G
ott, was war ich nur für ein Mistkerl! Ein egoistischer, selbstgefälliger Mistkerl. Ich war fies, verletzend und sollte beten, dass das, was hier passiert war, niemals, wirklich niemals Kelly erfuhr.
Okay, lasst uns zusammenfassen:
Hannah, meine Hochzeitsplanerin, und ich, Adam, der Bräutigam, hatten Sex gehabt. Fantastischen, unglaublichen, alles in den Schatten stellenden Sex.
Und das war falsch, egal wie gut es sich angefühlt hatte. Das war sowas von verdammt falsch, dass es schon wehtat, so hinterhältig war es. Und doch zählte es zu den schönsten Dingen, die ich seit Langem erlebt hatte.
Es war nicht so, als hätte ich das geplant gehabt, sondern eher, dass ich endlich dem Verlangen nach dieser verdammten Frau nachgegeben hatte. Meine verzweifelten – vielleicht ein wenig lahmen – Versuche, es zu unterdrücken, waren kläglich gescheitert. Und das war der Grund, weshalb diese unanständig schöne Frau nun nackt in meinen Armen lag. Von ihren Orgasmen war ihre Haut immer noch leicht gerötet. Langsam tastete sich mein Blick über ihr attraktives Gesicht, die vollen Lippen, die
eindeutig von meinen Küssen geschwollen und tiefrot waren. Genau so sollte sie immer aussehen. Wie ein Kätzchen in meinen Armen, mit dem offensichtlich ›frisch-gefickt‹ Ausdruck auf dem Gesicht. Gott, hatten Kelly und ich jemals danach ... gekuschelt? Oder etwas Ähnliches getan? Nein, hatten wir nicht, weil meine Verlobte danach immer sofort duschen ging, um wieder rein zu sein.
Auch wenn ich das niemals offen zugegeben hätte, war es jedes Mal ein Schlag ins Gesicht. Sie sah Sex als etwas Schmutziges und im Grunde auch Falsches an. Einmal hatte sie mich sogar gefragt, ob ich denke, dass sie deshalb in der Hölle schmoren würde. Was sollte ich da antworten? Was sollte ich großartig sagen? Dieser Frage gab es einfach nichts mehr hinzuzufügen.
Ich fuhr mit der flachen Hand über mein Gesicht und atmete tief ein. Hannah schlief friedlich. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig und mittlerweile waren ihre vollen Lippen zu einem Schmollmund verzogen. Die langen, seidigen, kohlrabenschwarzen Wimpern ruhten auf ihren Wangen. Ihre entspannten Züge wurden von ihrem schulterlangen, dichten Haar umspielt. Überdeutlich war ich mir ihrer bewusst. Dort, wo ihre Haut die meine berührte, fühlte es sich an, als stünde sie in Flammen, als würde sie dort ihr Mal auf meine Haut brennen, damit ich mich immer daran erinnern könnte.
Wehmütig wurde mir klar, dass es auf keinen Fall eine Wiederholung geben durfte. Um nichts auf der Welt. Egal, wie fabelhaft und lebendig sich der Sex angefühlt hatte, es war eine unumstößliche Tatsache, dass ich zum einen kurz vor meiner Hochzeit stand und zum anderen meine Freundin betrogen hatte.
Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich nicht einen Herzschlag lang an sie gedacht hatte, kurz bevor ich von Hannah gekostet hatte. Dennoch war es irrelevant, denn Scott hatte bis zu einem gewissen Punkt recht. Nicht mit der Tatsache, dass mich die Pussy-Panik befiel, das war nach wie vor Blödsinn. Aber, dass Kellys Vagina nicht die für mich bestimmte war, da gab ich ihm nun recht. Mir war immer klar gewesen, dass Kelly und ich, was Intimitäten anging, eine strange Beziehung pflegten. Um nicht zu behaupten, dass wir uns in dem Bereich nicht normal verhielten. Aber dass es so sehr von diesem richtig guten und tollen Sex abwich, das hatte ich offenbar verdrängt. Oder einfach noch nie so heftigen Sex gehabt.
Nachdem es damals geheißen hatte, ich dürfte nie wieder surfen, hatte Kelly mich aufgefangen. Ob es lächerlich klang oder nicht, ich hatte mich nicht mehr als richtiger Mann gefühlt, war doch Surfen und Sport zum damaligen Zeitpunkt alles, was für mich gezählt hatte. Klar hatte ich studiert und das sogar mit Stipendium, aber nur wegen des Surfens war mir alles stets so leicht gefallen.
Einfach weil ich es liebte. Da es alles für mich war. Vor dem Unfall hatte ich mein Leben genossen. In sämtlichen Bereichen. Ich war jung und durch die Preisgelder besaß ich nicht nur richtig viel Kohle, nein ich hatte auch den Ruhm und die Anerkennung. Damals dachte ich, dass all die Mädchen, die ich zur Auswahl hatte – manchmal auch mehrere pro Nacht –, die Partys und der Spaß, das Einzige waren, das wirklich zählte. Neben dem Surfsport, versteht sich.
»Hey ...«, murmelte sie und riss mich so aus meinen Gedanken. Verschlafen fuhren ihre warmen, weichen Finger auf meiner nackten Brust auf und ab. Allerdings setzte sie sich sofort
auf, als sie registrierte, was sie tat. Verlegen zog sie an dem dünnen Laken, um ihre sexy Rundungen zu verstecken.
»Hey, selber«, wisperte ich ebenfalls mit etwas Wehmut in der Stimme. »Geht es dir gut?« Trotz allem musste ich wissen, ob sie sich wohlfühlte, ob alles passte und ob ... verflucht, ich wollte einfach wissen, ob sie bereute, was gerade zwischen uns passiert war.
»Ähm ...« Es war deutlich, dass sie sich unbehaglich fühlte. »Du solltest jetzt gehen«, sagte sie leise und verschwendete keine Zeit, ihren Plan in die Tat umzusetzen, wobei sie mir nicht in die Augen sah.
»Jetzt auf einmal? Gerade lagst du noch mit deiner nackten Haut an meine geschmiegt.«
Sie räusperte sich, so als würde sie sich aus diesem Traum wachrütteln und versuchen, sich zu fassen. »Ja, aber jetzt ist es Zeit zu gehen. Ich bin müde.«
»Du schmeißt mich raus?«, fragte ich ungläubig nach. Meine Muskeln verkrampften sich. Zur Hölle, ich war doch der, der kurz vor der Hochzeit stand.
»Was ist dein Problem?«, fragte ich. Zufrieden stellte ich fest, dass sie mein Anblick nicht kalt ließ, als ich das Laken zur Seite schob. Sie biss sich auf die volle, vom Küssen geschwollene Unterlippe, betrachtete mich von oben bis unten und krallte ihre Finger so fest in das Bettlaken, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Mein Schwanz richtete sich augenblicklich auf, wie er es bei ihrem Anblick immer tat.
»Nun ...« Wieder ein Räuspern. »Das hätte nicht passieren dürfen, ich bin deine Hochzeitsplanerin.«
»Ach, was du nicht sagst!«, knurrte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Und ich bin der
Bräutigam!«
Frustriert setzte sie sich auf ihre Unterschenkel. Dabei rutschte das Laken nach unten bis auf ihre Hüfte und entblößte ihren wunderschönen, fülligen Busen. Wie auf mein Kommando zogen sich die etwas dunkleren Nippel zusammen. Ihre Haare hingen jetzt wild um ihr Gesicht, und sie sah so wunderschön aus, dass ich mich wieder in ihr vergraben wollte. Natürlich wäre es klüger gewesen, sie jetzt zu verlassen, wie sie versuchte es mir zu befehlen ... allerdings vermittelte mir mein Schwanz ganz klar, dass er nicht nach Hause wollte.
»Adam«, begann sie erneut, als ihr unter meinem Starren unwohl wurde. »Das war ein Ausrutscher. Wir haben getrunken und ... es wird nie wieder vorkommen, okay?« Sie sah mir fest, aber flehentlich in die Augen. Zumindest glaubte ich das, denn ich war von dem vollen Busen und der zierlichen Taille abgelenkt.
»Bitte!« Das Flehen in ihrer Stimme entging mir nicht. Klar wollte ich bleiben und mich wieder in ihr versenken, zumindest solange, bis mein Gewissen sich meldete, aber das Letzte, was ich wollte, war, ihr wehzutun.
Offensichtlich würde ich das.
Wenn ich blieb.
Mein Schwanz protestierte vehement, als ich in meine Hose schlüpfte. Flüchtig hatte ich mich nach meiner Boxershorts umgesehen und die Schultern gezuckt, als ich sie nicht finden konnte. Gerade, als ich mich nach meinem achtlos zur Seite geworfenen Hemd bückte, erkannte ich mein derzeitig größtes Problem.
Schuldgefühle! Natürlich. Und die Furcht, dass Hannah den Auftrag hinschmeißen könnte oder dass Kelly etwas herausfand, schlichen sich bei ihr ein. Grotesk, wenn man bedachte, dass ich
derjenige war, der sich darüber Gedanken machen sollte.
»Nein, Hannah, keine Sorge«, sagte ich unvermittelt kalt. Sie hatte es absolut ernst gemeint, dass ich gehen sollte. Es war klar, und wir mussten uns nicht erst großartig darüber unterhalten, dass es riesige Scheiße war, was wir getan hatten. Aber dennoch empfand ich nicht nur Lust für sie. Ich mochte sie. Deshalb traf mich ihr Rauswurf. Da ich wusste, dass ich ihr damit genauso wehtat, wie sie gerade mir, indem sie dieses Wow-Erlebnis einfach so runterspielte, fuhr ich fort. »Du verlierst den Auftrag nicht, und ich wäre bescheuert, wenn ich Kelly etwas sagen würde«, stellte ich klar, ohne dass sie überhaupt danach gefragt hatte. Wie ein Idiot interpretierte ich etwas hinein, das nie ausgesprochen worden war.
Nach einem langen Blick schloss Hannah nickend ihre Augen. Sie sperrte mich aus. Ganz deutlich grenzte sie sich jetzt von mir ab.
»Gut!« Nach einem langen, abwartenden Blick meinerseits, verließ ich schließlich ihr Schlafzimmer. Dann ihre Wohnung und dann ... so fühlte es sich zumindest für mich an, meine Zukunft.
Wie konnte etwas, das mich so einmalig empfinden lassen hatte, vorbei sein, ehe es begonnen hatte? Konnte es sein, dass Hannah nicht das Gleiche empfunden hatte? Nein. Nein, das konnte definitiv nicht sein. Auch wenn ich ihr kein Wort glaubte, hatte sie recht, dass es besser war, wenn ich jetzt ging. Zurück in meinen Alltag.
Zurück zu meiner Hochzeit
mit Kelly.
E
s fühlte sich nicht richtig an, als ich die Eingangstüre zu meinem Haus hinter mir schloss. Ebenfalls nicht, als ich an einem gemeinsamen Foto von Kelly und mir vorbei ging. Vorsichtig, als könnte ich ihr wehtun, nahm ich es in die Hand und versuchte mich an diesen Moment zurückzuerinnern. Es war keine besondere Aufnahme, aber eine der wenigen, die es überhaupt von uns gab. Kelly und ich ... führten keine hitzige oder leidenschaftliche Beziehung ... sie war eher neutral und fast ein wenig kühl ... na gut, man hielt uns nicht unbedingt für ein Paar, wenn man uns zusammen sah, wir hielten nicht Händchen, gaben uns keine Kosenamen und vermieden unnötige Pärchen-Dinge. Wir stritten nicht in der Öffentlichkeit und wir diskutierten selten.
Nun, da ich nicht mehr von Hannahs Aura eingelullt wurde, machte es mich ein wenig wütend, wie sie reagiert hatte. Klar waren wir beide daran beteiligt gewesen, aber ich war der Teil mit der Beziehung. Der Bräutigam hieß Adam Moore und hatte nichts mit ihr zu tun. Aber dennoch war sie diejenige gewesen, die mich bat, zu gehen. Sicher war ich damit einverstanden gewesen, denn scheiße, was wäre die Alternative gewesen? Zwingen konnte ich ja niemanden, Zeit mit mir zu verbringen. Beängstigend war nur, dass ich Hannah wirklich mochte. Nicht nur wie ihr Körper sich anfühlte oder wie sie zu Wachs in meinen Händen wurde. Im Laufe des Abends, als wir noch züchtig in der Bar gesessen hatten, war sie wirklich witzig gewesen. Natürlich hatte ich mir das eine oder andere Mal vorgestellt, wie ich sie aus diesem Kleid schälte, aber das zählte nicht, denn bis dato war ja nichts geschehen gewesen.
Nachdem ich mich in der Gegenwart mit einem gekühlten Bier auf den Küchentresen gesetzt hatte, griff ich nach meinem Handy
und beschloss Kelly anzurufen. Sie war meine Freundin. Hannah musste ich verdrängen und verdammt ich liebte Kelly. Das tat ich doch, oder? Und vor allem ... »Scheiße«, murmelte ich frustriert und nahm einen tiefen Schluck. Wem wollte ich hier etwas vormachen? Der Sex mit Hannah ... nein, sämtliche Begegnungen mit Hannah waren unglaublich gewesen. Einzigartig. Atemberaubend.
Scott würde mich auslachen, wüsste er, in was für einer Klemme ich mich befand. Es war verzwickt, wirklich kompliziert, aber ich sollte jetzt meinen Fokus auf das legen, das wichtig war. Nämlich Kelly zu heiraten.
»Ruf sie an, beruhige dein Gewissen und verflucht, reiß dich zusammen, bevor du Pussy Panik bekommst!«, sagte ich laut und atmete tief durch, während ich zu meinem Handy griff und auf Kellys Namen klickte. Mist, sie befand sich nicht mal in meinem Kurzwahlspeicher. Komischerweise war dort Scott, meine Mum, das Büro und ... natürlich, Hannah.
Gequält schloss ich die Augen, als ich mir ihr kantiges Gesicht in Erinnerung rief.
Es tutete mehrmals, ehe eine verschlafene Kelly abnahm.
»Shit!«, fluchte ich ungehalten. »Hab ich dich geweckt?« Idiot, es ist tiefste Nacht, und du fragst, ob du sie geweckt hast? Ernsthaft?
»Ist dir etwas passiert Adam?« Ihre Stimme klang alarmiert. Schwer unterdrückte ich ein Seufzen, weil sie sich wieder Gedanken machte. Herrgott konnte ich nicht einfach so anrufen? War das wirklich so abwegig?
»Nein, alles okay!« Idiot! Energisch kniff ich mir in den
Nasenrücken.
»Bist du sicher? Wieso rufst du mich an?« Scheiße, weil du meine Freundin bist?
»Natürlich bin ich sicher.« Immer diese Panik, dass mir etwas passiert sein könnte. »Du bist meine Verlobte«, fügte ich hinzu. Und weil ich Arschloch dich gerade betrogen habe.
»Okay, aber es ist mitten in der Nacht!«
»Sorry, ich wollte dich nicht wecken.« Ich wollte nur mein Gewissen beruhigen.
»Gut, also wenn es keinen wirklichen Grund für deinen Anruf gibt, darf ich dann jetzt weiterschlafen?«, fragte sie müde.
»Sicher, Kelly«, murmelte ich und legte den Kopf in den Nacken in einer Geste, die man leicht mit einer flehenden verwechseln konnte.
»Gute Nacht, Adam.«
»Gute Nacht, Kelly«, flüsterte ich und war mir im Anschluss nicht sicher, wie lange ich dem Tuten in der Leitung noch lauschte.
Der Anruf hatte mir vor Augen führen sollen, wie wichtig mir Kelly war. Wie sehr ich sie liebte und vielleicht auch ein kleines bisschen, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Fuck! Das hatte ja hervorragend geklappt.
Nämlich gar nicht.
Ich beschloss, mich mit dem angefangenen Bier vor den Fernseher zu knallen und mich in meiner grenzenlosen Idiotie zu suhlen. Gab es einen noch größeren Wichser als mich? Ja gut, solange Scott auf dieser Erde wandelte ... aber verdammt. Kelly war so ... rein. Weiß. Klar. Und ich war ein Schwein.
Sauer auf mich selbst und doch keinen Atemzug lang fähig zu bereuen, blieb ich bei Two and a Half Men hängen und versank in der fabelhaften Welt von Charlie Sheen.
»
A
dam, wohin bringst du mich?«, fragte mich Kelly und sah nervös, aber nicht das gute, aufgeregte nervös, aus dem Fenster. Gefangen innerhalb meines Die-Welt-ist-scheiße-Wahns, hatte ich beschlossen, sie heute an der Praxis abzuholen und mit ihr an den Strand zu fahren. In meinem Orgasmus-tauben-schlechtem-Gewissen-Hirn war ich nämlich zu der Einsicht gelangt, dass ich mich mehr um Kelly kümmern musste. Also so richtig. Dass wir ausgingen und ... nun irgendwas zusammen unternahmen, was Pärchen eben taten. Der Plan war simpel, aber wie ich hoffte, effektiv. Wenn wir nur endlich wieder ein bisschen mehr Zweisamkeit hätten, dann würde es zwischen uns besser sein. Wir würden uns neu verlieben – waren wir jemals wirklich verliebt gewesen? –, und Hannah würde endlich aus meinem Kopf verschwinden. Das schlechte Gewissen hatte mich nämlich fest im Griff. Allerdings nicht so fest, dass ich es bereut hätte, oder die Zeit zurückdrehen wollte. Es war auch nicht so heftig, dass ich mir nicht dennoch mit dem Gedanken an sie zwei Mal einen runtergeholt hätte.
Ich beschissener Bastard! Aber gut, die Gedanken sind frei. Bei Gelegenheit würde ich einmal Scott fragen, ob er beim Masturbieren seine aktuelle Flamme vor Augen hatte oder immer noch irgendeines der heißen Boxenluder.
Nun ja, nach dem zweiten Handjob-Orgasmus hatte ich beschlossen, härtere Geschütze auffahren zu müssen. Deshalb war ich in einen Delikatessen-Shop gefahren und hatte einige Sachen für ein leckeres Picknick gekauft, um einen romantischen Abend mit Kelly zu verbringen. In letzter Minute warf ich noch eine Decke in den Kofferraum meines Range Rovers. Kopfzerbrechen bereitete mir nur der Strandabschnitt.
Irgendetwas hielt mich davon ab, in die Bucht zu fahren, die ich mit so ziemlich allem verband, was mein Leben betraf.
Und mit Hannah.
Das war dann noch mal ein zusätzlicher Grund, Kelly nicht dorthin zu bringen. Es kam mir so vor, als würde ich Kelly ansonsten Hannahs Schatten aussetzen. Fast so, als würde ich meine Verlobte erneut betrügen.
»Adam?«
»Was?«, fragte ich verwirrt. »Sorry, ich war kurz in Gedanken.« Reiß dich zusammen, du Weichei!
»Wohin bringst du mich?« Kelly lächelte schwach. Dummerweise haute es mich nicht annähernd so um, wie Hannas Lächeln.
»Wir sind gleich da«, antwortete ich und versuchte geheimnisvoll zu klingen. Scheiße, ich sollte mir definitiv mehr Mühe geben. Denk nicht mehr an Hannah. Fuck, Alter, sie ist deine Hochzeitsplanerin!
»Okay.«
»Es wird dir gefallen«, erwiderte ich und hoffte in Gedanken, dass es das wirklich würde. Kelly war anders. Unsicher. Zerbrechlicher. Vorsichtiger.
Als wir an einem schönen Strandabschnitt von Malibu ankamen, war es für mich neutraler Boden, da ich hier noch nie gewesen war. Aber etwas mehr Mühe sollte ich mir schon geben. Neue Erinnerungen schaffen. Irgendwas, damit Kelly in meinen Kopf zurückfand und diese sexy kurvige Frau verdrängte. Nach einem schnellen Blick auf meine Freundin stellte ich fest, dass sie die Stirn in Falten gelegt hatte. Ein tiefes Seufzen entwich mir, war es doch offensichtlich, dass sie sich schon wieder Gedanken machte. Herrgott konnte sie nie etwas einfach nur genießen?
Ohne erst einmal die Risiken zu analysieren?
»Ich habe ein Picknick vorbereitet!«, sagte ich und brach damit das ohrenbetäubend laute Schweigen zwischen uns. Meine Hände zitterten leicht, als ich die rote Decke auf dem Sand ausbreitete und mich darauf fallen ließ. Anschließend forderte ich Kelly mit einer Handbewegung auf, sich neben mich zu setzen. Zögerlich nahm sie Platz.
»Geht es mit deinem Knie?«, fragte sie, als sie sah, dass ich entspannt im Schneidersitz saß.
»Ja!« Brummend zwang ich mich, tief durchzuatmen. »Der Unfall ist jetzt drei Jahre her, Kelly, es ist alles bestens!« Wieso mussten wir dieses Thema immer auf unserer Agenda haben? Wieso konnte es nicht einfach in der Vergangenheit ruhen? Weshalb kam es immer nur im Gespräch mit ihr wieder auf den Tisch? Es war nicht so, dass ich den Unfall und alles, was damit verbunden war, vergessen wollte. Das würde niemals geschehen. Aber da sie immer wieder Panikschübe bekam, weil etwas nicht mit mir oder meinem Körper stimmen könnte, bekam ich nicht mal die Gelegenheit es zu verarbeiten.
Skeptisch beäugte sie mich und lenkte schließlich ein. »Na gut.«
Das war auch so etwas, sie gab immer nach. Noch niemals hatten wir beide eine ehrliche Diskussion geführt. Nicht einmal über die banalsten, langweiligsten Dinge. Bruchstücke des Abends, welchen ich mit Hannah verbracht hatte, zogen an mir vorbei. Wie wir über verschiedene Biersorten diskutiert hatten und darüber, ob man bei einem echt amerikanischen BBQ auch Gemüse anbieten durfte. Als Kelly neben mir saß, griff ich mir zwei von den gekühlten Bieren aus der Tasche und hob ihr eines
hin.
»Oh, haben wir auch Wasser?« Natürlich, immer auf die Gesundheit bedacht.
»Sicher«, sagte ich betont ruhig und reichte ihr eines. Wieso konnte Kelly sich nicht einmal fallen oder gar gehen lassen? Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich zwar viele verschiedene Sachen zu essen gekauft hatte, aber ... alle Delikatessen eher auf Hannah ausgerichtet waren. Oder zumindest die Dinge, von denen ich dachte, dass sie diese gern essen würde. Wieso bemerkte ich auf einmal immer wieder Eigenschaften, die mich an Kelly störten? Jesus, ich steckte echt in der Scheiße!
»Wie war der Kurs?«, fragte ich Kelly. Es war Zeit, dass wir uns wieder annäherten und ich Interesse an ihrem Leben zeigte. Weniger hilfreich war es dabei, dass ich Idiot immer wieder verstohlen auf mein Telefon sah. Warum eigentlich? Was hoffte ich dort zu finden? Eine Nachricht von Hannah? Darauf konnte ich lange warten, denn nach unserem Streit nach diesem Wahnsinns-Erlebnis würde Miss-Ich-Habe-Einen-Stolz-So-Groß-Wie-Der-Mond sich niemals bei mir melden.
»War okay. Wie war’s hier?«, fragte sie wortkarg und griff nach einer Weintraube. Fuck!
»Ganz gut«, murmelte ich vage.
»Wie war die Band? Hat sie dir gefallen?«, fragte sie mich als Nächstes.
»Auf jeden Fall, die waren Spitze!«
»Hat sie Hannah auch gefallen?« Was? Wieso war ihr nun Hannahs Meinung so wichtig?
»Wieso Hannah?«, erwiderte ich vorsichtig.
»Na ja, ob sie einer Frau auch gefallen hat?« Puh, Glück gehabt.
Ȁhm, ja, sie fand sie auch recht
cool.«
»Cool?«
Ich rollte die Augen und biss in ein Sandwich mit Rinderfilet. »Ja, sie meinte, sie würde sie auch buchen.« Okay, das war nur die halbe Wahrheit. Sie fand sie ziemlich cool, das hatte sie immer wieder gesagt und auch das eine oder andere Lied mitgewippt, aber ob Hannah sie buchen würde, darüber hatte sie kein Wort verloren.
Vorsichtig griff Kelly nach einer Kaki. »Also nehmen wir sie?«
»Du willst sie nehmen, ohne dass du sie gesehen hast?« Erstaunt sah ich ihr in das verkrampfte Gesicht.
»Na ja, ich vertraue dir.« Super. Ironie off. Verdammte Scheiße, ich war wirklich am Arsch. Schnell stopfte ich mir das Sandwich in den Mund und kaute langsam. Nur nicht antworten. Anschließend nahm ich noch einen Schluck Bier und versuchte dann, elegant das Thema zu wechseln.
»Komm, ich zeig dir was«, sagte ich, statt auf ihren Kommentar einzugehen. Ich stand auf und zog sie mit mir hoch. »Das Wasser ist immer noch unglaublich warm, obwohl die Sonne schon fast weg ist.« Gerade eben versank sie in den unendlichen Tiefen des Horizonts.
»Sei vorsichtig!«, rief Kelly und ich sah mich um.
»Wobei?«, fragte ich und drehte mich halb in ihre Richtung, denn ihre Hand hatte sie mir wieder entzogen.
»Hör auf zu klettern, denk an dein Knie!«, sagte sie panisch.
Erstaunt sah ich sie an. »Kelly? Das waren zwei verdammte Steine, über die ich gestiegen bin!«
»Bitte, fluch nicht«, entgegnete sie ruhig; aufgrund der Brandung konnte ich ihre leise Stimme kaum verstehen.
Unter extremen Anstrengungen unterdrückte ich ein nächstes Augenrollen.
»Ich hab eben immer Angst um dich, wenn du kletterst.«
Mühsam beherrscht schloss ich kurz die Lider. Ausflippen würde uns jetzt nicht weiterbringen.
»Kelly, ich klettere nicht. Ich bin über zwei Steine gestiegen. Bitte!«
Wären wir in einem stillen Raum mit nur einer tickenden Uhr gewesen, hätte man dieses ohne Probleme hören können.
»Na gut. Aber sei vorsichtig!« Flüchtig ballte ich die Hände zu Fäusten, während ich mich innerlich ermahnte, dass ich ja die ganze Geschichte mit Hannah ... sei es drum! Heute ging es um Kelly, mich und unsere hoffentlich bald neu gewonnene Verliebtheit.
»Komm schon!«, rief ich ihr künstlich lachend zu. »Das Wasser fühlt sich total weich und warm um die Beine an.«
»Adam!«, schrie sie. Ich erschrak und drehte mich ruckartig um, dachte, sie wäre gestürzt oder dass ihr etwas anderes passiert war. Dabei hatte sie nur die Augen aufgerissen und die Hände vor das Gesicht geschlagen. »Komm bitte aus dem Wasser!«
»Was?«, rief ich entsetzt zurück. »Es ist unglaublich. Komm her!«
»Adam bitte. Wenn dir was passiert!« Panik schwang in ihrer Stimme mit.
»Weißt du, Kelly, ich kann schwimmen. Das hat mir damals das Leben gerettet«, erwiderte ich ruhig.
Das Adrenalin, ein Team aus Spezialisten und Therapeuten und circa hunderttausend Schutzengel.
»Bitte komm zurück!« Ihre Stimme klang jetzt fast hysterisch. Langsam ließ ich den Blick über
meine Beine gleiten.
»Scheiße, Kelly, ich bin bis zu den Knien im Wasser!«
»Ja, aber dort hinten sind Steine. Bitte komm zurück!« Die nackte Angst in ihrer Stimme ließ mich innehalten und wirklich zurücklaufen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie mich jeden Morgen zum Schwimmen gehen ließ, ohne dass sie danach betrunken – so was tat sie nicht – oder high – das würde sie niemals anrühren – war.
»Kelly«, sagte ich, als ich bei ihr war und ihr Gesicht in meine Hände nahm. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Kelly du musst das abstellen. Bitte.«
Traurig nickte sie. »Ich weiß«, murmelte sie und senkte den Blick. Jetzt tat sie mir wieder so leid, dass ich sie an ihrem Hinterkopf an mich drückte und ihr Gesicht an meiner Brust bettete.
»Statistisch gesehen wird mir im Wasser nie wieder was passieren!«, wisperte ich in ihr Haar und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Frustriert hörte ich zu, wie sie leise weinte. Frustriert aus dem Grund, weil es mich nicht so berührte, wie es sollte, wenn sie traurig war. Natürlich wollte ich das nicht, und selbstverständlich sollte es ihr gut gehen, aber ich konnte einfach nicht mehr ihre Bedürfnisse über die meinen stellen.
Das war das Erste, das mir in diesem Moment bewusst wurde. Das Zweite war, dass ich zwar atmete, wenn ich mit Kelly zusammen war, aber nicht lebte. Ständig hatte sie um mich eine solche Angst, dass es mir den Spaß und die Freude nahm.
Und das Dritte war, dass mein Herz mich anflehte, endlich wieder frei und ungezwungen Luft zu holen.
Energisch schluckte ich den Frust hinunter. Auch wenn es gerade holprig war, würde ich nicht aufgeben. Meine Arme schlossen sich fester um Kelly.
Die ganze Enttäuschung war nichts wert, denn das Einzige von Bedeutung war, das Kelly mich aufgepäppelt und aufgebaut hatte, als ich es am dringendsten brauchte. So jemanden legte man nicht ad acta. So jemand behielt man sich für immer. Mein Herz krampfte sich zusammen, und dann geschah etwas, das seit dem Unfall und der Nachricht, dass meine Surfer-Karriere beendet war, nicht mehr vorgekommen war. Tränen schossen in meine Augen. Mühsam presste ich die Lider zusammen.
Nein.
Sicherheit war besser als Risiko.
Kontrolle war wichtiger als Lebensgefühl.
Zu atmen war beständiger als wild zu leben.
Kelly verkörperte all das. All die Dinge, die besser für mich waren ...
Denn verdrängen ... verdrängen war leichter als Liebe.