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Adam
E motional erschöpft ließ ich mich in den Sand fallen. Nach dem ehrlichen Geständnis von Kelly, und als die Worte durch meinen grauen Schleier gesickert waren, war mir klar gewesen, dass ich mich für die eine oder andere Richtung entscheiden musste, dass ich zeigen musste, was jetzt wirklich an erster Stelle kam. Bewusst vermied ich den Gedanken daran, dass ich das tun wollte, was mir wichtig war, denn wichtig war mir Hannah. Wichtig war mir die gemeinsame Zeit mit ihr und die Tatsache, dass ich nie wieder ohne sie sein wollte.
Und doch ... saß ich jetzt hier, mit den Nerven und den Gedanken am Ende. Ich wusste nicht mehr, was noch richtig war und was nicht. Die leichte Brise, die über das Wasser und den Strand hinweg wehte, erinnerte mich an meine Verlobte.
So war sie, genau das, ein Lüftchen, eine sanfte Beständigkeit, immer das bisschen Wind, das wir auch hier in Malibu hatten, und das erforderlich war, um nicht in der glühenden Hitze am Meer zu vergehen. Sie war der minimale Hauch an Kühle, den man brauchte. Das kleine bisschen, das nötig war, damit man es am Strand aushielt und blieb, aber nicht die sengende Sonne verfluchte. Heute war es für Malibu kühl. Natürlich war es warm und sonnig, aber diese trockene Hitze, die wir hier normalerweise zu verzeichnen hatten, war heute nicht gegeben.
So war es mit Kelly.
Kelly war Beständigkeit.
Kelly war konstant.
Sie war nicht wirklich aufregend, auch nicht die Dinge, die sie sagte oder tat, aber sie war da ... sanft, ruhig im Hintergrund. Die Frage war doch die, ob ich wirklich wollte, dass mich eine absolute Naturgewalt wie Hannah umriss oder mich eine sanfte Brise des Windes mit sich nahm. Vor meinen Augen formte sich ein Bild. Es war wirklich komisch, aber momentan dachte ich in Bildern, dann war es leichter, dieses verdammte Gefühlschaos in mir – und es war definitiv keine Pussy-Panik – zu sortieren, es auseinanderzusetzen und mir darüber klar zu werden, was das Beste für mich war. Leider war das Beste nicht immer das, was man auch wollte.
Kelly war dieses sanfte Wellenschaukeln, dieses Ruhige, Monotone. Der kleine Lufthauch. Alles, was sie tat, tat sie auf diese entspannte Art. Es war total egal, weil sie einfach nur ... stumm und still alles hinnahm und akzeptierte. Kelly war fantastisch, aber wenn man ehrlich war auch langweilig. Ich hätte ihr das niemals ins Gesicht gesagt, aber das war es, was sie verkörperte. Sie war Ruhe und Frieden und ansonsten nichts. Die untergehende Sonne wärmte mein Gesicht, doch von der Hitze, der eigentlichen Hitze, die Malibu und alles, was ich liebte, ausmachte, war nichts zu spüren. Sie war einfach nicht da. Mein Blick wanderte über das Wasser. Diese sagenhafte Gewalt, die heute vollkommen ruhig vor mir lag. Das laue Lüftchen bewirkte, dass die Wellen lediglich an den Strand gespült wurden, sich aber nicht brachen, weder an den Felsen noch auf dem Wasser. Es war frustrierend, sogar ein wenig deprimierend. Aber mir blieb wohl nichts anderes übrig, als diese Dinge hinzunehmen.
Wenn ich mich an die Nacht des Unfalls zurückerinnerte, dann hatte mich diese unfassbare Naturgewalt, die mich jetzt in Form von Hannah so anzog, fast umgebracht. Und sie war einfach mit Hannah gleichzusetzen. Es war doch so, sollte man sich nicht lieber den Dingen widmen, von denen man wusste, dass sie einen nicht komplett und vollkommen zerstörten? Sollte man nicht lieber auf Nummer sicher gehen? Sich auf die Dinge konzentrieren, die es wert waren? Sollte man nicht lieber ein laues Lüftchen genießen, statt sich diesem Irrsinn einer verdammten Naturgewalt hinzugeben, wie Hannah es war? Hannah peitschte das Meer auf, ließ zu, dass sich die Wellen nicht nur brachen, sondern sie so aufbrausen ließ, dass sie sich an jedem Felsen so spalteten, und in die Höhe schossen, dass es fast unmöglich war, nicht komplett nass zu werden oder unterzugehen. Aber wirkten die Wellen nicht auch immer höher und halsbrecherischer? War es nicht genau das, was ich wollte? Ließ nicht genau ein solches Phänomen das Herz eines Surfers aufgehen?
Malibu war seit Kindertagen meine Heimat, und das Meer war immer mein Zufluchtsort gewesen. Die Hitze gehörte zu mir, wie der menschliche Körper Schlaf brauchte, und ohne den Wind und die Wellen konnte ich es mir nicht vorstellen.
Hannah hatte mir damals gesagt, dass es im Leben keine Sicherheiten gäbe. Aber ich wollte Sicherheiten, ich brauchte sie. Ich mochte nichts Unvorhersehbares, denn das würde mich auf Dauer umbringen, es würde mich zerstören. Durch meine halsbrecherische Karriere damals – über meine Jugend wollte ich gar nicht nachdenken – war ich hinreichend Gefahren ausgesetzt gewesen. Irgendwann war es einfach genug. Inzwischen war ich erwachsen und der richtige Zeitpunkt für Ruhe und Frieden gekommen ... all das hatte ich bei Kelly. Sie verkörperte diese Dinge.
Um so unbegreiflicher war für mich, dass ich ständig an den Orkan dachte, hatte ich doch nun das, von dem ich meinte, es zu wollen. Dass ich mich nach dem Hurrikane sehnte, der das Meer aufpeitscht und die Wellen immer höher und schneller an den Strand rollen ließ. Dass ich in der frischen Gischt einer mächtigen, von einem Felsen gebrochenen Welle stehen wollte. Überall, wo sich diese Gewalt einen Weg bahnte, war nichts mehr so, wie es die Sekunde zuvor gewesen war. Nichts war mehr so, wie es sein sollte.
Eine Gänsehaut zog sich über meine Arme, als ich erneut an den Unfall zurückdachte. Daran wie waghalsig mein Verhalten damals gewesen war. Fast mit einem Selbstmord gleichzusetzen.
»Nein!«, flüsterte ich und stützte die Arme auf meine locker angewinkelten Knie ab. »Nein.«
Die plötzliche Erkenntnis ließ mich zusammenzucken. Ich wollte das nicht mehr. Ich konnte das nicht mehr. Es war wichtiger zu wissen, was morgen war, in ein paar Tagen oder einem Jahr, als sich mit irrsinnigem Tempo in einem Sturm wiederzufinden. Das ewige Vornüber-von-einer-Klippe-stürzen und zu ertrinken, die Jagd nach dem nächsten Abenteuer, das war vorbei. Ich brauchte Ruhe und Beständigkeit in meinem Leben.
Der sanfte Wind war besser für mich.
Besser, als dieser unberechenbare Hurrikane namens Hannah.
Nein, für mich gab es keine Hannah Stone, das war nicht richtig. Ich war dem Tod schon einmal von der Schippe gesprungen und hatte mir damals geschworen, dass sich Adam Moore keiner verdammten Naturgewalt mehr aussetzen würde .
Adam Moore brauchte das Lüftchen, die sanften Wellen.
Adam Moore – ob er wollte oder nicht, ob sein Herz dabei blutete oder nicht – brauchte Kelly.
Das war besser für ihn.