KAPITEL 3
WISSEN, WAS MAN NICHT WEISS (UND DARAUF VERTRAUEN, WAS MAN WEISS)
A
NFANGS FÜHLTE ES SICH AN,
als würde ich mich im freien Fall befinden. Ich sagte mir: Du hast eine Aufgabe. Man erwartet von dir, dass du dieses Geschäft erfolgreich führst. Dein Mangel an Erfahrung ist keine Ausrede für ein Scheitern.
Die erste Regel lautet, nichts vorzutäuschen.
Was macht man also in einer solchen Situation? Die erste Regel lautet, nichts vorzutäuschen. Man sollte demütig sein und darf nicht vorgeben, jemand zu sein, der man nicht ist, oder Dinge zu wissen, mit denen man sich nicht auskennt. Man befindet sich allerdings in einer Führungsposition, daher darf die eigene Demut einen nicht vom Führen abhalten. Das ist eine absolute Gratwanderung und etwas, das ich jeden Tag predige. Man muss die Fragen stellen, die man stellen muss; man muss sich eingestehen, was man nicht weiß, ohne sich dafür zu entschuldigen; und man muss alles tun, um sich so schnell wie möglich das nötige Wissen anzueignen. Es gibt nichts weniger Vertrauenerweckendes als eine Person, die vorgibt, sich mit Dingen auszukennen, von denen sie keine Ahnung hat. Echte Autorität und Führung entspringen dem Wissen, wer man selbst ist, und nicht der Vorspiegelung falscher Tatsachen.
Glücklicherweise hatte ich Stu und Ted an meiner Seite. Vor allem in der Anfangsphase war ich vollkommen von ihnen abhängig. Als erste Amtshandlung arrangierten sie eine endlose Serie an Arbeitsfrühstücken, Arbeitsmittagessen und Arbeitsabendessen. Damals gehörten die Leiter der drei großen Fernsehnetzwerke zu den mächtigsten Personen im Fernsehgeschäft (ein Umstand, der mir sehr surreal vorkam) – nur ich war für jeden in der Branche ein großes Fragezeichen. Ich verstand nichts davon, wie die Dinge in Hollywood gehandhabt wurden, und ich hatte keine Erfahrung im Umgang mit kreativen Menschen oder ihren Vertretern. Ich sprach nicht ihre Sprache, und ihre Kultur war mir fremd. Für sie war ich ein »Anzugheini aus New York«, der aus unerfindlichen Gründen plötzlich einen immensen Einfluss auf ihr kreatives Schaffen hatte. Jeden Tag traf ich mich mit Managern, Agenten, Drehbuchautoren, Regisseuren und Fernsehstars, die Stu und Ted für mich ausgewählt hatten. Bei den meisten Meetings hatte ich das deutliche Gefühl, ich sei ein Spielball, der gedreht, gewendet und ein wenig herumgestupst wird, um herauszufinden, wer ich war und was zur Hölle ich eigentlich vorhatte.
Die Herausforderung bestand darin, mein Ego im Zaum zu halten. Anstatt mit aller Macht zu versuchen, mein jeweiliges Gegenüber zu beeindrucken, musste ich dem Drang widerstehen, vorzugeben, ich wisse, was ich tue. Stattdessen bemühte ich mich, viele Fragen zu stellen. Es ließ sich nicht verheimlichen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte. Ich war nicht in Hollywood groß geworden, war nicht von mir selbst eingenommen, trug keinen offensichtlichen Stolz wie einen Bauchladen vor mir her und kannte fast niemanden in der Stadt. Ich sagte mir, dass ich mich entweder deswegen unsicher fühlen könnte oder dass ich stattdessen meine relative Schwachstelle – mein Nicht-Hollywood-Sein – zu einer Art Mysterium hochstilisieren könnte, das mir Rückendeckung bot, bis ich genug über das Geschäft wusste.
Als ich in L.A. ankam, blieben mir noch sechs Wochen bis zur Entscheidung über das Fernsehprogramm zur Hauptsendezeit – der sogenannten Primetime – der Saison 1989/1990. An meinem ersten Tag im Büro wurde mir ein Stapel mit 40 Drehbüchern überreicht.
Jeden Abend nahm ich eins mit nach Hause, das ich pflichtschuldigst durcharbeitete und dessen Ränder ich mit Notizen versah. Allerdings hatte ich Mühe, mir das Drehbuch als fertige Fernsehsendung vorzustellen, und ich zweifelte an meiner Fähigkeit, zu beurteilen, ob ein Drehbuch gut oder schlecht war. Achtete ich überhaupt auf die richtigen Dinge? Gab es Details, die andere sofort erkannten, mir aber komplett entgingen? In der Anfangszeit lautete die Antwort eindeutig: Ja. Am folgenden Tag setzte ich mich mit Stu und den anderen zusammen, um den Stapel durchzugehen. Stu konnte ein Drehbuch in Sekundenschnelle auseinandernehmen. »Auf dem Höhepunkt des zweiten Akts sind seine Motive vollkommen unklar …«, sagte er und ich blickte erneut auf die Seiten auf meinem Schoß und dachte: Moment, zweiter Akt? An welcher Stelle war der erste Akt zu Ende?
(Stu wurde einer meiner engsten Freunde. Manchmal brachte ich ihn mit meinen Fragen und meiner Unerfahrenheit an den Rand der Verzweiflung, aber er blieb hartnäckig und brachte mir lebenswichtige Dinge bei – nicht nur, wie man Drehbücher liest, sondern auch, wie man mit den Kreativen der Branche umgeht.)
Mit der Zeit wurde mir jedoch klar, dass ich bereits vieles verinnerlicht hatte, einfach weil ich Roone dabei beobachtet hatte, wie er die Dramaturgie von Fernsehübertragungen inszeniert hatte. Sport war natürlich nicht das Gleiche wie Primetime-TV, aber auch im Sport gab es wichtige Lektionen über die Struktur, das richtige Tempo und die Klarheit, die mir unbewusst in Fleisch und Blut übergegangen waren. In meiner ersten Woche in L.A. traf ich mich mit dem Produzenten und Drehbuchautor Steven Bochco zu einem Arbeitsmittagessen. Steven hatte bei NBC mit Polizeirevier Hill Street
und L.A. Law
zwei echte Quotenhits gelandet, vor Kurzem aber einen lukrativen Deal über zehn Serien mit ABC abgeschlossen. Ich erwähnte ihm gegenüber, dass ich ungern Drehbücher las. Ich kannte mich nicht mit dem einschlägigen Jargon aus, stand aber unter dem Druck, in sehr kurzer Zeit über sehr viele Sendungen zu entscheiden. Er wischte meine Bedenken auf eine Weise vom Tisch, die ich als sehr tröstlich empfand, wenn man bedenkt, dass sie von jemand wie ihm kam: »Bob, das ist keine Geheimwissenschaft. Sie
müssen einfach Selbstvertrauen haben.«
Damals hatte ABC mehrere sehr erfolgreiche Serien, die zur Hauptsendezeit ausgestrahlt wurden: Wer ist hier der Boss?, Unser lautes Heim, Roseanne, Wunderbare Jahre
und Die besten Jahre.
Dennoch waren wir mit sehr großem Abstand die Nummer zwei hinter NBC, dem Schwergewicht unter den Fernsehnetzwerken. Meine Aufgabe war, Wege zu finden, um diesen Abstand zu verringern. In jener ersten Saison nahmen wir mehr als ein Dutzend neue Serien dazu, darunter Alle unter einem Dach
und Alles Okay, Corky?
(die erste Fernsehserie, in der einer der Hauptdarsteller das Down-Syndrom hat) und America’s Funniest Home Videos
, die sich augenblicklich in einen gigantischen Hit verwandelte und von der inzwischen die 35. Staffel ausgestrahlt wird.
Außerdem zeigten wir Stevens ersten großen Erfolg für ABC. Als ich zu Entertainment kam, hatte er soeben das Drehbuch eingereicht: Doogie Howser, M.D
. Die Serie handelt von einem 14-jährigen Arzt, der versucht, sein Leben als Teenager und Arzt irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Steven zeigte mir ein Video des jugendlichen Darstellers Neil Patrick Harris, den er für die Hauptrolle wollte. Ich sagte ihm, ich sei mir nicht sicher, ob Neil wirklich die tragende Figur für die Show sein könnte. Steven ließ mich auf sehr höfliche, aber schnörkellose Art und Weise wissen, dass ich nicht den Funken von Ahnung hatte. Er klärte mich darüber auf, dass es im Wesentlichen seine Entscheidung war, und zwar nicht nur, wem er welche Rolle geben würde, sondern auch, ob er das Projekt weiterführen wollte oder nicht. Laut unserem Vertrag wurden ihm 13 Folgen garantiert, falls wir uns für eines seiner Projekte entschieden. Lehnten wir es ab, stand ihm ein Ausfallhonorar in Höhe von 1,5 Millionen Dollar zu. Die Serie anzunehmen, war eine meiner ersten Programmentscheidungen, und glücklicherweise hatte Steven vollkommen recht, was Neil anging. Doogie Howser, M.D.
hatte vier überzeugende Staffeln und markierte den Beginn einer langen Zusammenarbeit und Freundschaft mit Steven.
ES GAB NOCH EIN ANDERES,
wesentlich größeres Risiko, das wir
in der ersten Saison eingingen. Auf Basis eines Verkaufsgesprächs, das in einem Restaurant in Hollywood buchstäblich auf der Rückseite einer Serviette stattfand, hatte der Leiter der ABC-Sparte Drama einem Pilotprojekt von David Lynch und Roman- und Drehbuchautor Mark Frost grünes Licht gegeben. Lynch war damals bereits für seine Kultfilme Eraserhead
und Blue Velvet
berühmt. Bei dem Pilotprojekt handelte es sich um ein gewundenes Seriendrama über den Mord an einer jungen Frau namens Laura Palmer in der fiktiven Kleinstadt Twin Peaks. David führte bei der zweistündigen Pilotsendung die Regie. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich mir den Film ansah und dachte: Das ist anders als alles, was ich bisher gesehen habe, und wir müssen das senden.
Wie jedes Jahr kamen Tom und Dan und einige weitere Führungskräfte im Frühjahr zur Pilotsaison zu uns. Wir führten ihnen Twin Peaks
vor, und als die Lichter wieder angingen, drehte sich Dan um, sah mich an und sagte: »Keine Ahnung, was das war, aber ich finde es richtig gut.« Tom war nicht so begeistert wie Dan, und die anderen Führungskräfte aus New York teilten seine Meinung. Sie fanden, es sei zu absonderlich und zu finster fürs Fernsehen.
Wir konnten nicht einfach immer so weitermachen wie bisher, während sich der Markt um uns herum veränderte.
Ich hatte großen Respekt vor Tom, aber ich wusste auch, dass es sich lohnte, für diese Serie zu kämpfen. Wir waren mit einigen Marktveränderungen konfrontiert; inzwischen standen wir im Wettbewerb zum Kabelfernsehen und seinem moderneren Programm, außerdem machte uns das neue Fox Network Konkurrenz – von der wachsenden Beliebtheit von Videospielen und der zunehmenden Verbreitung von Videorekordern ganz zu schweigen. Mein Eindruck war, dass das klassische Massenfernsehen langweilig geworden war und immer dasselbe zeigte. Mit Twin Peaks
hatten wir die Chance, etwas wirklich Originelles zu wagen.
Wir konnten nicht einfach immer so weitermachen wie bisher, während sich der Markt um uns herum veränderte. Hier bewahrheitete sich erneut Roones Lektion: innovieren oder
verlieren. Am Ende konnte ich die anderen davon überzeugen, den Pilotfilm einem jüngeren und vielfältigeren Publikum vorzuführen als einer Gruppe älterer Herren von ABC aus New York. Die Testgruppen waren zwar ebenfalls nicht unbedingt dafür, die Serie im Fernsehen zu zeigen – weil sie eben so anders war. Aber gerade dieser Umstand, dass die Serie anders als alles zuvor Dagewesene war, motivierte uns dazu, grünes Licht zu geben und sieben Folgen zu produzieren.
Ich beschloss, Twin Peaks
zur Saisonmitte, also im Frühjahr 1990 anstatt im Herbst 1989, anlaufen zu lassen. In jeder Saison hatten wir Serien für die Saisonmitte in petto, falls irgendein Serienflop schnell ersetzt werden musste. Auf diesen Ersatzserien lastet etwas weniger Druck als auf den Serien, die im Herbst anlaufen, und das schien für Twin Peaks
die beste Strategie zu sein. Wir begannen also mit der Produktion, damit wir im Frühjahr auf Sendung gehen konnten, und nach einigen Monaten trafen die Rohschnitte der ersten Folgen ein. Zwar hatte Tom mir Monate zuvor die Genehmigung für die Serie erteilt, aber nachdem er sich einige Folgen angesehen hatte, schrieb er mir einen Brief, in dem es hieß: »Das können Sie nicht senden. Wenn wir das im Fernsehen zeigen, wird es unseren Ruf zunichtemachen.«
Ich rief ihn an und sagte, wir müssten Twin Peaks
unbedingt senden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich innerhalb und außerhalb von Hollywood schon die Nachricht verbreitet, dass wir die Serie produzierten, und das sorgte überall für Aufruhr. Auf der ersten Seite des Wall Street Journal
gab es sogar einen Artikel über diesen zugeknöpften Typ, der gewaltige kreative Risiken einging. Plötzlich erhielt ich Anrufe von Steven Spielberg und George Lucas. Ich besuchte Steven am Set seines Films Hook
, bei dem er gerade Regie führte, und besuchte George auf seiner Skywalker Ranch. Beide waren interessiert, mit mir über mögliche Projekte für ABC zu sprechen. Dass Regisseure von ihrem Kaliber an der Produktion von Fernsehserien Interesse hätten, war bis zum Start von Twin Peaks
völlig unvorstellbar gewesen. (Zwei Jahre später, im Jahr 1991, entwickelte George Die Abenteuer des jungen Indiana Jones
, die über zwei Staffeln lief.)
Ich sagte zu Tom: »Für diesen Wagemut erhalten wir unglaubliche Lobeshymnen von der kreativen Community. Wir müssen diese Serie ausstrahlen.« Man muss Tom zugutehalten, dass ihn dieser Umstand überzeugte. Er war mein Boss und hätte sagen können: »Tut mir leid, aber ich setze mich hier gegen Sie durch.« Er wusste aber, wie wichtig es war, die Kreativen von Hollywood auf unserer Seite zu haben, und daher akzeptierte er mein Argument, das Risiko lohne sich.
Wir bewarben die neue Serie bei der Oscar-Verleihung Ende März und zeigten den zweistündigen Pilotfilm am Sonntag, den 8. April. Fast 35 Millionen Zuschauer – das waren damals ungefähr ein Drittel aller Fernsehzuschauer – schalteten unseren Sender ein. Die eigentliche Serie planten wir für Dienstag um 21 Uhr ein. Innerhalb von wenigen Wochen wurde Twin Peaks
zur erfolgreichsten Serie in vier Jahren, die um diese Uhrzeit ausgestrahlt wurde. Sie zierte das Cover des Magazins Time
. Die Newsweek
schrieb: »So etwas hat es zur Primetime – oder auf Gottes Erdboden – noch nie gegeben.« Im Mai reiste ich zu den sogenannten Upfronts nach New York, bei denen die Fernsehnetzwerke der Presse und den Werbekunden die neue Saison vorstellen, und musste auf die Bühne gehen, um über ABC zu sprechen. »Ab und an wagt eine Führungskraft aus dem Fernsehgeschäft ein großes Risiko«, sagte ich, und augenblicklich brach die Menge in stürmischen Applaus aus. Es war das Aufregendste, das ich in meiner Karriere je erlebt hatte.
Leider brach die Welle an Euphorie fast unmittelbar zusammen. Innerhalb von sechs Monaten wurde Twin Peaks
von einem kulturellen Phänomen zu einer ärgerlichen Enttäuschung. Wir hatten David kreative Freiheit gelassen, aber gegen Ende der ersten Saison verhakten er und ich uns in einer anhaltenden Debatte über die Erwartungen der Zuschauer. Die ganze Serie war an der Frage aufgehängt, wer Laura Palmer ermordet hatte, und ich hatte das Gefühl, David habe das aus den Augen verloren und lege einfach nur willkürliche und unbefriedigende Spuren aus.
David war und ist ein brillanter Filmemacher, aber er war einfach kein TV-Produzent. Eine Serie erfordert organisationelle Disziplin (eine pünktliche Abgabe der Drehbücher, das Management der
Filmcrew und die Sicherstellung, dass alles nach Zeitplan verläuft), und die fehlte David einfach. Zudem hat eine Serie einen ganz anderen Spannungsbogen als ein Film. Bei einem Film muss man die Zuschauer zwei Stunden lang fesseln, ihnen ein aufregendes Erlebnis bescheren, und hoffen, dass sie hinterher begeistert das Kino verlassen. Eine Fernsehserie muss so angelegt sein, dass die Zuschauer begierig jede Woche wieder einschalten, um die nächste Folge zu sehen, und zwar Staffel für Staffel. Bis heute liebe und respektiere ich David und empfinde große Bewunderung für sein Schaffen, aber die Tatsache, dass er nicht das Gespür eines Fernsehproduzenten hatte, führte dazu, dass der Spannungsbogen irgendwie unvollendet blieb.
»Sie müssen das Mysterium auflösen oder den Leuten zumindest die Hoffnung geben, dass es gelöst werden wird«, sagte ich. »Es fängt allmählich an, die Zuschauer zu nerven, mich eingeschlossen!« David fand, das Mysterium sei nicht das wichtigste Element der Serie; in seiner idealen Version würde der Mörder nie gefunden werden, aber dafür würden sich andere Aspekte der Kleinstadt und ihrer Charaktere offenbaren. Immer wieder führten wir die gleichen Diskussionen, bis er schließlich bereit war, den Mörder auf der Hälfte der zweiten Staffel preiszugeben.
Danach war die ganze Storyline ein einziges Durcheinander. Nachdem das Mysterium gelüftet war, gab es nichts mehr, das die Story vorangetrieben hätte. Verschlimmert wurde das Ganze dadurch, dass der Produktionsprozess nicht diszipliniert genug war, was zu Verzögerungen und Verwirrung führte. Mir wurde klar, dass David, so brillant er auch war, keine Serie entwickeln konnte, und ich überlegte, ihn zu feuern und eine Gruppe erfahrener Fernsehleute damit zu beauftragen, das Ganze zu übernehmen. Am Ende kam ich jedoch zu dem Schluss, dass wir damit eine Situation heraufbeschwören würden, bei der niemand gewinnen konnte, und wir außerdem als Schurken dastehen würden, wenn wir David Lynch feuerten. Also verlegten wir stattdessen den Sendetermin von Twin Peaks
auf Samstagnacht, zum Teil, um den Erfolgsdruck zu senken. Als daraufhin jedoch die Einschaltquoten ins Bodenlose stürzten, gab mir David öffentlich die Schuld. Er behauptete, ich hätte das
Todesurteil über die Serie gefällt, und zwar zuerst, indem ich auf eine Lösung des Rätsels gedrängt hätte, und dann, indem ich den Sendetermin auf einen Zeitpunkt verlegt hätte, an dem niemand sie sich ansehen würde.
Im Rückblick bin ich nicht sicher, ob ich recht hatte. Ich hatte die Storyline nach einem traditionellen Schema beurteilt, und vielleicht war David seiner Zeit voraus. Tief in meinem Inneren hatte ich das Gefühl, David verärgere die Zuschauer, aber es kann auch sein, dass meine Forderung nach einer Antwort auf die Frage, wer Laura Palmer ermordet hatte, die Serie in eine narrative Unordnung gestürzt hatte. Vielleicht hatte David recht gehabt.
Kreative Prozesse zu managen, beginnt mit dem Verständnis, dass sie nicht wissenschaftlich sind – alles ist subjektiv. Oft gibt es kein richtig oder falsch. Die Leidenschaft, die für den kreativen Schaffensprozess erforderlich ist, ist etwas Mächtiges, und die meisten kreativen Schöpfer sind verständlicherweise empfindlich, wenn ihre Vision oder deren Umsetzung infrage gestellt wird. Ich versuche, das in Erinnerung zu behalten, wenn ich mit jemandem von der kreativen Seite unseres Geschäfts spreche. Wenn ich gebeten werde, meine Meinung und Kritik zu äußern, achte ich sehr sorgfältig darauf, wie sehr sich die jeweiligen Schöpfer für ihr Projekt engagiert, wie viel Herzblut sie hineingesteckt haben und wie viel für sie auf dem Spiel steht.
Wenn man mit dem Kleinen beginnt, wirkt man auch so: klein.
Ich beginne nie mit einer negativen Haltung, und bis wir uns nicht in den abschließenden Phasen einer Produktion befinden, poche ich auch nicht auf Details. Ich habe festgestellt, dass Menschen oft auf winzige Details fokussieren, weil sie damit verschleiern wollen, dass es an klaren, kohärenten und großen Konzepten mangelt. Wenn man mit dem Kleinen beginnt, wirkt man auch so: klein. Und wenn das große Ganze ein Chaos ist, dann kommt es auf die Details auch nicht mehr an, und dann sollte man auch keine Zeit damit verschwenden.
Natürlich sind keine zwei Situationen gleich. Es ist ein großer Unterschied, ob man einem erfahrenen Regisseur wie J. J. Abrams
oder Steven Spielberg Feedback gibt, oder jemandem mit weitaus weniger Erfahrung und Selbstvertrauen. Das erste Mal, dass ich mit Ryan Coogler zusammensaß, um ihm Feedback zu Black Panther
zu geben, konnte ich sehen, wie offensichtlich angespannt er war. Er hatte noch nie einen so großen Film mit einem so gewaltigen Budget wie Black Panther
gemacht, auf dem ein derartig großer Erfolgsdruck lastete. Ich gab mir größte Mühe, um ihm ganz klar zu vermitteln: »Sie haben einen ganz besonderen Film gemacht. Ich habe einige konkrete Anmerkungen, aber bevor ich sie Ihnen nenne, möchte ich, dass Sie wissen, dass wir ein ungeheures Vertrauen in Sie haben.«
Das ist nichts anderes als ein Weg, um auszudrücken, was offensichtlich erscheinen mag, aber oft ignoriert wird: dass es eine feine Balance gibt zwischen der Verantwortung des Managements für das finanzielle Ergebnis einer kreativen Arbeit, und der Gewährleistung, dass man nicht die kreativen Prozesse auf schädliche und kontraproduktive Weise erstickt, während man diese Verantwortung ausführt. Einfühlungsvermögen ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen vernünftigen Umgang mit Kreativen, und Respekt ist dabei von zentraler Bedeutung.
BEMERKENSWERTERWEISE WAR DER NIEDER GANG
von Twin Peaks
nicht unser größter Misserfolg in jener Saison. Im Frühjahr 1990 hatte ich grünes Licht für die Serie Cop Rock
gegeben, eine als Musical aufgemachte Polizeiserie, die zur Zielscheibe aller möglichen Witze in den Late-Night-Shows wurde und einen Dauerplatz auf der Liste der schlechtesten TV-Serien aller Zeiten hatte. Ich stehe aber bis heute zu dieser Entscheidung. In einem unserer frühesten Meetings sagte mir Steven Bochco, neben Doogie Howser
habe er noch eine weitere Idee: eine Polizeiserie, die als Musical aufgemacht sei. Ein Broadway-Produzent hatte ihn angesprochen, der daran interessiert war, ein Musical aus Hill Street Blues
zu machen, was Bochco aus verschiedenen Gründen nicht machen konnte. Aber ihm ging die Idee nicht mehr aus dem Kopf. Allerdings wollte er kein Polizei-Musical für den Broadway machen, sondern für das Fernsehen. Er kam immer wieder darauf zu sprechen, aber ich ging nicht darauf ein. Ich wollte eine Polizeiserie
von Steven, aber kein Musical. In jenem Frühjahr, in dem ich mich noch im Glanz der ersten Staffel von Twin Peak
sonnte, ließ ich mich schließlich breitschlagen. »Wissen Sie was?«, sagte ich. »Warum eigentlich nicht? Versuchen wir’s.«
Die Serie sollte die Polizei von Los Angeles darstellen, und zunächst war sie auch wie eine ganz normale Polizeiserie mit einem guten Handlungsfaden – nur dass die Figuren in besonders dramatischen Momenten anfingen zu singen: Blues, Gospel, große Chorstücke. In dem Augenblick, in dem ich den Pilotfilm zum ersten Mal sah, wusste ich, dass es nicht funktionieren und möglicherweise eine legendär schlechte Serie werden würde, aber ich hoffte auch, es gäbe vielleicht eine Chance, dass ich mich irrte. Ich bewunderte Stevens Talent sehr, und auf jeden Fall dachte ich, dass ich keine halben Sachen machen konnte, wenn ich mich schon darauf einließ.
Cop Rock
hatte seine Premiere im September 1990. Wenn neue Serien anlaufen, bitte ich unseren Leiter der Recherche in New York normalerweise, mich in L.A. anzurufen und mir die vorläufigen Einschaltquoten mitzuteilen. Dieses Mal sagte ich ihm: »Wenn die Einschaltquoten gut sind, dann ruf mich an. Wenn sie schlecht sind, schick mir einfach ein Fax.« Um 5 Uhr morgens wachte ich auf, weil ich das Faxgerät rattern hörte. Dann schloss ich die Augen und schlief weiter.
Die Rezensionen waren übrigens nicht alle ausnahmslos schlecht. Ich erinnere mich, dass in einer der »Wagemut« der Serie gelobt wurde. Andere sagten, wenn man die Musik weglassen würde, wäre es eine großartige Steven-Bochco-Polizeiserie. Die meisten anderen fanden sie peinlich. Im Dezember desselben Jahres zogen wir nach nur elf Folgen die Reißleine. Steven schmiss eine Art Leichenparty im Studio, um gemeinsam das Ende der Serie zu feiern und zu beklagen. Am Ende seiner Grabrede sagte er: »Das Stück ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau gesungen hat.« Und dazu schwebte eine korpulente Sängerin auf einem fliegenden Trapez über unseren Köpfen.
»Allerdings ist es mir lieber, große Risiken zu wagen und gelegentlich zu scheitern, als niemals Risiken einzugehen.«
Ich stand auf und richtete mich an die Darsteller und das Studioteam. »Wir haben etwas Großes versucht, und es hat nicht funktioniert«, sagte ich. »Allerdings ist es mir lieber, große Risiken zu wagen und gelegentlich zu scheitern, als niemals Risiken einzugehen.«
So habe ich es damals wirklich empfunden. Ich bereute nicht, es versucht zu haben. Und dasselbe empfand ich auch einige Monate später, als wir bei Twin Peaks
den Stecker zogen. Ich wollte nicht immer auf Nummer sicher gehen, sondern Möglichkeiten bieten, um Großartiges zu erschaffen. Von allen Lektionen, die ich in meinem ersten Jahr beim Primetime-Programm lernte, war die wichtigste, Misserfolge hinnehmen zu können. Damit meine ich nicht, sich damit zu arrangieren, dass man sich nicht genügend angestrengt hat, sondern die unvermeidliche Wahrheit zu akzeptieren, dass man Raum für Misserfolg lassen muss, wenn man Neues schaffen will – und das sollte man.
Man kann seine Fehler nicht einfach ausradieren oder die eigenen schlechten Entscheidungen anderen anhängen.
Steven und ich waren gemeinsam für den Flop der Serie Cop Rock
verantwortlich. Wir betrachteten das Ganze mit einem gewissen Humor, und mir war es wichtig, mich nie von der Entscheidung zu distanzieren, diese Serie ins Programm aufgenommen zu haben. Ich empfand diese Lektion als wesentlich bedeutsamer als die, die ich Jahre zuvor bei ABC Sports in jenem Raum gelernt hatte, in dem ich vor versammelter Mannschaft einen Fehler eingestanden hatte. Man kann seine Fehler nicht einfach ausradieren oder die eigenen schlechten Entscheidungen anderen anhängen. Man muss sich zu seinen Fehlern bekennen. Und man verdient sich genauso viel Respekt und Wohlwollen, wenn man jemandem nach einem Misserfolg den Rücken stärkt, wie wenn man ihn für seine Erfolge lobt.
Sobald die Wunden von Cop Rock
ein wenig verheilt waren, sagte mir Steven, er wolle »die erste nicht jugendfreie Serie in der Fernsehgeschichte machen«. Ich erwiderte: »Steven, du hast Hill Street Blues
und L.A. Law
für NBC gemacht. Wo sind solche Serien für uns? Ich bekomme eine Polizeiserie, und es ist Cop Rock
. Und jetzt willst du etwas machen, das unsere Werbekunden in die Flucht schlägt?« Was ich in dem Moment nicht erkannte, war, dass Steven das Gefühl hatte, er habe dieses ganze konventionelle Zeug schon x-mal gemacht und wolle jetzt einfach etwas anderes machen. Ebenso wenig erkannte ich, wie sehr er damit auf die sich verändernde TV-Landschaft reagierte. Er hatte das Gefühl, HBO würde uns schon bald das Wasser abgraben, weil deren Serienautoren keine Rücksicht auf die prüden Fernsehzensoren der großen Sender oder die Empfindlichkeiten von Werbekunden nehmen mussten. Also pitchte er NYPD Blue
als erste Serie mit dem sogenannten R-Rating (A. d. Red. also mit Altersfreigabe ab 17 Jahren) für das Fernsehen.
Ich teilte Stevens Auffassung über die veränderte TV-Landschaft und die Unbeweglichkeit der großen Fernsehnetzwerke, aber ich wusste auch, dass ich niemals die Genehmigung erhalten würde, eine Serie mit R-Rating im Fernsehen zu zeigen. Der Vertrieb machte mich darauf aufmerksam, und ich gab es Steven weiter. Für eine Weile nahmen wir Abstand von der Idee. Ich glaubte jedoch, dass wir etwas machen konnten, dass sich im Grenzbereich bewegte, also nicht wirklich in die Kategorie R-Rating fiel. Schließlich erwärmte sich Steven für diesen Vorschlag. »Aber wie würde eine solche Serie aussehen?«, fragte er.
Wir berieten uns mit den Zensoren und entwickelten ein Schema für die Dinge, die wir in einer Serie mit der Einstufung PG 13 (A. d. Red. also eine Altersfreigabe ab 13 Jahren) zeigen und sagen durften. Wir erstellten ein Glossar über alle Worte, die technisch betrachtet in Ordnung waren. (Arschgesicht
war in Ordnung; Arschloch
nicht. Wichser
war okay als abwertende Beschreibung einer Person, aber nicht im Sinne von masturbieren.) Dann zeichneten wir nackte Figuren in Notizbücher, um festzulegen, in welchem Winkel wir ein wenig Nacktheit – aber nicht zu viel – zeigen konnten.
Als Nächstes mussten wir das Konzept Dan Burke verkaufen. Dan kam nach L.A., und wir trafen uns zu dritt in der Nähe von Stevens Büro zum Mittagessen. Wir zeigten ihm unser Glossar und unsere Zeichnungen und erklärten, warum uns diese Serie wichtig war. »Ihr
könnt es machen«, sagte Dan schließlich. »Aber wenn das Ganze hochkocht, und das wird es, dann sind meine Rockschöße nicht weit genug, als dass Sie
« – und da zeigte er auf mich – »sich dahinter verstecken könnten.«
Dies war ein weiteres Beispiel meiner Bereitschaft, Risiken zu wagen, die zum Teil dem Umstand geschuldet war, dass Dan und Tom so großes Vertrauen in mich hatten. Sie hatten mir diese Verantwortung übertragen, und ich hatte in kurzer Zeit Erfolge geliefert. Das verschaffte mir große Toleranzspielräume bei ihnen. Ich konnte nicht machen, was ich wollte, aber ich besaß eine ziemlich große Entscheidungsfreiheit. Das war ein Vertrauen, das sich mein Vorgänger Brandon Stoddard nie erarbeitet hatte. Er verweigerte Dan und Tom den Respekt und daher respektierten sie ihn auch nicht. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass sie ihm die rote Karte zeigten, wenn er sie unbedingt zu etwas überreden wollte, das ihm wichtig war, von dem Dan und Tom aber nicht überzeugt waren.
Nachdem wir von Dan grünes Licht erhalten hatten, folgte eine lange, mühselige Entwicklungsphase, in der Steven in eine Richtung drängte und die Jungs von ABC, die für die Unternehmensstandards und -praktiken verantwortlich waren, in eine andere, bis schließlich ein Kompromiss erzielt wurde. Im Herbst 1993 ging die Serie auf Sendung – eine ganze Saison später, als wir geplant hatten. Der amerikanische Familienverband rief zum Boykott auf, zahlreiche Werbekunden machten einen Bogen um die Serie, und mehr als 50 der 225 angeschlossenen TV-Sender unseres Netzwerkes strahlten nicht einmal die erste Folge aus. Von der Kritik wurde die Serie jedoch außerordentlich positiv aufgenommen und in der zweiten Staffel schaffte sie es sogar in die Top Ten der Fernsehserien. Sie hatte zwölf Jahre lang einen festen Platz in der Hauptsendezeit, gewann 20 Emmys und galt als eines der besten Dramen, die je für das Fernsehen geschaffen wurden.
Während meiner Zeit als Verantwortlicher für die Hauptsendezeit waren wir bei der begehrten Zielgruppe der Zuschauer zwischen 18 und 49 Jahren in vier von fünf Jahren die Nummer eins. Wir konnten sogar Brandon Tartikoff vom Thron stoßen, der NBC über 68
aufeinanderfolgende Wochen auf dem Spitzenplatz des Nielsen-Rankings gehalten hatte. (Als die Rankings mit ABC an der Spitze veröffentlicht wurden, rief Brandon an, um mich zu beglückwünschen. Er hatte Klasse; das wird niemand je wiederholen. »Ich bin ein wenig traurig darüber«, sagte ich ihm. »Es ist so, als würde sich die große Zeit von Joe diMaggio
1
zum Ende neigen.«)
Unser Erfolg war stets das Ergebnis einer Teamleistung, aber es war auch der erste Erfolg in meiner Karriere, der mir öffentlich zugeschrieben wurde. Auf der einen Seite fühlte es sich seltsam an, für Dinge gepriesen zu werden, die andere gemacht hatten. Ich war als totales Greenhorn zur Unterhaltungssparte gekommen, und diese unglaublich fähigen Leute teilten ihr gesamtes Wissen mit mir. Sie arbeiteten hart und fühlten sich nicht durch den Umstand bedroht, dass man mich ihnen vor die Nase gesetzt hatte. Aufgrund ihrer Großzügigkeit erreichten wir gemeinsame Erfolge, und dennoch wurden die Verdienste zum größten Teil mir zugeschrieben.
Ich denke allerdings, dass man fairerweise auch sagen kann, dass wir nicht zur Nummer eins im Bereich Primetime aufgestiegen wären, wenn ich die Sparte nicht geleitet hätte. Dan und Toms Vertrauen gab mir den Mut, große Risiken zu wagen. Und wenn ich eine Stärke besaß, dann war es meine Fähigkeit, kreative Leute einerseits dazu zu bringen, dass sie ihr Bestes gaben und etwas wagten, ihnen aber andererseits auch wieder auf die Füße zu helfen, wenn sie einen Misserfolg produzierten. Mein Team und ich, wir haben uns immer gemeinsam angestrengt, und meine Jahre als Verantwortlicher von ABC Entertainment vermittelten mir eine neue Wertschätzung für die Voraussetzungen, die dafür sorgen, dass eine Gruppe fähiger Leute Höchstleistung erbringt.
Genugtuung darüber zu empfinden, dass echte Leistungen anerkannt wurden, und gegenüber dem Hype der Öffentlichkeit eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag zu legen, war ein Balanceakt, der in meinen Jahren als CEO wichtiger denn je war. Oft fühle ich mich im Beisein anderer Leute, mit denen ich zusammenarbeite, schuldig, wenn sich so viel Aufmerksamkeit und Lob auf mich richtet. Das manifestiert sich auf merkwürdige Weise. Bei Besprechungen mit Leuten, die nicht zum Unternehmen gehören, passiert es oft, dass sie
nur mich ansehen, selbst wenn Kollegen mit mir am Tisch sitzen. Ich weiß nicht, ob andere CEOs das auch so empfinden, aber mir ist es unangenehm, und in diesen Momenten achte ich besonders darauf, meinen Kollegen und Mitarbeitern Lob und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Wenn ich umgekehrt an einer Besprechung außerhalb von Disney teilnehme, achte ich stets darauf, dass ich mich an jede Person am Tisch wende und alle Anwesenden einbeziehe. Das ist eine kleine Geste, aber ich erinnere mich noch zu gut daran, wie es sich anfühlte, die übersehene Randfigur zu sein – und alles, das einen daran erinnert, dass man nicht der Mittelpunkt des Universums ist, ist gut.
AM THANKSGIVING-WOCHENENDE
im Jahr 1992 rief mich Dan Burke an, um mir mitzuteilen, dass der Präsident von ABC in den Ruhestand ging. Sie wollten, dass ich nach New York zurückkehrte und seinen Platz einnahm. Das kam nicht völlig überraschend. Als sie mich zum Leiter der Sparte Entertainment ernannten, hatten Tom und Dan bereits angedeutet, dass sie letztlich wollten, dass ich das Fernsehnetzwerk leiten sollte. Die Überraschung war das Datum, das mir Dan auf meine Frage nannte, wann ich beginnen sollte. »Am 1. Januar«, sagte er – also in wenig mehr als einem Monat.
Ich freute mich, nach New York zurückkehren zu können, nicht nur wegen meines neuen Jobs. Susan und ich hatten uns in diesem Jahr getrennt, und sie war mit den Kindern nach New York zurückgezogen. Susan hatte sich nie mit L.A. anfreunden können, und nach unserer Trennung mochte sie es noch weniger. In New York fühlte sie sich zu Hause, und ich konnte ihr das nicht verübeln. Ich flog, so oft ich konnte, nach New York, um meine Töchter zu sehen, aber insgesamt war es ein schreckliches Jahr.
Kurzerhand verkaufte ich das Haus in Los Angeles, packte meine Sachen und zog ins Mark Hotel auf der Upper East Side. Am 1. Januar wurde ich mit 43 Jahren Präsident des Fernsehnetzes ABC. Ich wusste schon seit einiger Zeit, dass diese Beförderung bevorstand, aber als sie eintraf, fühlte es sich dennoch etwas unwirklich an. Meine früheren Mentoren – Roone in der Nachrichtensparte und Dennis Swanson in der Sportsparte – berichteten nun an mich. Ted
Harbert, der mich zusammen mit Stu Bloomberg in das Geschäft einer Führungskraft im Unterhaltungsfernsehen eingeführt hatte, übernahm meinen Job bei ABC Entertainment. Weniger als ein Jahr später, gegen Ende des Jahres 1993, rief mich Tom Murphy in sein Büro. »Dan geht im Februar in den Ruhestand«, verkündete er. »Sie müssen seinen Job übernehmen.«
»Das geht nicht«, sagte ich. »Ich habe gerade erst mit meiner Arbeit begonnen. Wer soll das Netzwerk führen? Sie müssen noch warten.« So sehr mich mein Instinkt auch dazu drängte, zu jeder Chance Ja zu sagen, empfand ich diesen Wechsel als übereilt.
Die Art und Weise, wie sie mir in jeglicher Hinsicht ihr Vertrauen aussprachen, wirkte sich stark auf meinen Erfolg aus.
Acht Monate später kam Tom erneut auf mich zu. »Ich brauche Sie in dieser Position«, wiederholte er. »Ich brauche Hilfe bei der Leitung dieses Unternehmens.« Im September 1994 wurde ich Präsident und COO (Vorstand für das operative Geschäft) von Capital Cities/ABC – ein Jahr und neun Monate, nachdem ich zum Präsidenten des Fernsehnetzes von ABC ernannt worden war. Das Ganze war ein schwindelerregender und bisweilen destabilisierender Aufstieg. Normalerweise würde ich nicht empfehlen, jemanden so schnell zu befördern, wie sie mich beförderten. Allerdings will ich eine Sache noch einmal wiederholen, weil ich es gar nicht oft genug sagen kann: Die Art und Weise, wie sie mir in jeglicher Hinsicht ihr Vertrauen aussprachen, wirkte sich stark auf meinen Erfolg aus.
Kurz nachdem ich zum COO ernannt worden war, streckte Michael Eisner, CEO von The Walt Disney Company im Frühjahr 1995 bezüglich einer möglichen Übernahme von Cap Cities/ABC seine Fühler aus. Die ersten Vorstöße führten zu nichts, und ungefähr zur gleichen Zeit sagte mir Tom, er plane, mit dem Verwaltungsrat darüber zu sprechen, dass ich seine Nachfolge als CEO antreten sollte. Im Juli 1995 befanden wir uns in Sun Valley, Idaho, auf der jährlichen Allen-&-Company-Konferenz. Ich stand auf dem Parkplatz, sprach mit Tom und konnte sehen, dass sich Warren Buffett, unser größter Aktionär, in der Nähe mit Michael Eisner
unterhielt. Sie winkten Tom zu sich herüber, und bevor er ging, sagte ich: »Tun Sie mir einen Gefallen. Falls Sie sich entscheiden, an Michael zu verkaufen, geben Sie mir einen Wink, okay?«
Es sollte nicht lange dauern. Einige Wochen später kam Michael ganz offiziell auf Tom zu, um die Verhandlungen über eine Übernahme von Capital Cities/ABC durch Disney zu beginnen.