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Hannah
» M elissa, lass mich damit in Ruhe!«, sagte ich seufzend und klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter, als ich mir Kaffee aus meiner altmodischen Filtermaschine nachgoss. »Ich werde mich da nicht reindrängen!«
»Aber überlege doch mal, was das für dich und deine Karriere bedeutet!«, rief sie in den Apparat und ich hörte, wie sie einige Kleiderbügel hin und her schob. »Das ist die Chance!«
Sie betonte die Worte so, als wäre sie gerade live auf Sendung. Eines musste ich ihr lassen, reden konnte sie.
Meine Schwester Melissa arbeitete für einen der größten Sportsender im ganzen Land. Den ISC. Den International Sports Channel. Wenn sie nicht gerade auf irgendwelchen Veranstaltungen rumhüpfte und live moderierte, dann schrieb sie Artikel über Sport, Sportler oder anstehende Veranstaltungen. Deshalb wusste sie auch darüber Bescheid, dass Adam Moore heiraten würde, obwohl die Bombe erst heute Nacht geplatzt war.
Und ich? Bis vor wenigen Augenblicken hatte ich nicht einmal gewusst, wer Adam Moore war, aber Melissa hatte mich auf den aktuellen Stand gebracht.
Gütigerweise.
Adam Moore war sechsmaliger Weltmeister im Surfen gewesen und nun der CEO einer weltweit agierenden Sportfirma, welche Kleidung und Sportartikel auf den Markt brachte und außerdem Jung-Talente förderte. Er war eine Legende unter den Einheimischen von Malibu, stand im Guinnessbuch der Rekorde und war das Vorbild tausender Surfer, die ihm nacheiferten. Außerdem, sofern man Melissa glauben durfte, war er wahnsinnig gut aussehend, jung und reich. Und er war verlobt.
Hier kam ich ins Spiel.
Ich war Hochzeitsplanerin und ziemlich erfolgreich, wenn man bedachte, dass von den 33 Feiern, die ich geplant hatte, nur zwei Paare in der Zwischenzeit wieder geschieden worden waren. Niemals würde ich mir anmaßen zu sagen, dass ich daran maßgeblich beteiligt gewesen war, aber ein klitzekleines bisschen hatte ich schon dazu beigetragen.
Die meisten Ehen starteten bereits mit einem Streit, da sich das Brautpaar oft über irgendwelche organisatorischen Dinge nicht einigen konnte. In einem solchen Fall war ich zur Stelle, kümmerte mich, schlichtete, suchte mit aus, wenn der eine Partner verhindert war, und fühlte mich ganz in die Charaktere ein. Wenn ich mir richtig Mühe gab, konnte ich oft sogar empfinden, wie gut die beiden zusammenpassten.
»Han, komm schon, die Hochzeit musst du planen!«, jammerte meine Schwester und ich ließ mich an meinem Küchentisch mit dem Kaffee nieder. »Überleg mal, wie Hammer das wäre. Du planst, ich kriege einen Exklusivbericht«, schwärmte sie weiter.
Das würde niemals passieren, denn auch wenn ich diese Hochzeit unter Vertrag hätte, würde ich nicht die intimsten Geheimnisse über meine Klienten nach außen posaunen. »Ich hab die Ausschreibung verpasst, also wieso sollte ich mich da jetzt reindrängeln?«, murmelte ich.
»Weil er ein Gott ist«, sagte sie gedämpft und ich hörte, wie sie einen Reißverschluss hochzog. »Überlege mal, was dir das an Werbung einbringen könnte, wenn du so eine Berühmtheit in deiner Kartei hast!«
Ich stöhnte leicht. »Melissa, ich hab auch so genügend Kunden!«, stellte ich klar. Meine kleine Schwester konnte wirklich penetrant nerven.
»Scheiße!«, fluchte sie laut. »Ich muss los, ich hab um neun Uhr Redaktionskonferenz. Überleg es dir. Bitte!«
Nach diesem letzten eindringlichen, dramatischen Flehen verabschiedete ich mich von ihr.
»Ich hab dich lieb, kleine Schwester.«
»Ich dich auch, Han, auch wenn ich gerade echt drüber nachdenke, ob du wirklich meine Schwester bist!« Sie lachte schon wieder fröhlich in den Hörer und ich grinste breit, als ich auflegte.
Melissa war flippig und verrückt und so ganz anders als ich, die eher zielorientiert, klassisch, energisch, diskussionsbereit und offen war. Natürlich hatte ich Träume, aber ich packte einen nach dem anderen an und versuchte sie realistisch zu halten. Es brachte mir ja nichts, davon zu träumen, einen Lamborghini zu besitzen, wenn ich wusste, dass ich mir so einen Schlitten niemals leisten können würde.
Nein, Träume waren wichtig und gut, solange sie im erreichbaren Radius lagen.
Ich nahm einen Schluck von meinem schwarzen Kaffee und öffnete das Notebook neben mir. Auch wenn ich den Auftrag nicht annehmen würde, wollte ich dennoch diese mystische Gestalt namens Adam Moore wenigstens einmal sehen.
Die Ergebnisse, welche die Suchmaschine ausspuckte, waren atemraubend.
Adam Moore war viel, aber das Attribut schön zählte nicht dazu, stattdessen war er absolut hinreißend, faszinierend, unglaublich männlich und sexy.
Die Herren, mit denen ich im Allgemeinen ausging, wenn ich ein Date hatte, waren glatt, zielstrebig und gebügelt. Aber Adam Moore schaffte es, nur über die drei Millionen Fotos, die es von ihm gab, auszustrahlen, wie verwegen er war. Eine Versuchung. Männlich. Rau. Versprechend.
Schnell klappte ich den Laptop zu, als ich spürte, wie ein leichtes Kribbeln zwischen meinen Beinen einsetzte.
Nein, die Hochzeit von Adam Moore und seiner Verlobten würde ich ganz sicher nicht planen.
» I ch verstehe Sie, aber wir wollen nun mal den Zitronenkuchen!«, sagte ich energisch und kniff mit Daumen und Zeigefinger in meinen Nasenrücken. Wieder endloses Geplapper am anderen Ende der Leitung. »Hören Sie mal, wenn mein Brautpaar Zitronenkuchen, ohne irgendeine verdammte Cremefüllung haben möchte, dann bekommt es das, und wenn Sie sich nicht in der Lage sehen, diese Hochzeitstorte professionell umzusetzen, dann werde ich auf eine der anderen Konditoreien zurückgreifen, die dazu imstande ist«, sagte ich scharf und aufgebracht. »Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«, fragte ich noch einmal, ehe mir nun energisch versichert wurde, dass ein trockener Kuchen überhaupt keine Probleme darstelle. Na also. Ging doch!
Ich bestätigte noch einmal den Termin in der nächsten Woche, an dem die Feierlichkeiten stattfinden würden, und wohin die siebenstöckige Torte geliefert werden sollte, ehe ich den Hörer auflegte.
Manchmal war es anstrengend, aber dennoch liebte ich meinen Job. Die meiste Zeit hatte ich es mit rundum glücklichen Paaren zu tun, bei denen die Harmonie und die Liebe fast schmerzlich greifbar war. Als ich durch meinen Terminplaner blätterte, und mir den Rest der Woche ansah, seufzte ich auf. Ich hätte keinen Abend frei, um den schönen, dicken Schmöker auf meinem Nachttisch zu Ende zu lesen. Mussten Claire und Jamie eben warten. Ich verlor mich gerade in der Liebesgeschichte der beiden. Und James Fraser war einfach nur heiß. Besitzergreifend. Maskulin. Sexy. Als ich mich kurz gedanklich in meinem Privatleben verfing, bemerkte ich, dass sich das Bild von Adam Moore vor mein geistiges Auge schob, während ich an den Highlander dachte und dessen visuellen Ausdruck verscheuchte, welchen ich normalerweise vor mir sah. Innerlich verfluchte ich meine Schwester. Verdammte Melissa!
Entschlossen lenkte ich mich mit Arbeit ab, bevor ich zu meinem nächsten Termin musste. Das Miller-Hochzeitspaar wollte noch einmal den Floristen besuchen, da sie wieder Zweifel wegen der Farbauswahl bekommen hatten. Nun, mein Job war Wahnsinn, aber niemand hatte je behauptet, dass er leicht sein würde.
»Sie sehen fabelhaft aus, Hannah«, sagte die zukünftige Braut und reichte mir die Hand.
Leicht lächelnd ergriff ich sie. »Vielen Dank«, antwortete ich und gab das Kompliment zurück. Nun, eigentlich war das nicht meine Meinung, da die Klientin in meinen Augen viel zu dünn war. Aber es stand mir nicht zu, darüber zu urteilen. Jeder sollte selbst entscheiden können, wie es ihm gefiel. Bei mir war es so, dass ich mich besser fühlte, wenn ich meine Rundungen behielt. Ich war keines dieser Klappergestelle, die ansonsten in meiner Branche arbeiteten und wie abgemagerte Laufstegmodels aussahen. Nein, meine Figur wurde eher mit einem Pin-up-Girl oder Marilyn Monroe verglichen. Ich mochte meine Kurven. Gut, zugegeben, meine Oberschenkel waren etwas zu dick, aber das tat nichts zur Sache, denn Jeans trug ich sowieso selten. Die meiste Zeit, und auch das hatte ich mir von der Ikone abgeschaut, trug ich Kleider, Röcke, Kostüme und wenn eine Hose, dann eine, die ab dem Po weit wurde und locker über die Beine fiel. Jeder musste mit dem arbeiten, was Gott ihm geschenkt hatte. Und bei mir war es ein großer Busen, gepaart mit weiblichen Hüften. Mein absoluter Pluspunkt, und diesen betonte ich eigentlich immer, war die schmale Taille. Heute trug ich ein hellbraunes Seidenkleid mit weißen großen Punkten, welches ab der Taille weiter wurde und somit meine Oberschenkel kaschierte. Da ich sehr klein war, hatte ich dazu weiße hochhackige Mary Janes angezogen. Wenn ich ehrlich war, besaß ich nur drei Paar flache Schuhe, alles andere waren Hacken in sämtlichen Formen und Längen. Es war, zumindest meine Schwestern nannten es so, der ›Swing Look‹. Mir war es egal, ich fühlte mich darin wohl. Die langen dunkelblonden Haare hatte ich zu einem Knoten in meinem Nacken zusammengefasst und einige Strähnen fielen aufgrund des tief gezogenen Scheitels über meine Stirn. Die cremefarbigen Perlenohrringe, kombiniert mit einem einzelnen Ring, rundeten mein Styling ab. In meiner Branche war es wie bei einem Friseur. Niemand würde sich ein Beautyprodukt von jemandem verkaufen lassen, wenn derjenige, der es anpries, nicht seinen optischen Vorstellungen entsprach. Und so war es bei Hochzeiten. Mit jedem meiner Outfits, das ich zu Kundentreffen trug, zeigte ich, wie die Gäste auf der Hochzeit gekleidet auftauchen würden. Es vermittelte ein Gefühl von Sicherheit, und psychologisch gesehen zeigte es dem Brautpaar, dass ich wusste, was ich wollte. Deshalb, trug ich bei dem ersten Treffen ein klassisches Chanel Etuikleid in sattem, dunklem Rot, ehe ich den genauen Stil des Paares erkennen konnte. Damit konnte man nichts falsch machen.
»Ich bin mir nicht mehr sicher, mit gelb und lila Blumen, wissen Sie?« Ja, natürlich wusste ich das, denn sie hatte es mir bereits fünf Mal am Telefon gesagt. Aber der Kunde war König, und auch wenn ich privat meiner Neigung zur Diskussion und ironischen Bemerkungen nachgegeben hätte, zügelte ich mich in meinem Job auch diesmal.
»Ich verstehe«, murmelte ich vorsichtig und wir betraten den Laden. »Wir werden schon das Richtige finden, Mrs. Miller.« Ein weiterer Punkt auf meiner Erfolgsliste: Zeige deinem weiblichen Klienten immer, dass du ihr Vorhaben zu heiraten, den Namen des Mannes zu tragen, verinnerlicht hast, indem du sie von Anfang an mit dem zukünftigen Namen ansprichst.
O hne auf die Nummer zu sehen, nahm ich den Anruf auf meinem Handy an.
»Hallo?«, fragte ich und überflog die E-Mail, welche ich gerade bearbeitet hatte. Es war ein Empfehlungsschreiben, das ich auf meiner Homepage freigeben wollte. Die Hochzeit war bereits vorüber und oft bekam ich Gästebuch-Einträge oder Schreiben, die Dankbarkeit ausdrückten. So auch jetzt.
Ein tiefes Räuspern durchbrach den kurzen Moment der Stille.
»Spreche ich mit Hannah Stone?«, fragte jemand in einem rauen, leicht heiseren Tonfall.
»Ja, die bin ich und Sie sind?« Durch den Klang der Bassstimme des Mannes am anderen Ende, besaß er nun meine volle Aufmerksamkeit. Aus der Ferne hörte ich die Vögel zwitschern, die vor meinem Fenster Einzug gehalten hatten.
»Gut, ich habe Ihre Unterlagen und Setcard vorliegen, vielen Dank dafür«, sagte er ohne Umschweife, und ich versuchte mich zu erinnern, ob ich noch auf Antworten für ausstehende Bewerbungen wartete. Aber da war nichts, außer ein schwarzes Loch in meinem Kopf. Ohne lange um den heißen Brei zu reden, fuhr er fort: »Ich mach es kurz, wir sind sehr begeistert und meine Verlobte würde sich gerne mit Ihnen treffen.« Er sprach schnell und gezielt, was darauf schließen ließ, dass er in Eile war.
»Hören Sie, ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wovon Sie reden!«, unterbrach ich ihn unhöflich, aber ich hatte wirklich keine Idee, was der Typ wollte!
»Na ich spreche doch mit Hannah Stone? Die Hochzeitsplanerin?«, entgegnete er genervt, und ich konnte förmlich hören, wie er die Kiefer aufeinander mahlte.
»Ja, aber ...«
»Sehen Sie? Also! Ich habe hier Ihre Mappe liegen, wir wollen Sie buchen, wo ist das Problem?«
»Dass ich weder Mappe, Anschreiben noch Setcard herausgegeben habe!«, sagte ich energisch und kniff wieder mit Daumen und Zeigefinger in meinen Nasenrücken. Wieso musste ich mich immer mit solchen Spinnern herumschlagen? »Haben Sie sich vielleicht verwählt? «
»Ich bitte Sie!« Spöttisch ertönte ein tiefes Schnauben. »Ich bin durchaus in der Lage zu lesen! Ihre Unterlagen liegen hier vor mir.«
»Das ist unmöglich«, knurrte ich.
»Gott, was für eine Esoterikerin«, murmelte er, aber ich verstand ihn dennoch. Etwas lauter fuhr er fort, »Hören Sie Hannah, Kelly, meine Verlobte, würde Sie morgen Abend gerne sehen. Sagen wir um acht? Im Sammys Beach Restaurant? Ich habe es gegoogelt, das ist bei Ihnen ums Eck.«
»Aber ...«
»Cool, ich sage Kelly Bescheid. Danke vorab! Bis morgen dann!« Ohne ein weiteres Wort legte er auf.
»Was zur Hölle ...?«, hauchte ich und starrte das Telefon an. Als ich die eingegangenen Anrufe durchklickte, sah ich, dass es ein unbekannter Anrufer gewesen war. Na super.
Irgendein Verrückter behauptete, dass ihm meine Mappe vorläge, die ich nur an ausgewählte Kunden herausgab. Das konnte ja heiter werden.
Woher hatte er meine Unterlagen und ... Ich richtete mich auf. Moment mal, wieso ging ich denn davon aus, dass dieser Trottel die Wahrheit gesagt hatte? Es konnte sich doch genauso gut um irgendeinen Triebtäter handeln, der in seiner Bruchbude schon zwanzig gutgläubige Hochzeitsausstatterinnen gehäutet hatte. Ich nahm schwer an, dass er hobbymäßig Schmetterlinge züchtete, die dann lustig um die halb zersetzten Leichen flatterten.
Mir wurde übel.
Andererseits hatte er diese Nummer gehabt. Es handelte sich nicht um irgendeine und ganz bestimmt nicht jene, die ich im Gewerberegister angegeben hatte. Um genau zu sein, bekamen nur die Leute diese verdammte Rufnummer, die mich gebucht hatten. Was voraussetzte, dass ich ihnen zuvor meine Mappe und die KONTAKTDATEN hatte zukommen lassen. So lief das im Allgemeinen.
... wie ein Triebtäter hatte er sich nicht angehört. Eher wie der typische Bräutigam, dem bereits jetzt die Ehe über den Kopf wuchs. Ich verfluchte mich für meine nicht vorhandene Schlagfertigkeit. Denn wäre ich nicht so sprachlos gewesen, hätte ich ihn fragen können, wie er an meine Unterlagen herangekommen war. Und genau das wollte ich noch immer herausfinden. Er hatte ein Restaurant vorgeschlagen, also würde ich in der Öffentlichkeit und damit zunächst in Sicherheit sein.
Ich würde dorthin gehen und zur Not aus diesem Clown herausprügeln, welcher Idiot einfach meine Daten weitergab. Und dann ... ja, dann würde ich gehen.
So einfach!
Wenigstens war es ein Plan.
Als ich an diesem Tag endlich zu Hause war und auf meinem Balkon gerade ein Glas Rosé genoss, rief meine Schwester Melissa an.
»Hey«, begann sie, »rate mal, was passiert ist!«
»Hallo. Und: Ich habe KEINE Ahnung«, erwiderte ich, legte meine Beine auf das Geländer und genoss die letzten Sonnenstrahlen, ehe die Sonne unterging. Meine flippige Schwester brachte mich zum Schmunzeln. Solche Anrufe waren an der Tagesordnung.
»Ich hab ein verdammtes Interview mit Adam Moore!«
»Wem?«
»Dem Surfer, von dem ich dir vor ein paar Tagen erzählt habe. «
»Oh, okay. Ich schätze, das ist cool?«, murmelte ich und klemmte das Telefon zwischen Schulter und Ohr, um einen Faden an meinem Cardigan zu zwirbeln.
»Du schätzt, das ist cool?«, rief sie. »Das ist der Oberhammer! Er hat seit vier Jahren kein Sportinterview mehr gegeben!«
»Ich dachte, er ist berühmt?«
»Ja, Interviews gibt er schon, aber da geht’s immer nur um seine Firma. Nie um ihn und jetzt – er hat zugestimmt!«, sagte sie euphorisch und steckte mich mit ihrem Lachen an. »Kannst du das glauben?«
»Nein, das scheint ... besonders zu sein?« Melissa war erfrischend.
»Das ist der WAHNSINN! Gott, er ist so gut aussehend.« Ja, das hatte ich bemerkt.
»Du hättest ihn sehen sollen, dieser Gesichtsausdruck, der sich über seine Züge legt, wenn er sinnlich und tief lacht. Himmel, ich bin verliebt!«, rief sie und ich dachte für mich, dass es mir ähnlich ging.
»Moment mal, du hast diesen Typen schon getroffen?«
»Na ja, nein. Nicht wirklich, aber ich hab mir bei Google Fotos von ihm angeguckt, während ich mit ihm telefoniert habe.«
»Du bist da einfach so durchgekommen?«, fragte ich erstaunt. »Einfach so?« Bemerkenswert, selbst für eine so überzeugende Person wie meine Schwester.
»Ich bin eben charmant!«, erwiderte sie. »Und bei dir? Wie war dein Tag?«
Meine Schwester und ich plauderten mehrmals die Woche miteinander. Immer, wenn etwas anstand oder Aufregendes passiert war. Was bei Melissa quasi täglich vorkam.
»Nichts Besonderes, außer dass so ein irrer Typ angerufen hat, und behauptete, er habe meine Mappe.« Ich schnaubte laut. »Lächerlich. Unhöflich war er auch!«
»So? War er?«, fragte Melissa nach.
»Ja«, echauffierte ich mich. »Dreist und ätzend. Ein richtiges Arschloch!«
»Und? Nimmst du den Auftrag an?«
»Sicher nicht, verflucht!«, erklärte ich entrüstet. »Ich treffe mich morgen Abend mit seiner Verlobten – wenn es sie überhaupt gibt – und werde sie über das Missverständnis in Kenntnis setzen. Woher auch immer er glaubt, diese Infos zu haben.«
»Vielleicht war er auf deiner Homepage und behauptet einfach, dass er deine Mappe hat?«, warf sie in meinen Redeschwall ein. Ich stutzte, das konnte möglich sein, wenn auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Außerdem blieb dann noch die Frage, woher er meine Geheimnummer hatte.
»Egal, morgen werde ich es ja wissen!«
»Eben«, erwiderte sie kichernd.
»Was gibt’s da zu lachen?«
»Na ja, es passiert nicht oft, dass dich jemand so auf die Palme bringt«, antwortete sie weiterhin glucksend. »Hast du ihm das so gesagt?«
»Natürlich! Hallo? Ich weiß doch, wem ich meine Mappe gebe!«
»Und was war seine Antwort?«
»Er meinte, er wäre sehr wohl imstande zu lesen«, schäumte ich und imitierte seine Stimme, was mir nicht wirklich gelang. Meine Schwester konnte sich vor Lachen kaum beruhigen .
»Ich wüsste nicht, was daran so witzig ist«, knurrte ich, immer noch vollkommen in Rage, als sich meine Gedanken in das groteske Gespräch zurück vertieften.
»Schade, dass er dich für seine Hochzeit buchen will ...«, sagte sie schließlich seufzend. »Es passiert nicht oft, dass dich jemand deine Contenance verlieren lässt.«
Ich nahm einen tiefen Schluck Rosé. »Stimmt, aber dieser Freak hat es innerhalb 3 Sekunden geschafft.«
»Wie heißt der Typ?«, fragte sie. »Wir googeln ihn.«
»Das ist das Nächste. In seiner grenzenlosen Arroganz, hat er keinen Namen gesagt, ich habe nur den Namen seiner Verlobten ›Kelly‹!«
»Oh ...«, murmelte sie und das Geklapper im Hintergrund hörte auf, sie kochte nebenbei, das tat sie immer. Meine Schwester aß, wann immer sie die Finger frei hatte und war dennoch sehr schlank. »Aber was machst du jetzt? Nimmst du den Termin wahr?« Sie klang gespannt.
»Mh«, knurrte ich zustimmend nickend, obwohl sie es gar nicht sehen konnte, und schluckte den Wein. »Ja, ich gehe hin und kläre das Missverständnis auf. Ich habe keine Lust, eine negative Bewertung zu kassieren.«
»Ja, ist klar. Sagst du mir morgen, wie es gelaufen ist? Mein Auflauf ist fertig.«
Ich lachte. »Immer am Essen, was?«
»Na ja, ich hab ja auch viel Sex, ich brauche die Kalorien!«
»Doppelt Käse?«, fragte ich, einfach nur, weil ich sie kannte.
»Aber hallo!«
»Full-fat?«
Empört schnaubte sie. »Alles andere ist kein Käse, Liebes! Möchtest du vorbeikommen? «
»Nein, danke. Ich faste heute Abend!«, erwiderte ich. Meine Schwester wohnte fast am anderen Ende der Stadt, es hätte eine halbe Stunde gedauert, bis ich bei ihr gewesen wäre und ich wollte mich einfach nur entspannen.
»Du fastest immer!«
»Ich hab ja auch keinen Sex!«, setzte ich dagegen.
»Amen Schwester. Ruf mich morgen an, und erzähle mir, wie es gelaufen ist!«
Noch ehe ich ihr antworten konnte, hatte sie schon aufgelegt. Ich schüttelte den Kopf, es würde spannend werden morgen Abend, denn ich hatte mit Sicherheit niemandem meine Mappe gegeben, also war es interessant zu erfahren, wie der Kunde meine Unterlagen in die Hände bekommen hatte ... und ob er vielleicht wirklich ein gesuchter Massenmörder war.