»Willkommen in deinem neuen Zuhause.«
Zwei Männer hatten mich abgeholt. Dass mein neuer Herr selbst sich nicht herbemüht hatte, wunderte mich keineswegs. Für ihn war ich nichts weiter als ein äußerst wertvolles Investment. Nichts, mit dem man sich persönlich abgab.
Der Baron des Glücks wohnte in einem Anwesen auf einem Hügel, von dem aus man den Rest der Stadt überblicken konnte. Seine Villa, welche grün angestrahlt wurde, lag direkt an einer Klippe, ja sie schien sogar an der Rückseite mit dem dunklen Stein verwachsen zu sein. Legenden zufolge stieß er diejenigen, die bei ihm in Ungnade gefallen waren, vom Dach seines Anwesens über die Klippe ins Meer.
Etwas, was mir nicht bevorstand, denn durch meinen Glitzer war ich zu wertvoll, um zu sterben. Mein Schicksal würde für immer in den Steinen dieser Villa liegen. Im schlimmsten Fall eingesperrt in einen Keller, ohne die Chance, das Sonnenlicht je wiederzusehen.
Was ist? Du wolltest doch herkommen , schnurrte Glückspilz, der ein paar Meter entfernt von mir über die gemähte Wiese trabte.
»Nicht unbedingt so«, flüsterte ich und für einen Moment glaubte ich, dass der Kater seine Augen verdrehte.
Du bist aber auch schwer zufriedenzustellen, brummte er und verschwand in einer Hecke.
Ich wurde den Weg zum Anwesen emporgeschleift. Der Weg war gepflastert mit Straßenlaternen, die die Form von Pilzen hatten, das Wappen des Glücks. An jeder Ecke waren Wachen, die das Haus schützten und dafür verantwortlich waren, dass niemand floh.
Mit hängendem Kopf folgte ich meinen Wachen über den knirschenden, beleuchteten Kiesweg. Jeder Stein war grün, die Lieblingsfarbe des Barons. Beschäftigte Diener huschten durch den Garten, um ihn zu dekorieren. Vermutlich für eine Feier. Der Baron war für seine ausschweifenden Feste und Bälle bekannt, zu denen gerne ganz Amsterlock erschien, um sich von seinem Glück erfreuen zu lassen.
Kurz hob ich den Kopf, als uns eine junge Frau entgegenkam. Sie hatte goldblonde Locken, mit einzelnen grünen Strähnen, passend zu dem ausgestellten Kleid, das sie trug. In ihrer behandschuhten Hand hielt sie einen Stock, auf den sie sich stützte. Ihr linkes Fußgelenk schien steif zu sein, jedenfalls zog sie es bei jedem Schritt ein wenig nach. In der anderen Hand hielt sie eine Lampe, in der eine dicke Leuchtkröte saß.
Meine Begleiter verbeugten sich ehrfürchtig vor ihr. »Baronessa Ophelia Jonker. Wir haben die Elfe.«
Ophelia Jonker. Die einzige Tochter des Barons.
Hinter vorgehaltener Hand wurde sie in Amsterlock auch gerne »Die Eiskönigin« genannt, denn sie war nicht gerade für ihr sonniges Gemüt bekannt.
»Bringt sie in mein Labor«, sagte sie mit kühler Stimme. »Ich werde direkt mit der Extraktion anfangen.«
Sie folgte uns zu einem Nebeneingang für die Diener und schließlich hinunter in den Keller. Der Raum, in den man mich führte, war nur spärlich eingerichtet und wirkte beinahe steril. Der Geruch von Alkohol und beißendem Reinigungsmittel schwappte mir entgegen.
Panik überkam mich und ließ mich erstarren, aber es half nichts. Die Männer zerrten mich einfach weiter, direkt auf die Liege, die in der Mitte des Raumes stand. Sie drückten mich darauf. Metallspangen legten sich um meinen Bauch, meine Arme und Beine. Erst als sie sicher waren, dass ich mich nicht mehr wehren konnte, trat Ophelia heran. Sie hatte sich einen weißen Kittel übergeworfen und feste Gummihandschuhe, die ihren kompletten Unterarm bedeckten. Mit emotionslosem Gesichtsausdruck und einer Schere in der Hand trat sie an die Liege, um ihre Arbeit zu beginnen.
Ich widerstand dem Drang, zu betteln, da ich wusste, dass es nichts bringen würde. Ophelia sah nicht so aus, als würde sie sich für meine Gefühle und Wünsche interessieren. Ich wusste nicht, ob die Extraktion zu ihren töchterlichen Pflichten gehörte oder sie einfach Spaß daran hatte, denn wenn sie eins beherrschte, dann war es dieser genervte, säuerliche Gesichtsausdruck, dem man nichts entnehmen konnte.
Ich biss mir auf die Unterlippe und betete, dass es schnell ging.
Ophelia setzte die Schere an und zerschnitt routiniert den raschelnden Stoff des Plastikoveralls, der die Wachen vor meinem Glitzer geschützt hatte. Dann meine Kleidung darunter. Vorsichtig löste sie alles nach und nach, bis meine schimmernde, grüne Haut freilag. Die Kleidung wurde in eine Kiste gestopft und verbrannt, damit der Glitzer daran keinen Schaden anrichten konnte.
Ophelia wandte sich kurz ab, um eine Nadel zu holen, die sie mir mit einer gekonnten Bewegung in den Arm stach. Allerdings nicht, um mir Blut abzunehmen.
»Die Infusion«, befahl sie und einer der Wachen rollte einen metallenen Ständer heran, an dem ein Beutel mit goldgelber Flüssigkeit befestigt war.
Was war das? Ein Medikament? Eine Droge?
Ophelia griff den kleinen Schlauch und verband ihn mit der Nadel in meinem Arm. Panik schnürte mir die Kehle zu, als ich sah, wie die Flüssigkeit hinablief und in meinem Körper verschwand. An der Stelle ging eine seltsame Hitze aus. Brennendes Kribbeln zog meinen Arm empor und breitete sich in meiner Brust aus. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Eine Welle von Übelkeit überkam mich, als immer mehr von dem Zeug – was auch immer es war – in mich hineinfloss. Auch wenn ich Extraktionen bereits kannte, hatte ich nie zuvor ein solches Mittel bekommen. Sollte ich dadurch gefügiger werden?
»Ich komme in einer Stunde wieder«, verkündete Ophelia. »Passt auf, dass nichts danebenläuft.«
So blieb ich liegen. Splitterfasernackt auf die Bahre gefesselt, während die Infusion meine Sinne vernebelte. Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber meine Gedanken brachen ständig ab wie dünne Äste im Sturm.
Gleichzeitig stiegen Hunderte Ängste in mir empor. Was, wenn du hier nie wieder wegkommst, Zori? Was, wenn dieses Haus dich für immer verschlingt?
Ich versuchte mich an den Geruch der Bäume zu erinnern, etwas, das mir eigentlich immer Kraft gab, aber heute erinnerte es mich nur an das, was ich verloren hatte, und der Schmerz wurde nur noch größer.
Plötzlich spürte ich etwas Kühles an der Wange. Verschwommen sah ich, wie sich jemand über mich gebeugt hatte, um meine Tränen aufzufangen. Ich blinzelte und sah die Wache mit dem Reagenzglas verwirrt an.
Zufrieden drehte er sich zu seinem Kollegen um. »Elfentränen bringen eine Menge Geld.«
»Du musst den Herrn um Erlaubnis bitten«, entgegnete der. »Das Flüsterwesen gehört ihm und alles, was sie produziert, auch. Einschließlich ihrer Tränen. Oder willst du rausfliegen?«
Fluchend stellte die Wache das Reagenzglas ab und warf mir einen bösen Blick zu, so als wäre ich schuld daran, dass er mit meinen Tränen kein Geld verdienen konnte. Für sie war ich bloß ein seelenloses Ding, dabei waren sie diejenigen, die außerstande waren, Mitgefühl zu empfinden.
Gefangene Elfen mussten sich regelmäßig einer Extraktion unterziehen, einem Verfahren, bei dem man uns unser Glitzersekret abzapfte. Danach dauerte es knapp zwei Wochen, bis unser Körper das Sekret nachproduzierte.
Auch mein letzter Besitzer hat mich regelmäßig extrahieren lassen und den Glitzer dann verkauft. Auch damals gab es schon mehrere Abnehmer, aber er hatte noch keinen Nutzen, denn auch losgelöst von der Haut war er gefährlich. Zu viel von ihm konnte Menschen lähmen oder vor Glück wahnsinnig machen. Also verkaufte man ihn als Accessoires oder Glücksbringer. Erst als die Jonkers daraus eine Droge entwickelt hatten, wurde er wirklich kostbar.
Nach einer Stunde, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, kam Ophelia wieder. Die goldene Flüssigkeit war mittlerweile komplett in meinem Körper verschwunden. Ich fühlte mich, als würde ich in Flammen stehen. Meine Haut brannte und glitzernder Schweiß lief an mir herab.
Ich war mittlerweile so erschöpft, dass ich nicht einmal mehr die Kraft hatte zu weinen. Meine Lider waren schwer und es kostete mich all meinen verbliebenen Willen, die Augen offen zu halten.
Ophelia setzte sich eine Gesichtsmaske auf. Dann griff sie vorsichtig zu einem Schwamm und fuhr mit ihm über meine Haut.
»Das wird eine reichliche Ernte«, murmelte sie, als sie die glitzernden Rückstände auf dem Schwamm begutachtete.
Ophelia nahm eine Vorrichtung, die ein bisschen an eine Bürste erinnerte, aber anstelle von Borsten hatte sie feine Nadeln und am Griff war ein Schlauch befestigt.
»Je weniger du dich wehrst, desto weniger wird es wehtun.«
Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich mich nicht mehr wehren können. Ihr Gift sorgte dafür, wie sie zweifellos wusste.
Ophelia setzte die Nadeln auf meine Haut. Ich zuckte zurück, konnte aber nicht fliehen. Die feinen Spitzen bohrten sich in mich. Es tat nicht wirklich weh, da sie nur in die oberen Hautschichten drangen. Es war mehr ein unangenehmes Brennen und Ziehen an der Stelle und doch zog sich in mir alles zusammen, denn ich wusste, was nun passieren würde.
Die Bürste ruckelte und im gleichen Moment sah ich, wie funkelnde Partikel durch den Schlauch in einen Glasbehälter gesaugt wurden. Mit meinem Elfenglitzer nahmen sie mir einen Teil von mir. Und als ich mit ansehen musste, wie das glitzernde Sekret in den Behälter tropfte, stiegen mir erneut Tränen in die Augen. Der Glitzer gehörte zu seiner Elfe, er machte uns aus, verband uns mit den Bäumen und Tieren um uns herum, schenkte uns Macht, die uns die Menschen einfach raubten, um sie für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Die Extraktionsprozedur dauerte Stunden. Stück für Stück wurde mir mein Glitzer genommen, bis meine Haut nur noch einen blassgrünen Farbton hatte.
Dann zogen sie mich von der Liege. Mir wurde ein Hemd über den Kopf gezogen, da mir die Kraft fehlte, es selbst zu tun. Mein Kopf dröhnte und ich kämpfte mit der Übelkeit. Danach schleiften sie mich in ein Zimmer oder viel mehr eine Zelle. Hier gab ich der überwältigenden Müdigkeit nach und schloss die Augen.
»Glückspilz?«, flüsterte ich. Mit ihm würde ich mich weniger einsam fühlen, aber der Kater antwortete nicht.