Als ich mit dröhnendem Kopf erwachte, lag ich auf der Ladefläche eines Wagens, der übers Kopfsteinpflaster fuhr. Ich wagte nicht, meine Augen zu öffnen, konnte aber durch meine Lider grünes Licht erkennen. Wir waren also noch immer im Fürstentum des Glücks.
Meine Entführer saßen um mich herum auf der Ladefläche und schwiegen. Das machte es mir schwer einzuschätzen, wie viele es waren. Wahrscheinlich zu viele, um sie bekämpfen zu können. Vorsichtig spannte ich meine Muskeln an, aber die Seile, mit denen sie mich gefesselt hatten, gaben nicht nach. Und ich befürchtete, dass Tormod Bard nicht kommen würde, um seinen Schüler zu retten. Der hatte vermutlich gerade alle Hände voll zu tun, unseren Auftraggeber zu schützen.
Ich war auf mich allein gestellt.
Nach einer Weile blieb der Wagen stehen und einer meiner Entführer sprang heraus. Ich hörte das Rattern von etwas wie einem Garagentor, das geöffnet wurde. Kurz darauf setzte sich der Wagen wieder in Bewegung und fuhr ins Innere des Gebäudes. Als wir erneut zum Stehen kamen, wurde ich mit einem Fuß angestoßen, aber rührte mich nicht.
»Er schläft noch wie ein Lämmchen«, sagte die mir wohlbekannte Stimme von Daan Knox, deren schmierigen, nasalen Klang ich überall erkennen würde. Wenn er sich persönlich um eine Angelegenheit kümmerte, musste es ihm verdammt wichtig sein.
»Lassen wir ihn hier. Die Betäubung müsste noch eine Weile anhalten«, sagte eine Frau. Yasha! »Willst du ihm das Ding aus der Hand schneiden?«
»Nee. Mach du. Ich habe keine Lust, meine Weste zu ruinieren …«
»Ich kann doch kein Blut sehen, Boss …«
»Unsere Kundin verlässt sich auf uns.«
»Ich mach das auf keinen Fall! Bob, mach du.«
»Ich reiß mich auch nicht drum«, sagte Bob. »Meine Hände zittern doch immer so.«
Verdammter Mist!
Ich spürte, wie sich die Ladefläche unter ihren Schritten bewegte, als alle drei nacheinander abstiegen.
Dann war es still. Vorsichtig blinzelte ich. Das Licht im Inneren der Halle war gelblich verwaschen. Nur ein einzelner Oktölpus zog seine Kreise und verbreitete den beißenden Gestank von Benzin.
Vorsichtig versuchte ich mich zu strecken, aber die Fesseln saßen fest. Wer auch immer mich wie ein Paket verschnürt hatte – wahrscheinlich Yasha –, war ein Profi gewesen. Ich konnte nicht einmal meine Finger strecken, um an die versteckte Klinge zu kommen, von der ich mir nicht einmal sicher war, ob sie noch da war.
Verflucht, Quin!
Sich aus dieser Lage zu befreien, könnte verdammt kniffelig werden.
Plötzlich löste sich ein lautloser Schatten von der Decke und landete neben mir auf der Transportfläche. Der Neuankömmling huschte auf mich zu. Schon wurde ich an den Schultern gepackt und umgedreht. Ich hatte gerade noch die Chance, die Augen zu schließen. Doch ich war nicht schnell genug.
»Ich weiß, dass du wach bist«, zischte eine vertraute Stimme. Dann drückten mir zwei behandschuhte Finger die Lider auseinander. Überrascht sah ich in zwei wütende, dunkle Augen. So schwarz wie ein Fass Tinte, in dem man versinken wollte, um herauszufinden, welche Geschichten daraus entstehen könnten. Das Gesicht wurde von einer roten Maske verborgen, die die Form einer Motte hatte. Trotzdem erkannte ich das Mädchen, das dahintersteckte, sofort. Ihre feine Nase. Die schmalen Lippen, die noch genau so rot waren wie auf dem Ball.
»Baronessa! Was für eine erfreuliche …«
Sie unterbrach mich. »Wo sind die Ketten, die du mir gestohlen hast?«
»Ganz schlechtes Timing gerade«, entgegnete ich. »Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber ich wurde entführt.«
»Ist mir aufgefallen.« Sie entblößte ihre Zähne. »Mein Timing ist also genau richtig.«
Dann beugte sie sich zu mir herunter. Etwas blitzte in ihrer Hand auf und schon spürte ich die Spitze einer Klinge, die sich mir in den Hals bohrte.
»Wo sind sie?«, knurrte sie drohend. Gleichzeitig fiel ihr Zopf aus der Kapuze vor und eine Strähne kitzelte meine Wange.
»Du bist wirklich hübsch, wenn du wütend bist.« Komplimente konnten wahre Eisbrecher sein, aber sie war offenbar immun gegen meinen Charme und drückte fester mit der Klinge zu. »Ich würde einen Deal vorschlagen. Du hilfst mir und ich gebe dir deine Ketten wieder.«
»Du bist nicht in der Position zu verhandeln, Dieb! Ich mach dir einen Gegenvorschlag: Ich lasse dir dein Leben und du gibst mir die Ketten.«
»Du brauchst mich«, versuchte ich es erneut, worauf ein bittersüßes Lächeln über ihre Lippen huschte.
»Und wofür?«
»Um wieder hier rauszukommen. Diese Männer sind gefährlich …«
Nun genehmigte sie sich ein leises, raues Lachen. »Ich bin gefährlicher.«
Offenbar hatte ich sie unterschätzt. Sie war nicht nur die verzogene Tochter einer Baronin, die auf der Suche nach einer guten Partie von einer Veranstaltung zur nächsten tingelte. Die Art, wie sie sich bewegte, wie sie die Klinge hielt, und die Furchtlosigkeit in ihrer Stimme zeigten, sie war eine Kämpferin.
Ich schluckte und versuchte eine neue Strategie. »Wenn du mich hierlässt, wird man mich höchstwahrscheinlich foltern. Lieber sterbe ich durch die Hand einer schönen Baronessa.«
»Das lässt sich einrichten«, entgegnete sie ungerührt, ohne ihre Klinge zu lockern. »Warum haben sie dich überhaupt mitgenommen?«
»Sie wollen etwas von mir …«
»Etwas, was du ihnen gestohlen hast?«, hakte sie wenig überrascht nach.
»Na ja …« Seit wann war ich so leicht zu durchschauen?
»Wo sind meine Ketten?«, wiederholte sie ihre Frage. Offenbar waren sie ihr persönlich wichtig, denn sie wirkte nicht wie jemand, der materielle Sorgen hatte. Dass sie ihr Leben für diesen Schmuck riskierte, konnte nur bedeuten, dass er einen sentimentalen Wert hatte.
»Hat dein Freund sie dir geschenkt?«, riet ich.
»Nein.«
»Da bin ich aber erleichtert.« Dieses Mal versuchte ich mit einem Augenaufschlag ihr Herz zum Schmelzen zu bringen. Es war offensichtlich tiefgefroren, denn es erweichte sich keinen Millimeter.
»Sie gehörten meiner Schwester«, zischte sie und für einen Moment sah ich den Schmerz in ihren Augen aufblitzen. Sie musste nicht mehr erklären, denn ich erkannte Verlust, wenn ich ihn sah.
»Verdammt. Das tut mir leid …«
»Ja, das wird es.«
»Okay. Ich geb sie dir. Ich bitte dich nur, meine Fesseln durchzuschneiden. Diese Männer dürfen das, was ich habe, auf keinen Fall in die Finger bekommen. Es ist zu mächtig, als das sie es bekommen sollten. Ich muss es beschützen. Zum Wohle von ganz Amsterlock.«
»Oh! Also bist du der Held?« Belustigt hob sie die Augenbraue.
»Ja«, bestätigte ich und fand, dass man das durchaus sagen konnte. Immerhin würde ich bald gegen Dämonen kämpfen. Zumindest wenn es nach Tormod Bard ging.
Schritte näherten sich, Stimmengemurmel wurde laut und ich meinte Yashas schwere Stiefel herauszuhören.
»Da hinten ist er«, verkündete Daan Knox und kurz darauf zerrissen Lichtkegel die trübe Dunkelheit der Garage. Offenbar hatten sie jemanden gefunden, der willig war, mir das Auroculum aus den Händen zu schneiden.
»Bitte«, flüsterte ich, nun beinahe flehend. »Die Ketten sind in der Tasche meiner linken Socke. Nimm sie und hilf mir.«
Ungläubig guckte sie mich an. »Bitte was?«
»Ich habe Socken mit Innentaschen.« Ich hatte sie selbst angenäht, um dort Diebesgut zu verstecken. Genau so wie in meiner Unterwäsche. Als Beschaffer musste man eben kreativ werden.
»Wenn das ein Trick ist, dann …« Sie tastete die angegebene Stelle ab und wurde fündig. Gerade als sie die Ketten herausfischte, beschleunigten sich die Schritte, die in unsere Richtung eilten.
»Hey!«, rief Yasha und ich konnte hören, wie sie ihre Bolzenwaffe zog. »Da ist jemand!«
Gleichzeitig durchtrennte Laurelins Klinge meine Fesseln. Blut schoss in die eingeengten Gefäße und sorgte für ein unangenehmes Kribbeln. Als ich mich ruckartig aufrichtete, wurde mir einen Moment schwummrig.
»Danke«, hauchte ich. »Ich wusste, dass du ein Herz hast.«
Sie ignorierte meine Worte und sprang leichtfüßig wie eine Katze von der Ladefläche des Wagens. Ich folgte ihr unbeholfen, stolperte erneut und legte mich der Länge nach hin. Nachdem die engen Fesseln meine Gefäße eingeschnürt hatten, fühlte sich mein Körper dumpf an und wollte mir nicht recht gehorchen.
»Wenn du überleben willst, nimm die Beine in die Hand, Dieb«, zischte Laurelin, zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und eilte in Richtung des Ausgangs. Gleichzeitig hörte ich einen Schuss. Der erste traf den Oktölpus, der rauchend vom Himmel fiel und auf dem Boden zerschellte.
Laurelin beschleunigte, aber Yasha war nicht umsonst die Wächterin der Beschaffer. Sie war verdammt gut im Umgang mit Schusswaffen und so traf der zweite Bolzen. Laurelin stöhnte auf und knickte zusammen.
»Nein!«, fluchte ich leise, als Yasha und zwei weitere Männer auf sie zustürmten. Für eine Sekunde haderte ich mit mir.
Das war meine Chance, zu entkommen!
Alle Aufmerksamkeit von Daan Knox und seinen Begleitern war auf das maskierte Mädchen gerichtet, das nun seine Klingen zog. Keiner interessierte sich für den Truck, in dessen Schatten ich hockte. Eine perfekte Ablenkung! Mein Blick wanderte zum Fluchtweg. Ein paar Schritte und ich würde in der Dunkelheit verschwinden.
Nein, Quin! So bist du noch nicht. Du musst ihr helfen! , ermahnte mich mein Gewissen.
Bist du wahnsinnig? Dann gehst du auch drauf!, brüllte mein Überlebensinstinkt, der mich die letzten Jahre gelenkt hatte.
Willst du wirklich so eine Art von Mensch sein?
Feiglinge leben länger, hielt mein Überlebensinstinkt dagegen, und auch wenn er recht hatte, bewegten sich meine Beine von selbst, traten aus den Schatten und eilten in Laurelins Richtung. Ich schob Angst und Zweifel beiseite und konzentrierte mich ganz auf mein Ziel. Ruhe füllte meinen Körper aus, so als wüsste der genau, was nun zu tun sei. In diesem Moment spürte ich das Auroculum in meiner Hand. Ein heißes Kribbeln breitete sich nach innen aus und strömte durch meinen Körper, als ob es mich in meiner Entscheidung, Laurelin zu helfen, bestärken wollte.
»Tötet sie!«, rief Daan Knox.
»Nein!« Instinktiv riss ich mir den Handschuh von der Hand. Schon begann das Auroculum zu leuchten und ein strahlendes Licht schoss den Angreifern entgegen. Mit einem Schlag erstrahlte der Lagerraum heller als die Welt bei Tage. Geblendet rissen die Männer ihre Arme hoch, um sich die Augen zu schützen.
Gleichzeitig rannte ich auf Laurelin zu, die Hand wie einen Schild auf Yasha und die Männer gerichtet. Diese ließen ihre Waffen fallen und sanken beinahe ehrfürchtig in die Knie. Ich konnte hören, wie sie verzückt etwas murmelten, als der Zauber der Göttin sie umhüllte.
»Komm!«, rief ich Laurelin zu. Auch sie starrte auf das goldene Licht, das eine Barriere um uns bildete, und rührte sich nicht. Also packte ich sie und schleifte sie mit mir zum Garagentor. Hektisch versuchte ich, es zu öffnen, aber es bewegte sich keinen Millimeter.
Verdammt!
Nun kam sie doch zurück. Die Angst, die mein Leben so fest im Griff hatte. Panisch versuchte ich es erneut, aber das Tor gab nicht nach.
Du hättest rennen sollen, du Idiot! , beschwerte sich mein Überlebensinstinkt.
Gleichzeitig erlosch das Auroculum und mit einem Schlag war es wieder dunkel. Ich wartete nicht ab, langte in meine Tasche und warf den Männern einen meiner Schreikäfer entgegen.
Während der Schrei den Raum zum Vibrieren brachte, zerrte ich Laurelin hinter den Wagen in Deckung. Kaum hatten wir ihn erreicht, verstummte mein Käfer knirschend unter schweren Stiefeln.
»Macht Licht!«, befahl einer. »Sie müssen hier noch irgendwo sein.«
Verdammt!
Ich untersuchte Laurelin, die immer noch kein Wort gesagt hatte. Der Bolzen hatte ihre Schulter durchschlagen und unter ihr bildete sich bereits ein roter See.
»Du musst zu einem Arzt«, murmelte ich.
Zumindest, wenn wir hier lebend rauskamen.
»Ich komm klar … Was war das? Was hast du da gerade getan?«, murmelte sie ihre Wunde ignorierend.
»Ich habe Superkräfte«, keuchte ich. »Allerdings befürchte ich, dass wir trotzdem draufgehen.«
In diesem Moment leuchteten Lichtkegel von Taschenlampen auf und die Männer begannen den Raum systematisch zu durchsuchen.
Laurelin griff nach meiner Hand. Ihre Finger fuhren über das Auge, zuckten allerdings sofort zurück, als hätte sie sich daran verbrannt.
»Du steckst voller Überraschungen, Dieb!«, flüsterte sie, während sie mich mit ihren dunklen Augen musterte.
»Ich weiß«, flüsterte ich.
»Du hättest mich nicht retten müssen.« Durch die rote Maske wurden ihre Augen noch mehr hervorgehoben. Dunkel. Entschlossen. Und mutig.
»Ich sagte doch, ich bin ein Held.« Erneut schenkte ich ihr mein charmantes Grinsen und dieses Mal entlockte es ihr ein kleines Lächeln. Sie hatte wütend schon schön ausgesehen, aber wenn sie lächelte, strahlte sie förmlich.
»Tut mir leid wegen der Ketten«, flüsterte ich, als ein Lichtkegel über unsere Köpfe zuckte. Ich duckte mich über sie und drückte sie dabei zu Boden. Mit einem Mal war ich ihr so nah, dass ich ihren Atem an meinem Hals spürte. Wir sahen uns an und ich schluckte. Ihre Augen, die von dichten Wimpern umrahmt waren, weiteten sich vor Überraschung.
»Hast du etwa vor mich zu küssen?«, fragte sie.
»Nein!«, entgegnete ich, ohne mich zu bewegen. »Vielleicht …«
»Wirklich?«
»Warum nicht? Wäre doch ganz schön, bevor wir draufgehen.« Ich zwinkerte, aber ehe ich mich weiter nähern konnte, schob sich ihr Finger auf meine Lippen.
»Hast du den Verstand verloren, Dieb?«, fragte sie und ich ahnte, dass sie mich vor Daan Knox töten würde, sollte ich ihren Lippen zu nahe kommen.
»Nein … Nur mein Herz«, gab ich zu und rollte mich von ihr herunter.
Denn ich hatte mich in ein Flüsterwesen verliebt. Eine Elfe, die ich um jeden Preis vergessen musste, aber alleine die Erinnerung an sie sorgte dafür, dass ein Schwarm Schmetterlinge in meinem Körper erwachte.
»Ein Herz kann man nicht so einfach stehlen. Man kann es nicht kaufen, nicht ersteigern und nicht erpressen. Ein Herz ist etwas, das man nur geschenkt bekommen kann«, entgegnete sie.
»Oder mit Glitzer täuschen«, ergänzte ich bitter.
»Die Elfe?«
In dem Moment wurde unser tiefgründiges Gespräch unhöflicherweise unterbrochen, denn unsere Jäger nahmen leider keine Rücksicht auf meine Herzensangelegenheiten. Solche Rüpel!
»Hier sind sie!« Jeden Moment würden wir von Bolzen durchlöchert zu Boden sinken und es gab nichts, was wir tun konnten. Trotz der ausweglosen Lage lag auf Laurelins Gesicht ein Grinsen, das mir das Blut in den Adern gefror.
»Na endlich!«, begrüßte sie unsere Mörder.
»Jetzt bist du diejenige, die den Verstand verloren hat.«
»Ich denke ganz klar, Dieb. Wir werden heute nicht sterben. Jetzt sind meine Superkräfte an der Reihe.«