KAPITEL 2
DIE KOMPETENZ IM MITTELPUNKT
I M MÄRZ 1985 WAR ICH 34 JAHRE ALT und soeben zum Vice President von ABC Sports ernannt worden, als Leonard Goldenson, Gründer, Chairman und CEO von ABC Sports seine Zustimmung zum Verkauf des Unternehmens an eine wesentlich kleinere Mediengesellschaft namens Capital Cities Communications gab. Cap Cities, wie sie genannt wurde, war nur ein Viertel so groß wie ABC, aber sie bezahlten immerhin 3,5 Milliarden Dollar für uns. Alle bei ABC waren völlig perplex über diese Ankündigung. Wie konnte ein Unternehmen wie Cap Cities plötzlich ein großes Fernsehnetzwerk besitzen? Wer waren diese Typen? Und wie konnte das überhaupt passieren?
Bei diesen »Typen« handelte es sich um Tom Murphy und Dan Burke. Im Verlauf der Jahre hatten sie, angefangen mit einer kleinen TV-Station in Albany, New York, durch systematische Akquisitionen Cap Cities aufgebaut. Mithilfe von Toms engem Freund Warren Buffett, der den 3,5-Milliarden-Deal absicherte, konnten sie unser wesentlich größeres Unternehmen schlucken. (Wie Tom Murphy sagte, waren sie »ein Fischlein, das den Wal verschluckte«.)
Tom und Dan kamen nicht aus unserer Welt. In unseren Augen waren sie in der Tat kleine Fische. Sie besaßen lokale TV- und Radiostationen und ein florierendes Verlagsgeschäft, zu dem auch einige mittelgroße Zeitungen gehörten. Sie waren praktizierende Katholiken (ihr New Yorker Büro befand sich in einem Gebäude in der Madison Avenue, das der Katholischen Erzdiözese von New York gehörte), hatten keine Erfahrung mit Fernsehnetzwerken, keine Verbindungen zu Hollywood und den Ruf, äußerst knauserig zu sein. Wir hatten keine Idee, was nach der Übernahme passieren würde, aber wir wussten, dass nichts so bleiben würde, wie es war.
Der Deal wurde im Januar 1986 besiegelt. Kurz danach hielten Tom und Dan eine Führungskräfte-Klausurtagung in Phoenix ab. Ich stand in der Hierarchie nicht weit genug oben, um daran teilzunehmen, aber ich hörte anschließend viele Klagen und Gemecker von anderen ABCFührungskräften über die abgedroschenen, uralten Teambildungsübungen und Toms und Dans biedere Werte. Später wurde mir klar, dass wir alle Zyniker und Snobs waren. In den folgenden Jahren trugen diese altehrwürdigen Traditionen dazu bei, echten Teamgeist im Unternehmen entstehen zu lassen. Toms und Dans Allergie gegen Hollywood bedeutete nicht, dass sie schlichte Gemüter waren, wie viele Führungskräfte von ABC zunächst annahmen. Es war einfach ein Ausdruck dessen, was sie waren: nüchterne Geschäftsleute, die sich auf die Arbeit konzentrierten und null Interesse an der Glitzerwelt hatten.
Es stimmte allerdings, dass sie noch nie zuvor einen großen Unterhaltungskonzern geleitet hatten. Sie hatten noch nie hochkompetente Führungskräfte gemanagt und nirgendwo wurde das deutlicher als in ihrer Beziehung zu Roone. Zum Zeitpunkt unserer Übernahme durch Cap Cities leitete Roone die Sparten ABC Sports und ABC News; letztere hatte er 1977 übernommen, als die Einschaltquoten des Senders im Keller waren. Roone krempelte den Nachrichtensender um, wie er es zuvor mit ABC Sports getan hatte, indem er seine profiliertesten Moderatoren – Peter Jennings, Barbara Walters, Ted Keppel und Diane Sawyer – hofierte und in vielfältigen Sendungen einsetzte. Er schuf die Nachrichtenformate 20/20 und World News Tonight , danach Nightline , ein Programm, das aus ABCs Berichterstattung über das iranische Geiseldrama hervorgegangen war. Roone brachte den gleichen unermüdlichen Wettbewerbsgeist und die beeindruckende visuelle emotionale Nähe in die Nachrichtenberichterstattung, die die Übertragung von Sportveranstaltungen kennzeichnete. Er machte ABC News zu einem Renner.
Tom und Dan respektierten Roone und waren sich seiner Kompetenz und seines Rufes wohl bewusst, aber sie fühlten sich von ihm auch ein wenig eingeschüchtert. Er sprach eine Sprache und bewegte sich in einer Welt, mit der sie nicht vertraut waren, und Roone nutzte diesen Umstand weidlich aus. Er kam zu spät zu Besprechungen oder missachtete gelegentlich auf eklatante Weise bestimmte Richtlinien, die die »Erbsenzähler«, wie er Tom und Dan nannte, erlassen hatten. Ich war damals einer der Letzten von ABC Sports alter Garde, und Roone weinte sich oft bei mir aus. Gegen Abend bekam ich einen Anruf von seiner Sekretärin, die mich bat, zu News herüberzukommen. Als ich dort ankam, öffnete Roone eine Flasche seines geliebten italienischen Weißweins. Dann saßen wir in seinem Büro zwischen all den Emmy-Awards, und er klagte darüber, dass Tom und Dan seinen Stil kaputtmachten. »Sie kapieren es einfach nicht«, grollte er. »Man kann sich nicht zum Erfolg sparen.«
Roone glaubte, dass man keine Kosten und Mühen scheuen sollte, um Perfektion zu erreichen, und er wollte nicht, dass ihm irgendjemand sagte, er müsse sein Vorgehen ändern, um irgendwelche willkürlichen Budgetziele zu erfüllen. Ihm war die kaufmännische Seite zwar völlig egal, aber wenn man ihn drängte, konnte er stets die Umsätze aufzählen, die wir im Verlauf der Jahre erzielt hatten. Sein Argument lautete, die großzügige Ausgabenpolitik ermögliche uns nicht nur, tolle Fernsehsendungen zu produzieren, sondern auch eine Aura von Glanz und Raffinesse zu schaffen, mit der Werbetreibende in Verbindung gebracht werden wollten.
Das war aber nicht der Stil von Tom und Dan. Sie kamen herein und strichen umgehend alle Privilegien und Vergünstigungen, an die wir uns gewöhnt hatten. Keine Limousinen mehr, die vor der Unternehmenszentrale von ABC Schlange standen und auf die Führungskräfte warteten; keine Flüge mehr mit der Concorde und keine First-Class-Tickets; keine grenzenlosen Ausgabenkonten. Sie erkannten, dass sich unser Geschäft auf eine Weise veränderte, die viele Leute von ABC einfach nicht wahrhaben wollten. Die Gewinnmargen wurden knapper, der Wettbewerb heftiger. Diese Veränderungen geschahen sogar innerhalb unseres eigenen Unternehmens: ESPN gewann zunehmend an Boden unter den Füßen und sollte schließlich einen direkten Einfluss auf ABC Sports haben.
Tom und Dan waren alles andere als schlichte Landeier, die es »einfach nicht kapierten«. Sie waren clevere Geschäftsleute, die spürten, woher der neue Wind wehte. (Man muss dazu sagen, dass sie durchaus Geld in die Hand nahmen, wenn sie das Gefühl hatten, es sei wichtig. Roone profitierte davon mehr als jeder andere, als Tom und Dan ihm grünes Licht gaben, um zur Abrundung unseres kleinen All-Star-Teams von ABC News Diane Sawyer von CBS und David Brinkley von NBC abzuwerben.)
Zuallererst teilten sie Roone nach der Übernahme mit, er könne nicht mehr beide Sparten – Sports und News – leiten. Sie überließen ihm die Wahl und Roone entschied sich für News – unter der Bedingung, dass er der leitende Produzent unserer Berichterstattung der Olympischen Winterspiele von 1988 in Calgary sein würde. Ich nahm an, sie würden seinen Posten bei ABC Sports intern besetzen (und dachte, vielleicht gebe es eine Chance, dass sie sich für mich entschieden), aber stattdessen brachten sie Dennis Swanson herein, der ungefähr ein halbes Dutzend lokale TV-Stationen für ABC gemanagt hatte, bevor er zum Leiter der vielgerühmten ABC-Sparte ernannt wurde. (Dennis war – zu Recht – dafür berühmt, dass er 1983 in Chicago Oprah Winfrey ins Fernsehen geholt hatte.)
Über Nacht wechselte ich von einer der erfolgreichsten Führungskräfte im Sportfernsehen aller Zeiten zu einem Vorgesetzten, der noch nie eine einzige Minute in einem großen Fernsehnetzwerk oder in der Sport-TV-Übertragung gearbeitet hatte. Mein ehemaliger Chef Jim Spence wurde ebenfalls bei der Neubesetzung von Roones Job übergangen. Als Tom und Dan verkündeten, sie würden Dennis ins Unternehmen holen, reichte Jim seine Kündigung ein, und andere Führungskräfte folgten seinem Beispiel. Jim ging zu der Talentagentur ICM, um eine Sportabteilung aufzubauen. Ich blieb, in der Hoffnung, es würde sich eine interessante Chance auftun. Nachdem ich eine kurze Zeit für Dennis gearbeitet hatte, rief ich jedoch Jim an und sagte, es sehe so aus, als gebe es bei ABC nichts mehr für mich zu tun, und dass ich mich verändern wolle. Jim forderte mich auf, zu ICM zu kommen. Wir handelten in kurzer Zeit eine Vereinbarung aus. Ich war zwar noch bei ABC unter Vertrag, aber ich dachte, sie würden mich sicher gehen lassen. Am folgenden Tag ging ich mit dem Vorhaben zur Arbeit, Dennis meine Kündigung zu überreichen.
Bevor ich jedoch einen Termin mit ihm vereinbaren konnte, sprach ich mit Steve Solomon, ABCs Personalleiter, den Dennis zu seiner Unterstützung ins Unternehmen geholt hatte. Ich sagte Steve, ich wolle kündigen. »Wir müssen mit Dennis sprechen«, sagte er. »Er hat einen anderen Vorschlag für Sie.« Als ich in Dennis’ Büro trat, sagte dieser: »Ich habe Neuigkeiten für Sie. Ich mache Sie zum Senior Vice President für die Programmgestaltung. Ich möchte, dass Sie einen Entwurf für alle unsere Sportsendungen erstellen.«
Ich war vollkommen platt. »Ich wollte Ihnen eigentlich mitteilen, dass ich kündige«, sagte ich schließlich, nachdem ich mich wieder gefangen hatte.
»Kündigen?« »Bisher sah ich nicht, dass es für mich hier noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten geben würde.« Ich erklärte ihm, dass Jim Spence eine Sportsparte bei ICM aufbaue und ich mich entschlossen hätte, ihm zu folgen.
»Ich glaube, das ist ein Fehler«, antwortete Dennis. Zum einen war er sich nicht sicher, ob mich das Unternehmen vorzeitig aus dem Vertrag entlassen würde. »Das ist eine große Chance für Sie, Bob. Ich glaube nicht, dass Sie sie vertun sollten.«
Er gab mir 24 Stunden, um ihm meine Entscheidung mitzuteilen.
An dem Abend ging ich nach Hause und führte mit meiner damaligen Frau Susan lange Gespräche. Wir wogen meine Vorbehalte gegenüber einer Arbeit für Dennis gegen das Potenzial des neuen Jobangebots ab. Wir sprachen über unsere beiden Töchter und die Sicherheit, an einem Platz zu arbeiten, den ich gut kannte. Dem gegenüber stand das Risiko, eine neue Stelle in einem anderen Unternehmen anzutreten. Am Ende entschied ich mich zu bleiben, wo ich war, weil ABC Sports im Verlauf der Jahre ein so guter Arbeitsplatz gewesen war und ich innerlich eigentlich noch nicht für einen Wechsel bereit war.
Es gibt Momente in unserer Karriere und unserem Privatleben, die echte Wendepunkte darstellen, aber oft sind sie weder dramatisch noch offensichtlich. Ich war mir nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich wollte aber auch nicht aus einem Impuls heraus kündigen, nur weil mein Ego angekratzt war oder weil ich mich Dennis gewissermaßen überlegen fühlte. Wenn ich am Ende kündigen würde, dann für eine Chance, die ich einfach nicht ablehnen könnte – und der Job bei ICM gehörte nicht dazu.
Es gibt Momente in unserer Karriere und unserem Privatleben, die echte Wendepunkte darstellen, aber oft sind sie weder dramatisch noch offensichtlich.
Dennis’ Angebot anzunehmen, erwies sich als eine der besten Karriereentscheidungen, die ich je getroffen habe. Ich merkte schon bald, dass ich mich in meinem Urteil über ihn vollkommen geirrt hatte. Er war ein umgänglicher, witziger Typ; seine Energie und sein Optimismus waren ansteckend, und vor allem wusste er, was er nicht wusste. Das ist eine Eigenschaft, die man bei Führungskräften nur selten antrifft. Man kann sich leicht eine andere Person an Dennis’ Stelle vorstellen, die versucht, die Tatsache, dass sie noch nie bei einem großen Fernsehnetzwerk gearbeitet hat, zu vertuschen, indem sie mit künstlicher, aufgesetzter Autorität agiert oder Wissen vortäuscht, das sie nicht besitzt. Aber so war Dennis nicht. Wenn wir in einer Besprechung saßen und ein Thema auf den Tisch kam, bei dem sich Dennis nicht auskannte, versuchte er nicht, zu bluffen, sondern sagte geradeheraus, er kenne sich mit dem Thema nicht aus – und dann wandte er sich an mich oder andere. Regelmäßig bat er mich, bei Gesprächen mit ranghöheren Führungskräften die Gesprächsführung zu übernehmen, während er im Hintergrund blieb. Zudem ließ er keine Gelegenheit aus, gegenüber Tom und Dan meine Kompetenzen zu loben. Im Vorfeld der Winterolympiade bat mich Dennis, unsere Pläne Tom, Dan und den weiteren Mitgliedern des Spitzenmanagements vorzustellen. Das war eine Riesenchance für mich und ein perfektes Beispiel dafür, dass Dennis sich nie in den Vordergrund drängte.
So war er: von Natur aus großzügig. Aber es war auch ein Merkmal der Kultur, die Tom und Dan geschaffen hatten. Die beiden gehörten zu den authentischsten Menschen, die ich je kennengelernt habe; sie waren immer und zu allen Zeiten sie selbst. Keine Wichtigtuerei, keine großen Egos, die gelenkt werden mussten, keine falsche Aufrichtigkeit. Stets legten sie die gleiche Ehrlichkeit und Offenheit an den Tag, egal mit wem sie sprachen. Sie waren clevere Geschäftsleute (Warren Buffett bezeichnete sie später als »wahrscheinlich das herausragendste Management-Duo, das die Welt je gesehen hat und vielleicht je sehen wird«), aber es war noch mehr als das. Ich lernte von ihnen, dass sich echter Anstand und professioneller Wettbewerbsgeist nicht gegenseitig ausschließen mussten. Echte Integrität – zu wissen, wer man ist, und sich von seinem eigenen klaren Gespür für das, was richtig und was falsch ist, lenken zu lassen – ist so etwas wie eine Geheimwaffe. Dan und Tom vertrauten ihren Instinkten, behandelten die Menschen mit Respekt, und im Verlauf der Zeit begann das Unternehmen, die Werte zu repräsentieren, nach denen sie lebten. Viele von uns verdienten weniger, als sie bei der Konkurrenz hätten verdienen können. Wir wussten, dass Dan und Tom knauserig waren, aber wir blieben aus Loyalität zu ihnen.
Ihre Geschäftsstrategie war ziemlich einfach. Sie achteten streng auf die Kosten und glaubten an eine dezentrale Unternehmensstruktur. Soll heißen: Sie glaubten nicht, dass jede Schlüsselentscheidung von ihnen selbst oder einer kleinen Gruppe Strategen in der Konzernzentrale getroffen werden musste. Sie stellten einfach Leute ein, die hart arbeiteten und intelligent und anständig waren. Ihnen übertrugen sie dann Aufgaben mit einer großen Verantwortung. Außerdem gaben sie ihnen die Autonomie und die Unterstützung, die sie brauchten, um ihren Job machen zu können. Sie waren auch immer sehr großzügig, was die eigene Zeit anbetraf: Man konnte sie immer ansprechen. Aus diesem Grund wussten die Führungskräfte, die für sie arbeiteten, immer ganz genau, welches ihre Prioritäten waren; ihr Fokus ermöglichte auch uns, fokussiert zu arbeiten.
IM FEBRUAR 1988 REISTEN WIR nach Calgary, um über die Olympischen Winterspiele zu berichten. Wie vereinbart war Roone der leitende Produzent und ich der Programmverantwortliche. Das bedeutete, dass ich in dem langen Vorlauf bis zur Winterolympiade für die komplizierte Zeitplanung im Zusammenhang mit allen Ereignissen verantwortlich war, die im Fernsehen übertragen werden sollten, außerdem für die Kommunikation und die Verhandlungen mit dem Olympischen Organisationskomitee sowie den verschiedenen Regierungsbehörden weltweit. Zudem unterstützte ich unsere Berichterstattung im Vorfeld der Spiele. Einige Tage vor Beginn der Olympiade tauchte Roone in Calgary auf und rief mich in seine Suite. »Okay«, sagte er. »Wie gehen wir vor?«
Wir hatten schon seit zwei Jahren nicht mehr zusammengearbeitet, aber wir konnten sofort wieder an alte Zeiten anknüpfen, als hätte sich nichts verändert – im Guten wie im Schlechten. Am Abend vor der Eröffnungsfeier sollten wir eine dreistündige Olympische Vorschau ausstrahlen, und ich hatte schon seit Wochen versucht, Roone dazu zu bringen, sich darauf zu konzentrieren. Schließlich sah er sich die Sendung an, nachdem er in Calgary eingetroffen war – am Abend vor der Ausstrahlung. »Das ist von vorn bis hinten Mist«, befand er. »Da ist keine Spannung drin, keine Aufregung, gar nichts.« Ein Team arbeitete die ganze Nacht, um all seine Veränderungswünsche rechtzeitig vor der Ausstrahlung zu erfüllen. Natürlich hatte er recht. Sein Instinkt für das perfekte Storytelling war so ungetrübt wie eh und je. Aber es war eine äußerst stressige Art, mit einer solchen Herausforderung umzugehen. Wieder einmal wurden wir daran erinnert, dass es viel unnötige Ineffizienz und Belastung verursachen kann, wenn eine Person nicht bereit ist, zeitnah Antworten zu geben.
Wir richteten unseren Sendebetrieb in einem höhlenartigen Lagerhaus in einem Vorort von Calgary ein. In dem Lagerhaus befanden sich mehrere Lastwagen und einige kleinere Gebäude, in denen verschiedene Produktions- und Technikteams untergebracht waren. Auch unser Regieraum befand sich dort – Roone saß im Regiestuhl und ich saß ganz hinten und kümmerte mich um die Logistik. Hinter dem Regieraum befand sich eine gläserne Kabine, aus der die VIPs alles beobachten konnten. Während der Spiele hielten sich Tom, Dan und mehrere Mitglieder des Verwaltungsrats dort auf und sahen uns bei der Arbeit zu.
Die ersten Tage verliefen reibungslos, aber dann veränderte sich über Nacht alles. Plötzlich setzten heftige warme Fallwinde ein – sogenannte Chinookwinde –, und die Temperaturen kletterten auf mehr als 15 Grad Celsius. Der Schnee auf den Skipisten und das Eis auf den Rodelbahnen schmolzen nur so dahin, ein Wettkampf nach dem anderen wurde abgesagt, und die, die überhaupt noch stattfanden, waren eine echte Herausforderung, weil unsere Kameras in dem Nebel nichts einfangen konnten.
Ich musste unserem Team vermitteln, dass wir fähig und findig genug waren, um diese Probleme zu beseitigen und etwas Großartiges aus dem Hut zu zaubern.
Mehrere Tage lang traf ich jeden Morgen im Regieraum ein, ohne irgendeine Idee zu haben, was wir an diesem Abend übertragen könnten. Es war ein perfektes Beispiel für eine Situation, in der man viel Optimismus braucht. Die Lage war trübselig, keine Frage, aber ich durfte sie nicht als Katastrophe betrachten, sondern als ein Rätsel, das wir lösen mussten. Ich musste unserem Team vermitteln, dass wir fähig und findig genug waren, um diese Probleme zu beseitigen und etwas Großartiges aus dem Hut zu zaubern.
Die große Herausforderung bestand darin, Programminhalte zu finden, mit denen wir unsere Hauptsendezeit füllen konnten, in der nun riesige Lücken klafften, weil wir eigentlich über die großen olympischen Wettkämpfe hätten berichten sollen. Das bedeutete, dass ich mit einem Olympischen Komitee verhandeln musste, das vollauf damit beschäftigt war, seine eigene Programmkrise zu lösen. Noch bevor die Olympischen Spiele begannen, versuchte ich bei ihnen mein Glück. Gemäß der Auslosung für das Hockeyturnier mussten die Vereinigten Staaten ihre ersten beiden Spiele gegen zwei der härtesten Gegner der Welt bestreiten. Ich ging davon aus, dass die Vereinigten Staaten beide Spiele verlieren würden, und sobald sie eliminiert wären, würde das Interesse der Zuschauer dramatisch nachlassen. Also reiste ich um die ganze Welt und traf mich mit den Hockeyverbänden aller möglichen Länder und den jeweiligen Olympischen Komitees, um sie davon zu überzeugen, die ersten Vorrundenspiele erneut auszulosen. Inzwischen telefonierte ich mehrmals am Tag mit dem Olympischen Komitee von Calgary und flehte sie an, die Zeitplanung für die Wettkämpfe zu verändern, damit wir etwas hätten, was wir zur Hauptsendezeit ausstrahlen könnten.
Die täglichen Treffen mit Roone vor jeder Übertragung waren beinahe komisch. Jeden Nachmittag kam er in die Kabine und fragte: »Was machen wir heute Abend?« Ich erwiderte Dinge wie: »Na ja, wir haben Rumänen gegen Schweden im Hockey.« Und dann ging ich mit ihm die veränderte Zeitplanung für die Wettkämpfe durch, von denen es nicht viele gab. Da wir keine hatten, wurde jeden Tag ein Produzententeam losgeschickt, das interessante, witzige oder ungewöhnliche Storys über die Athleten aufstöbern sollte. Daraus bastelten wir dann ein Porträt oder eine Reportage und präsentierten sie in unserer abendlichen Sendung. Das jamaikanische Rodelteam war ein Geschenk des Himmels. Das Gleiche galt für Eddie »The Eagle« Edwards, den britischen Skispringer, der in den Wettkämpfen über 70 und 90 Meter jeweils Letzter wurde. Es war ein Drahtseilakt, aber es machte auch Spaß. Und es war sehr befriedigend, den täglichen Herausforderungen in dem Wissen zu begegnen, dass der einzige Weg durch diese Krise darin bestand, absolut fokussiert zu bleiben und auf die Leute um mich herum eine möglichst große Ruhe auszustrahlen.
Irgendwie funktionierte es. Die Einschaltquoten erreichten ein historisches Hoch. Tom und Dan waren sehr zufrieden. Das zusätzliche Drama, praktisch alles improvisieren zu müssen, war ein passendes Ende für Roones Herrschaft über das Sportfernsehen. Nach 42 Jahren waren es außerdem die letzten Olympischen Spiele, die ABC ausstrahlte. Am letzten Abend der Berichterstattung blieben mehrere von uns nach Beendigung des Programms noch im Regieraum; wir tranken Champagner, prosteten uns zu, beglückwünschten uns zu unserer harten Arbeit und lachten darüber, wie knapp wir einem Desaster entkommen waren. Nach und nach verzogen sich die Leute und kehrten zurück ins Hotel. Ich war der letzte, der noch im Regieraum saß, und genoss für eine kurze Weile die Stille nach der ganzen Hektik. Dann schaltete ich die Lichter aus und machte mich auf den Weg nach Hause.
EINIGE WOCHEN SPÄTER wurde ich zu einer Besprechung mit Tom und Dan gerufen. »Wir möchten Sie gerne besser kennenlernen«, sagte Tom. Er sagte mir, sie hätten mich in Calgary genau beobachtet und seien davon beeindruckt gewesen, wie gut ich mit dem Druck fertiggeworden sei. »Es könnten sich neue Möglichkeiten ergeben«, sagte Dan. Sie wollten mich wissen lassen, dass sie mich auf dem Radar hatten. Mein erster Gedanke war, dass ich vielleicht eine Chance auf die Position als Leiter von ESPN hätte, aber kurz nach unserer Besprechung beriefen sie jemanden in diese Position, der zuvor Executive Vice President von ABC Television war. Da stand ich nun, frustriert, dass ich wieder einmal übergangen worden war. Doch dann riefen mich Dan und Tom noch einmal zu sich und übertrugen mir nun die soeben frei gewordene Position des Executive Vice President von ABC Television. »Wir möchten Sie da gerne für eine Weile parken«, sagte Dan. »Aber wir haben größere Pläne.«
Ich hatte keine Ahnung, was das für Pläne waren, aber die Position, die sie mir soeben übertragen hatten – die Nummer zwei von ABC TV – fühlte sich ziemlich verantwortlich an. Ich war 37 Jahre alt, hatte hauptsächlich im Bereich Sport gearbeitet und wäre ab jetzt für das gesamte Tagesprogramm, das Spätabendprogramm und das Samstagmorgenprogramm sowie das betriebswirtschaftliche Management des Fernsehnetzwerks verantwortlich. Mit keinem dieser Bereiche kannte ich mich auch nur im Geringsten aus, aber Tom und Dan schienen sich sicher zu sein, dass ich es lernen würde.
In meiner gesamten Karriere habe ich immer instinktiv zu jeder Chance Ja gesagt. Zum Teil ist das ein ganz natürlicher Ehrgeiz. Ich wollte Karriere machen, mich weiterentwickeln, dazulernen und mehr Verantwortung übernehmen und auf keinen Fall eine Chance vergeben; gleichzeitig wollte ich mir aber auch selbst beweisen, dass ich in der Lage war, neue, unbekannte Herausforderungen zu meistern.
In dieser Hinsicht waren Tom und Dan die perfekten Vorgesetzten. Ihren Worten zufolge war ihnen Fähigkeit wichtiger als Erfahrung. Sie glaubten daran, Leute in Positionen zu bringen, in denen sie über sich hinauswachsen mussten. Nicht dass Erfahrung nicht wichtig gewesen wäre, aber Tom und Dan »setzten auf Grips«, wie sie es ausdrückten. Sie vertrauten darauf, dass sich die Dinge von allein fügen würden, wenn sie fähige Leute in Positionen brachten, an denen sie wachsen konnten, selbst wenn sie sich zunächst auf unbekanntem Terrain bewegten.
Tom und Dan führten mich in ihren engsten Führungskreis ein. Sie beteiligten mich an ihren Entscheidungsprozessen und tauschten sich mit mir im Vertrauen über Dritte aus, darunter auch Brandon Stoddard, der als President von ABC Entertainment für die Hauptsendezeit verantwortlich war. Brondon war eine fähige Führungskraft, die sehr viel von Fernsehen verstand, aber wie viele andere, die im Entertainment groß geworden waren, hatte er nicht das richtige Temperament für Konzernstrukturen. Brandon kannte Hollywood wie seine Westentasche, und das war seine Welt; für ihn waren Tom und Dan »Sendertypen«, die keine Ahnung von seinem Geschäft hatten. Brandon machte keinen Hehl aus der Verachtung, die er für sie empfand. Er war nicht bereit, sich an die Art anzupassen, wie sie das Geschäft betrieben, oder sich auch nur im Geringsten anzustrengen, um ihre Sichtweise zu verstehen. Kein Wunder, dass Tom und Dan sich zunehmend über ihn ärgerten und ihre gegenseitige Beziehung von Misstrauen und schwelenden Animositäten geprägt war.
Eines Freitagmorgens setzte sich Dan in der Cafeteria der Konzernzentrale von ABC in der West Sixty-sixth Street an meinen Tisch. Meistens trafen er und ich vor allen anderen im Büro ein, und dann trafen wir uns oft in der Cafeteria und brachten uns gegenseitig auf den neuesten Stand über alle Ereignisse. Er stellte sein Frühstückstablett ab und sagte: »Tom fliegt heute nach L.A. Wissen Sie, warum?»
»Nein«, erwiderte ich. »Was ist los?«
»Er wird Brandon Stoddard feuern.«
Ich war zwar nicht völlig überrumpelt, aber doch einigermaßen überrascht, dass ich nichts von ihrem Plan wusste, ihn zu ersetzen. Dass der Boss von ABC Entertainment gefeuert wurde, würde sich in Hollywood wie ein Lauffeuer verbreiten. »Was werden Sie tun?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Dan. »Wir müssen uns etwas überlegen.«
Brandon wurde an jenem Freitag von Tom gefeuert. Dan flog hinterher, um sich am Wochenende mit ihm zu treffen. Am Montagabend rief er mich zu Hause an. »Bob, was machen Sie gerade?«
»Abendessen für meine Töchter«, sagte ich.
»Wir möchten, dass Sie morgen früh herkommen. Können Sie das machen?«
Ich sagte zu und dann ergänzte Dan: »Es gibt etwas, das Sie wissen sollten, bevor Sie ins Flugzeug steigen. Wir möchten, dass Sie die Sparte Entertainment leiten.«
»Wie bitte?«
»Wir möchten Sie zum Präsidenten von ABC Entertainment ernennen. Kommen Sie her und wir besprechen das.«
Am nächsten Morgen flog ich nach Los Angeles und begab mich direkt zu unserem Meeting. Die ständigen Kämpfe und Auseinandersetzungen mit Brandon seien ihnen einfach zu viel geworden, sagten Dan und Tom. Sie hätten das ganze Wochenende damit verbracht, sich zu überlegen, wer für die Position infrage käme. Ein Kandidat war unser Rechercheleiter Alan Wurtzel, den sie mochten und respektierten. Sie erwähnten diese Möglichkeit im Gespräch mit Stu Bloomberg, der für die Komödien verantwortlich gewesen war und den sie gerade zum Senderverantwortlichen für Dramen gemacht hatten. »Das können Sie nicht machen«, winkte Stu ab. »Das ist eine kreative Aufgabe, die können Sie nicht dem Leiter der Recherchen geben!« Daraufhin fragten sie Stu: »Was halten Sie von Bob Iger?« Er sagte, er kenne mich nicht gut, aber alle seien davon beeindruckt gewesen, wie ich mit der Olympia-Berichterstattung umgegangen sei, und soweit er wisse, würden mich die Leute schätzen und respektieren.
Stu sagte ihnen auch, er würde sich freuen, für mich zu arbeiten, und das reichte ihnen. »Wir wollen, dass Sie das machen«, sagte Tom. Ich fühlte mich geschmeichelt, wusste aber auch, dass sie damit ein großes Risiko eingingen. Es war das erste Mal in der Geschichte des Unternehmens, dass die Person, die ABC Entertainment leitete, nicht aus der Unterhaltungsbranche kam. Ich war nicht sicher, ob bei irgendeinem Fernsehnetzwerk irgendjemand, der nicht aus Hollywood war, diese Sparte leitete. »Hören Sie«, wandte ich daher ein. »Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen, aber ich habe seit meinem College-Kurs in Drehbuchschreiben kein Skript mehr angesehen. Ich kenne mich mit diesem Teil des Geschäfts nicht aus.«
Sie antworteten auf ihre übliche väterliche Weise. »Ach, Bob, Sie werden das großartig machen.«
Dan fügte hinzu: »Wir wollen, dass Sie hier Erfolg haben, Bob. Wir hoffen, dass Sie mit Ihrem Schild zurückkommen, und nicht auf ihm!«
Am selben Abend ging ich mit Stu Bloomberg und Ted Harbert essen. Das waren die beiden Männer, die gemeinsam mit Brandon für ABCs Programm zur Hauptsendezeit verantwortlich waren. Der Plan lautete nun also, dass ich die Sparte leiten und Stu und Ted sich den Job als Nummer zwei unter mir teilen sollten. Ted sollte das Programm und die Sendezeiten übernehmen und Stu die Entwicklung. Beide waren langjährig erfahrene Entertainment-Veteranen, und vor allem Stu war für einige der jüngsten Erfolge von ABC verantwortlich, darunter Wunderbare Jahre und Roseanne . Mit Fug und Recht hätten sie verächtlich auf den Typen herabsehen können, der absolut nichts von ihrem Geschäft verstand und nun ihr Boss sein sollte. Stattdessen waren sie zwei der größten Stützen, mit denen ich je gearbeitet habe, und ihre Unterstützung begann noch am selben Abend. Ich sagte ihnen während unseres Abendessens, dass ich ihre Hilfe brauchte. Sie kannten das Geschäft und ich nicht, aber unser berufliches Schicksal war nun miteinander verflochten. Ich hoffte, sie wären bereit, Geduld mit mir zu haben, während ich mich einarbeitete. »Machen Sie sich keine Sorgen, Bob. Wir bringen es Ihnen bei«, sagte Stu. »Es wird großartig. Vertrauen Sie uns.«
»Wenn man sich nicht für einen Weg voller Abenteuer entscheidet, dann lebte man eigentlich gar nicht richtig.«
Ich flog zurück nach New York und setzte mich mit meiner Frau zusammen. Wir hatten vor meinem Flug vereinbart, dass ich keine abschließende Entscheidung treffen würde, ohne dass wir zuerst darüber sprechen würden. Die neue Aufgabe bedeutete, dass wir nach Los Angeles umziehen mussten, und wir führten in New York ein sehr schönes Leben.
Wir hatten gerade erst unsere Wohnung renoviert, unsere Töchter besuchten eine hervorragende Schule und unsere engsten Freunde lebten in New York. Susan war leitende Produzentin in der Nachrichtenabteilung von WNBC und eine von den New Yorkerinnen, die niemals woanders leben möchte. Ich wusste, dass es sehr schwer für sie sein würde und dass sie New York tief in ihrem Herzen nicht verlassen wollte. Dennoch unterstützte sie mich voll und ganz. »Das Leben ist ein Abenteuer«, sagte sie. »Wenn man sich nicht für einen Weg voller Abenteuer entscheidet, dann lebt man eigentlich gar nicht richtig.«
Am folgenden Tag, einem Donnerstag, gaben Tom und Dan meine Ernennung zum neuen Leiter von ABC Entertainment bekannt. Drei Tage später flog ich nach L.A. und nahm die Arbeit auf.