Eigentlich liebte ich es, zu tanzen. Meinen Körper der Musik zu übergeben und mich mit ihrem Klang zu verbinden. An Tagen wie heute verging mir allerdings die Lust aufs Tanzen. Männer, die ihre verschwitzten Hände auf meine Hüfte pressten und keuchten. Dazu diese gierigen Blicke, als würde ich ihnen gehören. Als würde ich nur dafür existieren, ihnen das Leben angenehmer zu machen.
Meine Füße flogen nicht leicht dahin wie sonst. Sie fühlten sich schwer an, lahmten dem Takt der Musik hinterher, die sich in meinen Ohren schmerzhaft und schrill anhörte. Es hatte nur einen Lichtblick an diesem Abend gegeben, als Quintus mit mir über die Fläche geschwebt war. Es war, als ob uns das Schicksal seit der Nacht, in dem ich ihm begegnet war, immer wieder zusammenführen wollte, und auch wenn er ein typischer Mensch war, etwas eingebildet, selbstverliebt und ein notorischer Lügner, war da noch etwas anderes in ihm. Eine Seite, die etwas in mir zum Schwingen brachte. Vielleicht bloß die vertraute Einsamkeit in seinem Herzen, die er versuchte mit einem strahlenden Lächeln zu verstecken. Vielleicht seine grünen Augen, die mich an den Wald erinnerten. Oder die blassen Sommersprossen auf dem Nasenrücken, die wie Sterne aussahen. Oder die Tatsache, dass er gut tanzen konnte.
Im Gegensatz zu meinem aktuellen Tanzpartner, einem verschwitzten Kerl aus dem Fürstentum der Zufriedenheit. Und ganz wie das Wappen auf seinem Anzug versprach, hatte er immer ein Weinglas in greifbarer Nähe, weshalb seine Schritte schwer und schwankend waren. Grob riss er mich herum, sodass wir schon zum zweiten Mal in ein anderes Tanzpaar krachten.
»Ich war einer Elfe noch nie so nahe«, keuchte er. »Es ist aufregend.«
»Aufregend?«, fragte ich nach, auch wenn ich wusste, was er meinte.
»Ich hoffe nur, die waren gründlich bei der Glitzer-Extraktion, sonst werde ich dir wohl für immer verfallen.«
»Nicht für immer«, klärte ich ihn auf.
»Ich bin sicher, sie haben ein Körnchen vergessen. Darum bin ich schon verliebt.« Als er mir zuzwinkerte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich wünschte, es wäre so. Ein paar Körnchen würden mir reichen und ich würde sie ihm in sein gerötetes Gesicht reiben.
»Ist es wahr, dass Elfen Menschen fressen?«
»Ich habe noch keinen gefressen.«
»Das könnte ich mir auch gar nicht vorstellen. Bei so einem hübschen Gesicht.«
Ich rang mir ein Lächeln ab, auch wenn ich mich lieber übergeben hätte. Es gab viele Gerüchte über Elfen und die meisten waren nicht wahr. Zwar aßen wir nur lebendiges Fleisch, meistens jedoch kleine Tiere, die wir in einem Stück herunterschlucken konnten. Die Tatsache an sich schien jedoch verstörend genug, um Schauergeschichten über uns zu erfinden.
Plötzlich hörten wir ein Schreien und aufgebrachte Gäste drängten aus dem Garten in den Saal. Die Musik verstummte schlagartig und die Tanzenden hielten an, um nachzusehen, was passiert war.
»Was ist denn hier los?«, fragte mein Begleiter überfordert und zog mich an sich heran. Die Geste hätte fürsorglich wirken können, aber ich ahnte, dass er mich eher wie einen Schutzschild verwendete.
Ich blinzelte zu den Wachen hinüber, die mich auf Befehl ihres Barons bisher nicht aus den Augen gelassen hatten. Einige von ihnen zogen ihre Waffen und schoben sich in Richtung Garten, während andere versuchten, die Gäste zu beruhigen, die hektisch übereinanderstolperten.
Was auch immer hier los war, es lenkte sie ab.
War das etwa sein Verdienst?
Ich sah mich um und entdeckte ein Paar vertraute, grüne Augen in der Menge. Quin! Er zwinkerte mir schelmisch zu. Ich lächelte und er erwiderte es. Hatte dieser verrückte Dieb wirklich für die versprochene Ablenkung gesorgt? Meine Gedanken überschlugen sich vor Aufregung, während ich die Möglichkeiten, die sich mir boten, durchging. Vor allem müsste ich schnell sein.
»Wo willst du denn hin, kleine Elfe?«, brummte mein Tanzpartner und hielt mich fest.
Ich dachte nicht lange nach, sondern bleckte drohend meine Zähne, was ihm allerdings nur ein Kichern entlockte.
»Wie ein kleines Kätzchen«, säuselte er, woraufhin ich meine Geduld verlor und ihm kurzerhand in den Arm biss. Schreiend wich er zurück, aber angesichts der hysterischen, aufgeregt diskutierenden Gäste fiel er nicht weiter auf.
Ich drehte mich um, konnte Quin aber nirgends mehr entdecken. Ich schlängelte mich durch die Masse, aber der Meisterdieb war verschwunden. Enttäuschung machte sich in mir breit.
Du hast kein Recht, traurig zu sein, Zori. Er hat dir zu einer Chance verholfen. Jetzt musst du sie ergreifen.
In dem Moment erblickte ich den Dämonenjäger, der ebenfalls seine Waffen gezogen hatte und mit entschlossener Miene in Richtung Garten drängte. Ehe er mich entdecken konnte, hastete ich zu einem der Ausgänge des Saals und schlüpfte in einen Flur.
Von rechts kamen mir weitere Wachen entgegen, aber ich sprang zu einem Bücherregal. Mit ein paar Handgriffen kletterte ich hoch und presste mich leise wie eine Katze in den Staub. Die grauen Körner wirbelten um mich herum. Dabei sahen sie selbst so elegant wie kleine Tänzer aus, die fröhlich vor meiner Nase herumtanzten zu einer Musik, die nur sie hören konnten.
»Lasst nicht zu, dass die Fischmäuler entkommen!«, rief einer. »Zur Not erschießt sie einfach. Dann gibt es später eben nur einen Hundekampf.«
Keiner der Wachen sah nach oben zum Buchregal. Sie eilten, die Hände an den Waffen, den Blick geradeaus gerichtet, weiter. Puh, das war knapp gewesen!
Als ich wieder allein war, erhob ich mich. Eine graue Schicht klebte an meiner feuchten Haut und dem weißen Kleid. Leichtfüßig wie eine Katze sprang ich und landete lautlos auf dem Boden.
Etwas streifte mein Bein. Als ich hinabsah, blickten glühende Augen zu mir empor. Glückspilz hatte wie selbstverständlich den Platz an meiner Seite eingenommen und deutete mit dem Kopf auf eine Treppe, die ins nächste Stockwerk führte. Mit etwas Glück befand sich dort ein offenes Fenster, durch das ich fliehen konnte.
»Das geht nicht«, flüsterte ich und schlug stattdessen den Weg zum Keller ein. Glückspilz biss mir ins Bein, aber ich ignorierte ihn und setzte meinen Weg fort. Dickköpfig, wie er war, zog er mir seine Krallen über das Bein und fauchte.
»Ich kann sie nicht hierlassen«, flüsterte ich ihm zu.
Ich musste tun, wofür ich gekommen war. Ich musste die anderen Elfen retten. Und vielleicht würde ich … Mein Herz machte einen Sprung … meinen Vater wiedersehen.
Glückspilz jedoch schien alles andere als begeistert. Fauchend stellte er sein Fell auf, fixierte mich mit seinen dunklen Augen und bewegte sich nicht vom Fleck.
»Du musst ja nicht mitkommen.«
Ich hatte den Keller noch nicht ganz erreicht, da hörte ich erneut Schritte. Glückspilz, der mich trotz unserer Meinungsverschiedenheit nicht im Stich lassen wollte, hechtete an mir vorbei auf einen Schrank zu. Ich riss die Tür auf und huschte mit ihm hinein. Gerade rechtzeitig versank ich zwischen Pelzmänteln in der Dunkelheit, der Kater ließ sich ein paar Zentimeter weiter nieder. Sein Mal leuchtete, aber er würdigte mich keines Blickes und schmollte.
»Sie haben ihn, Baronessa«, hörte ich eine Stimme sagen.
»Gut.«
»Es gibt da nur immer noch das Problem mit dem … besagten Gegenstand. Er wird ihn nicht so leicht … loslassen.«
»Bei allen Schimmernden. Muss ich mich um alles selbst kümmern? Siehst du nicht, dass ich gerade verdammt viel zu tun habe?« Die zweite Person war definitiv Ophelia Jonker. Ihre immer leicht säuerliche Stimme erkannte ich sofort.
»Doch schon, aber …«
»Findet eine Lösung und bringt mir das verdammte Ding. Aber nicht hier. Hier ist genug los und das Letzte, was ich brauche, ist, dass die anderen Barone etwas mitbekommen.«
»Zu Befehl.«
Es wurde wieder ruhig und nachdem ich mir sicher war, dass die Luft rein war, schlüpfte ich aus dem Schrank. Glückspilz fauchte erneut und biss mir ins Bein. Deine letzte Chance, den richtigen Weg zu nehmen , schien er zu sagen.
»Ich werde sie nicht zurücklassen«, flüsterte ich und drückte die Klinke zum Keller runter, aber die Tür rührte sich nicht.
Verdammt! Abgeschlossen!
Das sollte mich nicht wundern. Immerhin ging es um Elfen, das kostbarste Gut der Jonkers.
»Was machst du hier?«
Ich fuhr herum und entdeckte Ophelia, die hinter mir stand. Dieses Mädchen hatte wirklich einen siebten Sinn!
»Mich vor aufdringlichen Verehrern verstecken?«, entgegnete ich unschuldig.
»Du wolltest fliehen.« Die Baronessa sah müde aus, etwas blasser als sonst. Und zum ersten Mal bemerkte ich die dunklen Schatten unter ihren Augen.
»Ich bin nicht gerade freiwillig hier. Also ja … Dieser Gedanke kam mir schockierenderweise.«
»Die Haustür ist in der anderen Richtung.«
»Danke für den Hinweis.«
»Aber ich denke, dass du nicht abhauen wirst, weil du nach jemandem suchst. Deinen Liebhaber? Mutter? Vater? Was ist es?«
»Geht dich nichts an.« Ich schob mein Kinn vor und ignorierte die Panik, die sich in meiner Brust breitmachte.
»Offenbar jemand, der dir sehr am Herzen liegt.«
Ich biss mir angesichts ihres wissenden Grinsens auf die Lippe. Was hatte sie vor?
»Leider kann ich nicht zulassen, dass du uns bereits verlässt. Du bist unser wertvollster Besitz und wir können es uns nicht erlauben, dich zu verlieren.« Ihre Hand glitt in ihre Handtasche und sie zog die verhasste Fernbedienung heraus. Meine Hand zuckte automatisch zu meiner Fessel empor und ich bereitete mich auf das vor, was nun folgen würde. Sekunden später versank meine Welt in kurzem Schmerz, gefolgt von Dunkelheit.