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edankenverloren starrte ich den fast schwarzen Rotwein in meinem Glas an, während ich darauf wartete, dass Kelly von den Waschräumen zurückkam und Hannah sich überhaupt einmal bequemte hier aufzutauchen. Die gesamte restliche Woche über hatte sie mich in den beschissenen Wahnsinn getrieben. Da sie sich nicht ein Mal gemeldet oder überhaupt versucht hatte, zu mir Kontakt aufzunehmen, war ich wirklich sauer geworden. Mein Ego litt mächtig unter der erneuten Abfuhr.
Gut, nüchtern betrachtet hatte sie mich schon abserviert, als sie mich in der heiligen Nacht aus ihrer Wohnung schmiss. Ob sie damit im Recht gewesen war oder nicht, stand auf einem anderen Blatt, aber definitiv war ich mit kaltem Wasser übergossen worden. Auch wenn ich nun schon einige Zeit in einer Beziehung war, sehnte ich mich doch hin und wieder nach den Zeiten zurück, in welchen die Frauen mir nachliefen, mich betüdelten und ich auswählen konnte, wer die Ehre hatte, in der aktuellen Nacht mein Bett zu teilen. Deshalb folgerte ich, dass mein derzeitiger Ärger womöglich an ihrer totalen Ignoranz lag. Den heutigen Termin hatte sie noch einmal per E-Mail an Kelly und mich bestätigt, wobei sie in den geschriebenen Worten professionell einfließen ließ, wie überaus relevant es sei, dass wir heute Abend beide anwesend sein würden
.
Selbstverständlich konnte ich zwischen den Zeilen lesen. Es hieß nichts anderes, als dass sie vermeiden wollte, wieder mit mir alleine zu sein. Vermutlich traute Miss Stone sich selbst nicht über den Weg. Der Irrsinn an dieser Sache war nur, dass ich mit ihr ein weiteres Mal nur zu zweit sein wollte. Ohne Kelly. Ohne andere Menschen. Wenn ich aufrichtig zu mir selbst war, stellte ihr Schweigen, diese deutliche Distanzierung, den Grund dar, weshalb ich so sauer auf sie sein wollte. Dass sie ... mich ablehnte, wo ich doch ständig mit einem steifen Schwanz durch die Gegend lief, wenn ich auch nur an sie dachte. Verfluchter Mist! Frustriert, weil dies eine der wenigen Situationen war, in denen ich nichts ausrichten konnte, nahm ich einen kräftigen Schluck von meinem Wein. Als hätte dies irgendetwas geändert. Heute Nachmittag, als ich darüber sinniert hatte, wie sie sich nach mir verzehren würde, wenn ich ihr nur in Erinnerung rief, wie ich aussah, hatte ich einen Schlachtplan geschmiedet. Ich würde sie mit Nichtachtung strafen und Kelly mit Aufmerksamkeit überschütten. Es stand außer Frage, dass dies meiner Freundin gegenüber unfair war, aber ... Scheiße, wenn ich doch nicht aus meiner Haut heraus konnte? Wenn sich doch in meinem verdammten Kopf alles um Hannah Stone, ihre Art, ihren Körper und ihren Geruch drehte, was sollte ich dann tun? Puh, diese Gedanken waren gut, denn sie entfachten meinen Zorn von Neuem. Nachdem ich mir konsequent wieder in Erinnerung gerufen hatte, dass sie mich einfach nicht angerufen, besucht oder eine verfluchte Nachricht geschrieben hatte.
Nichts. Teufel noch mal, jeden Morgen war ich, statt zu schwimmen, in der Bucht gewesen. Weil ich wie ein lächerlicher Idiot gehofft hatte, sie zu sehen und die Chance zu bekommen, mit ihr zu sprechen. Aber nichts von alldem war eingetroffen.
»Oh, da kommt Hannah«, sagte Kelly, und erst jetzt
bemerkte ich, dass meine Verlobte schon längst wieder an den Tisch zurückgekommen war. Fröhlich winkte sie der fast unverschämt schönen Frau zu, die soeben mit selbstsicheren Schritten unseren Tisch ansteuerte. Himmel, war sie schön, es war so unglaublich, dass ich mich für einen Augenblick fragte, wie ein einzelner Mensch von Gott so bevorzugt werden konnte. Sie war sexy, gewieft und witzig.
Und ... nicht meine Verlobte. Träge das Glas am Stiel zwischen meinen Fingern drehend, lächelte ich sie kurz an und begrüßte sie mit einem »Miss Stone«. Überrascht weiteten sich ihre Augen leicht. Was zur Hölle hatte sie denn gedacht? Glaubte sie ernsthaft, dass sie mich die ganze Woche ignorieren konnte und dann schenkte ich ihr meine volle Aufmerksamkeit, wenn ich sie sah? Auch wenn sie in der schwarzen Kurzarmbluse, welche im Saum des purpurfarbenen Bleistiftrocks steckte und den hohen gleichfarbigen Schuhen, deren Riemchen sich so verführerisch um ihren Knöchel schlangen, dass ich mit meinem Finger liebkosend darüber streichen wollte. ›Konzentriere dich auf Kelly!‹, brüllte mein zorniges Ich in mir und ich griff über den Tisch nach der Hand meiner Verlobten. Sah Jesus die beiden Frauen nebeneinander ... nein, darüber durfte ich nicht nachdenken.
»Mr. Moore!« Ihre Gesichtszüge waren wie eingefroren und ihr Lächeln schmallippig. Es wurde erst eine Nuance freundlicher, als ihr Blick auf meine Freundin fiel. »Guten Abend, Kelly.«
»Hallo Hannah«, sagte Kelly. Hannah scannte sie blitzschnell. Gott, das war sehr auffällig. Das konnte ich beurteilen, denn ich war Meister im versteckten Abchecken. Manche Dinge verlernte man einfach nicht. Hannah zog zischend die Luft ein, als ihr Blick unsere Hände erfasste
.
›Ja, sieh es dir nur an‹, motivierte ich sie in Gedanken, wobei ich am liebsten eine Antwort auf die Frage gefordert hätte, weshalb sie mich nicht angerufen hatte. Natürlich war es scheiße, was passierte, aber ...
»Ich sehe Sie trinken schon, Mr. Moore?«, begann sie ein Gespräch und legte eine schwarze Ledermappe vor sich auf den Tisch. »Es wäre besser gewesen zu warten, bis Sie sich für ein Menü entschieden haben.«
Spöttisch hob ich beide Brauen und sah sie nur kurz von der Seite an, damit es anschließend wirkungsvoller war, den Blick auf Kelly zu legen. Kelly, auf der mein Fokus sowieso liegen sollte.
»Ach wissen Sie, Rotwein hilft mir nach einem anstrengenden Tag runterzukommen ... auch wenn er wunderschön gewesen ist, nicht wahr, Kelly?«, entgegnete ich, meiner Verlobten zuzwinkernd. Hannah konnte ja nicht wissen, dass ich das wunderschön sarkastisch meinte, denn Kelly hatte heute drei Stunden mit ihrer Mutter verbringen dürfen, und auch wenn ich sie nur zehn Minuten gesehen hatte ... na ja, sie war sehr eigen und Kelly wusste, was das für mich bedeutete, wenn ich sie dort abholte. Kelly kicherte leise, und ehrlich gesagt stand ihr das Geräusch gut. Es passte zu ihrer Art. Sie erinnerte sich vermutlich gerade daran, wie ihre Mutter mir immer die Haare zerzauste, als wäre ich ein kleiner Junge. Nicht auf diese sexy Art, wie Hannah es ... Scheiße. Sobald ich auch nur einen Millimeter meine Gedanken in die Richtung bewegte, die zu ihrem nackten Körper führte, wurde ich hart. Wie grotesk war das bitte? Dieses Dinner fand statt, um zu entscheiden, was es auf meiner Hochzeit zu essen geben sollte, und ich wurde steif bei dem Gedanken an meine Hochzeitsplanerin, deren nach Sommer riechender, frischer Duft gerade zu mir herüberwehte, als sie leise schnaubend ihr
Haar zurückwarf. Man sah ihr an, dass sie nicht an meine Schwiegermutter in spe dachte – von der sie ja nichts wusste –, sondern mit der Aussage nun verband, dass Kelly und ich ... Sex gehabt hatten. Was definitiv nicht der Fall gewesen war.
»Gut, also wenn Sie sich dann losreißen könnten, damit wir beginnen könnten?«, sagte sie mit knurrender Stimme und gab dem Kellner ein Handzeichen. Als der junge Mann an unserem Tisch stand, lächelte sie charmant, ganz die flirtende Hannah, und bat ihn um die Speisekarte und die Weinauswahl. Außerdem bestellte sie für sich ein Glas von einem Rosé.
»Sie sind wohl öfter hier?«, fragte Kelly sie gerade interessiert. »Sie haben nicht einmal einen Blick in die Weinkarte geworfen!«
Hannah lachte künstlich, das merkte ich sofort, denn an dem Abend in der Bar war ihr Lachen durch und durch echt gewesen.
»Ja, ich war schon einige Male hier.«
»Dates?«, fragte ich nun, lehnte mich zurück und nahm einen Schluck von meinem Wein.
Fest sah sie mir in die Augen. Wenn man wusste, was zwischen uns passiert war, erkannte man die Feuerpfeile, die sie auf mich abschoss, hervorragend.
»Auch wenn mein Privatleben Sie im Grunde nichts angeht, Mr. Moore. Aber ja, es gibt tatsächlich Männer, die eine Frau heutzutage noch ausführen und sie nicht nur an einen Hotdog-Stand einladen«, sagte sie mit süffisanter Stimme und einem zuckersüßen Grinsen. »Ja. Adam ist so jemand!«, warf Kelly zustimmend ein, ehe ich antworten konnte.
»Ach ehrlich?«, fragte sie nun, dem Kellner zum Dank
zunickend.
»Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut!« Ihr Tonfall war neckend, aber ich erkannte die Anspielung dahinter. Sie schaffte es wirklich, mich an den Rand meiner Kontrolle zu treiben.
»Na ja, wenn mich etwas oder jemand«, begann ich und griff wieder nach Kellys Hand mit dem Verlobungsring, »wirklich interessiert«, nun heftete ich den Blick wieder auf meine Freundin, »dann gebe ich mir wirklich Mühe.« Ihre Reaktion auf meine unfairen Worte konnte ich nicht sehen, aber ihr gemurmeltes »Tss!« kam sehr wohl bei mir an.
»Gut, wenn Sie beide dann fertig sind, ihre Liebe zu bekunden, wäre ich sehr dankbar, wenn wir anfangen könnten. Ich habe heute noch etwas vor«, sagte sie hörbar angepisst.
»Wir werden nie fertig sein, unsere Liebe offenzulegen«, flüsterte ich und gab Kelly einen Handkuss. Scheiße, ich durfte nicht so übertreiben, sonst würde sie sofort merken, dass etwas im Busch war. Kelly weitete die Augen und ihre Lippen öffneten sich einen Spalt.
»Ähm ... also wir können anfangen«, sagte sie schließlich. Überrascht sah ich sie an. Mit ziemlicher Sicherheit konnte ich sagen, dass das die erste definitive Entscheidung – außer dem grünen Schleim, den sie mir morgens zubereitete – war, seit ich sie kannte. Also im Privatleben.
»Sehr schön!«, sagte Hannah deutlich verstimmt. Ha! Nimm das! Man servierte mich eben nicht ab wie einen verdammten Kaugummi.
»Gut.« Zweideutig, mit einem Hauch Arroganz, lächelte ich sie an, lehnte mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Okay, wie viele Gänge haben Sie sich denn vorgestellt?« Wieder ganz die Hochzeitsplanerin, verfiel sie in ihren
Arbeitsmodus. Als sie nun sprach, konnte ich sie endlich richtig betrachten. Die hohen Wangenknochen, die langen, kohleschwarzen Wimpern, die diese klaren Augen umrahmten. Die vollen Lippen, von denen ich mir wünschte, sie würden sich um meine Länge schließen. Scheiße, wieder wurde ich hart.
»Adam?«, fragte Kelly und ich räusperte mich.
»Ähm ... drei?«
Hannah hob eine Braue. »Nur drei?« Ihr Blick wanderte zwischen uns hin und her. »Okay, das müssen Sie wissen. Also dann drei.«
»Haben andere mehr?«, fragte Kelly verunsichert.
»Drei sind gut. Dann trinken die Leute mehr Wein«, murmelte ich sarkastisch und nahm einen großen Schluck, bevor ich dem Kellner bedeutete, nachzuschenken. Wenn dieses Treffen so weiter ging, dann bräuchte ich etwas mehr von dem Zeug als nur ein Glas.
»Wie Sie, mh?«, fragte Hannah und zog eine Braue in die Höhe.
»Haben Sie ein Problem, Hannah?«, entgegnete ich amüsiert grinsend – aber dennoch auf der Hut – und lehnte mich fast vertrauensvoll in ihre Richtung. »Hat Ihr Date Sie versetzt?«
Kurz presste sie die Kiefer aufeinander, ehe sie sich wieder im Griff hatte. »Oh nein, Mr. Moore, ganz im Gegenteil. Deshalb konnte ich mich in der vergangenen Woche auch nicht um Sie beide kümmern. Ich war anderweitig beschäftigt.«
»Sie vernachlässigen Ihre Kunden für Ihr Privatleben?« ›Du Arschloch!‹, schrie ich mich in Gedanken an. Das war absolut unfair.
»Das würde ich niemals tun!«, erwiderte sie schockiert.
»Adam!«, sagte Kelly, aber ich ließ mich nicht
beirren.
»Nun, dass Sie sich diese Woche nicht um unsere Belange gekümmert haben, ist eine Tatsache.« Oh, sprach ich seit Neuestem von mir alleine im Plural? Gott, ich benutzte Kelly. »Und wenn ich für eine Leistung bezahle, dann erwarte ich bedingungslosen Einsatz und vor allem Antworten auf meine Fragen. Auf jede Frage.«
Hannah schien innerlich ebenfalls zu brodeln. »Nun, Sie scheinen zu vergessen, dass ich Ihren Auftrag gar nicht annehmen wollte. Ich sagte Ihnen schon in unserem ersten Telefonat, dass ich schwer beschäftigt bin!«
»Ach so? Auch an den Wochenenden?«
»Bei aller Liebe, das geht Sie nichts an!«
»Also wenn ich mich als Kunde vernachlässigt fühle, dann denke ich ...«
»Mr. Moore!«, unterbrach sie mich und signalisierte mir deutlich, dass mein Verhalten nicht mehr fair war. »Sie bezahlen für meine Hilfe, nicht für meine Zeit. Und würden sie nicht den heutigen Abend mit Interesse an meinem Privatleben verschwenden, wären wir bereits beim Dessert angekommen.« Wir starrten uns in die Augen, und Kelly knetete unangenehm berührt ihre Hände auf dem Tisch. Man sah ihr deutlich an, wie unwohl sie sich fühlte. Das Blickduell hielt an, und ich für meinen Teil zog sie mit meinen Augen aus. Blickfickte sie mehr, anstatt sie wütend anzusehen. Schließlich schluckte sie und schlug die Augen nieder.
»Bitte entschuldigen Sie«, setzte sie zu einer Erklärung an. »Ich hatte eine harte Woche.«
»Okay«, erwiderte ich versöhnlich. »Solange Ihr heutiges Date sie nicht zeitlich limitiert.«
»Das ist nicht der Fall, Mr. Moore, ich werde zwar erwartet,
aber wir können auch einfach seine Geduld testen.« Ihr selbstsicheres Lächeln war zurück, und ich presste die Lippen aufeinander. Sie traf sich heute also wirklich noch mit jemand anderem. Dieses Miststück!
Eine Stunde später tupfte sich Hannah den Mundwinkel ab, ich nippte an meinem Espresso und Kelly stocherte in ihrem Obstsalat herum. Nach mehreren Minuten Small Talk zwischen Hannah und Kelly verabschiedete sich unsere Hochzeitsplanerin. In mir schrie alles ›Nein!‹, aber ich konnte sie ja wohl kaum aufhalten.
»Gut, wir haben alles zusammen. Die Notizen sind fertig, und ich bespreche das Menü dann im Laufe der nächsten zwei Wochen mit dem Restaurantleiter.« Was? Zwei Wochen bis zu unserem nächsten Termin?
Bis ich sie wiedersehen würde? Nein!
»Kelly. Mr. Moore. Vielen Dank für das Essen. Ich melde mich in den nächsten Tagen bei Ihnen. Es wäre schön, wenn Sie kurz schriftlich zusammenfassen könnten, was Ihnen an diesem Abend am meisten gefallen hat.« ›DU! Dein Geruch! Dass du da warst! Deine nackten Beine.‹ Meine Gedanken überschlugen sich.
»Schönen Abend noch!«, sagte Kelly lächelnd und ich nickte Hannah kurz zu. Nur, um dann zusehen zu müssen, wie sie das Restaurant verließ und sich in den nächsten Minuten mit irgendeinem Schwachmaten treffen würde, der ... Nein Adam! Denk nicht weiter! Energisch biss ich mir auf die Zunge.
Es tat weh, aber den ablenkenden Schmerz hieß ich willkommen.
I
n Gedanken zählte ich die Sekunden. 56 ... 57 ... 58 ... 59 ... 60. Die Zahlen der elektronischen Digitalanzeige stellten sich auf vier Uhr, aber der erlösende Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Die ganze Zeit, ob ich es wollte oder nicht, schob sich Hannahs Bild vor meine geschlossenen Augen, und ehe ich ihren Anblick genießen konnte, kamen die Umrisse eines Mannes hinzu. Hatte sie heute wirklich ein Date? Wie konnte sie nach unserer Nacht, nach unserem Abend in der Bar, heute zu einem Date gehen? Eine Woche später? Okay, im Grunde war es egal, wann sie eine Verabredung hatte, für mich würde es nie einen geeigneten Zeitpunkt geben.
Das fühlte sich so falsch an. Wenn das Gefühl, dass sie mich benutzte, gerade einmal nicht dominierte, dann war es die Säure der Eifersucht, welche sich durch meine Adern fraß. Traf sie wirklich einen anderen Mann? Würde sie ihn küssen? Berühren? Sogar mit ihm schlafen? Sie sollte das nicht tun. Das durfte einfach nicht sein. Herrgott, ich vögelte Kelly gerade auch nicht. Also nicht seit der Nacht mit meiner verdammten Hochzeitsplanerin. ›Hast du Kelly schon jemals wirklich gevögelt?‹, fragte eine zarte Stimme in mir. Ergeben hievte ich mich aus dem Bett, um aufzustehen. Wieso rief ich sie nicht einfach an und versuchte mit ihr zu reden? Weshalb war ich so ein Idiot und wartete seit einer Woche darauf, dass sie sich bei mir meldete? Warum hatte ich nicht einfach den ersten Schritt getan?
Scheiße, ich war so ein verfluchter Trottel!
Auf leisen Sohlen schlich ich mich aus dem Zimmer, griff nach einem einfachen weißen Shirt und meinen Boardshorts, die ich früher immer beim Surfen angezogen hatte, und verließ den Raum. Alles war still in meinem Haus. Wie ein Einbrecher
schlich ich ins Wohnzimmer und öffnete die Türe zur Veranda, von der eine Holztreppe direkt an den Strand führte. Ehe ich weiter darüber nachdenken und bevor mein Stolz wieder die Oberhand gewinnen konnte, drückte ich auf meinem Smartphone herum und rief sie an. Nach mehrmaligem Tuten nahm sie ab. Anhand ihrer Tonlage stellte ich aufatmend fest, dass sie aus dem Schlaf gerissen worden war. Im Stillen dankte ich Gott, weil sie sich nicht gerade von einem Orgasmus erholte.
»Hannah Stone, und ich hoffe, es ist wichtig«, murmelte sie.
»Hannah? Hier ist Adam!«
»Adam?« Im Hintergrund hörte ich es rascheln. »Es ist ... vier Uhr morgens, was willst du?«
»Ich will mit dir reden.«
»Muss das jetzt sein?«, höhnte Hannah und schnaubte tief.
»Nein, du kannst auch richtig wach werden und wir treffen uns in der Bucht?« Du Dummkopf! Fallen wir einfach mal mit der Tür ins Haus.
»Bitte was?«, erkundigte sie sich, offenbar davon überzeugt, sich verhört zu haben.
»Nun, findest du nicht wir sollten reden?« Ich stützte mich mit meinen Unterarmen auf dem Holzgeländer ab und sah aufs Wasser hinaus. Der Mond spiegelte sich auf der glitzernden Oberfläche.
»Ich wüsste nicht worüber, Adam. Vor allem um vier Uhr morgens will mir leider kein Grund einfallen«, nuschelte sie und wieder raschelte es.
»Stehst du gerade auf?«
Am anderen Ende seufzte es tief. »Hab ich irgendeine Chance dich loszuwerden, ohne dich zu treffen?« Obwohl die Worte hart waren, hörte ich das Lächeln aus ihrer
Stimme.
»Na ja ... ich schätze, nein?« Mit neuer Zuversicht richtete ich mich wieder auf und ging hinein. »Also? Die Bucht? In einer halben Stunde?«
»Gott, ich verfluche dich, Moore, das ist dir klar, oder?«, knurrte sie und die Tatsache, dass sie einfach aufgelegt hatte, wertete ich als ja.
Unruhig lief ich in dem weichen Sand auf und ab. Ich war vor fast fünf Minuten angekommen, aber Hannah ist noch nicht da. Dabei war es exakt 4 Uhr 37 und das wiederum war genau eine halbe Stunde nach unserem Gespräch. Ohne weitere Umwege, außer einem Zettel, den ich Kelly hinterlassen hatte, hatte ich mich auf den Weg gemacht.
Das Bedürfnis, Zeit mit Hannah alleine zu verbringen, war inzwischen übermächtig. Deshalb hatte ich auch mein Telefon im Auto gelassen. Ich wollte nicht in Versuchung kommen, ein schlechtes Gewissen wegen Kelly zu bekommen. Abgesehen davon war klar, dass meine Freundin sich nicht bei mir melden würde, wenn ich es nicht tat. Einfach weil wir nicht eines dieser Pärchen waren.
Als ich daran dachte, wieso ich mein Handy im Auto liegen gelassen hatte, schlich sich der Gedanke ein, ob Hannah vielleicht etwas passiert war. Zuspätkommen sah ihr nicht ähnlich. Gerade, als ich in Richtung Parkplatz laufen wollte, sah ich einen Schatten über die Düne kommen. Jesus, hier im Mondlicht wirkte sie wie eine verdammte Erscheinung, die mich komplett in ihren Bann zog. Am Fuße des Hügels blieb sie kurz stehen und sah in meine Richtung. Als müsse sie sich zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es dauerte gefühlte Minuten, ehe sie mich erreichte.
»Hey!«, sagte sie in die Stille hinein, und ich betrachtete sie
von oben bis unten. Ihre Haare hatte sie locker zu einem hohen Zopf gebunden und sie trug ein einfaches Shirt, Jeansrock und Flipflops.
»Guten Morgen!«, flüsterte ich und beugte mich nach vorne, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Innerlich ein Dankgebet ausstoßend, weil sie es zuließ, sog ich tief ihren Duft ein und genoss das warme Gefühl ihrer Wange an meinen Lippen.
»Wollen wir uns setzen?«, fragte ich und deutete auf die großen Steine im Wasser, auf welchen wir das letzte Mal schon gewesen waren.
»Sicher, warum nicht?«, stellte sie die Gegenfrage, schob ihre Hände in die Taschen ihres Rockes und schlenderte los. Sie sah so ... jung und unschuldig aus. Fast als würde man sie jederzeit verletzen können. Ich stellte mir ernsthaft die Frage, wo die Hannah Stone war, die als professionelle und extrem erfolgreiche Hochzeitsplanerin arbeitete. Jetzt und hier strahlte sie auch Selbstbewusstsein aus, aber ... auf eine andere Art.
Dort, wo sie aus ihren Flip-Flops geschlüpft war, zog ich meine Havaianas ebenfalls aus und genoss den ersten Kontakt meines nackten Fußes mit dem kühlen Wasser. Als ich mich neben ihr niederließ, bezwang ich das brüllende Alphatier in mir, indem ich nicht den Arm um sie legte.
»Wie geht es dir?«, fragte ich, um das Schweigen zu brechen.
»Ernsthaft?«
»Ja. Ernsthaft. Ich möchte wirklich wissen, wie es dir geht!« Fuck, ja. Das wollte ich, und zwar jeden verfluchten Tag der Woche.
»Es geht.« Ihre Antwort erstaunte mich, hatte ich doch fest mit einem euphorischen ›Sehr gut!‹ gerechnet.
»War dein Date scheiße?«, erkundigte ich mich scheinheilig.
Selbst jemand, der taub war, würde die Genugtuung aus meiner Stimme hören. Hannah sah mich augenrollend an.
»Darum geht es also?«, fragte sie. »Um mein Date?«
»Na ja ... Nein. Doch«, antwortete ich zerknirscht und fuhr mir durch mein sowieso schon zerzaustes Haar.
Hannah seufzte tief, ehe sie murmelte: »Ich hatte kein Date, okay?«
»Hattest du nicht?«
»Nein, hatte ich nicht.«
»Aber wieso ...«
»Ich weiß!«
»Warum?« Verdammt. Die Frage war raus, ehe ich sie zurückhalten konnte.
»Denkst du, es war ein Spaziergang gestern Abend mit euch – Händchen haltend und offensichtlich scheißglücklich – am Tisch zu sitzen?«, stellte sie deprimiert erneut eine Gegenfrage.
»Du hast mich doch die ganze Woche nicht angerufen!« Oh, super Moore, Vorwürfe sind mit Sicherheit die richtige Taktik. Mir gehörte doch wirklich mein Surfbrett bis zur Ohnmacht über den Schädel gezogen.
Sie sah nun nicht mehr aufs Wasser, sondern direkt in mein Gesicht. Die Stimmung, die in der Luft lag, änderte sich. Spöttisch zog sie ihre Augenbrauen in die Höhe.
»Ein Anruf hätte nichts geändert.«
»Wir hätten uns sehen können!«, sagte ich und stellte im selben Moment fest, wie falsch diese Antwort war.
»Nein, wenn du das wirklich dachtest, dann schätzt du die gesamte Situation falsch ein.«
»Hannah, du hast mich nach dem besten Sex ever mitten in der Nacht gebeten zu gehen und
die Sache nie wieder anzusprechen!«
»Ja, weil es die einzige Möglichkeit war!«
»Möglichkeit wofür?«
Ihre Antwort ließ einige Sekunden auf sich warten. »Aus dieser Scheiße wieder herauszukommen«, flüsterte sie schließlich.
»Aus welcher Scheiße?«
»Adam, wir sind nicht zwei Menschen, die sich einfach so kennengelernt haben. Zufällig bin ich Hochzeitsplanerin und du einer der beiden Hauptprotagonisten in meinem aktuellen Projekt!« Hannah warf die Hände in die Luft, ehe sie fortfuhr. »Denkst du nicht, dass diese Kombination ein klein wenig ungünstig ist?«
Langsam nickte ich, denn es würde absolut nichts bringen, diese Tatsache zu leugnen. »Du hast recht!«
»Na also«, murmelte sie und wollte aufstehen. Meine Finger umschlossen ihr Handgelenk und zwangen sie, sitzen zu bleiben. Als sie nach gefühlten Stunden, den Kopf resigniert drehte, um mich wieder anzusehen, ließ ich sie los.
»Du hast recht, Hannah. Aber wieso kann ich dann, trotz deiner beeindruckenden Logik, einfach nicht aufhören, an dich zu denken?«