Als wir uns zurück an Bord der Sleepy Siren schlichen, fühlte ich mich federleicht. Die letzten Stunden hatten es geschafft, mich von der Trauer um meinen Vater und die anderen Elfen abzulenken. Und nicht nur das. Das erste Mal seit vielen Jahren hatte ich ein Strahlen auf den Lippen, welches sich nicht wegwischen ließ. Immer noch spürte ich unsere Küsse auf meinen Lippen, fühlte den Schauer, den seine Finger auf meiner Haut auslösten. Das Kribbeln in meinem Bauch.
Erst als ich allein im Bett meiner Kajüte lag, kamen die Erinnerungen zurück und Bilder des romantischen Dates über leuchtenden Algen vermischten sich mit Bildern von kranken Elfen.
Verdiente ich es überhaupt, glücklich zu sein, während meinem Volk so schlimme Dinge passiert waren?
Ja , schnurrte es neben mir.
Meine Finger suchten in der Dunkelheit nach Glückspilz. Ich zog ihn an mich und vergrub mein Gesicht in seinem weichen Fell. Er fauchte empört, ließ es aber geschehen. Für einen Moment überlegte ich, mich in Quins Kabine zu schleichen. Obwohl wir uns erst vor wenigen Minuten getrennt hatten, vermisste ich ihn bereits.
Plötzlich schallte ein schrilles Geräusch über die Lautsprecher. Meine Hände zuckten hoch und pressten sich auf die schmerzenden Ohren, während ich aus dem Bett stolperte und meine Kajüte verließ. Neben mir erschien Quintus.
»Was ist das?«
»Der Alarm!«, rief Pix, der auf uns zugerannt kam. »Man hat uns umstellt. Wir müssen abhauen. Los! Kommt mit! Wir müssen zu den Schleusen.«
Quintus und ich sahen uns an, dann folgten wir dem Undin. Plötzlich lief ein Rucken durch das Boot, das uns fast von den Füßen haute.
»Wir wurden gerammt!«, rief Pix. »Schnell! Sie werden uns sicher entern!«
Ein weiterer Schlag lief durch das Boot und schleuderte uns gegen die Wände. Stolpernd folgten wir dem Undin immer tiefer in den Bauch des Schiffes. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
»Alles wird gut.« Wie selbstverständlich ergriff Quintus meine Hand. Er drückte sie, als wollte er sagen, dass er mich unter keinen Umständen loslassen würde.
Hinter uns ertönten Stimmen, gefolgt von Schüssen und Kampfgeräuschen, und wir eilten weiter. Pix bog um die Ecke und riss eine Tür auf. Die Schleusen. Hier wagte ich einen schnellen Blick über die Schulter und sah, wie die Eindringlinge in den Gang eilten. Das war aber noch nicht alles, denn in diesem Moment sprang ein blonder Hüne die Luke hinab. Er trug eine vertraute graue Uniform und in seiner Hand schimmerte ein goldenes Licht, dessen Strahlen sich den Gang entlangtasteten.
»Och nö«, stöhnte Quintus.
Es war sein Meister.
Kaum hatte er uns gesehen, hastete er vorwärts. Pix zog uns in den Raum mit den Schleusen und verbarrikadierte im letzten Moment die Türen. Krachend stürzte der Dämonenjäger dagegen.
Der Undin machte sich an einer Kontrolltafel zu schaffen. Währenddessen wurde die Tür unnachgiebig von außen bearbeitet und mit jedem Schlag schien das Schloss lockerer zu werden.
»Los! Flieht! Ich halte sie auf«, rief Quintus, als klar wurde, dass uns die Zeit davonlief. Verzweifelt drückte er sich gegen die Tür, die er unmöglich alleine halten konnte.
»Ich helfe dir«, rief ich entschlossen und stellte mich neben ihn.
»Nein.« Er nahm meinen Kopf in seine Hände. »Du darfst diesen Leuten nicht wieder in die Finger geraten.«
»Quin … Ich …«
Er zog etwas aus seiner Tasche und drückte es mir in die Hand. Einen Schlüssel. »Den soll ich dir von Ophelia geben. Eigentlich wollte ich dazu eine berührende Rede halten, aber das ist eigentlich Quatsch. Verschwinde, Zori! Verlass diese Stadt.«
Ich starrte auf den Schlüssel. Dann zurück zu Quintus. »Vergiss es! Nicht ohne dich.« Ich habe dich doch gerade erst gefunden …
Er lehnte sich vor, seine Hände umfassten mein Gesicht, hielten es fest. Dann küsste er mich erneut. Seine Lippen lagen auf meinen, sanft und doch bestimmt, als gehörten sie zueinander, aber dieses Mal fühlte es sich nach Abschied an. Als wir uns wieder lösten, schnürte mir die Angst die Kehle zu.
»Alles wird gut. Ich finde dich.«
Genau das hatte mein Vater auch zu mir gesagt, kurz bevor man mich weggezerrt hatte. Tränen stiegen mir in die Augen, kullerten unaufhaltsam über meine Wangen, während sich meine Finger in seinem Hemd verkrallten. »Nein!«
»Nimm sie mit!«, rief er dem Undin zu. Schon griffen starke Hände nach mir und zogen mich aus seinen Armen in die Schleuse.
»Warte!« Ich wollte mich wehren, aber meine Beine waren weich und gehorchten mir nicht wie sonst. »Wage es nicht, den Helden zu spielen!«
»Ich bin ein Held!« Quintus presste einen Knopf und die Schleusen schlossen sich. Meine Hände drückten sich an die Scheibe und ich sah, wie die Tür nachgab und aufflog. Quintus sah mir tief in die Augen und sein Gesicht entspannte sich. Er nickte mir ein letztes Mal zu. Dann hob er die Hand und goldenes Licht umhüllte ihn wie eine schützende Glocke. Eine Sonne, die hier im Schiff zum Leben erwachte. Glühend, funkelnd, wunderschön.
Wasser sprudelte von außen in die Schleuse, als sich die Außenverdichtungen öffneten. Es stieg schnell an und schon reichte es uns bis zur Hüfte.
»Quin!« Ich trommelte gegen die Scheibe. »QUIN !«
Ich konnte ihn in dem gleißenden Licht nicht sehen, egal wie sehr ich die Augen zusammenkniff. Pix zog mich gegen den abnehmenden Strom des hereinstürzenden Wassers zur Luke. Gerade hatten wir sie erreicht, als Quintus von etwas getroffen wurde und das Licht seines Auges erlosch. Er sackte zusammen, als der Dämonenjäger sich durch die Tür zur Steuertafel kämpfte.
»Nein!« Ich wollte ihm helfen, aber der Undin packte mich an den Armen und zog mich hinaus in die Gracht, wo uns kaltes Wasser umschloss. Gerade rechtzeitig, bevor sich die Luken schlossen.