Die Silbermünze aus dem Jahr 1791, Königreich Neapel, 120 Grana. Sof‌ia hielt sie in der Hand, drehte sie zwischen den Fingern. Das Licht reflektierte darauf und brachte die feine Prägung zur Geltung.

Die Münze, hatte Vincenzo gesagt, sei ein Geschenk. Für sie und Jack. Er hätte sie selbst vor der Küste von Ischia aus dem Meer gefischt.

Sof‌ia legte die Münze neben ihr Schreibheft auf den Tisch. Mit diesem Geschenk hatte das Desaster angefangen.

Die Idee, Vincenzo Taccone in die Via Tamborio auf die Terrasse einzuladen, war eine Flucht nach vorne gewesen. Nach der Tauchexpedition und dem Streit auf dem Boot waren mehr als zwei Wochen vergangen, ohne dass sie etwas von Vincenzo gehört hatten. Sie zerbrachen sich den Kopf: Hatten sie es vermasselt? Oder durf‌ten sie sich – wenigstens mittelfristig – noch Chancen auf ein Praktikum und eine Mitarbeit in seinem Forschungsteam ausrechnen?

Die Tatsache, dass er ihre Einladung sofort annahm und zusagte, hatte sie mehr als erleichtert. Ja, sie waren geradezu beflügelt von der Aussicht gewesen, den Abend mit Vincenzo zu verbringen, hatten überlegt, was sie kochen würden, waren auf den Markt gegangen, hatten Getränke kaltgestellt, waren total aufgeregt. Sof‌ia hatte sich für ein

Sie waren noch nicht einmal bei den Antipasti, da erwähnte Vincenzo eher beiläufig, dass es mit dem Praktikum kein Problem sei. Sie könnten schon am Montag anfangen. Das Ganze sei zwar unbezahlt, aber sie wären am Istituto di biologia marina und in seinem Team, in seiner Arbeitsgruppe.

Von hier auf jetzt waren sie in Hochstimmung gewesen. Sof‌ia konnte rückblickend nicht mehr sagen, worüber sie geredet, gelacht, was sie gegessen hatten und in welcher Reihenfolge. Sie hatten getrunken und getanzt, ausgelassen und albern, bis sie sich erschöpft in die Kissenecke fallen ließen, die Jack auf der Terrasse eingerichtet hatte.

Sie lagen zusammen, über ihnen drehte sich der Sternenhimmel, und die »Zeit für private Geständnisse«, wie Jack es nannte, war gekommen.

Vincenzo musste den Anfang machen und erzählte, dass er eigentlich in Rom in einer WG wohnte, dass er neben Eng‌lisch auch Hebräisch sprach und drei Jahre mit einer Israelin zusammen gewesen war, einer Laborassistentin. Letzteres warf er ihnen nebenbei, wie zufällig, hin, und Jack und sie hörten gespannt zu. Sie wollten alles von Vincenzo wissen, vor allem das Private, und die Stimmung war auch so. Bis Vincenzo plötzlich ein Stück Papier, ein kleines flaches Päckchen, hervorholte.

Es sei ein Talisman, sagte er, während sie mit Jack das Papier auseinanderwickelte und überrascht die Münze

Jack fand als Erster seine Sprache wieder, bedankte sich und versicherte, die Münze würde sie immer daran erinnern, bei der Forschungsarbeit präzise zu sein. Dann stand er auf und erklärte, er würde jetzt runtergehen ans Meer, zum Schwimmen. »Kommt jemand mit?«, fragte er.

Sof‌ia schüttelte den Kopf, und Vincenzo schlug vor, gemeinsam einen letzten Limoncello zu trinken, dann würde er gehen. Aber Jack wollte lieber gleich los, verabschiedete sich von Vincenzo und verschwand über die Terrasse. Sie hörten, wie in der Dunkelheit die Gartenpforte ins Schloss fiel, dann war alles still.

Noch nie war sie mit Vincenzo allein gewesen. Er war ganz nah, sie konnte die Wärme spüren, die sein Körper ausstrahlte. In seinen Augen spiegelte sich der Mond, und sein Lächeln war aufrichtig und pur. Wie eine Welle rollte seine Zuneigung heran, um sich im nächsten Moment wieder zurückzuziehen, nicht aus Angst oder Kalkül, sondern der natürlichen Balance wegen. Sie wusste, wenn sie nicht auf der Stelle etwas unternahm, sich nicht ganz schnell zurückzog, würde die Welle wiederkommen und sie verschlingen.

Sie blieb, wo sie war, und rührte sich nicht von der Stelle. Sein Gesicht kam näher, und im nächsten Moment spürte sie seine weichen Lippen, seine Hände, und sie schlang ihre Arme um seinen Körper. Sie liebten sich in der stillen Angst – und auch von ihr befeuert –, dass Jack jeden Moment zurückkommen könnte.

Als Jack bei Sonnenaufgang endlich wiederauf‌tauchte,

»Steht dir«, sagte er und schaute sie prüfend an. »Steht dir sogar richtig gut. Und weißt du was? Sie gehört dir.«

Sie tastete nach der Münze auf ihrer Haut. Sie fühlte sich kühl an, roch metal‌lisch und würde sie immer an diesen Abend zu dritt erinnern und daran, wie sie Vincenzo in ihr Leben gelassen hatten.