.

Sie trug auch einmal echte schwere Seidenwäsche mit Ajours und Spitzen. Das war, während wir andern noch in die Schule gingen, in dem Wäschesalon, wo sie so grässlich stahl. Sie konnte natürlich nicht viel erwischen, ein paar Hemden und ein Unterkleid, das die Plätterin versengt hatte. Es war so ein warmes, verschleiertes Licht, wo die Damen probieren durften, hinten aber, wo die Mädchen arbeiteten, roch es nach Lichthofabfällen und Barchenthosen. Warum sollte da die kleine Anette, die man eben aus der Schule gejagt hatte, nicht auch ihre Freude haben! Die lichtgrünen Seidencombinations, die sie sich von ihren ersten heimlichen Verdiensten gekauft hatte, kamen ihr hier vor wie Glanzpapier. Sie warf sie weg. Sie schnupperte in die kleinen Ankleidekabinen hinein, fraß den satten Duft gepflegter Hüften. Die Damen mochten sie gerne leiden. Eine schenkte ihr einmal eine alte Seidenhose mit einem Fleck, der nicht herausgehen wollte, aber diese Hose roch so sonderbar, nach Quelques Fleurs und noch etwas.

Anette war sehr gerne in dem Wäschesalon. Hätte sie nicht gestohlen, weil sie das duftige Zeug gar so sehr liebte, sie wäre bei eben diesem Zeug mit Freuden geblieben. Was dann kam, war anstrengender.

Ob Axel von solchen Dingen überhaupt eine Ahnung hat? Er denkt gewiss, so ein Mädchen geht auf die Straße, weil es ihm Vergnügen macht. Ja, Vergnügen! Und er denkt, wenn Grete so was nicht tut, so ist es, weil Papa und Mama es verboten haben. Dabei könnte Grete so etwas gar nicht, selbst wenn sie wollte. Weil ihr das alles gar keine Freude macht. Dieser Esel! Dass er das noch nicht gemerkt hat! Und Ulla könnte nicht, weil es ihr viel zu viel Freude macht. Davon weiß Axel überhaupt nichts.

Ich aber biss die Zähne zusammen, als ich heute Nachmittag mit dem Herrn Zaunegger — Wozu soll ich nochmals die Zähne zusammenbeißen, um das Ganze zu beschreiben? Er ist übrigens mit dem Fräulein Marschall verlobt. Heimlich. Beim nächsten Avancement wollen sie heiraten.

Was geht das mich an! Ich bekomme nächsten Freitag einen zweitägigen Krankenurlaub, macht mit Sonntag drei Tage, und dann fahre ich mit Anette wo hinaus. Es ist ja jetzt so herrlich, Wiesen voll Primeln, Hänge voll Frühlingserika, mittags reißt die Sonne einem die Haut vom Leib. Anette nimmt einen Spirituskocher mit. Sie hat entzückende Reisepantöffelchen, orange mit hohen gelben Absätzen.

Ach, es war berauschend hell in diesen drei Tagen. Anette trug ein erbsengrünes Sommerkleid. Sie ist ganz anders, wenn man sie draußen im Wald sieht. Übrigens dieser Wald! Die kleinen Tannen hatten ausgeschlagen, lange, grüne, lechzende Triebe, bei manchen waren diese Triebe länger als die Zweige. Sie sahen komisch aus, wie in den Flegeljahren.

Und Anette war im Stand, sich in das Gras zu legen und einfach nur zu strampeln vor Vergnügen. Sie fand den schönsten Seidelbast und ihre gelbliche Haut wurde rostbraun, beinahe wie geräuchert.

In dem groben Leinen der Gasthausbetten steckte die Frühlingsonne. Es war weiß und körnig. Anette lag darin, braun und nackt und übermütig, so selbstverständlich, wie auf einer Wiese. Sie zog mich an sich heran und roch nach verstecktem Seidelbast. Die Kerzen brannten unsicher auf dem Waschtisch in einer Seifenschüssel. Anette küsste mich. Es war ja Gott sei Dank kein Mann da, der sie diese Nacht brauchen konnte. Sie hat so freche neugierige Finger.

Vor dem Fenster strahlte eine blühende Kastanie.

Woher weiß sie nur alles? Jeden fremden Leib nimmt sie in die Hand, als hätte sie Nacht für Nacht mit ihm in ihrem fleckigen alten Kinderbett geschlafen.

Die Bildhauerin muss es sie gelehrt haben. Die Bildhauerin hatte grünliche Zähne und verfallene Mundwinkel. Sie pflegte auch in dem gedämpften warmen Licht des Wäschesalon rieselnde Hemden zu probieren. Und manchmal streichelte sie Anettes Beine, die wie neugierige Stäbe aus dem schlissigen Wollröckchen guckten. Als Anette dann gestohlen hatte, suchte sie die Friseurin auf und bat, das Kind modellieren zu dürfen.

Aber sie modellierte Anette gar nicht. Ihre Hände griffen gierig in den Lehm und formten Tiere, immer nur Tiere. Lange, spitze, fletschende Mäuler, Raubtierzähne zwischen schmalen Lippen und Geweihe, wilde, zum Himmel strebende, unsinnige, grausame Geweihe. Das weiße Atelier mit den weißen Glaskugellampen war schon voll mit solchen Tieren. Anette fürchtete sich vor ihnen, wenn sie ausgestreckt auf dem Tigerfell lag, Opiumzigaretten rauchte und nur manchesmal faul, lässig und selber lüstern ein Bein in die Höhe streckte.

Es war eine schlimme Zeit. Die Bildhauerin trank furchtbar viel Whisky. Manchmal schlug sie Anette und dann weinte sie gleich darauf und küsste sie in den Mund. Sie schenkte ihr türkischen Konfekt, aber da bin ich noch immer lieber mit dem Herrn Zaunegger zusammen, wenn er mir auch bloß Haselnussschokolade gibt.

In der Bibliothek heißt es, dass er und Fräulein Marschall bald heiraten werden. Jedenfalls hat die Marschall sich die Haare schneiden lassen und einen neuen Frühlingsmantel gekauft. Hellgrau, Kascha.

Anette läuft immer noch in meinem Pelz herum. Dass ihr der nicht zu heiß wird. Mir ist es gleich. Nur gestern —

Also bitte, das, eben das wollte ich nicht schreiben. Ich wollte überhaupt nicht mehr von Axel schreiben. Ich hatte es mir fest versprochen. Aber plötzlich, mitten drin, rutscht er mir herein, steht er in meinem Zimmer, bestellt er Grüße von Grete.

Grete — ach, diesen Namen wollte ich auch nie mehr schreiben.

Ich kann nicht, ich will nicht mehr an Axel denken. Es tut mir auf einmal furchtbar weh.

Aber es ist unmöglich, nicht von ihm zu schreiben. Heute, nur heute noch ein einziges Mal muss ich —

Ich? Statt des Spiegels ein hohles Loch in der Wand. Schreibe denn überhaupt noch ich?

Haufen von beschriebenen Blättern. Wer — hat — das — alles — getan?

Also da stand Anette an das offene Fenster gelehnt, zwischen den getupften Mullgardinen, hinter ihr nichts als schwarze Sommerluft und den Pelz trug sie natürlich, ich aber plättete mir eben ein luftiges Kleid. Wir wollten ins Kino oder ins Kaffeehaus, vielleicht auch zu einem Gartenkonzert, da kam Axel herein und, das ist jetzt bestimmt keine Einbildung, trat auf sie zu, auf Anette nämlich, sie trug meinen Pelz —

Er erschrak. Und ich auch. Wahrscheinlich ist auch sie erschrocken.

Es war so einer seiner Besuche, wie er sie manchmal macht, um zu zeigen, dass er ein, wie sagt man doch, ein »anständiger« Mensch ist. Und diese Besuche wurden schon nachgerade etwas langweilig, nur gestern war es so aufregend.

Schuld daran hat natürlich nur Anette mit ihrer kindischen Laufmädchenphantasie.

Denn während Axel auf meinem Bett saß (auf den Lehnen der beiden einzigen Stühle lag das Plättbrett) und Anette verstohlen an einer Zigarette kaute, hörte ich mitten während des Plättens, ich sah auf das Kleid, es hat so überflüssig viel Fältchen, also — Nein, ich kann ja nicht mehr deutsch schreiben, Doktor Alexander sagte auch schon immer: nur nicht verhaspeln, Zeit, Zeit, und Ruhe.....

Ich glaube, ich werde von vorne beginnen. Keine Umschweife, es muss ja doch einmal raus: Gestern Abend saß, allerdings nur einige Minuten lang, Doktor Alexander auf meinem Bett. Unser Doktor Alexander. Er lächelte mit seinen verrauchten Zähnen beinahe verlegen, um seine Gleichgültigkeit zu verbergen, er war nackt und rot unter der braunen Bergfarbe und erzählte von einer Kletterpartie und tastete dabei mit seinen Tatzen über meine Decke.

Ulla würde sagen: — Warum soll Axel denn nicht auch einmal von einer Bergtour erzählen? Aber Ulla versteht gar nichts. So klug sie auch ist. Anette hingegen — Anette sah auf ihn, wie er so vor ihr saß. Das ganze Zimmer wurde goldig wie der letzte Akt einer Revue. Er machte eine spöttische Bemerkung über die Mullgardinen. Ich konnte nicht weiter plätten. Das war wie ein Stich.

Und dann kam das Böse: Er lud mich ein für Dienstagabend, eine kleine Gesellschaft, auch Ulla wird dabei sein, ein paar Freunde, und er küsste mir die Hand und verabschiedete sich und sah nicht Anette, die im Fenster lehnte, er hatte sie einfach vergessen. Er ging zur Tür hinaus, ganz groß geworden und voll furchtbarer Macht.

Doktor Alexander hatte uns ja auch nie ernst genommen. Er hatte geschmunzelt, wenn Anette eine Dummheit sagte. Aber lieb gewesen — mit Anette ist überhaupt nie jemand lieb gewesen.

Doch einmal, einer, aber das ist schon lange her und der hat nicht recht gezählt. Das war in der Zirkuszeit, als Anette Eisenstangen zerbiss und vier dicke Männer über eine auf ihr liegende Brücke trampelten. Anette war ganz in Purpursamt gekleidet, trug eine goldige Löckchenperrücke und musste sich die braune Haut weiß schminken — so wollte es der Direktor. Sie zogen in trostlosem Novembernebel von Stadt zu Stadt, drei Elefanten gehörten zur Truppe, und wohin man treten mochte, überall lag Pferdemist.

Anette fand großen Beifall. Sie verneigte sich mit pagenmäßiger Anmut. Sie hätte Karriere gemacht, totsicher, wenn die Lungenentzündung nicht gekommen wäre. Sie war so weiß, so unschuldig — und vier dicke Männer trampelten ihr über den Leib.

Hinter der Manege aber stand Abend für Abend der Schlangerl. Der Schlangerl war so dürr und vergilbt, dass kein Mensch erraten konnte, wie alt er eigentlich war. Vielleicht war er sogar noch jung.

Er war der Glanzpunkt des Etablissements, wenn er auch die niedrigste Gage bezog. Er wand sich in unzähligen Windungen, eigentlich hätte ihm das Herz aus dem Leib springen müssen, den Zuschauern knackten alle Wirbel — er war der perfektionierte Schlangenmensch. Und hatte große, grüne, gütige Augen.

Alle Abend hing er Anette nach ihrer Nummer unendlich behutsam einen Hermelinmantel, der ihm allein gehörte, um die Schultern. Wenn sie gegen Morgen nachhause kam, kochte er ihr heißen Tee. Er trocknete ihre Schuhe an seinem winzigen Eisenöfchen. — Anna, sagte er (er sagte nie anders als Anna), du gehst bestimmt noch einmal vor die Hunde.

Und wie dann in Brunn die Geschichte mit dem Bürgermeistersohn war, der ihr zwei Tage vor seiner Hochzeit die Ehe versprochen hatte und auf den sie dann vergeblich drei Stunden hinter dem großen Karussel im Regen gewartet hatte, um sich die Lungenentzündung zu holen — heut wäre sie dazu nicht mehr imstand, auch nicht für den Herrn Willy — da war es der Schlangerl, der für ihre Nummer einsprang, der zum Doktor lief und sie ins Spital bringen ließ. Er zog dann mit der Truppe weiter, denn er war ein pflichtgetreuer Mensch.

Oh Gott, das ist ein verrücktes Leben. Viel zu viel und man hat nichts davon. Die Marschall möchte sich ein Bein ausreißen, wenn sie wüsste, was in so einem Zirkuswagen alles los sein kann. Aber sie hat keine Ahnung von nichts.

Verflucht, schon wieder eine unmögliche Geschichte. Schon wieder mit Axel. Was bin ich denn so aufgeregt?

Ich — ich werde einen Entschuldigungsbrief schreiben. Ich hätte niemals hingehen dürfen — Er hat mich gar nicht wirklich eingeladen. Das war nur Höflichkeit. Weil er ein feiner Mensch ist. Mich nicht kränken wollte. Ich passe nicht in seine Gesellschaft. Und dann das ordinäre Lied! Wie er geschmunzelt hat. Axel! Meinethalben alle andern. Aber Axel — was denkt er denn eigentlich von mir? Und die Handbewegung, als er mir in den Mantel half —

Nein, ich werde Grete keinen Entschuldigungsbrief schreiben. Diese Gans! So schrecklich war mein Lied wieder nicht, dass sie gleich aus dem Zimmer rennen musste. Aber Axel werde ich schreiben. Er soll nicht glauben, dass ich »so eine« bin. Ich habe ja nie gewusst, dass ich ihn liebe. Ich bete ihn an. Er ist hundert-, er ist tausendmal schöner als Doktor Alexander. Ich werde in seine Vorlesungen schleichen. Er hat eine Stimme, wie die Orgel, wenn viel Weihrauch ist. Ich werde ihm heute schreiben. Es tut mir leid, dass ich das dreckige Lied gesungen habe. Es tut mir leid — lieber Jesus, es tut mir ja so vieles leid. Ich möchte am liebsten weinen.

Heute morgen in der Bibliothek —

Ach was, ich schreibe nichts mehr von Herrn Zaunegger. Der Herr Zaunegger hat hier nichts zu suchen, der ganze Mensch ist ein Zufall, ein Witz, ein schlechter Witz noch dazu.

Überhaupt ist alles Zufall. Ich könnte ja reich sein, so reich, dass keiner mir was zu schenken brauchte.

Könnte auch aufgewachsen sein unter Milchglaslicht, könnte behütet sein, geliebt, geschützt. Ich brauche nur zu klingeln und das Mädchen kommt und bringt mir Limonade.

Ein feiner Herr, dieser Zaunegger! Krach in aller Früh. Heut hat er sogar Hure gesagt. Meinethalben. Was liegt schon daran. Aber wie darf man einem Axel die Hand geben, wenn man einem Herrn Zaunegger —

Nein, nein, ich schreibe nichts mehr von ihm. Muss ich denn überhaupt immer die Wahrheit sagen? Wo steht denn das geschrieben? Ich könnte doch auch erzählen, dass Axel Nacht für Nacht, so wie Doktor Rüdiger mit aufgestütztem Ellbogen an seinem Schreibtisch sitzt und an mich denkt, nur an mich, er hat Grete sein Treuwort gegeben, sechs Briefe an mich liegen in seiner Lade, er stöhnt, eine Träne fällt auf das Löschblatt — aber wenn er kommt, wenn er plötzlich, endlich einmal kommt, die Tür aufreißt, Grete kann sterben, was liegt ihm daran, er kommt, kommt zu mir —

Nein, nein, niemals! Das ist nicht wahr, das darf nicht wahr werden. Nur der Herr Zaunegger ist wahr, der steckt in mir, der hat schon mit so viel Huren verkehrt, dass — auch ich langsam den schwarzen Mund bekomme.

Das Fräulein Marschall aber wird Frau Zaunegger und wird eines Tages krank werden und wird gar nicht verstehen, was ihr fehlt, wird nicht wissen, wie diese Krankheit heißt — so ein dummes altes Mädchen weiß rein gar nichts.

Gestern war ich bei Ulla. Ich versuchte sie ein bisschen auszuholen über Symptome und dergleichen. Sie hörte aber gar nicht zu. Der Primarius hat Grippe. Über 39. Er hat eine eigene Pflegeschwester. Ulla hält mich übrigens für hysterisch. Sie verschreibt mir Brom.

Axel kommt, er kommt zu mir beinahe jeden Tag. Bei ihm zuhause sieht es aus, als läge schon wieder alles in den Wochen, obwohl das Kind erst in drei Monaten erwartet wird. Er ist abgehetzt und heimatlos. Kaum ist er in meinem Zimmer, so zuckt die elektrische Birne auf, die Luft wird goldig und alles ist voll Andacht.

Ich gehe in seine Vorlesungen. Unbegreiflich, dass so ein bedeutender Kopf wie er nicht schon weltberühmt ist. Er muss nach Amerika. Wenn ihn die häuslichen Verhältnisse nur nicht in jeder Lebensregung hindern wollten.

Ich bin überzeugt, ich weiß es bestimmt, ganz gewiss, ich spüre das Schwarze um meinen Mund, ewiges Brennen und — es ist entsetzlich. Wenn ich in das Spital komme, wird der Primarius sich vielleicht über mich neigen. Aber Axel darf mich nie mehr berühren. Er hält mich für verrückt, er begreift es nicht. Ich — ich kann es ihm doch nicht ins Gesicht sagen. Ich werde ihn nicht mehr zur Tür herein lassen. Es kann nicht sein. Warum binich nicht bei Grete Stubenmädchen? Warum darf ich nicht seine Schuhe putzen, seine Krawatten ordnen, seinen Schreibtisch abstauben? Ich will ja nichts anderes.

Ulla sagt, ich sei ganz gesund. Sie versteht gar nichts. Ich werde den Primarius aufsuchen, sobald er wieder ordiniert.

Axel ist nicht nur heimatlos. Axel ist gierig. Oh Gott! Ich will nicht, ich will nicht. Ich will nur seine Schuhe putzen. Heute hätte er mich beinahe geschlagen. Ich liebe ihn.

Es ist jetzt so heiß wie in jenem gewissen grellen und lauten Frühling, als die Mädchen alle hautdünne Blusen trugen und Doktor Alexander in Hemdsärmeln unterrichtete, wobei nicht einmal der Direktor was dagegen einwenden konnte. Ich fahre oft hinaus ins Grüne, aber alle Wiesen sind zu glatt und zu gepflegt, in den Wäldern hat man Papierschnitzel verstreut.

Ich möchte mich hineinwerfen können in saftige Blätter und fettes Gras. Ich möchte nackt sein dürfen und strampeln, bis der Geruch der Erde mir in alle Poren kriecht. Vielleicht springt mir ein Affe auf den Bauch. Gelbe Blumen ringsum und schwerblauer Himmel. Fülle, Fülle und Lust ...

So aber gehe ich in einem geblümten Kleid — um jedes Sträußchen ist noch ein rosa Kreis gemalt, Ausverkauf, letztes Stück — immer noch Morgen für Morgen in die Bibliothek. An den Regalen schmilzt der Lack. Die Bücher kleben. Wie lange soll das alles noch dauern.

Ich halte es nicht aus. Die Schaufenster sind riesige Glashöhlen geworden, die Spiegel Wasserflächen unter Regenhimmel. Leer, alles leer. Nur die Leinwand im Kino ist belebt. Aber das traurige Mädchen gestern, das verstoßen wurde, missachtet und beleidigt, sah wieder aus wie die Fremde. Ich lief mitten drin davon. Was eine Dummheit war, denn das Ganze ging sicher gut aus. Happy End heißt man das.

Anette ist übrigens böse auf mich. Sie will mich nicht sehen, immer hat sie eine andere Ausrede.

Da stimmt etwas nicht. Sie wird sich doch nicht vor mir fürchten. Was das wieder heißen soll! Aber etwas stimmt nicht. Das alles stimmt nicht.

Es kann nicht gut ausgehen.

Ich werde abreisen. Vielleicht nimmt mich auch ein fahrender Zirkus mit. Denn Axel darf mich nicht küssen. Er ist der Einzige, der es nie und unter keinen Umständen wissen darf. Ich liebe ihn ja.

Gestern versuchte er es unter einem dunklen faulenden Fliederstrauch. Ringsumher auf Bänken lauter Liebespärchen. Hinter Gittern ein verschwommener Mond. Beinahe hätte ich geschrien. Ein Schutzmann wurde auf uns aufmerksam.

Wortlos begleitete Axel mich nachhause. — Geh zu deiner Frau, sagte ich ihm.

Warum erwartet sie ihn denn nicht, diese Frau? Warum bereitet sie ihm nicht Tee, wenn er nachhause kommt, warum streicht sie ihm nicht Kissen zurecht? Immer hat sie mit sich zu tun, diese Frau. Warum legt sie ihm denn keine andere ins Bett, eine Gute, Schöne, eine Gesunde? Warum hilft sie ihm nicht, warum — ich werde mich an Ulla wenden. Ach Ulla, die denkt an ihren Primarius, für sie ist ein Mensch wie Axel nur ein Spielzeug, oder bestenfalls ein angenehmes Narkotikum.

Soll ich vielleicht Anette — ich bin ja wahnsinnig.

Axel sagt es auch. Das heißt, er sagt nicht wahnsinnig, so ein Wort gebraucht man nicht am hellichten Tag, ohne gleich die Rettungsgesellschaft zu avisieren. Er sagt verrückt. Er findet mich verrückt, weil ich ihn liebe, weil es mir ganz gleichgültig ist, ob, ach was, ich würde ihn lieben, auch wenn ich keinen Mund hätte, um ihn jemals zu küssen —

Das versteht er nicht. Wie sollte er auch. Er hat ja seine Physik, seine Experimente. Er ist doch nicht da, um irgend ein dummes Frauenzimmer wie mich zu lieben. Er ist da, um groß zu werden und berühmt.

Dass sie es wagt, ihn daran zu hindern! Diese, diese — Ich werde sie erwürgen.

Heute morgen gab es nicht nur Krach, es gab auch Skandal. Ich bin nicht mehr die Bibliothekarin mit fixem Gehalt, Krankenkasse und Alterspension — was bin ich denn jetzt überhaupt?

Aber es war zu komisch. Ich habe ihm Schwein gesagt, dem Zaunegger nämlich. Das hat ihm wohl noch keine gesagt und dabei war es schon die höchste Zeit. Es war ein Genuss.

Die Marschall war natürlich dabei und zwei alte Diener und ein Student. Eine großartige Scene! Was dachte denn der Kerl? War schon die ganzen letzten Wochen fuchsteufelswild auf mich. Na, kein Wunder, für den bin ich noch lange zu gut.

— Sie Fräulein, so geht das nicht, sagte er, weil ich um zwanzig Minuten zu spät kam. Sein Schnurrbärtchen sträubte sich. Etwas hing daran, vielleicht ein bisschen Haut vom Frühstückskaffee, da musste ich lachen und sagte Schwein.

Also, das war ein Skandal! Die Marschall kreischte auf, beide Diener liefen zu ihr hin, um sie zu halten, sonst wäre sie wohl in Ohnmacht gefallen, die zarte Braut, und der Herr Zaunegger rief krebsrot und heiser mit ausgestrecktem Arm: — Hinaus. Sie ordinäre Person! Na, fein bin ich auch wirklich nicht gewesen.

Was Axel sagen wird? Vor ihm ist es mich nicht ganz angenehm. Sicher findet er mich wieder verrückt. Das tut er jetzt ja immer. Ich habe ihn gebeten, mich heute Abend aufzusuchen. Was morgen sein wird, weiß Gott.

Ja richtig, ich vergaß ganz zu schreiben, dass meine Wirtin mich in aller Gemütlichkeit auf die Straße setzt. Erstens bin ich die Miete schuldig und zweitens kamen schon dreimal die Gerichtsvollzieher und klebten zum Schluss Zettel auf meine Sachen, weil ein paar Raten für den Pelz nicht gezahlt sind. Nette Geschichten!

Alles ist aussichtslos. Und das ist so am besten. Heute kommt Axel noch zu mir, ich habe wunderbare große Herzkirschen für ihn gekauft und eine Grapefruit, das mag er so gerne. Morgen bin ich fort, auf einer Landstraße, in einem Wartesaal, in einem Eisenbahnabteil oder in einem Zirkuswagen. Fahrtrichtung einerlei.

Wo Axel nur bleibt? Ich begreife das nicht, er ist doch sonst so pünktlich. Nun ist es schon ein Viertel nach neun. Aus lauter Langeweile zog ich meine Schreiberei noch mal aus der Lade. Ob die wohl auch als gepfändet gilt? Axel muss jeden Augenblick kommen, jeden Augenblick. Es wird ihm doch nichts geschehen sein. Er ist grässlich unvorsichtig mit seinem Auto. Am Ende ist er tot. Axel —

Herrgott noch einmal, es ist ja noch nicht so furchtbar spät. Solange nicht halb zehn ist, brauche ich mich wirklich nicht aufzuregen. Das hat gar keinen Sinn. Die Grapefruit ist heute nicht so groß wie sonst. Ich werde sie öffnen und für ihn zuckern.

Noch immer nicht. Dreiviertel zehn. Vielleicht wäre es meine Pflicht, sofort die Polizei zu verständigen. Er wird doch nicht böse sein auf mich. Ach Gott, diese grässlichen Zettel von den Gerichtsvollziehern. Es sieht wirklich nicht eben wohnlich aus bei mir. Ich werde ein bisschen Wasser holen und sie alle herunterwaschen. Bis ich fertig bin, ist er sicher da.

Halb elf. Ich habe drei Kirschen gegessen.

Halb zwölf. Ich weiß, wo er ist.

Zwölf. Nein, nein, das darf nicht sein. Grete ist schuld daran. Sie hat ihn ja dazu gezwungen. Immer schon war sie so tugendhaft. In der Schule merkte sie es nicht, wenn Doktor Alexander ihre Stimme hören wollte. Wenn man so ist wie Grete, darf man doch nicht einen Mann haben wollen, einen lebendigen Mann. Ihr ist es gleich, was mit ihm geschieht, ob er zu irgend einem Mädchen auf der Straße geht, wenn nur die Küche blitzblank und sauber ist und die Köchin gezahlt und zufrieden.

Sie weiß gar nicht einmal, wann er nachhause kommt.

Aber ich, ich, ich warte auf ihn. Ich kann ihm nicht helfen, aber ich —

Zehn nach zwölf. Grete muss sterben.

In dem Zirkus, dem gewissen, wo der Schlangerl sich das Herz aus dem Leibe renkte, einen Hermelinmantel besaß er auch, gab es eine alte Zigeunerin. Eine wilde Person, sie konnte Karten aufschlagen wie keine. Und sie kannte alle möglichen Mittelchen. Nicht Gift, oh nein, viel, viel hinterhältiger.

Man nehme ein Bild der gehassten Gegnerin, ein nacktes Bild und eine lange ausgeglühte Stopfnadel, man schlage dreimal das Kreuz und vergesse nicht, alle Türen vor dem Bösen zu verriegeln —

Ich habe kein Bild von Grete, aber ich möchte eine lange ausgeglühte Stopfnadel nehmen und —