Laurelin de Jong

»Ich will, dass du herausfindest, wer hinter diesem unerhörten Anschlag steckt.« Meine Mutter hatte mich, wie immer, wenn es um einen geheimen Auftrag ging, in ihr Schlafzimmer zitiert. Während sie wie ein wütender Tiger auf und ab ging, saß ich auf ihrem Himmelbett, das mit einer roten Seidenbettwäsche bezogen war. Goldene Ranken schwangen sich um Holzbalken zum Baldachin empor, von dem aus zarte Tücher das Bett umspannten. Meine Mutter hatte einen teuren und ausgefallenen Geschmack. Und sie mochte es nicht, wenn ich auf ihrem Bett saß.

Weshalb ich es tat.

»Wäre nett gewesen, wenn du mich vorgewarnt hättest.« In meiner Hand lag ein Dolch, den ich kreisen ließ. »Woher wusstest du überhaupt, dass es passieren würde?«

»Ich wusste gar nichts. Für was hältst du mich?«

»Für skrupellos …«

Ruckartig blieb sie stehen und funkelte mich wütend an. »Skrupellos? Ich würde niemals das Leben meiner Kinder riskieren.«

»Nein?« Das wäre beruhigend zu erfahren.

»Jetzt hör auf mit dem Unsinn und mach dich auf die Suche.«

»Das werde ich, Mutter«, brummte ich. »Hast du denn einen Verdacht, wer das getan haben könnte?«

»Machst du Witze?«, rief sie. »Die halbe Stadt will mich tot sehen. Wütende Geschäftspartner. Gekündigte Mitarbeiter. Die Konkurrenz. Enttäuschte Liebhaber. Ich habe aufgehört, sie zu zählen …«

»Wenn du netter wärst, hättest du vielleicht weniger Feinde.«

Sie schnaubte. »Nett sein ist etwas für Verlierer, Laurelin. Ich bin eine Baronin und ich habe die letzten Jahre sehr viel investiert, um unsere Macht zu vergrößern.«

»Okay. Gibt es jemand, der dich mehr hasst als andere?«, versuchte ich es erneut.

»Die anderen Barone natürlich. Allen voran die beiden Mächtigsten. Die Herren des Glücks und der Magie. Bei allen Göttern. Ich hoffe, sie ersticken an ihrem Abendessen.«

»Reizend …«

»Sie fürchten meine Macht, Laurelin. Darum würden sie alles tun, um mich aufzuhalten, aber ein Anschlag auf meine Kinder? Das passt nicht zu ihnen … Wir Barone intrigieren vielleicht gegeneinander, aber unsere Gesetze verbieten es uns, einander direkt anzugreifen.« Es gab nicht viele Gesetze in Amsterlock, aber eines war nahezu unantastbar, um den Frieden zu wahren: Die Barone durften einander nicht physisch schaden. »Es muss etwas anderes dahinterstecken. Jemand anderes …«

»Nun gut, ich werde mich umsehen.«

»Erstatte mir regelmäßig Bericht.«

»Ja, Mutter.« Ich erhob mich und machte mich auf den Weg zur Tür. Als ich auf den Gang trat, lief ich Richard in die Arme, der wie immer vor der Tür meiner Mutter Wache schob. Sein Hundeblick landete auf mir und er stellte mir die Frage, die ich mir von ihr gewünscht hätte. »Alles in Ordnung?«

»Natürlich«, erwiderte ich bissig. Warum musste er immer so verständnisvoll sein? »Hätte deine Hilfe nicht gebraucht.«

»Das weiß ich.« Er nickte ernst. Manchmal fragte ich mich, ob er von mir wusste. Von dem Geheimnis, das Mutter und ich versteckten. Aber nein. Das konnte nicht sein. Mutter vertraute niemandem. Nicht einmal ihm und seinen treuen, besorgt dreinblickenden Augen.

Fast väterlich legte er mir eine Hand auf die Schulter und drückte sie. »Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.«

Er war so verflucht nett, dass es wehtat. Netter, als meine Mutter je sein würde, und besorgter. Was hatte so einen netten Menschen ausgerechnet hierher verschlagen? In die Arme der Baronin der Liebe. Anders als ihr Name vermuten ließ, war sie nicht liebenswürdig und hatte mit echter Liebe nichts am Hut.

»Wo ist der Tote?«, wechselte ich das Thema und schüttelte seine unerträglich fürsorgliche Hand ab.

»Unten. Er soll obduziert werden.« Er musterte mich weiterhin. »Sollst du Ermittlungen anstellen?«

»Natürlich. Ich bin die Beste.«

»Das stimmt. Beatrice kann froh sein, dich zu haben.« Ich zuckte zusammen, wie immer, wenn er meine Mutter vertraulich beim Vornamen nannte.

»Pass auf dich auf«, flüsterte er.

»Pass du lieber auf meine Geschwister auf. Ich will nicht, dass noch ein de Jong verletzt wird. Auch wenn es nur ein Kratzer ist.« Um Mutter machte ich mir kaum Sorgen, sie konnte wie ich auf sich aufpassen.

»Natürlich«, bestätigte Richard ernst. »Die Sicherheit der Baronessas und Baronessos liegt mir ebenso am Herzen wie die der Herrin selbst.«

»Gut.« Ich nickte und machte mich auf den Weg nach unten, um noch einen Blick auf den Attentäter zu werfen, bevor Mutters Ärzte ihn aufschneiden würden. Die Räume des Pathologen waren im Keller. Wie könnte es auch anders sein? Gruselige Dinge fand man immer im Keller.

Die Wachen ließen mich ohne Nachfrage passieren. Das war der Vorteil, wenn man Mutters Bluthund war. Meine Geschwister hätten nicht so einfach Zutritt bekommen.

Vincent Verhoeven trug eine Brosche, die eine Nadel vor einem Hut darstellte, das Zeichen des Seidenbarons. Er gebot über die Boutiquen und Laufstege der Stadt. Auf seiner Gehaltsliste standen Designer, Näher, Weber. Kurz gesagt alles, was mit Stoffen und Mode zu tun hatte. Soweit ich wusste, hatte er mit meiner Mutter keinen größeren Zwist. Sie trug sogar seine Kleider, die in ganz Amsterlock verdammt angesagt waren.

Die Bohnenstange war jung. Goldene Locken fielen ihm in die Stirn und umrahmten ein feines Gesicht. Ich untersuchte seine Hände, die zart waren. Nicht wie bei jemandem, der mit Waffen geübt umgehen konnte. Eher wie jemand, der goldene Einhörner mochte …

»Warum, Vincent? Warum hast du das gemacht?«, murmelte ich. Erneut betrachtete ich das Gesicht des Jungen, der kaum älter war als ich. Er sah nicht wie ein Mörder aus. Andererseits wusste ich besser als jeder andere, dass das nichts hieß. Man konnte den Menschen nur vor die Stirn gucken. Die dunklen Geheimnisse lauerten dahinter.

Ich drehte ihn zur Seite, um einen Blick in den teuren Mantel zu werfen. Auch der trug das Zeichen des Seidenbarons eingenäht im Kragen. Anschließend durchsuchte ich seine Taschen. In seiner linken Brusttasche konnte ich eine Haarsträhne finden, die von einem goldenen Faden zusammengehalten wurde. Hexenhaar. Das brachte angeblich Glück.

Ich knöpfte sein Hemd auf und erstarrte. Über dem Herzen trug er ein kleines, frisches Tattoo, welches unspektakulär wirkte. Doch das war der kleine schwarze Ring keineswegs. Er bedeutete den Tod.

Na großartig!

Womöglich doch ein Auftragsmörder. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Noch dazu einer vom Schwarzen Ring, was einer Sackgasse für jegliche Ermittlungen gleichkam, denn sie lebten nach zwei Regeln.

1. Verlässlichkeit: Wenn wir einen Auftrag annehmen, führen wir ihn aus.

2. Diskretion: Unsere Auftraggeber werden unter keinen Umständen enthüllt.

Da wollte jemand ganz sicherstellen, dass wir ihn nicht erwischten. Denn für gewöhnlich kannte niemand die Identität der sogenannten Phantome. Und für gewöhnlich konnte man sie nicht so einfach töten …

In meinem Zimmer streifte ich mir das Jackett ab und pfefferte es in die Ecke. Dicht gefolgt von Hose, Hemd, Schuhen und meinen Waffen. Dann huschte ich nackt zum Badezimmer und stellte mich unter die Dusche. Heißes Wasser floss auf mich herab und schwemmte die letzten Reste der Gänsehaut hinfort, die nach dem Anschlag meinen Körper überzogen hatte, ebenso wie das mittlerweile getrocknete Blut.

Auch wenn ich es vor Mutter nie zugeben würde, hatte ich Angst gehabt. Um das Leben meiner Schwestern und auch um mein eigenes. Ich schloss die Augen und sah wieder die Klinge aufblitzen. Dann fiel der Schuss.

Das war knapp gewesen. Verdammt knapp.

Vor meinem inneren Auge sah ich Seraphines panischen Blick, als sie das Blut entdeckte und begriff, wie knapp sie entkommen war. Ich hörte ihr Schluchzen, als sie von den Ärzten meiner Mutter versorgt wurde. Spürte Gerlinas Finger, die sich in meinen Arm krallten. Und ich hörte das Wimmern des armen Kerls, den ich mit meinem Messer erwischt hatte. Er war mittlerweile von seiner Familie abgeholt worden. Ohne Nachfragen. Ohne Beschwerden. Niemand von seinen Leuten wollte es sich mit meiner Mutter verscherzen.

Aber um unsere Hand anhalten würde er wohl auch nicht mehr.

Schnell hielt ich mein Gesicht unter den dampfenden Strahl, bis die Bilder verschwanden. Erst als meine Haut rot und aufgeweicht war, trat ich heraus und griff nach einem weichen Handtuch, das ich mir um den Körper wickelte. Ein weiteres band ich mir um die triefenden Haare, bevor ich mich vor den Spiegel stellte. Dunkle Augen unter geraden, schwarzen Augenbrauen starrten mir entgegen.

Weiße Flecken überzogen meine Haut wie kleine helle Inseln. Sie schlängelten sich den Hals empor und besprenkelten die linke Seite meines Gesichtes. Das Ohr. Die Schläfe und die Haut um das linke Auge. Eine Komposition aus warmer Bronze und blassem Perlmutt. Vitiligo, eine Pigmentstörung. Oder, wenn es nach meinen Geschwistern ging, Kälbchenhaut. Sie machte mich einzigartig, genau wie das Erbe meines Vaters.

Eingewickelt in Handtücher ging ich zurück ins Zimmer. Einer der Diener hatte alle Geschenke der Junggesellen auf meiner Kommode aufgereiht. Ich warf einen Blick darauf, konnte aber außer einer Schachtel edler Pralinen nichts Nützliches entdecken. Also riss ich die Packung auf und warf mir eine der sicher lächerlich teuren Schokoladenkreationen in den Mund.

Dann fiel ich auf mein Bett, hob die Decke an und kuschelte mich in sie hinein. Unter dem Kopfkissen lag ein Messer, aber eigentlich brauchte ich hier keine Waffe, denn ich fühlte mich sicher. Vor allem, wenn die Nacht kam und mit ihr die Dunkelheit, hatte ich das Gefühl, mein Vater selbst würde über mich wachen und seine Hände über mich legen, um mich zu beschützen. Zumindest hatte ich mir das früher gerne so vorgestellt.

Plötzlich ging die Tür auf und eine zierliche Gestalt schob sich herein.

»Lauri?« Es war meine Schwester Gerlina, die, mit einem rosafarbenen Schlafanzug bekleidet, vor mir stand. »Kann ich hier schlafen?«

»Wenn Mutter das erfährt …«, erinnerte ich sie. Die Baronin fand das ein Zeichen von Verweichlichung. Früher hatte sich Gerlina vor der Dunkelheit gefürchtet und war regelmäßig in mein Bett geschlichen, bis Mutter uns erwischt hatte. Danach musste Lina nächtelang im finsteren Keller ausharren, bis sie ihre Furcht vor der Dunkelheit überwunden hatte.

»Ist mir egal … Im Moment habe ich mehr Angst vor einem weiteren Attentäter als vor ihr.« Eh ich mich’s versah, schlüpfte sie zu mir unter die Decke. »Ihhh! Bist du wieder nackt?«

»Ich hab ein Handtuch an«, verteidigte ich mich.

»Das ist keine anständige Schlafbekleidung«, schimpfte sie mit gespielter Empörung. »Das gehört sich nicht für eine Baronessa.«

»Als ob mich das kümmert«, schnaubte ich und sie kicherte.

Eine Weile schwiegen wir.

»Du findest die Verantwortlichen doch, oder, Lauri?«, hakte sie nach und ich hörte die Angst in ihrer Stimme mitschwingen. Sofort wurde mein Blick weich und ich griff nach ihrem Kinn.

»Ich werde mein Bestes geben«, versprach ich, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, wo ich meine Suche beginnen sollte. Der Schwarze Ring war überall und nirgends. »Bleib hier, wenn du willst.«

Mit diesen Worten drehte ich mich um. Sofort schlangen sich dünne Arme um meinen Körper und ich spürte Gerlinas heißen Atem zwischen meinen Schulterblättern. »Danke.«

Ich knurrte.

»Es ist nicht deine Schuld«, fuhr Gerlina fort und drückte mich.

Sofort hatte ich wieder Seraphines entsetzten Blick vor Augen und den Unschuldigen mit der Glasrose, der sich stöhnend auf dem Boden wand.

Doch! Es war meine Schuld …

»Du wolltest uns nur beschützen«, flüsterte meine Schwester weiter. Auch wenn ich nur allzu gerne die Unnahbare spielte, schien sie immer genau zu wissen, was in mir vorging. »Das ist es, was du tust. Und dafür liebe ich dich.«

Ja, das wollte ich. Sie beschützen. Vor den Gefahren da draußen, aber auch vor dem, was in mir lauerte.