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Hannah
E s war nichts passiert. Zumindest nichts, das die Welt veränderte, und doch schien die Luft plötzlich ein bisschen klarer. Die Sonne wirkte ein wenig strahlender und der Tag ein bisschen leichter. Allgemein war es kein Geheimnis, dass ich seit einiger Zeit neben mir stand. Wahrlich so, dass es mir schwerfiel, überhaupt einen guten und klaren Gedanken zu fassen. Der Ursprung hierfür? Nun, das lag einfach nur daran, dass sich immer wieder ein arroganter, selbstgefälliger, aber unglaublich sexy Sportler vor mein geistiges Auge schob. Er forderte Aufmerksamkeit und bekam sie, selbst dann, wenn er nicht da war. Das beschäftigte mich, und zwar rundum. So sehr, dass es dennoch geschah, egal wie krampfhaft ich versuchte, es zu vermeiden. Deshalb beschloss ich an diesem schönen Tag spontan frei zu nehmen. In der Vergangenheit wäre das wohl niemals vorgekommen, aber in der momentanen Situation ... ein wenig abschalten zu können würde mir gut tun.
Also ging ich shoppen. Ganz alleine und mit anfangs wenig Enthusiasmus, aber ich war unterwegs und bislang, trotz der verschobenen Laune, sogar erfolgreich gewesen. Zwei neue Dessoussets nannte ich inzwischen mein Eigen. Eines in Smaragdgrün, das meine sanfte Bräune unterstrich, und eines in Rubinrot, das an einen exzellenten Rotwein erinnerte und meinen vollen Busen so sexy nach oben formte, dass sogar ich mich heiß fand. Des Weiteren hatte ich eine neue Bluse mit kurzen Ärmeln erstanden, eine dunkelblaue Taillenhose mit weitem Bein und dazu ein weißes Oberteil mit Schleife.
»Vielen Dank«, murmelte ich, als der Kellner den Cappuccino und das Glas Prosecco vor mir abstellte. Momentan war ich im Café de Paris, eine der angesagtesten Locations in Malibu. Nicht nur, dass das Essen absolut hervorragend war, vor allem die Atmosphäre hatte es mir angetan. Es lag direkt am Fuße der Hills, mit Blick über die Stadt, welcher bis aufs Meer hinausreichte, wenn man den richtigen Platz innehatte. Glücklicherweise hatte ich so eine freie Stelle gefunden und ließ mich von der Landschaft einlullen, als ich kleine Schlucke von meinem Kaffee nahm. Die Leichtigkeit, welche ich früher immer empfunden hatte, kehrte langsam zurück und deshalb atmete ich tief durch. Ein wenig fühlte es sich so an, als würde ich die Ketten sprengen, die mich fest umfingen. Jene, in die er mich gelegt hatte, ohne es zu wissen. Es war das eine, wenn Adam mich in meinen Gedanken beschäftigte, aber etwas ganz anderes, wenn diese Überlegungen unprofessioneller Natur waren. Wie meine Vorstellungen momentan ständig. Er war einfach mit Abstand der schönste und faszinierendste Mann, den ich je gesehen hatte, und das lag nicht nur an seinem umwerfenden Aussehen. Seine ganze Art, trieb sie mich auch noch so sehr in den Wahnsinn, war spannend. Natürlich hatte ich keine Ahnung, anhand welcher Kriterien er entschied, wann genau ein Tag war, an welchem er mich mit Irrsinn und Wut überhäufte und wann es Zeit für den charmanten Surferboy war. Sicherlich hatte er zu den Bestzeiten seiner Karriere sein Flirtverhalten, gepaart mit ungläubigem Charme und Sex-Appeal, perfektioniert. Und ich konnte ihm nicht einmal böse sein. Egal wie sehr ich mich darüber aufregte, dass er so ein ... verdammter Bastard war, es turnte mich unheimlich an. Nämlich so sehr, dass ich schon zweimal zu dem Vibrator in meiner Nachttischschublade gegriffen hatte, weil ich das süße Ziehen im Zentrum meiner Weiblichkeit nicht mehr aushielt. Ich legte kurz den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel. Er war wunderschön und strahlend Blau und ließ Malibu sich von seiner schönsten Seite zeigen. Kein Wölkchen trübte ihn, deshalb spürte ich Sekunden, bevor sich ein Gesicht in mein Blickfeld schob, dass sich etwas verändert hatte.
»Guten Tag, Hannah«, sagte die seidige Stimme. Ruckartig fuhr ich wieder in eine aufrechte Position, drehte mich leicht in meinem Stuhl, um denjenigen, der mich störte, in Augenschein zu nehmen.
»Adam. Hi!«, rief ich viel zu schnell und viel zu schrill.
»Darf ich?«, fragte er mit vergnügtem Funkeln in seinen verflucht schönen marineblauen Augen. Ich nickte leicht und nahm einen Schluck von meinem Prosecco. Das gab mir ein klein wenig Zeit, mich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Was wollte er hier? Während ich das Glas an meine Lippen hielt, betrachtete ich ihn. Gut, eigentlich scannte ich seinen Körper blitzschnell von oben bis unten. Er war förmlich gekleidet, was bedeutete, dass er Businessschuhe zu einer perfekt sitzenden Anzughose in Stahlgrau, gepaart mit einem strahlend weißen Hemd trug. Eine strukturierte Krawatte in Schwarz mit anthrazitfarbigen Elementen hing jetzt – da er sie im Moment lockerte – um seinen Hals. Den obersten Knopf des Hemdes öffnete er und seufzte anschließend tief. Als er damit noch mehr gebräunte Haut freilegte, wollte ich in diesem Moment nichts mehr als mit meiner Zunge über die Sehnen an seinem Hals fahren und ihn kosten. Mein Gehirn war gerade dabei, sich auszumalen wie Adams Schweiß, gepaart mit der Sonne Malibus und einem Hauch Parfum wohl schmecken würde, während er mich mit seinem strahlenden Lächeln blendete.
»Ein freier Tag?«, fragte er vergnügt und hielt nach dem Kellner Ausschau. Das gab mir wieder eine Sekunde, um sein Gesicht scannen zu können. Der Fünf-Tage-Bart, welchen er immer trug, war schon so üppig, dass er bald wieder eine Rasur benötigen würde. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Kurz war ich versucht zu fragen, was ihm so sehr zusetzte und ob er schlecht schlief, aber ich ließ es. Seine Antwort wäre doch wieder nur die eines Aufreißers gewesen.
»Ja«, murmelte ich und stellte mein Glas zurück auf die kleine, pinkfarbene Serviette, die das Logo des ›Café de Paris‹ zierte. »Ich musste mal einen Tag raus.«
»So viel zu tun?«
Hatte ich viel zu tun? Nun. Ja. Hauptsächlich damit, ihn zu verdrängen. »Himmel, du hast ja keine Ahnung«, sagte ich und lachte dabei über mich und meine verrückten Gedanken.
»Und du? Was machst du in der Stadt?« Vergnügt betrachtete er mich und öffnete die Umschlagmanschetten seiner langen Ärmel. Langsam rollte er sie bis über seine Ellbogen auf, und ich schwöre bei Gott, ich vögelte seine Finger und Arme mit den Augen. Teufel noch mal, diese gebräunten, muskulösen Glieder trieben mich in den Wahnsinn. Ich zwang mich meinen Blick von seiner gebräunten, samtig aussehenden Haut loszureißen und sah in seine Augen. Er flirtete mit mir, ganz deutlich.
»Ich nehme auch einen Cappuccino und ein Bier bitte!«, bestellte er, als der Kellner an unseren Tisch trat. Spöttisch, fast jungenhaft, grinste er mich an und legte die Fingerspitzen aneinander. Sein Blick war so ehrlich und ließ meine Haut glühen. Wieso war es nicht verboten, dass ein einzelner Mensch so umwerfend war? »Hannah?«, fragte er mich und beugte sich in meine Richtung, sodass sein Pfefferminzatem in meine Lungen strömte. »Du starrst«, zog er mich zwinkernd auf. ›Rede dich heraus, Miss Stone. Na los!‹ Der imaginäre Engel auf meiner Schulter flatterte wie wild umher.
»Ich dachte, du magst nur Latte macchiato?« Jetzt war es an mir, ihn überlegen anzugrinsen, spielte ich doch auf eines unserer ersten Telefonate an. Schallendes Gelächter, das mir durch Mark und Bein ging, dröhnte aus ihm heraus. Leicht den Kopf schüttelnd, antwortete er auf meine ursprüngliche Frage.
»Ich hatte ein Treffen in einer der Banken in der Bond Street.«
»Ah«, murmelte ich wenig geistreich und mich mühsam zusammenreißend. Als wäre damit alles klar, aber seine Bankgeschäfte gingen mich nichts an. Vielleicht war er auch wegen eines Dokumentes dort gewesen. Eines, das seine Unterschrift benötigte. Oder ... so etwas wie ein Ehevertrag. »Der Ehevertrag?«, sprach ich den letzten Gedanken aus, bevor ich mich zurückhalten konnte. Du Idiotin. Innerlich knallte ich meinen Kopf auf die Tischplatte. »Ich … Entschuldige bitte, das geht mich nichts an!«, fügte ich rasch hinzu, als ich seine in die Höhe gezogene Braue musterte. Adam sah mich einfach nur an. Er tastete sich mit seinem Blick über meine grünen, stark geschminkten Augen, zu den hohen Wangenknochen, die ich mit Rouge betont hatte. An schließend – und das für gefühlte Minuten – heftete sich sein Augenpaar auf meinen Mund. Gerade als ich mich zu fragen begann, ob ich mit dem Konturenstift in dunklem Nudeton Mist gemacht hatte, nickte er knapp.
»Nein, kein Ehevertrag«, antwortete er langsam. Okay, war das gut oder schlecht? Unruhig überschlug ich die Beine, diese Frage war höchst unprofessionell gewesen. Das leichte Zucken um seinen Mund wäre mir fast entgangen. Allerdings nur fast.
»Was genau ist daran so witzig?«, fragte ich seufzend.
»Ich hatte immer den Eindruck, als wärst du sehr kompetent und strukturiert, was deine Arbeit angeht.« Der Kellner stellte vor ihm das Bier und den Cappuccino ab. Adam nahm sofort einen Schluck. »Diese Frage ist dir herausgerutscht, ehe du darüber nachdenken konntest.« Jetzt blendete er mich wieder mit seinem Aufreißerlächeln. Und es wirkte. Wie eine Flirtbombe senkte ich halb die Lider. Das Lächeln, das auf meinen vollen Lippen erschien, musste sinnlich sein, denn ich fühlte mich gerade wie die Sexiness auf zwei Beinen.
»Entschuldige«, sagte ich noch einmal. Hilfe, war das peinlich? Ja, war es!
»Kein Problem«, wisperte er und hakte seinen Blick in meinen. Gott, er war so einnehmend und schön und verfluchte Scheiße, ich war einfach von ihm verzaubert, was ich aber nicht sein sollte – DURFTE. »Und nein, es ging um einen Sponsorenvertrag für einen Jungen namens Colton. Ich nehme ihn unter Vertrag, denn ich glaube, er hat sehr großes Talent.« Meine Tasse schwebte auf halbem Weg zurück auf den Unterteller in der Luft. Himmel!
»Hast du das gerade wirklich gesagt?«
»Ja, schätze schon«, murmelte er und fuhr sich mit der Hand über seinen muskulösen Nacken. Sein Hemd straffte sich dabei über den durchtrainierten Bauch und ich schluckte schwer. Ohne, dass ich es kontrollieren konnte, fühlte ich wie ich feucht wurde.
»Gehst du immer so unprofessionell mit deinen Arbeitsthemen um?«, fragte ich ihn, griff seinen Spott auf und hoffte, somit die Stimmung zu lockern.
Er schien kurz zu überlegen. »Nein, eigentlich nicht!« Offen lächelte ich ihn an. »Du hast ein wunderschönes Lächeln, Hannah!«, sagte er plötzlich und griff nach seinem Bier. »Prost, auf diesen fabelhaften Nachmittag!«
Ehe ich etwas auf die Lächeln-Angelegenheit erwidern konnte, stießen wir an und jeder nahm einen Schluck von seinem Getränk. Er hatte recht, es war wirklich seit Langem der erste fabelhafte Nachmittag.
Unvorhergesehen und ... betäubend.
Betäubend, weil ich, als ich endlich im Taxi nach Hause saß, genau wusste, dass ich wenig später im Bett liegen würde und mir wünschen würde, Adam wäre bei mir.
Auch wenn es falsch war.